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G20-Demos in HamburgSchwarze Kleidung = kriminell

Der Rondenbarg-Prozess gegen G20-Gegner*innen endet mit Geldstrafen. Dabei wird den Verurteilten vor allen ihr Outfit am Demo-Tag zum Verhängnis.

Zu Geldstrafen verurteilt: Angeklagte im Rondenbarg-Prozess (Archivbild) Foto: Georg Wendt/dpa

HAMBURG taz | Kann man De­mons­tran­t*in­nen dafür bestrafen, dass sie dabei waren, als andere De­mons­trant*in­nen Steine warfen? Nein, sagte das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Urteil 1985 – das schränke die Versammlungsfreiheit zu sehr ein. Doch, urteilte am Dienstag das Hamburger Landgericht. Teil­neh­me­r*in­nen der G20-Proteste hätten am 7. Juli 2017 in der Straße Rondenbarg an einem gemeinschaftlichen Bedrohungsszenario mitgewirkt.

Die Richterin verurteilte die Angeklagten zu jeweils 90 Tagessätzen. Sie seien des Landfriedensbruchs schuldig sowie der Beihilfe zu versuchter gefährlicher Körperverletzung, zu tätlichem Angriff, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung.

Das Geschehen liegt sieben Jahre zurück: Während in Hamburg die G20-Staatschef*innen tagten, waren überwiegend schwarz gekleidete Gip­fel­geg­ner*in­nen frühmorgens vom Protestcamp Richtung Innenstadt gelaufen. In der Straße Rondenbarg wurde der Protestzug von zwei Polizeieinheiten umzingelt und brutal zerschlagen.

14 Steine und 4 Böller wurden aus der Demo Richtung Polizei geworfen, trafen jedoch nicht. 85 De­mons­tran­t*in­nen wurden festgenommen, zahlreiche verletzt – 14 so schwer, dass sie teils mit offenen Brüchen ins Krankenhaus kamen.

Staatsanwaltschaft forderte Haftstrafen

Zwei der Festgenommenen mussten sich seit Januar vor dem Landgericht verantworten. Ursprünglich waren sechs Personen angeklagt worden. Zwei von ihnen nahmen einen Deal mit der Staatsanwaltschaft an, bei zwei anderen wurde das Verfahren aus persönlichen Gründen abgetrennt. Der 29-jährige Nils Jansen und die 35-jährige Gabi Müller (Name geändert) lehnten den Deal aus politischen Gründen ab.

Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich Haftstrafen gefordert, obwohl sie den Angeklagten keine eigenen Taten vorwarf. Aber durch ihre schwarze Kleidung und das geschlossene Auftreten hätten sie Straf­tä­te­r*in­nen ermöglicht, in der Masse unterzutauchen und diese in ihrem Handeln bestärkt – daher seien sie ebenfalls als Tä­ter*in­nen zu verurteilen.

Im Vergleich sind die Taten indes „Peanuts“, sagte selbst die Richterin in der Urteilsverkündung. Drei Bauzäune und Müllcontainer waren auf die Fahrbahn gezerrt worden, ohne einen Stau zu verursachen. Im hinteren Bereich der Demo wurden Gehwegplatten zertrümmert, zudem wurde der Plastikfahrplanhalter einer Bushaltestelle beschädigt und eine „No G20“-Parole gesprayt. Auch die Staatsanwaltschaft sah das ein und plädierte letztlich auf 150 Tagessätze.

Verteidiger: Versammlung kein Schönheitswettbewerb

Es war in 24 Verhandlungstagen unter anderem darum gegangen, ob der Protestzug ein versammlungsrechtlich geschützter Teil einer „Fünf-Finger-Protesttaktik“ gewesen sei.

Nach Ansicht der Verteidigung sowie eines Sachverständigen habe der schwarze Finger am Rondenbarg genauso dazu gehört wie der rote, grüne und lilafarbene Finger, die zur gleichen Zeit an anderen Orten gestartet waren. Demnach habe für die Angeklagten der Aktionskonsens gegolten, in dem sich Protestierende darauf geeinigt hatten, keine Gewalt anzuzetteln.

Die Richterin sah das anders: Der schwarze Finger sei eine ganz andere Nummer gewesen als die andersfarbigen Finger mit quietschbunten Accessoires. Die Kleidung der Angeklagten, insbesondere die Vermummung und die schwarzen Schuhe mit weißer Sohle von Deichmann, die viele Teil­neh­me­r*in­nen getragen hätten, beweise, dass die beiden sehr genau gewusst hätten, worauf sie sich einließen.

„Jeder weiß, dass ein schwarz gekleideter Aufzug nichts Gutes bedeutet“, sagte die Richterin. Das Ziel sei Krawall gewesen. Entscheidend sei zudem, dass der schwarze Finger Pas­san­t*in­nen in Angst versetzt habe.

„Man wird immer jemanden finden, der sich von einer Versammlung eingeschüchtert fühlt“, kritisierte der Verteidiger Sven Richwin. Das Grundgesetz frage aber beim Schutz von Versammlungen nicht nach dem ästhetischen Ausdruck. „Eine Versammlung ist kein Schönheitswettbewerb“, so Richwin. Das Urteil auf die Angst von Personen zu stützen, entziehe sich der Rationalität.

Der Verurteilte Nils Jansen kritisierte den Schuldspruch als Angriff auf die Versammlungsfreiheit. Ob er und Müller in Revision gehen, wollen sie jetzt prüfen.

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27 Kommentare

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  • @HAMEI

    Tja. Es scheint, als hätte @JEDERHATEINEMEINUNG eben nur eine Meinung, keine Fakten.

    Nomen est...

  • Es geht hier um Kriminelle, die Steine und Feuerwerkskörper auf Polizisten geworfen haben und die dann von dem mitmarschierenden schwarzen Mob geschützt wurden. Anscheinend gleiches Verhalten und Aussehen wie bei Rechtsradikalen...die eine Seite ist nicht besser als die andere.

    • @JEDERHATSEINEMEINUNG:

      Nur wurde gerade die erste Riege an Menschenjägern aus Chemnitz aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Man konnte nicht nachweisen, wer in welcher Reihenfolge auf am Boden liegende eingetreten hat. Das sie an einer spontanen Versammlung mit dem Ziel, Ausländer zu jagen, teilnahmen, erachtete man dagegen als nicht strafwürdig.

    • @JEDERHATSEINEMEINUNG:

      Ja...."jeder hat seine Meinung" und auch eine jede und ein jeder muss Pipi und Kacka. Und fällt ein Blatt vom Baum in Osnabrück, weht ein Wind in Fontainebleau - alles ganz beliebig und egal. Die Freiheit, das Liberale ist blablabla und beliebig und was ich absondere immer von Bedeutung, auch wenn ich den weder nachweisen noch beweisen muss. Und auch gar keine Verantwortung trage für das was ich wan wozu in welchem Kontext sage oder tue. Oder eben so tue als hätte ich sie nicht, obwohl ich weiss, dass ich sie habe. Mich aber für den Schlausten Kommunikator halte.

      Nein. Es geht nicht um Kriminelle, die Steine und Feuerwerkskörper auf Polizisten geworfen haben.



      Die standen hier nicht vor Gericht. Die sind im vorliegenden Urteil auch nicht verurteilt worden.



      Von einem Gericht in schwarzer Kleidung. Das die Simulation, die Gewalt eines "Welt"Wirtschaftsgipfels gewaltsam verteidigt, zu dem nur ein einziger Regierungschef eines einzigen Landes eines ganzen Kontinents namens Afrika geladen war.



      Aberjerderhatseinemeinung beim streben lassen und in der Menge verschwinden.

    • @JEDERHATSEINEMEINUNG:

      Genau deswegen haben wir einen Rechtsstaat, der Richterinnen eigenlich daran hindern sollte so zu urteilen.



      Die Verurteilten haben keine Steine geworfen und es ist ihnen, wenn ich das richtig verstanden habe, keine Unterstützung der Gewalt nachzuweisen.

  • Was ein Urteil. Schwierig dabei ein rechtsstaatliches Gefühl zu behalten - um nicht zu sagen unmöglich. Schuldig, obwohl man nur dabei war, kann man sich nicht ausdenken. Politische Urteile sind das, offensichtlicher geht es kaum.



    Interessant wird sein, zu sehen wie anders der gestern begonnene Prozess gegen Martin Winterkorn laufen wird. Würde mich ja nicht wundern, wenn am Ende stünde, dass er als Vorstandsvorsitzender von all dem gar nichts mitbekommen hat und deshalb selbst Opfer ist. -- Nicht, dass die Dinge irgendetwas miteinander zu tun hätten, aber trotzdem immer sehr erhellend sich solche Unterscheide mal anzuschauen.

  • Interessant, wie der angeblich häufig dysfunktional (nicht) adäquat agierende Staat hier und da ein Zeichen setzt, das Betroffene vielleicht als statuiertes Exempel wahrnehmen. Die Handlungsfähigkeit ist nicht passé, aber es müsste über die Kanalisierung nachgedacht werden. Nicht selten wird öffentlich konstatiert, dass nicht beide Augen gleich scharf hinsehen und das Problem somit einseitig adressiert wird.

  • „Jeder weiß, dass ein schwarz gekleideter Aufzug nichts Gutes bedeutet“

    euer ehren... haben sie sich mal angesehen?

    • @Lugasch:

      Dito...



      Gegen Pauschales mit zusätzlichem Einwand:



      Einige Berufsgruppen zeigen und tragen ebenfalls schwarz, teils aus Gründen des Existenzialismus.



      "Besonders beliebt ist die ernsthafte Schlichtheit des Schwarzen bei Philosophen, weil man den Verdacht ja schon im Keim erstickt, man fröne leichtfertig ästhetischen Vergnügen. Schwarz ist laut Barbara Vinken „eine Art von asketischer Weltabgewandtheit, die gleichzeitig einen düsteren Protz oder ein Glänzen entfalten kann“.



      Quelle



      deutschlandfunkkultur.de



      Die letzten Sätze gelten für die ProtagonistInnen in Hamburg nicht automatisch und pauschal bzw vollumfänglich.

  • Passendes Titelbild..

    "Aber durch ihre schwarze Kleidung und das geschlossene Auftreten hätten sie Straf­tä­te­r*in­nen ermöglicht, in der Masse unterzutauchen und diese in ihrem Handeln bestärkt – daher seien sie ebenfalls als Tä­ter*in­nen zu verurteilen."

  • Die Richterin scheint noch zu den Anhängerinnen von Ronald Schill zu gehören. Recht sprechen geht aber anders.

  • Da hat die Richterin in ihrer schwarzen Robe offenbar etwas sehr Richtiges gesagt:



    „Jeder weiß, dass ein schwarz gekleideter Aufzug nichts Gutes bedeutet“

    Was sie nicht sagt, aber unbedingt dazu zu sagen ist: Und es kommt darauf an wer in schwarz mit welchem Ergebnis auftritt.

    Die bis heute nicht belangten Bereitschaftspolizisten die zahlreiche zum Teil schwer Verletzte verantworten, traten übrigens auch in schwarz auf.

    • @Elise Hampel:

      Gemäßg dem Urteil müsste die Bereitschaftspolizei insgesamt auf die Anklagebank und dann verurteilt werden. Schließlich hat diese durch "das geschlossene Auftreten Straf­tä­te­r*in­nen ermöglicht, in der Masse unterzutauchen und diese in ihrem Handeln bestärkt – daher seien sie ebenfalls als Tä­ter*in­nen zu verurteilen."

      Eingeschüchtert von der BePo dürften sich darüber hinaus auch viele Demonstrationsteilnehmer gefühlt haben und auch zukünftig fühlen.

  • Drehen wir es fairerweise einmal um: Naziglatzen, alle im selben Braun, und dann ginge es ab.



    Uniformierung im öffentlichen Raum wollen wir übrigens auch eigentlich nicht.



    Also mildernde Umstände für ein für mich dennoch überziehendes Urteil.

  • Ich finde das Urteil in Ordnung. Jedem Teilnehmer war klar, warum an diesem Tag schwarz angesagt war, Eskalation war geradezu Programm.

    Es flogen 14 Steine (wohl kaum kleine Kieselchen) auf die Polizei. Jeder einzelne davon bedeutet zumindest die Inkaufnahme schwerster Verletzungen auf der anderen Seite. Wer mithilft, das zu decken, macht sich schuldig.

    @JANIX: Eher peinlich, dass Sie hier einen ausgewiesenen Vertreter internationaler Luxuskonzerne heranziehen, nur weil er schwarz bevorzugte. Ihre Meinung würde er wohl kaum teilen.

    • @Ramto:

      Wer mithilft, das zu decken, macht sich schuldig.

      Interessant zu sehen, daß sie eine Gruppenverurteilung der BePo fordern. Schließlich stehen da 14 Schwerletzte mit Teils offenen Brüchen zu Buche. Das belegt vollkommen überzogene Polizeigewalt. Die Täter wurden offenkundig von ihren Kollegen gedeckt, denn mir wäre nicht bekannt, daß es da Verurteilungen gegeben hätte. Also bitte entsprechende Verfahren gegen die gesammelte Mannschaft einleiten, einen Präzedenzfall hat das LG Hamburg ja jetzt selbst geschaffen. Damit sollte es kein Problem sein, den Gewalttätern in der Polizei und ihren Helfern endlich einhalt zu gebieten.

  • Der Rechtsruck ist bei Polizei und Justiz bereits vollzogen. Denn mit Rechtsstaat hat dieses Urteil nichts mehr zu tun.



    Das ist politische Willkür!

  • Schönes Foto zur Überschrift!

  • Alles sehr unschön. Ich glaube zwar keinen Moment, dass es die Falschen getroffen hat, aber rechtsstaatlich sieht anders aus. Wer Deals mit Verbrechern macht, ist selber einer. Sich um die Beweisprobleme zu drücken, indem man die Verdächtigen so einschüchtert, dass sie auf ihre prozessualen Rechte verzichten, ist ebensowenig in Ordnung. Aber für die Taz kommt es wieder nur darauf an, ob es die richtige Seite des Hufeisens war.

  • In dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten oder die Angeklagte.



    Im Grundkurs Jura solte der Spruch mal gefallen sein.

  • Kommen denn jetzt die zuständigen Richter mit ihren SCHWARZEN TALAREN auch in Sippenhaft?



    "Aber durch ihre schwarze Kleidung und das geschlossene Auftreten hätten sie Straf­tä­te­r*in­nen ermöglicht, in der Masse unterzutauchen und diese in ihrem Handeln bestärkt – daher seien sie ebenfalls als Tä­ter*in­nen zu verurteilen."



    Vielleicht kann mir jemand weiterhelfen?

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Dass psychische Beihilfe auch Beihilfe ist, wird im Strafrecht schon lange nicht mehr diskutiert. Innere Tatsachen sind aber schwer zu beweisen, wenn Angeklagter und Verteidigung sich nicht völlig dämlich anstellen. Aus der Ferne habe ich den Eindruck, dass es sich das Gericht ein bißchen einfach gemacht hat.

  • Nicht zu fassen. Und die Polizei kommt ungeschoren davon, nach dieser (bestens dokumentierten, übrigens) Orgie sinnloser Gewalt.

    • @tomás zerolo:

      Sinnlos ist anscheinend immer die Gewalt der anderen, auch wenn man sie selbst ausgelöst und heraufbeschworen hat.

      • @JEDERHATSEINEMEINUNG:

        Irritierend, daß Sie hier Polizeigewalt verteidigen. Seit wann ist es ok, wenn die Polizei (oder auch ganz allgemein irgendjemand) rücksichtslos draufknüppelt, nur weil "der andere angefangen hat"? Soll das hier ein Rechtsstaat oder ein Kindergarten sein?

  • Der Hanseat Karl Lagerfeld, stets in Schwarz, dreht sich gerade im Grabe.

    • @Janix:

      War er denn dabei? Da lebte er ja noch.

      Wer an dem Tag in schwarz durch einen Park spaziert ist, zum Beispiel an der Alster oder „planten und blomen“, der wird keine Sorge haben müssen, dass er jetzt auch verurteilt wird. Aber dass Teile des „schwarzen Blocks“ von der Gewalt ihrer Mitstreiter überrascht gewesen sein sollen, wäre wirklich lebensfremd.