piwik no script img

Fragen und Antworten zur WohnkriseEine riesige Baustelle

Die Mieten steigen, die Zahl der Sozialwohnungen sinkt und Bauen ist sehr teuer. Was will die Regierung dagegen tun? Und bringt das was?

Bauen, bauen, bauen, um die Wohnungsmisere zu beheben Foto: Andrew Merry/getty images

Bundesbauministerin ­Verena Hubertz (SPD) hat jetzt einen neuen „Bauturbo“ angekündigt. Was sieht der vor?

Hubertz will den Wohnungsbau beschleunigen. Dafür soll im Baugesetz­buch ein neuer Paragraf geschaffen werden, der befristet erlaubt, von planungsrechtlichen Vorschriften abzuweichen. Kommunen können dann etwa selbst entscheiden, auf einen Bebauungsplan zu verzichten. So könnte die Planung von Bauprojekten nur noch zwei Monate dauern – statt wie bisher fünf Jahre. Die kürzeren Verfahren sollen für die Bauträger zugleich die Kosten senken. Der „Bauturbo“ kann auch zu einer Nachverdichtung im städtischen Bereich genutzt werden, indem Gebäude erweitert oder in der zweiten Reihe gebaut werden. Eine Aufstockung von bereits bestehenden Wohnhäusern ist ebenfalls möglich. Was Hubertz wichtig ist: Das Ganze gilt auch für den Bau sozialer Infrastruktur wie Kitas, Schulen und Theater.

Ist das jetzt eine gute Sache?

Umweltschutzverbände und zivilgesellschaftliche Organisatio­nen befürchten eine Deregulierung im Baurecht. Mit dem Verzicht auf Bebauungspläne könnte die demokratische Mitbestimmung empfindlich getroffen werden, heißt es. Es drohten Bodenspekulation und Naturzerstörung, sagt die Chefin der Deutschen Umwelthilfe, Barbara Metz. „Neue Einfamilienhäuser auf bislang unbebauter Fläche sollen ermöglicht, Umweltstandards und Beteiligungsrechte mit der Brechstange ausgehebelt werden.“

Der frühere Mieterbund-Präsident ­Lukas ­Siebenkotten rechnet mit negativen Effekte für Mie­te­r*in­nen in sogenannten Milieuschutzgebieten, also Gegenden, die stark von Verdrängung betroffen sind. Wenn dort plötzlich die neuen Regeln gelten, könnten neue Stockwerke mit Aufzug gebaut und die Kosten auf die Mieter umgelegt werden, so Siebenkotten. Zudem vermisst er im Gesetzentwurf Vorgaben, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Was plant die Bundesregierung noch im Bereich Bauen und Wohnen?

Die jetzt auf den Weg gebrachte Gesetzesnovelle umfasst auch eine fünfjährige Verlängerung des Umwandlungsschutzes. In Gegenden mit angespanntem Wohnungsmarkt dürften Mietwohnungen dann nicht einfach in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Das soll Mie­te­r*in­nen vor Verdrängung schützen. Ein weiteres Vorhaben, das im Koalitionsvertrag geplant ist, ist der sogenannte Gebäudetyp E. Dieser soll das Planen und Bauen schneller und kostengünstiger machen. Schon die Ampelkoalition hatte Ende 2024 dafür ein Gesetz vorgestellt. E steht dabei für einfach – oder experimentell.

Dieses Gesetz soll innovative und unkonventionelle Bauweisen fördern und überbordende Baustandards im Bereich Schall- und Wärmeschutz entschärfen. Geplant ist auch, das kommunale Vorkaufsrecht wieder zu stärken, das im November 2021 durch das Bundesverwaltungsgericht in weiten Teilen gekippt wurde. Bis dahin war das Vorkaufsrecht ein bewährtes Mittel, um gegen Immobilienspekulation vorzugehen. Wenn Privatinvestoren Mietshäuser kaufen wollten, konnten Kommunen dadurch die Häuser selbst erwerben oder Bedingungen für den Kauf stellen.

Geht’s der Baubranche wirklich so schlecht?

Man kann sagen: Die Lage ist herausfordernd. Infolge der Pandemie und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gab es Lieferengpässe, die Material-, Energie- und Personalkosten sind stark gestiegen. Bauaufträge sind eingebrochen, die Bauzinsen sind hoch. Bauministerin Verena Hubertz sieht nun aber „hinter den Wolken die ersten Sonnenstrahlen wieder hervorkommen“. Die Zahl der Baugenehmigungen stieg nach Angaben des Statistischen Bundesamts im April – in den ersten vier Monaten wurden demnach knapp 74.000 Wohnungen genehmigt, 3,7 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

Wo setzt das Bauministerium ­finanzielle Schwerpunkte?

Das Ministerium ist als eine Gewinnerin aus den Haushaltsverhandlungen gegangen: Der Etat steigt von 6,7 Milliarden Euro im Jahr 2024 auf 7,4 Milliarden Euro 2025 und 7,6 Milliarden Euro 2026. Ein Schwerpunkt ist der soziale Wohnungsbau. 2025 sind dafür 3,5 Milliarden Euro vorgesehen. Darin enthalten sind die Mittel für das Programm „Junges Wohnen“, mit dem Wohnheime für Studierende und Auszubildende gebaut werden können.

Wie viele Wohnungen werden in Deutschland benötigt?

Das kommt darauf an, wen man fragt. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) geht in einer neueren Prognose davon aus, dass bis 2030 jährlich 320.000 Wohnungen gebraucht werden. Das Bündnis Soziales Wohnen hingegen geht von 550.000 Wohnungen aus und beruft sich dabei auf Zahlen des Pestel Instituts. Die Vorgängerregierung wollte übrigens 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen, 100.000 davon als Sozialwohnungen – das hat aber nicht geklappt.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wie viele Wohnungen wurden denn in den vergangenen Jahren geschaffen?

2023 wurden nur rund 294.000 Wohnungen fertiggestellt, im Jahr 2024 waren es rund 251.900. Obwohl auch So­zial­wohnungen gebaut werden, sinkt deren Zahl, weil jährlich Zehntausende Wohnungen aus ihrer Sozialbindung fallen. Momentan gibt es 1,05 Millionen Sozialwohnungen – das sind etwa 26.000 weniger als noch im Vorjahr. Laut dem Bündnis Soziales Wohnen werden bis 2030 schätzungsweise zwei Millionen Sozialwohnungen benötigt.

Welche Bevölkerungsgruppen haben es bei der Wohnungs­suche besonders schwer?

Im Prinzip alle, die wenig Einkommen, Vermögen und Ressourcen haben. Das betrifft Obdachlose, Geflüchtete, Alleinerziehende und Familien mit vielen Kindern, aber auch junge Auszubildende, Studierende oder Rentner*innen.

Haben Geflüchtete die Wohnungsnot verschärft, wie Rechtsextreme gerne behaupten?

Je mehr Menschen in einer Stadt um Wohnraum konkurrieren, desto schwieriger ist es für alle – unabhängig von der Herkunft. Das Problem ließe sich aber lösen, wenn der Wille da wäre. Dass die Zahl der Sozialwohnungen sinkt, ist politisches Versagen. Anerkannte Geflüchtete müssen außerdem oft lange in Sammelunterkünften leben, weil sie keine Wohnungen finden. Zudem berichten Menschen mit Migrationsgeschichte oft von rassistischer Diskriminierung bei der Wohnungsuche.

Gibt es auch Alternativen zum Neubau?

Auf jeden Fall. In Deutschland stehen circa zwei Millionen Wohnungen leer, etwa aus Spekulationsgründen, wegen eines Sanierungsrückstands oder weil Städte schrumpfen. Stadt­for­sche­r:in­nen sehen das Problem nicht nur im Mangel von Wohnungen, sondern in der Fehlnutzung der bereits vorhandenen Wohnflächen. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf in Deutschland ist seit 1990 kontinuierlich größer geworden. Während im Jahr 1990 eine Person im Schnitt 34,8 Quadratmeter bewohnte, waren es im Jahr 2023 47,5 Quadratmeter. Insbesondere alleinstehende Se­nio­r:in­nen leben häufig in ihren alten Wohnungen auf mehr Quadratmetern, als sie bräuchten.

Da aber die Miet- und Immobilienpreise so stark gestiegen sind, wäre für sie eine kleinere Wohnung teils teurer als in der alten, zu großen Wohnung zu bleiben. Gleichzeitig lebten etwa 11,5 Prozent der Bevölkerung 2024 in überbelegten Wohnungen, also auf zu wenig Platz – besonders betroffen sind Alleinerziehende und Menschen mit Migrationshintergrund. Es gibt verschiedene Vorschläge, die Wohnfläche besser zu verteilen: zum einen durch Wohnungstausch, zum anderen auch durch mehr kollektive Nutzung der Flächen, etwa durch Wohngemeinschaften oder Wohnungsbaugenossenschaften.

Was macht die Bundesregierung gegen steigende Mieten?

Im Mai hat der Bundestag die Mietpreisbremse bis Ende 2029 verlängert. Mie­ter­schüt­ze­r*in­nen kritisieren aber, dass sie nicht verbessert wurde. Denn sie gilt nicht für Bauten ab 2014 oder aufwendig modernisierte Wohnungen. Im Bereich möbliertes Wohnen wird die Bremse oft umgangen. Justizministerin Stefanie Hubig (SPD), die für Mietrecht zuständig ist, erkläre aber, möbliertes Wohnen strenger regulieren zu wollen. Laut Koalitionsvertrag soll zudem eine Expertenkommission mit Mieter- und Vermieterorganisationen bis Ende 2026 Vorschläge unterbreiten, wo sich das Mietrecht verbessern lässt. Es geht etwa um eine bessere Ahndung von Mietwucher und um Bußgelder bei Nichteinhaltung der Mietpreisbremse. Auch sollen geeignetere Lösungen gefunden werden, damit Ver­mie­te­r*in­nen ihre Wohnungen energetisch sanieren, ohne dass dabei Mie­te­r*in­nen überfordert werden.

Wie reagieren andere Länder auf Wohnungsnot?

Als Vorzeigemodell für sozialen Wohnungsbau gilt Wien, das bis heute einen großen Bestand an preisgünstigen Sozialwohnungen und Genossenschaftswohnungen hat. In Barcelona wird strikt gegen Leerstand vorgegangen. Eigentümer sind rechtlich verpflichtet, eine Wohnung zu vermieten, wenn diese länger als zwei Jahre leer steht. Finden sie anschließend innerhalb eines Monats keine Mieter:innen, wird die Immobilie für die Hälfte des marktüblichen Preises von der Stadt enteignet. In Spanien gibt es außerdem immer mehr Ini­tia­ti­ven, um die Stadtbevölkerung für das Leben auf dem Land zu gewinnen: durch kostenfreies Mieten, Bargeldprämien und Subventionen von Kindern, Schulen oder Strom.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Man könnte endlich Vermitern verbieten, für 10% mehr Quadratmeter Miete zu nehmen als vorhanden sind. Seit über 20 Jahren dürften Vermieter eine 70 qm Wohnung als 77 qm Wohnung verbieten u d für 77qm Miete verlangen, obwohl nur 70qm sa sind.



    Erst wenn die Wohnung mehr als 10% klei er ist, gibt dies als Mangel.

  • All die Maßnahmen sind nur Stellschrauben, die den Notstand auf dem Sozialwohnungsmarkt nicht beheben, weil so viele Wohnungen aus der Sozialbindung fallen.



    Es ist nicht der politische Wille da, das Problem wie bei der Bundeswehr anzugehen, wo genug finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.



    Fromtal 21 ZDF wies nach, dass auf Vermieterplattformen meist nur noch möbliert angeboten wird. Eine Gesetzeslücke verhindert, dass die Kosten für die Möblierung ausgewiesen werden. Möblierte Wohnungen brechen die Mietpreisbremse.

    Neubauvorhaben setzen auf Mieten auf Zeit in Miniwohnungen zu Wucherpreisen. Die Mieterplattform wonderflats hilft, dass Mieter Mieter ausnutzen!

    Eine Mieterin flog laut ZDF zweimal wegen Eigenbedarf aus ihrer Wohnung. Kosten für Renovierung und Ausbau blieben bei ihr hängen.



    Die Tochter des Käufers brauche die Wohnung. Bei Missbrauch kaum nachzuprüfen und keine Wille, dieses gesetzlich von vornherein zu verhindern. Bei Kauf 5 Jahre Mieterschutz würde ausreichen. Die Tochter müsste zwischenzeitlich mieten!



    Kein Konzept auch, um die Ausplünderung der Mieter bei großen Wohnungskonzernen zu stoppen!

    Die SPD macht sich mit dieser Politik unwählbar!

  • Wohnungsnot bei einer seit 50 Jahren andauernden Fertilitätsquote von etwa 1,55.

    Und bitte keine weitere Städteverdichtung und kein weiterer Abbau von Natur! Deutschland wird immer unerträglicher.

    Tagesschau: "Auf versiegelten Flächen wie Straßen, Parkplätzen oder Dächern kann kein Wasser versickern. Deshalb verdunstet es dort auch nicht, was für Kühlung sorgen würde. Die Flächen heizen sich auf und geben diese gespeicherte Hitze lange an die Umgebung ab. Gerade in Städten kann sich so die Hitze stauen. Grün - also Wiesen, Hecken oder Bäume - hat den gegenteiligen Effekt, weil hier Feuchtigkeit verdunstet. Besonders Bäume können Wunder bewirken gegen Hitze: Unter ihren Kronen und durch ihren Schatten können Bäume die Temperatur im Umkreis von bis zu 40 Metern um bis zu 10 Grad Celsius senken, schrieb das Bauministerium im vergangenen Jahr in seiner Hitzeschutzstrategie."

    Allein München hat vorletztes Jahr über 20.000 Bäume im Stadtbereich verloren.

    Hören wir endlich auf zu bauen! Stattdessen mehr Bäume und Natur!

    www.tagesschau.de/...welthilfe-100.html

  • Die Mieten sind in den letzten 10 Jahren bis zu 104% gestiegen.







    Weil..ja weil Bauträger, Immobilienkonzerne, aber auch Banken und Anteilseigner mit ihren Immobilienfonds etc. möglichst fette Rendite machen wollen..



    Das ist die eigentliche Ursache dafür, daß Bauen und Mieten..also Kosten für Wohnen und Immobilen so stark gestiegen sind..und ergo das Geld an allen Ecken, also auch für Neubauten fehlt.



    Und daran wird sich auch nichts ändern, so lange die Politik die Profiteure weiter agieren läßt.



    Jetzt Bau- und Umweltstandards abzusenken klingt vlt auf den ersten Blick logisch, wird aber nichts an den prekären Verhältnissen ändern..außer daß sie mittelfristig noch prekärer werden und sich die Profiteure die Taschen noch voller machen.







    Der Wohnungs- und Immobilienmarkt ist eines der häßlichsten Gesichter, die der Kapitalismus zu bieten hat..



    Alle die sich hier eine Scheibe vom Kuchen abschneiden, beteiligen sich an einem unmoralischen Geschäftsmodell.







    Und die Politik sollte endlich aus ihrem Dämmerschlaf erwachen und sich um die wahren Ursachen kümmern.







    (denn es geht: Profitorientierung im Immobiliensektor ist kein Naturgesetz - fragen Sie die Wohnungsbau-Genossenschaften).

  • Genossenschaften + Werkswohnungsbau gehört die Zukunft. Besonders für Firmen, die Wert auf Betriebszugehörigkeit legen, ist Wohnraumbereitstellung ein echtes Angebot.