Fragestunde mit Wladimir Putin: Ein Krieg aus Langeweile?
Russlands Präsident zeigt sich selbstbewusst und hält an seiner Position zur Vernichtung der Ukraine fest. Nordkorea oder Verluste in Kursk bleiben unerwähnt.
Eine alljährliche, bestens inszenierte Psychotherapiesitzung in einem hell ausgeleuchteten Moskauer Konferenzsaal. Der Präsident lehnt sich zurück, räuspert sich und schlägt ein „Experiment“ vor: Der Westen, so der russische Oberzyniker, solle doch einfach ein „Objekt mitten in Kyjiw“ aussuchen, dieses „mit allen ihm zur Verfügung stehenden Abwehrsystemen“ ausstatten, und „Russland haut mit dem,Oreschnik' drauf“, der Mittelstreckenrakete, die Moskau als „sehr neue Waffe“ verkauft. „Dann sehen wir ja, was passiert. Wir sind bereit.“
Die Ukraine als Schießübungsplatz Russlands also. Ein Land, das in Putins Augen nicht existiert, das weder einen legitimen Präsidenten habe noch weitere legitime Machtstrukturen außer dem ukrainischen Parlament. Verhandlungen könne er dort mit „jedem Beliebigen“ führen, sagt Putin, Wolodymyr Selenskyj aber dürfe – weil eben illegitim – keine Unterschrift unter irgendwelche Verträge setzen.
Gerade am Anfang des viereinhalbstündigen, quer durch Russland und auch in den besetzen Gebieten der Ukraine übertragenen Auftritts Putins, geht es immer wieder um die „militärische Spezialoperation“, wie der Krieg in der Ukraine in Russland immer noch genannt werden muss, abgekürzt als „SWO“.
Zehnmal weniger Geld
Es sind Fragen zu den Vergünstigungen für „SWO“-Teilnehmer, zur Rehabilitation der Soldaten, zum Gang der „Militäroperation“ überhaupt. Auch geht es um den Sold für die Soldaten in der Region Kursk, die – „oh, das war mir nicht bekannt“, sagt Putin – nicht als „SWO“-Teilnehmer gelten und dementsprechend zehnmal weniger Geld erhalten.
Sogar nach der Kompromissbereitschaft Russlands wird gefragt. „Natürlich“ sei Russland immer bereit zu verhandeln, „ohne Vorbedingungen“, bekräftigt Putin, um gleich darauf auf seine Rede vom Juni 2024 zu verweisen, in der er klare Vorbedingungen formuliert hatte: Die Nato solle sich aus Osteuropa zurückziehen, die USA nur unter Beschränkungen ihre Waffensysteme in Europa stationieren, für Sicherheitsgarantien in der Ukraine sorge derweil Russland selbst. Befolge Kyjiw diese Ausführungen – den faktischen Aufruf zur Kapitulation – verhandle Russland „immer gern“. Eine Bewegung Moskaus ist damit nicht in Sicht.
Bei unangenehmen Fragen weicht Putin aus. Syrien? „Eine russische Niederlage, sagt man uns. Dem ist nicht so. Wir haben dort alle Ziele erreicht“, meint er. Kursk? „Es gibt gar keinen Zweifel, wir werden alles befreien“, versucht er eine Anruferin, die aus ihrem Dorf in der Kursker Region flüchten musste, zu beruhigen.
Putin über den Ukrainekrieg
Nordkoreanische Soldaten oder die Höhe russischer Verlust in der Region kommen nicht zur Sprache. Stattdessen sagt Putin: „In Kursk haben wir einen ganzen Friedhof an zusammgengehämmerter Nato-Technik.“ Ohnehin spricht er lieber über neue Straßen, neue Krankenhäuser, neue Sporthallen in Russland – und auch in den besetzten Gebieten. „Es geht voran“, sagt er immer wieder. „Wir haben die Souveränität im Herzen, im Westen dagegen sind sie gottlos.“
Flapsiger Ton
Von Anfang an gibt sich Putin flapsig: „Bei uns ist es immer so: Wenn es ruhig ist, ist uns langweilig. Man will mehr Action. Wenn dann die Kugeln pfeifen, fürchten wir uns. Aber ich sage Ihnen: Russland macht Fortschritte.“ Ein Krieg aus Langeweile? „Ich habe Russland vor dem Abgrund gerettet“, sagt Putin selbstbewusst.
Kinder in Kindergärten, Ärzt*innen in Kliniken, Zuschauer*innen in Kulturzentren in den besetzen Gebieten sind da gezwungen, der Übertragung zu folgen. „Würden Sie Ihre Entscheidung ändern, könnten wir in den Februar 2022 zurückkehren?“, fragt eine russische Journalistin gegen Ende. Putin entgegnet gewohnt selbstsicher: „Wir hätten all das früher beginnen sollen und hätten uns besser auf die,Militäroperation' vorbereiten sollen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“