Frauenrechte im Nahen Osten: Ein bisschen Wind im Haar …
Ist die Forderung nach Frauenrechten im Nahen Osten westlich-imperialistisch? „Antikoloniale“ Thesen münden oft in paternalistische Entlastungsdiskurse.
Kritik am Feminismus westlicher Provenienz gehört in vielen linken und postmodernen Kreisen zum guten Ton. Insbesondere die Idee von Fortschritt und Befreiung wird als große Erzählung des Westens verdammt. Was früher einmal Solidarität hieß, nämlich Menschen auch anderswo in ihrem Kampf um Gleichberechtigung zu unterstützen, wird als Erbe des Kolonialismus abgetan. Die indisch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak nannte das „weiße Männer, die braune Frauen vor braunen Männern retten“.
Doch was bei Spivak noch eingebettet war in eine empathische Untersuchung der Bedingungen, unter denen Subalterne für sich selbst sprechen können – oder eben nicht, wurde zum Totschlagargument. Paradoxerweise bedienen sich mittlerweile vermehrt Intellektuelle aus dem Westen dieser diskursiven Strategie gegen Aktivist:innen aus ehemals kolonialisierten Gesellschaften, die sich gegen ihre vermeintlich eigene Kultur wenden.
In dem taz-Artikel „Das bisschen Wind im Haar“ (vom 11. August) kritisiert beispielsweise die Libanon-Korrespondentin Julia Neumann die Dokumentation von Nahid Persson über Masih Alinejad und ihre Kampagne „My Stealthy Freedom“. Meine heimliche Freiheit, wie die Kampagne übersetzt heißt, wurde 2014 ins Leben gerufen, um gegen die Zwangsverschleierung im Iran zu protestieren.
Alinejad, früher Aktivistin und Journalistin im Iran und heute im amerikanischen Exil, hatte auf Facebook die Iraner:innen nach ihren heimlichen Freiheiten gefragt. Viele Frauen schickten daraufhin Videos davon, wie sie ihren Schleier abnehmen. Alinejad teilt solche Videos in den sozialen Medien und gibt so den Menschen im Iran eine Stimme.
Eine permanente Bedrohung für Frauen
Frauen, die den Hidschab ablegen und ins Visier der Sittenpolizei geraten, zahlen im Iran einen hohen Preis. Obwohl nicht jedes Vergehen gesehen und geahndet wird, stellt die rigide Kleiderordnung eine permanente Bedrohung für Frauen dar. Fotos oder Videos, die Frauen ohne Schleier zeigen, gelten schon als westliche Propaganda. Immer wieder werden Menschen bei Protesten verhaftet und getötet. Die Dokumentation zeigt Aktivistinnen, die zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt wurden.
Diese Repression ist Julia Neumann in der taz keine Erwähnung wert. In ihrem Artikel beklagt sie vielmehr westliche Versuche, muslimische Frauen zu befreien – vom Algerienkrieg über Afghanistan bis zum Kampf gegen Genitalverstümmelung und Femizide. Für die taz-Autorin sind dies Felder, auf denen sich der westliche Feminismus engagiert, um sich wichtig zu machen und gleichzeitig die komplexen Probleme zu Hause nicht angehen zu müssen.
Nahid Persson und Masih Alinejad, die beiden Exiliranerinnen, die ihr Leben riskieren, um den Frauen im Iran zu helfen, verbreiten für sie nur westliche Propaganda. Dass iranische Frauen von ganz allein auf die Idee kommen, das Kopftuch ablegen zu wollen, traut Neumann ihnen offensichtlich nicht zu. Auch nicht, dass sie selbst entscheiden können, wofür sie kämpfen und welche Aktionsformen sie wählen.
Höhepunkt der Argumentation ist der Vergleich zwischen dem Schleierzwang im Iran und dem selbstgewählten Kopftuch von Nonnen in Deutschland. Für Neumann scheint es keinen Unterschied zu machen, dass sich im Iran alle Frauen verschleiern müssen, ob sie religiös sind oder nicht. Die Freiwilligkeit macht aber den Unterschied ums Ganze. Sie steht genau für die westliche Freiheit, die – auch wenn sie prekär und unvollständig ist – Frauen ein gewisses Maß an Selbstbestimmung gewährt.
Verschleierter Blick in der Postmoderne
Der schiefe Vergleich ist die postmoderne Paradedisziplin. In ihrem Buch „Verschleierte Wirklichkeit“ haben Christina von Braun und Bettina Mathes die Vollverschleierung mit einer Kamera verglichen – beides ein Mittel, um „zu sehen, ohne gesehen zu werden.“ Genitalverstümmelung vergleichen sie gar mit Schönheits-OPs.
Natürlich gibt es im Westen Schönheitsideale, die einen gewissen Zwang ausüben. Aber anders als die jungen Mädchen, denen gewaltsam ihre Lust beschnitten wird, um sie verheiraten zu können, wird im Westen niemand mit unmittelbarer Gewalt zu Schönheitsoperationen gezwungen. Es gab vereinzeltes Kopfschütteln, aber Braun und Mathes wurden für ihr Buch gefeiert. Sogar von der Bundeszentrale für politische Bildung wurde es gedruckt.
Postmoderner Kulturrelativismus war der akademische Trend der letzten vierzig Jahre. Schon Michel Foucault hat die Islamische Revolution im Iran bejubelt, wenn er sich später auch dafür entschuldigt hat.
Heute ist die bekannteste Vertreterin wohl Judith Butler. Die Begründerin der Queertheorie wehrt sich dagegen, dass Menschen in zwei rigide Geschlechterkategorien unterteilt werden – aber das nur im Westen. Sexuelle Freiheiten sind ihr „innenpolitische Anliegen“ und die dürften nicht dazu benutzt werden, Angst vor dem Islam zu schüren. In anderen Teilen der Welt herrschten eben andere Vorstellungen vom Menschen und die schaut sie sich lieber nicht so genau an.
Damit ist sie diskursprägend geworden. Auf die Schilderung von Unterdrückungssituationen in nicht westlichen Gesellschaften folgt oft reflexartig der Verweis auf die Unterdrückung im Westen. Im Namen der Anderen kann man sich dann guten Gewissens weiter mit sich selbst beschäftigen.
Relativismus nützt dem iranischen Regime
Wie My Stealthy Freedom zeigt, gibt es viele Menschen im Iran, die sich nach Demokratie und Gleichberechtigung sehnen. Auch solidarische Männer sind unter Alinejads mittlerweile rund 7 Millionen Follower:innen.
Haideh Moghissi, ebenfalls Exiliranerin, hat schon 1999 in ihrem immer noch sehr lesenswerten Buch „Feminism and Islamic Fundamentalism“ kritisiert, dass die postmodernen westlichen Intellektuellen mit ihrem Relativismus nicht die freiheitsliebenden Iraner:innen, sondern das iranische Regime unterstützen. Sie akzeptieren für Menschen in islamischen Gesellschaften Zustände, die sie für sich selbst ablehnen würden.
Dieser Rassismus der doppelten Standards kommt heute oft im antirassistischen Gewand daher: Will man nicht kolonialistische Narrative bedienen, muss man nach dieser Logik die anderen Kulturen so anerkennen, wie sie sind. Dahinter steckt auch ein Abwehrmechanismus. Aus dem Unbehagen in der westlichen Kultur heraus wird ein exotisches Anderes konstruiert, in das man seine Wunschfantasie der Authentizität hineinprojizieren kann.
Begriff der Islamophobie wurde im Iran geprägt
„Volle Identität“ nennt der Psychoanalytiker Sama Maani das: Von Menschen in islamisch geprägten Gesellschaften wird erwartet, dass sie muslimisch sind und nichts als muslimisch. Die, die dieses exotische Bild stören, indem sie sich ihrer vermeintlichen Religion widersetzen, werden dafür umso aggressiver angegangen.
Auch der Begriff der Islamophobie wurde im Iran geprägt und nach der Revolution 1979 für Frauen verwendet, die den Schleier nicht tragen wollten. Er unterstellt jeder Kritik am Islam, irrational und krankhaft zu sein. Was aus dem Vorwurf der Islambeleidigung resultieren kann, haben wir gerade beim Anschlag auf Salman Rushdie beobachten können. Die iranischen Behörden haben es auch auf Alinejad abgesehen. Mehrere ihrer Familienmitglieder wurden schon verhaftet. Der iranische Geheimdienst plante, sie zu entführen. Auch ein Anschlag wurde schon vereitelt.
Mit dem Erstarken des Islamismus wird die Bedrohung für Kritiker:innen in und aus islamisch geprägten Gesellschaften zunehmen. Wenn postmoderne Kulturrelativist:innen die Propaganda von der Verwestlichung einfach wiederholen, dann machen sie sich daran mitschuldig.
Wie wäre es stattdessen mal wieder mit Solidarität?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach