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Frauenrechte im Nahen OstenEin bisschen Wind im Haar …

Ist die Forderung nach Frauenrechten im Nahen Osten westlich-imperialistisch? „Antikoloniale“ Thesen münden oft in paternalistische Entlastungsdiskurse.

In Teheran war bei der Revolution 1979 beides zu sehen: Frauen mit Hijab und ohne Foto: Noureddine Nazmi Lachinzadeh/Middle East Images/laif

Kritik am Feminismus westlicher Provenienz gehört in vielen linken und postmodernen Kreisen zum guten Ton. Insbesondere die Idee von Fortschritt und Befreiung wird als große Erzählung des Westens verdammt. Was früher einmal Solidarität hieß, nämlich Menschen auch anderswo in ihrem Kampf um Gleichberechtigung zu unterstützen, wird als Erbe des Kolonialismus abgetan. Die indisch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak nannte das „weiße Männer, die braune Frauen vor braunen Männern retten“.

Doch was bei Spivak noch eingebettet war in eine empathische Untersuchung der Bedingungen, unter denen Subalterne für sich selbst sprechen können – oder eben nicht, wurde zum Totschlagargument. Paradoxerweise bedienen sich mittlerweile vermehrt Intellektuelle aus dem Westen dieser diskursiven Strategie gegen Ak­tivis­t:in­nen aus ehemals kolonialisierten Gesellschaften, die sich gegen ihre vermeintlich eigene Kultur wenden.

In dem taz-Artikel „Das bisschen Wind im Haar“ (vom 11. August) kritisiert beispielsweise die Libanon-Korrespondentin Julia Neumann die Dokumentation von Nahid Persson über Masih Alinejad und ihre Kampagne „My Stealthy Freedom“. Meine heimliche Freiheit, wie die Kampagne übersetzt heißt, wurde 2014 ins Leben gerufen, um gegen die Zwangsverschleierung im Iran zu protestieren.

Alinejad, früher Aktivistin und Journalistin im Iran und heute im amerikanischen Exil, hatte auf Facebook die Ira­ne­r:in­nen nach ihren heimlichen Freiheiten gefragt. Viele Frauen schickten daraufhin Videos davon, wie sie ihren Schleier abnehmen. Alinejad teilt solche Videos in den sozialen Medien und gibt so den Menschen im Iran eine Stimme.

Eine permanente Bedrohung für Frauen

Frauen, die den Hidschab ablegen und ins Visier der Sittenpolizei geraten, zahlen im Iran einen hohen Preis. Obwohl nicht jedes Vergehen gesehen und geahndet wird, stellt die rigide Kleiderordnung eine permanente Bedrohung für Frauen dar. Fotos oder Videos, die Frauen ohne Schleier zeigen, gelten schon als westliche Propaganda. Immer wieder werden Menschen bei Protesten verhaftet und getötet. Die Dokumentation zeigt Aktivistinnen, die zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt wurden.

Diese Repression ist Julia Neumann in der taz keine Erwähnung wert. In ihrem Artikel beklagt sie vielmehr westliche Versuche, muslimische Frauen zu befreien – vom Algerienkrieg über Afghanistan bis zum Kampf gegen Genitalverstümmelung und Femizide. Für die taz-Autorin sind dies Felder, auf denen sich der westliche Feminismus engagiert, um sich wichtig zu machen und gleichzeitig die komplexen Pro­ble­me zu Hause nicht angehen zu müssen.

Nahid Persson und Masih Alinejad, die beiden Exiliranerinnen, die ihr Leben riskieren, um den Frauen im Iran zu helfen, verbreiten für sie nur westliche Propaganda. Dass iranische Frauen von ganz allein auf die Idee kommen, das Kopftuch ablegen zu wollen, traut Neumann ihnen offensichtlich nicht zu. Auch nicht, dass sie selbst entscheiden können, wofür sie kämpfen und welche Aktionsformen sie wählen.

Höhepunkt der Argumentation ist der Vergleich zwischen dem Schleierzwang im Iran und dem selbstgewählten Kopftuch von Nonnen in Deutschland. Für Neumann scheint es keinen Unterschied zu machen, dass sich im Iran alle Frauen verschleiern müssen, ob sie religiös sind oder nicht. Die Freiwilligkeit macht aber den Unterschied ums Ganze. Sie steht genau für die westliche Freiheit, die – auch wenn sie prekär und unvollständig ist – Frauen ein gewisses Maß an Selbstbestimmung gewährt.

Verschleierter Blick in der Postmoderne

Der schiefe Vergleich ist die postmoderne Paradedisziplin. In ihrem Buch „Verschleierte Wirklichkeit“ haben Christina von Braun und Bettina Mathes die Vollverschleierung mit einer Kamera verglichen – beides ein Mittel, um „zu sehen, ohne gesehen zu werden.“ Genitalverstümmelung vergleichen sie gar mit Schönheits-OPs.

Natürlich gibt es im Westen Schönheitsideale, die einen gewissen Zwang ausüben. Aber anders als die jungen Mädchen, denen gewaltsam ihre Lust beschnitten wird, um sie verheiraten zu können, wird im Westen niemand mit unmittelbarer Gewalt zu Schönheitsoperationen gezwungen. Es gab vereinzeltes Kopfschütteln, aber Braun und Mathes wurden für ihr Buch gefeiert. Sogar von der Bundeszentrale für politische Bildung wurde es gedruckt.

Postmoderner Kulturrelativismus war der akademische Trend der letzten vierzig Jahre. Schon Michel Foucault hat die Islamische Revolution im Iran bejubelt, wenn er sich später auch dafür entschuldigt hat.

Heute ist die bekannteste Vertreterin wohl Judith Butler. Die Begründerin der Queertheorie wehrt sich dagegen, dass Menschen in zwei rigide Geschlechterkategorien unterteilt werden – aber das nur im Westen. Sexuelle Freiheiten sind ihr „innenpolitische Anliegen“ und die dürften nicht dazu benutzt werden, Angst vor dem Islam zu schüren. In anderen Teilen der Welt herrschten eben andere Vorstellungen vom Menschen und die schaut sie sich lieber nicht so genau an.

Damit ist sie diskursprägend geworden. Auf die Schilderung von Unterdrückungssituationen in nicht westlichen Gesellschaften folgt oft reflexartig der Verweis auf die Unterdrückung im Westen. Im Namen der Anderen kann man sich dann guten Gewissens weiter mit sich selbst beschäftigen.

Relativismus nützt dem iranischen Regime

Wie My Stealthy Freedom zeigt, gibt es viele Menschen im Iran, die sich nach Demokratie und Gleichberechtigung sehnen. Auch solidarische Männer sind unter Alinejads mittlerweile rund 7 Millionen Follower:innen.

Haideh Moghissi, ebenfalls Exiliranerin, hat schon 1999 in ihrem immer noch sehr lesenswerten Buch „Feminism and Islamic Fundamentalism“ kritisiert, dass die postmodernen westlichen Intellektuellen mit ihrem Relativismus nicht die freiheitsliebenden Ira­ne­r:in­nen, sondern das iranische Regime unterstützen. Sie akzeptieren für Menschen in islamischen Gesellschaften Zustände, die sie für sich selbst ablehnen würden.

Dieser Rassismus der doppelten Standards kommt heute oft im antirassistischen Gewand daher: Will man nicht kolonialistische Narrative bedienen, muss man nach dieser Logik die anderen Kulturen so anerkennen, wie sie sind. Dahinter steckt auch ein Abwehrmechanismus. Aus dem Unbehagen in der westlichen Kultur heraus wird ein exotisches Anderes konstruiert, in das man seine Wunschfantasie der Authentizität hineinprojizieren kann.

Begriff der Islamophobie wurde im Iran geprägt

„Volle Identität“ nennt der Psychoanalytiker Sama Maani das: Von Menschen in islamisch geprägten Gesellschaften wird erwartet, dass sie muslimisch sind und nichts als muslimisch. Die, die dieses exotische Bild stören, indem sie sich ihrer vermeintlichen Religion widersetzen, werden dafür umso aggressiver angegangen.

Auch der Begriff der Islamophobie wurde im Iran geprägt und nach der Revolution 1979 für Frauen verwendet, die den Schleier nicht tragen wollten. Er unterstellt jeder Kritik am Islam, irrational und krankhaft zu sein. Was aus dem Vorwurf der Islambeleidigung resultieren kann, haben wir gerade beim Anschlag auf Salman Rushdie beobachten können. Die iranischen Behörden haben es auch auf Alinejad abgesehen. Mehrere ihrer Familienmitglieder wurden schon verhaftet. Der iranische Geheimdienst plante, sie zu entführen. Auch ein Anschlag wurde schon vereitelt.

Mit dem Erstarken des Islamismus wird die Bedrohung für Kri­ti­ke­r:in­nen in und aus islamisch geprägten Gesellschaften zunehmen. Wenn postmoderne Kul­tur­re­la­ti­vis­t:in­nen die Propaganda von der Verwestlichung einfach wiederholen, dann machen sie sich daran mitschuldig.

Wie wäre es stattdessen mal wieder mit Solidarität?

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54 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Schön wäre ja mal ein Kommentar Frau Neumanns hierzu:

    www.theguardian.co...per-clothing-hijab

    “There were protests and condemnation last week after an Iranian woman who was arrested for defying newly hardened hijab laws appeared on state television to give what observers claimed was a forced confession as a result of torture.

    Sepideh Rashno, 28, was arrested in July soon after footage of her being harassed on a bus over “improper clothing”, was circulated online.

    Rashno, a writer and artist, is among a number of women arrested after the introduction of a national “Hijab and Chastity Day” on 12 July.”

    Tag des Hijab und der Keuschheit am 12. Juli. Also deutlich VOR dem Erscheinen von “das bisschen Wind im Haar”.

  • Hammer Artikel, vielen Dank! Sehr überfällig. Wäre eine Antwort auf die politischen aber untätigen akademischen Millenniels- Artikel der taz über einen Roman. Sie sind getränkt mit der Theorie des Kulturrelativismus. Für ältere Semester sehe ich es auch als Weg sich das Leben einfacher zu machen. Es beeinflusst ganz extrem das innerkulturelle Miteinander und die politischen Entwicklungen. Mit "Geschlechterrelativismus" oder "Feminismus der Doppelstandarts" bezeichnet ganz gut die Übertragung dieser Theorie und Haltung auf patrichale Diskriminierung.

  • Die Mischung aus Romantisierung und Rundumschlags-Toleranz, mit der man hierzulande oftmals die Situation im Iran betrachtet, löst bei vielen bewussten Iranern völliges Entsetzen aus - von Solidarität keine Spur. Vor Ort ist die Masse an Frauen, die ihr Tuch am Hinterkopf feststecken oder nur beim Anblick von Polizei hochziehen ein Teil des urbanen Lebens. Viele wagen nun den Gang ohne, Frauen wie Vida Movahed und auch Masih Alinejad riskier(t)en ihr Leben. Ich bin sehr dankbar für Ihren Artikel, nachdem ich kürzlich beim Lesen eines Beitrags der ARD ('Modernes Leben trotz konservativer Führung') vor Scham und Wut fast das Handy gegen die Wand geschmissen hätte.

    • @P. F.:

      Man braucht auch gar nicht lange suchen, um ganz normale weibliche Stimmen aus dem Iran zu hören, die den Kopftuchzwang und die Regierung ablehnen.



      m.youtube.com/watch?v=flIjH2uMQkg



      Um den Westen geht es hierbei zum Beispiel gar nicht

      • @Alfonso Albertus:

        Nur stellt sich die Frage, wie repräsentativ diese Stimmen sind; im Iran leben ja nicht nur liberale Frauen, sondern auch konservative, die voll und ganz hinter dem System stehen (und natürlich ein breites Spektrum zwischen diesen Polen). Man macht es sich zu einfach, wenn man eine Seite zur authentischen Stimme Irans (oder gar zum Ausdruck "universaler Werte") erklärt und die andere Hälfte einer widerspruchsvollen Gesellschaft ignoriert. Wie diese beiden Seiten zusammen finden können und ein solche Gräben zumindest teilweise überbrückender Konsens im Iran aussehen könnte, weiß ich auch nicht - aber es ist vielleicht nicht unsere Aufgabe oder unser Recht, eine solche Lösung von außen an andere Gesellschaften heranzutragen (zumal ich Zweifel an den Motiven habe, aus denen das geschieht...).

        • @O.F.:

          Die Aktivistinnen verlangen kein Kopftuchverbot, sondern die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob sie eins tragen wollen.



          Das Konzept 'Freiheit' muss nicht von außen an die IranerInnen herangetragen werden, dafür brauchen die den Westen nicht. Wir müssen keine Lösung haben. Aber wir, in anderen Ländern lebend, dürften Solidarität bekunden, ohne dass wir Angst haben müssten, plötzlich verhaftet zu werden.



          Also, am Sichersten ist es ja, wenn man nicht dort lebt und keine Familie und Freunde dort hat (die ggf. für die eigenen Worte bezahlen müssten), aber dann hat man nicht das Recht, sich überhaupt dazu zu äußern, oder? Tja. Zurückhaltung ist super, wenn man weiß, dass man keine Ahnung davon hat, wie es den Frauen dort geht. Aber nun haben schon viele Frauen ihr Leben dafür riskiert, zu ZEIGEN, wie es ihnen geht - wie kann man das guten Gewissens relativieren?

          • @P. F.:

            Ich habe niemand verboten, sich zu solidarisieren; nur sollte man dabei die Realitäten im Iran nicht ausblenden. Und dazu gehört eben auch der konservativere Teil der Gesellschaft - wenn Sie von "den IranerInnen" sprechen, müssen sie berücksichtigen, dass das keine homogene Masse ist. Und genau da setzt meine Kritik an: wir hören nur denen zu, deren Ansichten uns behagen. Damit verstrickt man sich aber in einem Zerrbild, das mehr mit eigenen ideologischen Bedürfnissen als mit der Realität im Land zu tun hat. Insofern weise ich Ihre Aussage zurück, Zurückhaltung wäre "super, wenn man weiß, dass man keine Ahnung davon hat, wie es den Frauen dort geht". Das Gegenteil ist wahr: Zurückhaltung ist wichtig, gerade wenn man den Iran jenseits westlicher Klischees kennt.

        • @O.F.:

          Die einzige Lösung ist: jeder Frau bleibt es selbst überlassen, wie sie sich anzieht. Welches Recht haben die Islamistinnen, anderen Frauen vorzuschreiben, den Schleier zu tragen? Und genau dieses Recht jedes Individuums, selbst für sich sich zu entscheiden, solange diese Entscheidung nicht die Rechte anderer beeinträchtigt, ist ein universelles Menschenrecht. Fertig, aus.

          • @Suryo:

            Sie merken, dass sie zirkulär argumentieren? Sie setzen die Gültigkeit liberaler Gesellschaftsvorstellungen bereits voraus und postulieren deren universelle Gültigkeit, ohne sie begründen zu können. Die Islamistinnen sind genauso von der Verbindlichkeit ihrer Regeln überzeugt (deus dixit!). Wie gesagt, ich weiß auch nicht, wie dieser Konflikt lösbar ist. Aber gerade als Außenstehender sollte man ihn als solchen erkennen, statt a priori der Seite Recht zu geben, der man ideologisch näher steht. Es geht hier um Iran, nicht um Deutschland.

            • @O.F.:

              Ich argumentiere nicht zirkulär, sondern von den Grundlagen her. Und das sind die universellen Menschenrechte. Ich werde nicht mit Ihnen diskutieren, ob es die gibt oder nicht. Dass Sie das nicht so sehen, sieht man ja deutlich an Ihren Kommentaren zum russischen Überfall auf die Ukraine.

              • @Suryo:

                Ich finde es bedauerlich, dass Sie mir Unterstellungen arbeiten; übrigens machen Sie wieder zwei Denkfehler: Sie identifizieren Menschenrechte mit westlichem Liberalismus (und schaden ihnen durch diese politische Instrumentalisierung letztlich) und Sie übersehen, dass Ihnen alle postulierte Universalität nichts nützt, wenn diese nicht tatsächlich akzeptiert wird; wie ich bereits erklärt habe: es gibt im Iran einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung, der religiös-konservativ eingestellt ist und genauso sehr an die Universalität seiner Werte glaubt. Mit repetitiven Posulaten ändern Sie daran nichts.

                • @O.F.:

                  Korr.: "Postulaten"

            • @O.F.:

              Ja, ich setze die Gültigkeit der Menschenrechte tatsächlich voraus. Irgendwo hört es mal auf mit dem “Hinterfragen”.

              • @Suryo:

                Nun ja, ich habe von liberalen Gesellschaftsvorstellungen gesprochen, nicht von Menschenrechten (das ist nicht dasselbe!); aber davon abgesehen, weichen Sie dem Problem aus: es hilft wenig, auf die Universalität eigener Werte zu beharren, wenn der (in diesem Fall) konservative Teil der Gesellschaft dasselbe tut. Stabile Gesellschaften beruhen auf Kompromissen - und diese Konsensbildung muss im Iran nicht so aussehen wie in Deutschland.

                • @O.F.:

                  Gäbe es im Iran einen Konsens, müsste es keinen „Tag des Hijab und der Keuschheit“, keine Moralpolizei und keine Folter geben.

                  Im übrigen landen Sie natürlich in der Relativismusfalle: wenn alles relativ und nichts absolut ist, was ist dann eigentlich schlimm daran, wenn man „konservativen“ Iranern (in Wahrheit handelt es sich bei den Islamisten um kulturhistorisch moderne Iraner) die Menschenrechte und deren Universalität aufzwingt? Es werden damit ja keine absoluten Rechte verletzt.

                  Inwieweit Menschenrechte liberal sind, erschließt sich mir nicht. Und ihre Kommentare zur Ukraine richten Sie selbst.

                  • @Suryo:

                    Ein gesellschaftlicher Konsens umfasst natürlich nie die gesamte Gesellschaft (auch in Deutschland nicht); dass Iran polarisiert ist, habe ich allerdings nicht bestritten, sondern das war ja gerade mein Punkt - gerade deshalb ist es wichtig, nicht nur diejenigen zur Kenntnis zu nehmen, deren Weltbild uns genehm ist.



                    Das Relativismus-Argument ist nicht besonders überzeugend: denn erstens ist mein Relativismus höchstens ein schwacher (ich habe nicht gesagt, dass es keine an sich gültigen Werte gibt, ich plädiere nur für ein minimalistischeres Verständnis dafür, worin diese bestehen - d.h. die Frage ist nicht, ob alles relativ ist, sondern wieviel relativ ist). Im übrigen gibt es auch ein Recht auf Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten - und das ist nicht nur wichtig für zwischenstaatliche Verhältnisse, sondern auch für diese Gesellschaften selbst.



                    Wenn Sie den Islamismus als Modernismius beschreiben, haben Sie recht, aber das ist der politische Konservatismus natürlich auch. Es ging mit hier ohnehin nicht um eine geistesgeschichtliche Einordnung, sondern darum, eine grundsätzliche Bruchlinie innerhalb der iranischen Gesellschaft aufzuzeigen.



                    Den Link zwischen Liberalismus und Menschenrechten haben übrigens Sie gemacht - ich habe in meinen Beitrag oben nämlich nur von ersterem gesprochen; die Menschenrechte haben sie ins Spiel gebracht.

                    • @O.F.:

                      Es gibt kein Recht auf Nichteinmischung, wenn man systematisch grundlegende (!) Menschenrechte verletzt.

                      • @Suryo:

                        Von der Kleiderordnung im Iran mag man halten was man will - grundsätzliche Menschenrechte verletzt sie nicht (Schamgrenzen verlaufen kulturell verschieden - in Deutschland kann eine Frau auch nicht oben ohne durch die Stadt spazieren).



                        Diese Bessenheit mit Iran verstehe ich ohnehin nicht; ich weiß nicht, ob Sie das Land schon einmal von Innen gesehen haben; sollten Sie jemals eine Reise wagen (und vielleicht ein bisschen mit Einheimischen auch jenseits von Teheran ins Gespräch kommen), merken Sie schnell, wie einseitig und überzeichnet das westliche Bild ist. Es ist, wie gesagt, ein polarisiertes Land, aber sicher keines, das auf westliche Erziehungsversuche (mit fragwürdigen Motiven) angewiesen ist. Das Feindbild Iran, das durch die Medien geistert, hat mehr mit außenpolitischen Konflikten als mit inneren Realitäten zu tun.



                        Darüber hinaus gilt das Prinzip der Nicht-Einmischung (außerhalb von UN-Mandaten) aus gutem Grund; noch einmal: andere halten ihre Werte auch für universell gültig. Das kann man ignorieren, wenn man viel mächtiger ist, aber die Welt ändert sich. Hegemoniales Gehabe ist nie sympathisch, in Zeiten schwindender Hegemonie ist es nicht einmal klug.

                        • @O.F.:

                          Natürlich verletzt es grundlegende Menschenrechte, wenn man Frauen foltert, weil sie ihr Haar zeigen, was vor der Revolution nicht so war. Das hat mit Scham nichts zu tun. Genausowenig wie Ihre ständigen Relativierungen.

                          • @Suryo:

                            Noch einmal: der Vorwurf "Relativierung" ist kein Argument - zumindest nicht, so lange es nicht gelingt, einen absoluten Maßstab zu begründen.



                            Und nein, hier geht es nicht um ein grundlegendes Menschenrecht: Bekleidungsregeln (die es auch hier gibt) hängen mit kulturell definierten Schamgrenzen zusammen. Man kann die iranischen Keiderregeln immer noch kritisieren - aber der Menschenrechtsdiskurs ist hier der falsche Bezugsrahmen.

  • Danke Petra Klug! Nomen est Omen.



    Erfrischend ideologfrei, nur der Vernunft verpflichtet. Ein Vorbild für alle deren ihre politischen Vorstellungen wichtiger sind als Tatsachen.

  • Hier noch ein lesenswerter Text zum Thema aus der Jungle World:

    "Der Titel von Neumanns Text lautet »Das bisschen Wind im Haar«. Selten klang ein Satz so hart in meinen Ohren und erinnerte mich an die Gewehrschüsse und Explosionen, die meine Teenagerzeit während des schwarzen Jahrzehnts Algeriens begleiteten. Sind diese unzähligen Mädchen und Frauen, die wegen »des bisschen Winds im Haar« beleidigt, angegriffen, vergewaltigt und ermordet wurden, sei es in Algerien, im Iran oder in jedem anderen zum Islamismus re-islamisierten Land, für die erlittene Gewalt selbst verantwortlich? "

    jungle.world/blog/...s-das-leben-kosten

    • @Jim Hawkins:

      Danke!

    • RS
      Ria Sauter
      @Jim Hawkins:

      Danke!

  • 2G
    21659 (Profil gelöscht)

    Ich bin sehr dankbar für diesen Text! Es ist mir unerklärlich, wie Menschen im Westen mit dem schlicht und ergreifend falschen Argument des Kolonialismus menschenverachtende Gesetze, Regeln und Verhaltensweisen verteidigen. Es ist nicht nur unerklärlich, nein, es ist auch unerträglich. Nochmals , vielen Dank für diesen guten Artikel Frau Kluge.

    • @21659 (Profil gelöscht):

      Auch von mir herzlichen Dank! Ein sehr guter Artikel.

  • Danke! Der Kopftuchzwang im Iran ist übrigens auch nicht " die Kultur" des Iran, wie immer wieder behauptet wird, sondern seit Jahrzehnten ein staatlich auferlegter Zwang. Orban ist auch nicht "die Kultur" Ungarns.

    Ich habe kein Problem wenn Frauen ein Kopftuch tragen. Soll jede Person tragen was sie will. Genau das ist aber der Punkt. "Soll jede Person tragen was sie will" gilt universell und ist überall als die selbe Freiheit oder Unfreiheit zu verstehen.



    Sexuelle Freiheit ist auch kein kulturell westliche Sache. Über Jahrhunderte galt eher das Gegenteil.

  • Wunderbar klare Sicht auf die Dinge, die taz überrascht immer wieder auch positiv - bravo! Aber es sind gar nicht die Frauenunterdrückungshöllen von Iran oder Afghanistan - inzwischen hat sich der Islamismus tief nach Europa eingefressen und löst zielstrebig den Katholizismus bei der Festigung patriarchalischer Machtstrukturen ab. Ehrenmorde erinnern an dunkelstes Mittelalter mitten in Deutschland. 500 Jahre Kampf gegen die Pfaffen nur um die Lücke mit Imamen zu füllen? Die geschlagenen christlichen Kirchen werden das nicht mehr verhindern können. Bleiben die muslimischen Frauen, die für ihre Freiheit kämpfen. Sie verdienen unsere größte Solidarität und Unterstützung. Denn ihr Kampf ist auch der Kampf für den Erhalt unserer freien Welt, die leider immer weniger ertragen können.

  • Vielen Dank für diese profunde Entgegnung auf den kulturalistischen und anti-universalistischen Text von Frau Neumann.

  • Super Beitrag, bitte mehr von dieser Autorin. Gilda Sahebi ist auf halber Strecke stehen geblieben, was das Thema Solidarität westlicher Frauen anbelangt. Diese Solidarität bzw. Mitgefühl steht in Teilen der hiesigen Frauenbewegung heutzutage unter Generalverdacht. Deshalb gabs auch zumindest auf twitter bei den lib fems grosses Schweigen. Okay Gilda Sahebi wurde dann retweetet, sie hat ja auch das Thema Solidarität umschifft plus Seitenhieb auf Alice Schwarzer. Da kann die ängstliche postmoderne Feministin dann auch nichts falsch machen.

  • Es schein so, als hätten manche junge "weiße" Feministinnen vergessen, was Frauensolidarität bedeutet. Aber nur so konnten wir "Altfeministinnen" rechtliche Gleichstellung und etliches mehr erkämpfen, von dem alle Frauen hier profitieren. (Wenn man nicht selbst betroffen ist, kann man leicht vom hohen Ross aus anderen grundlegende Frauenrechte absprechen - im Dienste einer übergeordneten Moral.)

  • Ich habe gewisse Probleme mit der Kulturrelativismus-Kritik in diesem Artikel bzw. mit dem Fehlen einer solchen in einem umfassenden Sinn: denn der Terminus wird, wie so oft, im Grunde als erledigende Anklage benutzt, ohne dass das entsprechend philosophisch begründet wird: es wäre sowohl notwendig, die Existenz universaler Werte zu begründen als auch, dass diese die eigenen sind, denn universale Ansprüche stellen ja nicht nur Liberale. In Rom oder Teheran dürfte man von der allgemeinen Verbindlichkeit der eigenen Werte genau so überzeugt sein (und ist vielleicht sogar ehrlicher, wenn man sich auf Offenbarung, d.h. auf eine rational nicht einholbare Instanz beruft). Das ist keine rein akademische Frage, sondern von praktischer Relevanz: denn das Argumentationsschema des Artikels ließe sich ja umdrehen: d.h. Iran könnte genau auf die Universalität seiner Werte pochen, Fromme im Westen als Beleg dafür anführen und Solidarität mit ihnen einfordern. Dass das bisher nicht sehr erfolgreich war, lag auch an einem globalen Machtgefälle, dass sich aber inzwischen zunehmend verschiebt. Wir werden damit rechnen müssen, dass in Zukunft auch die Anderen ihre Deutungsansprüche geltend machen - und dann? Eine Diskussion über Moralbegründung wird dieses Problem nicht aus der Welt schaffen (natürlich nicht, es geht immer auch um Macht), würde aber zumindest die geistigen Spielräume eröffnen, in denen es wahrgenommen und diskutiert werden kann.

    • @O.F.:

      "Das ist keine rein akademische Frage, sondern von praktischer Relevanz"

      Da haben Sie recht. In Teheran kann man als Frau für das Fehlen oder auch nur das falsche Tragen des Kopftuches verhaftet, verprügelt, gefoltert und hingerichtet werden.

      In der Tat eine ganz praktische Relevanz.

      In den 80-er-Jahren hat ein deutsches Gericht eine Abschiebung gegen einen türkischen Asylbewerber, dem in seiner Heimat Folter drohte, durchgesetzt, mit der Begründung, es sei in der Türkei üblich, dass Oppositionelle gefoltert werden.

      Und somit die Folter, mal ganz kulturalistisch gesprochen, einen anderen Stellenwert als bei uns habe.

      Jedem Tierchen sein Pläsierchen, jedem seinen Universalismus.

      Nur, dann ist es eben keiner.

      • @Jim Hawkins:

        Das finde ich ein interessantes (schreckliches Beispiel) , gibts da eine Quelle zum Nachlesen? Ähnlich ja auch verschiedene milde Gerichtsurteile bei Femizidprozessen hier in D..

        • @Bär Lauch:

          Ich konnte leider nichts finden. Aber vielleicht erinnern Sie sich an Kemal Altun.

          Der junge türkische Aktivist, der auf Asyl in Deutschland hoffte, befürchtete an die damalige Diktatur in der Türkei ausgeliefert zu werden.

          In seiner Verzweiflung sprang er aus dem Fenster des Gerichtsgebäudes in den Tod:

          de.wikipedia.org/wiki/Cemal_Kemal_Altun

  • Danke für den Artikel.

  • Ich fand es schon immer absurd, wie sich als links und progressiv verstehende Teile der Gesellschaft bei uns einem archaischem, extrem paternalistischen politischen Islam verteidigen im Namen der Gleichberechtigung. Wenn der politische Islam für etwas steht, dann für das genaue Gegenteil von Gleichberechtigung.

    Ich würde mich nicht sicher nicht als „progressiv“ bezeichnen, aber ich bin absolut dagegen aus falsch verstandener Toleranz oder aus Angst vor Vorwürfen der Islamophobie einem mittelalterlichen Gesellschaftsmodell den roten Teppich auszurollen.

  • Wenn es universelle Werte gibt, die über ein universalkapitalistisches "tu was du willst, solange du es bezahlen kannst" hinausgehen, dann kann es keine universelle Gleichheit aller soziokulturellen Modelle geben.



    Für jeden, der auch glaubt, dass die Definition von Freiheit für alle und nicht nur einige die ist, die reale Fähigkeit zu ermöglichen, tun zu können, was man will, dann ist, trotz aller Unzulänglichkeiten der beste Ort zu leben die EU. ( Nein, trotz Harz4 ist Nordkorea nicht sozialer) Entsprechend ist sozial-demokratischer Chauvinismus durchaus angebracht, und Gewäsch, das Menschen je nach Abstammung und Biologie die Nutzung bestimmter Kulturgüter zubilligt ( von Kultureller Aneignung bis Toilettennutzung) als reaktionäre Freiheitsbeschneidung abzulehnen.



    Auch sind viele sog. Freiheitbewegungen bestenfalls liberal, meist national-reaktionär und seltenst links. Das gilt insbesondere für "Befreiungs"Ideologien aus dem angelsächsischen Raum die schlichtweg alle Unterdruckungs- und Ausbeutungsmechanismen ignorieren oder negieren, die nicht auf Sex und Pigmentierung basieren. Kurz:



    Es muss immer hinterfragt werden, ob Forderungen die Freiheit aller vergrößern, oder nur der Selbstermächtigung weniger dienen. Anikolonialismus ist selten liberal und seltenst links - vor allem wenn es um Frauen geht.

  • Nebenbei: Daß die taz den unterirdischen Kommentar von Julia Neumann überhaupt abgedruckt hat, macht mich ganz baff. Ich hoffe, daß Frau Neumann demnächst einen weiteren Kommentar schreiben darf, in dem sie für den anderen um Entschuldigung bittet. Bei allen Iranerinnen. Sonst möchte ich eigentlich nichts mehr von ihr lesen.

    • @FullContact:

      Interessanterweise wurde der Kommentarbereich unter dem Artikel auch nach knapp zwei Stunden geschlossen. Offenbar hat man in der Redaktion schnell gemerkt, was man da veröffentlicht hatte.

  • Der Kommentar von Petra Klug bringt die Dinge auf den Punkt.

    Was der Einsatz für die Rechte von Frauen, egal ob dieser "westlich" oder "nichtwestlich" ist, mit Kolonialismus zu tun haben sollte, erschließt sich ohnehin nicht. Kolonialismus war niemals feministisch und hatte noch nie die Funktion, Menschenrechte durchzusetzen.

  • "Wie wäre es stattdessen mal wieder mit Solidarität?"

    autsch. der hat gesessen.

    Danke danke, der Text fasst ganz gut in Worte was mir seit Jahren an Unbehagen bereitet im Ungang mit Frauenrechten im nahen Osten.

    • @Obscuritas:

      Dem schließe ich mich an! Und wie wäre es mal wieder mit Menschenrechten? Frauenrechte sind Menschenrechte.

  • Ein sehr lesenswertes Interview mit Masih Alinejad (leider nicht im englischen Original, sondern übersetzt):

    hpd.de/artikel/int...esen-regimen-20612

    Masih Alinejad muß derzeit in einem Versteck leben, weil es einen Entführungsversuch und einen geplanten Mordanschlag auf sie gab.

    Das Interview endet mit folgenden, weisen Worten:

    "Für die Meinungsfreiheit zu kämpfen, ist kein westlicher Wert. Es ist ein universeller Wert. Viele westliche Aktivistinnen und Aktivisten glauben aber, dass wir für westliche Werte kämpfen, wenn wir uns gegen den Kopftuchzwang wehren. Doch das ist eine Beleidigung unserer Nation; denn vor der Iranischen Revolution hatten die Frauen das Recht, sich frei zu entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht."

    • @FullContact:

      Vielen Dank für diesen Link!

  • Vielen Dank für diese Worte. Es ist unglaublich wie vermeintlich Linke (für mich sind es Rechte) Freiheit, Selbstverwirklichung und lebensgefährliche Diskriminierung für Frauen ignorieren. Die Mullahs applaudieren . Ekelhaft.

  • Julia Neumann, Judith Butler & Co zeigen sich unsensibel, rechthaberisch, kaltherzig, spitzfindig und geistig verengt - und kultivieren damit ausgerechnet die Eigenschaften, die gemeinhin als Schatten der Männlichkeit bezeichnet werden. So verteidigen ausgerechnet Frauen, die sich feministisch engagieren, die patriarchalen Denkweisen, die den Feminismus überhaupt erst nötig machten.

    • @Franny Berenfänger:

      Ich zitiere hier noch einmal aus dem Artikel von Neumann selbst:



      "Wer wirklich etwas für Frauen tun möchte, muss das Patriarchat bekämpfen – und steht damit vor einem Konstrukt aus globaler Politik, Kapital, Macht und Institutionen. Als ob es so einfach wäre, sich unbekleidet davor zu stellen."



      Eine Vreteidigung patriarchaler Denkweisen kann ich darin beim besten Willen nicht entdecken. Die Diskussion um den Neumann-Artikel leidet (wie so viele andere Diskussionen in letzter Zeit) nicht zuletzt darunter, dass sich niemand mehr die Mühe macht, das Gesagte überhaupt zur Kenntnis zu nehmen und zu durchdenken.

      • @O.F.:

        Und so geht dann ein ganz konkretes Problem im ganz großen Ganzen, im rein Abstrakten, auf und man braucht gar nichts mehr zu tun. Nach dem Motto „solange es in Deutschland noch den Gender pay gap gibt, braucht man gar nicht mit der Unterdrückung der Frauen im Iran anzufangen.“ Wie bequem.

      • @O.F.:

        Was soll nun dabei großartig durchdacht werden, wenn es gar nicht darum geht, sich irgendwo unbekleidet davor zu stellen?

  • Hervorragender Artikel, der manches wieder gerade rückt, was in der Identitätsdiskussion, die sich immer mehr der Argumente der Identitären Bewegung bedient, unterzugehen droht: Grundrechte werden den Menschen nicht von irgendwelchen Staaten verliehen, sondern mit ihnen geboren. Wer sie mit dem Verweis auf die Andersgeartetheit anderer Kulturen ausser Kraft setzen möchte, huldigt antidemokratischen und antihumanistischen "Idealen", macht Menschen zu Gefangenen ihrer Kultur und Geschichte. Dieser Ethnopluralismus ist faschistisch. Seiner bedient sich Putin, Xi, die Ayatollahs, aber auch die die Trumpisten, Bannons etc. die nicht mehr das Gemeinsame wollen, sondern das Trennende suchen. Sie fragen nicht mehr nach dem Menschen, sondern nur noch nach seiner Abstammung.



    Die Postmoderne, ursprünglich nur ein Werkzeug, um Gewissheiten zu hinterfragen, hat das Werkzeug zum Ziel erklärt.



    Die Konstellation aus Wertepluralismus, Werterelativismus und Wertenihilismus wirft alle Moral über den Haufen. Houellebecq hat das in seiner Dystopie "Unterwerfung" ganz gut beschrieben. In das dadurch entstehende moralische Vakuum stoßen die Fundamentalisten aller Couleur mit Erfolg vor. Fortschritt sieht anders aus.

  • Verzeihen Sie mir die Pedanterie, aber die Behauptung, der Begriff "Islamophobie" wäre eine iranische Erfindung, stimmt schlichtweg nicht (was eigentlich sogar linguistisch evident ist). Der Begriff tauscht schon um 1900 in französischer Fachliteratur auf (vielleicht findet man sogar frühere Belege, sollte man länger recherchieren). Ich insistiere darauf, weil solche Fehler (übrigens auch die grob verzerrte Wiedergabe von Butlers Argumenten) typisch dafür sind, wie über dieses Thema diskutiert wird: polemisch, ad hominem, und aus dem Bauch heraus, ohne gründliche Recherchen.

  • Vielen Dank!



    Ich möchte noch hinzufügen, dass der Vergleich westlicher Schönheitsideale und des Verschleierungsgebotes auch noch aus einem anderen Grund als der Freiwilligkeit hinkt, nämlich der moralischen Bewertung. In islamischen Gesellschaften - zumindest den arabischen, wobei der Islam weltweit leider immer stärker arabisiert wird (man könnte auch hier ruhig mal postkolonial kritisieren…) ist der Schleier direkt mit der Moral, dem menschlichen Wert einer Frau verknüpft. Eine unverschleierte Frau ist aus islamistischer Sicht nicht einfach nur unschön anzusehen. Sie ist vielmehr ganz prinzipiell unmoralisch, verstößt gegen ein göttliches Gebot und damit gegen die Grundlagen der postulierten idealen Gesellschaft. Ich wüsste nicht, wo es in nichtislamistischen Gesellschaften - und das sind eben nicht nur westliche, sondern zB auch die chinesische oder russische - etwas vergleichbares gibt.

  • DANKE - kluge Worte !