Friedrich Merz über seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz: „Falsche Zerrbilder über mich“
CDU-Chef will er immer noch werden. Seinen Job bei Blackrock sieht er dafür nicht als Hindernis. Und von einer Frauenquote für seine Partei ist er nicht überzeugt.
taz am wochenende: Herr Merz, was für ein Auto fahren Sie privat?
Friedrich Merz: Wir fahren privat einen Audi Q3. Warum interessiert Sie das?
Fährt der schneller als 130 Stundenkilometer?
Selbstverständlich.
Der Grünen-Chef Robert Habeck hat gesagt, dass es keine Beteiligung seiner Partei an einer Regierung gibt, solange auf deutschen Autobahnen nicht Tempo 130 gilt. Geht die Union da mit?
Wir führen über die taz keine Koalitionsverhandlungen! Außerdem ist das Tempolimit auf deutschen Autobahnen ein Randthema.
Es könnte Menschenleben retten.
Die meisten Todesfälle gibt es auf Landstraßen und in den Innenstädten, viele innerhalb der geltenden Geschwindigkeitsbeschränkungen. Die Raserei in den Innenstädten oder auf Landstraßen ist das größere Problem, und da gilt bereits überall ein Tempolimit.
Nehmen Sie das, was Habeck gesagt hat, nicht ernst?
Unser Land steht vor gewaltigen Herausforderungen. Wenn ein Tempolimit auf Autobahnen wirklich die höchste Priorität bei den Grünen hat, dann freue ich mich noch mehr auf den Wahlkampf.
Halten Sie Schwarz-Grün im Bund für realistisch?
Die CDU regiert in einigen Bundesländern erfolgreich mit den Grünen. Ob das auch im Bund funktioniert, müssen wir gegebenenfalls nach der Bundestagswahl anschauen.
Die stellvertretende grüne Fraktionsvorsitzende Agnieszka Brugger sieht bei Ihnen „vor allem eigene Machtambitionen und keine Wandlung weg vom eiskalten Mister Neoliberal“. Was antworten Sie?
Ich kenne die Dame nicht und weiß auch nicht, was sie damit meint.
Dass Sie neoliberal sind.
Der Begriff wird ja bewusst missbraucht. Er stand ursprünglich für die Liberalen, die die soziale Marktwirtschaft konzipiert haben. Heute wird neoliberal als politischer Kampfbegriff von Leuten verwendet, die die Marktwirtschaft abschaffen wollen. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie durch politisches Framing ein erfolgreiches Ordnungsprinzip diskreditiert wird.
Sie sind kein Neoliberaler?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Ich bin ein Anhänger der sozialen Marktwirtschaft. Die ist weder einfach nur ‚kapitalistisch‘ noch ‚kalt‘, wie von der Linken immer wieder behauptet wird, sondern das System, dem wir Wohlstand und soziale Gerechtigkeit in Deutschland verdanken.
Ihr Image als Neoliberaler ist nicht vom Himmel gefallen: Sie wollten mal das Rentenalter auf 70 erhöhen, haben den Kündigungsschutz infrage gestellt, wollen Aktienkäufe steuerlich fördern und Arbeitslose zum Graffiti-Wegputzen verpflichten.
Da haben Sie ja alles in einen Topf gerührt. Einiges davon habe ich nie gesagt.
Was?
Ich habe nie die Rente mit 70 gefordert, auch wenn das, neben vielem anderen, immer noch durch die sozialen Medien geistert. Die Leute sollten vielleicht nicht nur die Titel und Kapitelüberschriften meiner Publikationen lesen, sondern auch den Inhalt. Damals, im Jahr 2000, habe ich die Frühverrentung für den falschen Weg gehalten und eine Anpassung der Lebensarbeitszeit an die gestiegene Lebenserwartung gefordert. Die kam dann ja mit der Rente mit 67, und es ist bedauerlich, dass das nun in Teilen wieder rückgängig gemacht wird.
Friedrich Merz ist eine eingeführte Marke. Glauben Sie, dass Sie Ihr Image Richtung politische Mitte noch verändern können?
Vielen Dank, das verstehe ich als Kompliment. Wir haben in der deutschen Politik zu wenig klar erkennbare Marken. Mein Markenkern ist die soziale Marktwirtschaft, mit der Betonung auf beidem: sozial und Markt. Damit stehe ich genau in der politischen Mitte. Und bei Sozialausgaben von einer Billion Euro pro Jahr ist es legitim, darauf hinzuweisen, dass wir uns nicht zu weit vom Markt entfernen sollten. Denn dort wird das Geld erwirtschaftet.
Sie haben gesagt, mit einem Jahreseinkommen von einer Million Euro zur gehobenen Mittelschicht zu gehören. Sehen Sie das noch immer so?
Woher wollen Sie denn wissen, wie hoch mein Jahreseinkommen ist?
Ist das zu wenig? Das war die Schätzung in Medienberichten.
Meine Frau und ich sind beide berufstätig, wir leben ganz normal in einem kleinen Ortsteil einer Stadt im Sauerland. Ich habe in diesem Land auch immer ordentlich Steuern bezahlt. Wirtschaftliche Unabhängigkeit war und bleibt für mich die Basis für meine politische Tätigkeit.
Verstehen Sie, dass Sie mit sozialer Kälte und Arroganz assoziiert werden?
Ich nehme wahr, dass manche politischen Gegner und leider auch Teile der Medien mit solchen Zerrbildern immer wieder Stimmung gegen mich machen. Aber sie sind falsch. Und viele, die mich näher kennen, wissen das auch – selbst wenn sie anderen Parteien angehören.
Sie wären der erste Bundeskanzler, der Aufsichtsratschef eines multinationalen Finanzkonzerns war. Ist diese Nähe zwischen Finanzwirtschaft und Politik gut für die politische Kultur?
Ich wäre der erste Parteivorsitzende der CDU, der nicht nur eine parteipolitische Karriere gemacht, sondern zweimal zwischen Politik und Beruf gewechselt hat. Das wäre für Deutschland neu, aber allein deshalb nicht schlecht.
Fürchten Sie, dass ihr Job bei Blackrock für Sie zum Problem im Wahlkampf werden kann?
Ich habe noch nie für ein Unternehmen gearbeitet, dessen ethische Grundsätze ich nicht vertreten kann. Blackrock ist ein fantastisches Unternehmen und hat auch in Deutschland dazu beigetragen, dass mehr Menschen Aktionäre geworden sind. Das kann Altersarmut verhindern und ist deshalb genau meine Position.
Für die Grünen oder die SPD sind Sie der ideale Gegner, oder?
Ich hoffe, dass ich der ideale Vorsitzende der CDU bin. Ich definiere meine Person nicht danach, ob es Vor- oder Nachteile für politische Gegner haben kann. Mir geht es um die klare Profilierung der CDU.
Bleiben Sie bei Ihrer Kampfkandidatur auf dem CDU-Parteitag? Oder einigen Sie sich vielleicht doch vorab mit Armin Laschet?
Kampfkandidatur ist der falsche Begriff, denn ich trete bekanntlich nicht gegen einen Amtsinhaber an. Es gibt drei Bewerber für die Nachfolge einer Parteivorsitzenden, die nach zwei Jahren nicht mehr zur Verfügung steht. Das ist in einer Demokratie doch ein völlig normaler Vorgang und sollte nicht als „Kampfkandidatur“ geframt werden.
Tun Sie Ihrer Partei gut?
In den Umfragen sowohl bei CDU-Mitgliedern als auch bei den Bürgern liege ich bei der Frage vorn, wer der beste Vorsitzende wäre. Wieso sollte das der Partei schaden? Außerdem muss die CDU wieder lernen, ohne Rücksicht auf die Regierung eigenständig Politik zu formulieren. 2021 werden die Unterschiede zwischen den Parteien wieder deutlicher zutage treten müssen. Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass das Profil der CDU wieder klarer wird. Regieren ist kein Selbstzweck. Wir müssen sagen, wohin wir unser Land in zehn Jahren führen wollen.
Das Erfolgsmodell von Angela Merkel war doch, nicht scharf unterscheidbar von SPD und Grünen zu sein. Das wollen Sie ändern?
Ich erinnere an die Bundestagswahl 2017, da hat die CDU das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Das wird im Augenblick überstrahlt durch das gute Krisenmanagement von Angela Merkel. Aber wir wissen, dass es spätestens mit der Bundestagswahl 2021 so nicht weitergeht. Das Potenzial der CDU liegt zurzeit bei den Stammwählern allenfalls in einer Größenordnung zwischen 25 und 30 Prozent, uns geht es also in den Umfragen besser als der Partei in der Gesellschaft. Daran müssen wir etwas ändern.
Auf dem CDU-Parteitag wird auch über eine verbindliche Frauenquote von 50 Prozent ab 2025 abgestimmt. Wie werden Sie votieren?
Eine Quote ist immer nur die zweitbeste Lösung, ob in der Politik oder in der Wirtschaft. Denn sie wird von oben bestimmt. Besser wäre es, das Problem von unten zu lösen, also mehr Frauen als Mitglieder zu gewinnen.
Das wird seit Jahrzehnten versucht. Sie sind ein selbstbewusster, mitunter breitbeinig auftretender CDU-Politiker. Wie wollen Sie Wählerinnen gewinnen?
Ich kann nicht erkennen, dass die Zustimmung von Frauen zu mir unter dem Durchschnitt der CDU liegt. Ich würde sogar die These vertreten: Das Gegenteil ist richtig.
Ach ja?
64, war bis 2002 CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag. 2018 kandidierte der Rechtsanwalt erfolglos für den CDU-Vorsitz. Er unterlag Annegret Kramp-Karrenbauer. Beim Parteitag tritt er erneut an, diesmal gegen Armin Laschet und Norbert Röttgen.
Schauen Sie sich mal an, wie viel Zustimmung ich von Frauen jeden Alters über die sozialen Netzwerke bekomme. Da gibt es zum Beispiel „Wir Frauen für Friedrich Merz“, eine von mir nicht beeinflusste, breit angelegte Initiative. Für keinen der beiden anderen Bewerber gibt es etwas Vergleichbares. Und ich freue mich natürlich sehr darüber. Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen: Wir haben seit zwanzig Jahren weibliche Parteivorsitzende und seit 15 Jahren eine Frau als Bundeskanzlerin. Das muss uns erst mal jemand nachmachen. Aber die Tatsache, dass das an der Spitze so gut funktioniert, hat offensichtlich nicht dazu geführt, dass wir unten, also bei den Mitgliedern, das strukturelle Problem gelöst hätten.
Angela Merkel ist schuld?
Noch mal: Ich bestreite das Problem nicht. Aber ich bin nicht davon überzeugt, dass wir das allein mit Quoten lösen. Das sehen übrigens auch eine ganze Reihe von Frauen in der CDU so. Die Trennlinie verläuft in meiner Partei nicht zwischen ‚bösen alten weißen Männern‘ und ‚guten jungen Frauen‘.
Wollen Sie das Problem nur durch Appelle lösen?
Wir diskutieren Möglichkeiten, wie man den Kreisverbänden der CDU genügend Anreize geben kann, mehr Frauen als Mitglieder zu gewinnen. Dazu braucht es ein gut durchdachtes Anreizsystem für die Orts- und Kreisverbände. Ich gebe zu, es hat bis jetzt noch keiner den Stein der Weisen gefunden. Aber der Parteitag in Stuttgart wird dazu eine Entscheidung treffen müssen.
Aktuell laufen die Nominierungen für die Wahlkreise. Kandidieren Sie?
Im Moment konzentriere ich mich auf den Parteitag.
Was ist, wenn Sie in Stuttgart nicht zum CDU-Vorsitzenden gewählt werden? Hält Blackrock Ihnen ein Plätzchen frei?
Nein. Und über das ‚Was wäre wenn...‘ denke ich nicht nach. Ich trete an, um die Abstimmung in Stuttgart zu gewinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist