Gastronomie in der Krise: Kunden schalten einen Gang zurück
Gäste leisten sich weniger, das Personal fehlt, die Kosten steigen: Die Gastronomie erlebt nach der Pandemie magere Zeiten.
Ob auf dem Land oder in der Stadt, wer sich in den Straßen umguckt, sieht immer wieder die Schilder: Dauerhaft geschlossen, die Küche bleibt kalt, für immer dicht. Manche Gaststätten richten sich auch direkt an ihre (ehemalige) Kundschaft: „Sie alle haben den Löffel abgegeben.“ Es sind magere Zeiten, den Gastronomen bundesweit bleibt weniger.
Im Schnitt fiel ihr realer Umsatz im August 2023 laut Statistischem Bundesamt knapp 15 Prozent niedriger aus als noch im August 2019. „Die höheren Preise für Energie, für Lebensmittel, vielleicht auch für Mieten machen ihnen allen zu schaffen. Zudem fehlen Leute, überall“, sagt Jörg Reuter, der die Gastronomie genau beobachtet. Er ist Leiter des Berliner Food Campus, wo zukünftige Ernährungskonzepte entwickelt werden.
Am Montag hat die Brancheninitiative „Vereint für die Gastro“ in Berlin vor dem Brandenburger Tor demonstriert. Sie fordert: Für Speisen in Restaurants soll weiter ein verminderter Mehrwertsteuersatz anfallen. Die Bundesregierung hatte ihn in der Coronakrise gesenkt und die Regelung vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs und der Energiekrise bis Ende 2023 noch mal verlängert. Stand jetzt soll sie aber mit dem Ende des Jahres auslaufen. Dann fällt wieder die normale Mehrwertsteuer an, statt 7 also 19 Prozent.
Vielfalt in Gefahr
Noch weniger Menschen seien dann bereit, viel Geld für Essen auszugeben, warnen auch die Betreiber des Horváth in ihrem Brandbrief. „Noch nie haben uns die Entwicklungen der letzten Monate so viele Sorgen bereitet wie heute“, heißt es in dem Brief. Denn andere wollen aufhören. Ende September erklärte erst das Berliner 1-Sterne-Restaurant „Ernst“, es werde im Dezember 2024 schließen, nur wenige Tage danach gab das edle „Lode & Stijn“ bekannt, schon Ende dieses Jahres dichtzumachen. Auch das sind nicht irgendwelche Restaurants, sondern große Namen. Das sei womöglich nur der Anfang, die Vielfalt der Gastronomie in „akuter Gefahr“, warnen Frank und seine Leute.
In ganz Deutschland, aber insbesondere in Berlin, so erklären sie, seien die Menschen derzeit „verständlicherweise zurückhaltender damit, sich ein Fine-Dining-Erlebnis zu leisten.“ In den Fine-Dining-Restaurants, in denen Spitzenköchinnen und -köche ihre Menüs aus hochwertigen Lebensmitteln kreieren und sich um die Gäste sehr gekümmert wird, geht es so ab 75 Euro für 3 Gänge los. Dazu kommen die Getränke, das Trinkgeld. Ein Abend in einem Sternerestaurant mit 7 Gängen und Getränkebegleitung kann aber auch schnell 200 Euro und mehr pro Person kosten. Diesen Luxus können sich beileibe nicht alle leisten, andere wollen es auch nicht mehr.
Kunden schalten derzeit einige Gänge zurück. Darum wird nicht jedes Spitzenrestaurant schließen, ihre Zahl aber abnehmen. Davon geht der Heilbronner Gastronomieprofessor Michael Ottenbacher aus, der zu Innovationen in der Branche forscht. „Wo sollen die ganzen Gäste herkommen?“, fragt er. Und er sagt weiter: „Die meisten wollen schon noch ausgehen, den Sorgen wegen der Inflation zum Trotz. Sie gehen dann aber in ein klassisches Wirtshaus, wo vielleicht lange vergessene, aber traditionelle Gerichte modern zubereitet werden. Oder sie landen bei einem guten Italiener.“
Steigt die Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie wieder auf ihr normales Niveau, werde das aber auch solchen Restaurants zusetzen, meint Ottenbacher: „Dann sterben nicht nur Edelrestaurants.“ Die Regelung fortzuführen fordern deshalb nicht nur Edelrestaurants oder die Initiative „Vereint für die Gastro“, sondern auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband.
Forelle Müllerin läuft noch
Noch läuft es laut Ottenbacher beim bodenständigen Essen ohne viel Schnickschnack, etwa beim Hühnerfrikassee mit Pilzen für 26 Euro, beim hochwertigen Schnitzel für 25 Euro, bei der Forelle „Müllerin“ mit Mandeln für 24 Euro oder einer ebenso teuren Dorade. Das rechne sich auch für die Gastronomen selbst besser, sagt der Experte. Eine Faustregel laute: „Je hochwertiger die Küche, desto aufwändiger, desto weniger Gewinn wirft sie ab.“ Wer einen Imbiss oder eine Kneipe aufmache, habe darum noch immer gute Chancen, Geld zu verdienen, neben den Kettenrestaurants, die in großen Mengen einkauften und Vorgänge automatisierten.
Die Branche hat sich bereits verändert, passt sich an schlechtere Bedingungen an. Ottenbacher macht drei Trends aus. Trend 1: Gastwirtschaft geöffnet von Donnerstag bis Sonntagmittag, sonst geschlossen! Egal ob auf dem Land oder in der Stadt öffnen viele Restaurants nicht mehr sechs Tage in der Woche, die Besitzer stehen nicht mehr 80 Stunden in der Woche in der Küche. Trend 2: Essen bitte nur an der Theke bestellen und dort auch abholen! Die Gäste müssen ein wenig mithelfen, weil Personal fehlt und teuer ist. Roboter sieht Ottenbacher eher nicht als Alternative: „Sie können vielleicht das dreckige Geschirr in die Küche bringen.“ Und schließlich Trend 3: Reservierungen können nur bis 48 Stunden zuvor abgesagt werden, danach wird ein Preis fällig. Damit Köche nicht umsonst alles vorbereiten, fordern sie mehr Verbindlichkeit ein.
Forscher Ottenbacher ist sich sicher: Es lässt sich weiterhin erfolgreich sein in der Gastronomie. „Sie brauchen nur einen Plan“, sagt der Experte. „Selbst der Landgasthof kann sich neu erfinden.“
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