Gendern in Schleswig-Holstein: Reaktionäre lassen nicht locker
CDU-Politiker Tobias Koch fordert einen Volksentscheid zu geschlechtergerechter Sprache. Doch Zwang führt bei diesem Thema nicht weiter.
E igentlich, so könnte man meinen, ist zum Thema geschlechtergerechte Sprache alles gesagt. Die eine tut es, der andere lässt es – und nun können wir uns in diesen Wahlkampfzeiten anderen Themen zuwenden, die bislang sträflich vernachlässigt wurden: Der Kampf gegen Rechtsextremismus, die fehlende Umsetzung der Istanbul-Konvention oder wie wir nach 17 lähmenden Monaten die Pandemie zu einem Ende bringen.
Doch die Reaktionären des Landes lassen es nicht zu und setzen das Thema ständig wieder auf die Tagesordnung. Aktuell fordert Tobias Koch, Fraktionschef der CDU im Landtag von Schleswig-Holstein, einen Volksentscheid zum Thema Gendern.
Dass konservative Journalist:innen monatelang Kommentarspalten volljammerten, weil ihnen die Nutzung von Binnen-I, Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich so viel Sorgen bereiteten – daran hatte man sich ja schon fast gewöhnt. Nun aber nimmt die Debatte um geschlechtergerechte Sprache im Wahlkampf so viel Raum ein, dass es nur noch absurd ist.
Anlass für Kochs Vorschlag sind Verbote von Sonderzeichen fürs Gendern in der Schule. Ende August wurde bekannt, dass an sächsischen Schulen keine Sonderzeichen für geschlechtergerechte Sprache mehr verwendet werden sollen. Gute Idee, dachte sich wohl CDU-Frau Katrin Prien, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, diese Woche. Die Politikerin, die in Laschets Schattenkabinett als Bildungsministerin auftritt, sagte gegenüber den Lübecker Nachrichten: „Gendersternchen, Binnen-I und Unterstrich“ seien „in der Schule grundsätzlich nicht gestattet“.
Absurde Debatte
Absurd ist das vor allem, weil die Verfechter:innen des generischen Maskulinums ständig ein „Sprachverbot“ und „Vorschriften“ herbeiredeten und nun selbst welche fordern und durchsetzen. Denn der Zwang zum Gendern, wie ihn so viele fürchten, bleibt bislang aus. In der deutschen Medienlandschaft gibt es keine überregionale Zeitung, keinen Fernseh- oder Radiosender, in der geschlechtergerechte Sprache vorgeschrieben wird.
Im Gegenteil. Während einige Redaktionen, darunter die taz, den Journalist:innen selbst überlassen, ob sie in ihrer Sprache auch andere Geschlechter als das männliche berücksichtigen möchten oder nicht, ist es in anderen ausdrücklich verboten, Sonderzeichen für geschlechtergerechte Sprache zu nutzen. Zu Letzteren gehören die Frankfurter Allgemeinen Zeitung ebenso wie der öffentlich-rechtliche Bayerische Rundfunk.
Auch ist bislang keine deutsche Universität oder Schule bekannt, in der geschlechtergerechte Sprache vorgeschrieben wird. Der Fall eines Lehramtsstudenten aus Kassel, der behauptete, in einer Prüfung schlechter bewertet worden zu sein, weil er keine gendersensible Sprache verwendet hatte, stellte sich nach Recherchen verschiedener Medien als falsch heraus. Einzelne Städte und Behörden haben zwar angefangen, in offiziellen Schreiben geschlechtergerecht zu schreiben, doch auch hier handelt es sich lediglich um Empfehlungen und keinen Zwang.
Für Koch anscheinend keine zufriedenstellende Lösung, er wünscht sich, dass „wir“ durch einen Volksentscheid zu einem „gemeinsamen Verständnis“ kommen. „Dass im Augenblick jeder seine eigenen Regeln aufstellt, halte ich für das eigentlich Problematische“, sagt er den Kieler Nachrichten.
Doch was soll nach dem Volksentscheid kommen? Sollen Menschen gezwungen werden, den Genderstern oder -Unterstrich zu nutzen? Oder andere dazu, Frauen und Menschen anderer Geschlechter sprachlich unsichtbar zu machen? Wenn uns die Debatte der letzten Monate eines gelehrt hat, dann doch, dass Zwang uns bei diesem Thema nicht weiterführt. Deswegen lieber: Der eine tut es, die andere lässt es, und jetzt weiter zu anderen Themen.
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