Fragen und Antworten zur Wohnkrise: Eine riesige Baustelle
Die Mieten steigen, die Zahl der Sozialwohnungen sinkt und Bauen ist sehr teuer. Was will die Regierung dagegen tun? Und bringt das was?
Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) hat jetzt einen neuen „Bauturbo“ angekündigt. Was sieht der vor?
Hubertz will den Wohnungsbau beschleunigen. Dafür soll im Baugesetzbuch ein neuer Paragraf geschaffen werden, der befristet erlaubt, von planungsrechtlichen Vorschriften abzuweichen. Kommunen können dann etwa selbst entscheiden, auf einen Bebauungsplan zu verzichten. So könnte die Planung von Bauprojekten nur noch zwei Monate dauern – statt wie bisher fünf Jahre. Die kürzeren Verfahren sollen für die Bauträger zugleich die Kosten senken. Der „Bauturbo“ kann auch zu einer Nachverdichtung im städtischen Bereich genutzt werden, indem Gebäude erweitert oder in der zweiten Reihe gebaut werden. Eine Aufstockung von bereits bestehenden Wohnhäusern ist ebenfalls möglich. Was Hubertz wichtig ist: Das Ganze gilt auch für den Bau sozialer Infrastruktur wie Kitas, Schulen und Theater.
Ist das jetzt eine gute Sache?
Umweltschutzverbände und zivilgesellschaftliche Organisationen befürchten eine Deregulierung im Baurecht. Mit dem Verzicht auf Bebauungspläne könnte die demokratische Mitbestimmung empfindlich getroffen werden, heißt es. Es drohten Bodenspekulation und Naturzerstörung, sagt die Chefin der Deutschen Umwelthilfe, Barbara Metz. „Neue Einfamilienhäuser auf bislang unbebauter Fläche sollen ermöglicht, Umweltstandards und Beteiligungsrechte mit der Brechstange ausgehebelt werden.“
Der frühere Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten rechnet mit negativen Effekte für Mieter*innen in sogenannten Milieuschutzgebieten, also Gegenden, die stark von Verdrängung betroffen sind. Wenn dort plötzlich die neuen Regeln gelten, könnten neue Stockwerke mit Aufzug gebaut und die Kosten auf die Mieter umgelegt werden, so Siebenkotten. Zudem vermisst er im Gesetzentwurf Vorgaben, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Was plant die Bundesregierung noch im Bereich Bauen und Wohnen?
Die jetzt auf den Weg gebrachte Gesetzesnovelle umfasst auch eine fünfjährige Verlängerung des Umwandlungsschutzes. In Gegenden mit angespanntem Wohnungsmarkt dürften Mietwohnungen dann nicht einfach in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Das soll Mieter*innen vor Verdrängung schützen. Ein weiteres Vorhaben, das im Koalitionsvertrag geplant ist, ist der sogenannte Gebäudetyp E. Dieser soll das Planen und Bauen schneller und kostengünstiger machen. Schon die Ampelkoalition hatte Ende 2024 dafür ein Gesetz vorgestellt. E steht dabei für einfach – oder experimentell.
Dieses Gesetz soll innovative und unkonventionelle Bauweisen fördern und überbordende Baustandards im Bereich Schall- und Wärmeschutz entschärfen. Geplant ist auch, das kommunale Vorkaufsrecht wieder zu stärken, das im November 2021 durch das Bundesverwaltungsgericht in weiten Teilen gekippt wurde. Bis dahin war das Vorkaufsrecht ein bewährtes Mittel, um gegen Immobilienspekulation vorzugehen. Wenn Privatinvestoren Mietshäuser kaufen wollten, konnten Kommunen dadurch die Häuser selbst erwerben oder Bedingungen für den Kauf stellen.
Geht’s der Baubranche wirklich so schlecht?
Man kann sagen: Die Lage ist herausfordernd. Infolge der Pandemie und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gab es Lieferengpässe, die Material-, Energie- und Personalkosten sind stark gestiegen. Bauaufträge sind eingebrochen, die Bauzinsen sind hoch. Bauministerin Verena Hubertz sieht nun aber „hinter den Wolken die ersten Sonnenstrahlen wieder hervorkommen“. Die Zahl der Baugenehmigungen stieg nach Angaben des Statistischen Bundesamts im April – in den ersten vier Monaten wurden demnach knapp 74.000 Wohnungen genehmigt, 3,7 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
Wo setzt das Bauministerium finanzielle Schwerpunkte?
Das Ministerium ist als eine Gewinnerin aus den Haushaltsverhandlungen gegangen: Der Etat steigt von 6,7 Milliarden Euro im Jahr 2024 auf 7,4 Milliarden Euro 2025 und 7,6 Milliarden Euro 2026. Ein Schwerpunkt ist der soziale Wohnungsbau. 2025 sind dafür 3,5 Milliarden Euro vorgesehen. Darin enthalten sind die Mittel für das Programm „Junges Wohnen“, mit dem Wohnheime für Studierende und Auszubildende gebaut werden können.
Wie viele Wohnungen werden in Deutschland benötigt?
Das kommt darauf an, wen man fragt. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) geht in einer neueren Prognose davon aus, dass bis 2030 jährlich 320.000 Wohnungen gebraucht werden. Das Bündnis Soziales Wohnen hingegen geht von 550.000 Wohnungen aus und beruft sich dabei auf Zahlen des Pestel Instituts. Die Vorgängerregierung wollte übrigens 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen, 100.000 davon als Sozialwohnungen – das hat aber nicht geklappt.
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Wie viele Wohnungen wurden denn in den vergangenen Jahren geschaffen?
2023 wurden nur rund 294.000 Wohnungen fertiggestellt, im Jahr 2024 waren es rund 251.900. Obwohl auch Sozialwohnungen gebaut werden, sinkt deren Zahl, weil jährlich Zehntausende Wohnungen aus ihrer Sozialbindung fallen. Momentan gibt es 1,05 Millionen Sozialwohnungen – das sind etwa 26.000 weniger als noch im Vorjahr. Laut dem Bündnis Soziales Wohnen werden bis 2030 schätzungsweise zwei Millionen Sozialwohnungen benötigt.
Welche Bevölkerungsgruppen haben es bei der Wohnungssuche besonders schwer?
Im Prinzip alle, die wenig Einkommen, Vermögen und Ressourcen haben. Das betrifft Obdachlose, Geflüchtete, Alleinerziehende und Familien mit vielen Kindern, aber auch junge Auszubildende, Studierende oder Rentner*innen.
Haben Geflüchtete die Wohnungsnot verschärft, wie Rechtsextreme gerne behaupten?
Je mehr Menschen in einer Stadt um Wohnraum konkurrieren, desto schwieriger ist es für alle – unabhängig von der Herkunft. Das Problem ließe sich aber lösen, wenn der Wille da wäre. Dass die Zahl der Sozialwohnungen sinkt, ist politisches Versagen. Anerkannte Geflüchtete müssen außerdem oft lange in Sammelunterkünften leben, weil sie keine Wohnungen finden. Zudem berichten Menschen mit Migrationsgeschichte oft von rassistischer Diskriminierung bei der Wohnungsuche.
Gibt es auch Alternativen zum Neubau?
Auf jeden Fall. In Deutschland stehen circa zwei Millionen Wohnungen leer, etwa aus Spekulationsgründen, wegen eines Sanierungsrückstands oder weil Städte schrumpfen. Stadtforscher:innen sehen das Problem nicht nur im Mangel von Wohnungen, sondern in der Fehlnutzung der bereits vorhandenen Wohnflächen. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf in Deutschland ist seit 1990 kontinuierlich größer geworden. Während im Jahr 1990 eine Person im Schnitt 34,8 Quadratmeter bewohnte, waren es im Jahr 2023 47,5 Quadratmeter. Insbesondere alleinstehende Senior:innen leben häufig in ihren alten Wohnungen auf mehr Quadratmetern, als sie bräuchten.
Da aber die Miet- und Immobilienpreise so stark gestiegen sind, wäre für sie eine kleinere Wohnung teils teurer als in der alten, zu großen Wohnung zu bleiben. Gleichzeitig lebten etwa 11,5 Prozent der Bevölkerung 2024 in überbelegten Wohnungen, also auf zu wenig Platz – besonders betroffen sind Alleinerziehende und Menschen mit Migrationshintergrund. Es gibt verschiedene Vorschläge, die Wohnfläche besser zu verteilen: zum einen durch Wohnungstausch, zum anderen auch durch mehr kollektive Nutzung der Flächen, etwa durch Wohngemeinschaften oder Wohnungsbaugenossenschaften.
Was macht die Bundesregierung gegen steigende Mieten?
Im Mai hat der Bundestag die Mietpreisbremse bis Ende 2029 verlängert. Mieterschützer*innen kritisieren aber, dass sie nicht verbessert wurde. Denn sie gilt nicht für Bauten ab 2014 oder aufwendig modernisierte Wohnungen. Im Bereich möbliertes Wohnen wird die Bremse oft umgangen. Justizministerin Stefanie Hubig (SPD), die für Mietrecht zuständig ist, erkläre aber, möbliertes Wohnen strenger regulieren zu wollen. Laut Koalitionsvertrag soll zudem eine Expertenkommission mit Mieter- und Vermieterorganisationen bis Ende 2026 Vorschläge unterbreiten, wo sich das Mietrecht verbessern lässt. Es geht etwa um eine bessere Ahndung von Mietwucher und um Bußgelder bei Nichteinhaltung der Mietpreisbremse. Auch sollen geeignetere Lösungen gefunden werden, damit Vermieter*innen ihre Wohnungen energetisch sanieren, ohne dass dabei Mieter*innen überfordert werden.
Wie reagieren andere Länder auf Wohnungsnot?
Als Vorzeigemodell für sozialen Wohnungsbau gilt Wien, das bis heute einen großen Bestand an preisgünstigen Sozialwohnungen und Genossenschaftswohnungen hat. In Barcelona wird strikt gegen Leerstand vorgegangen. Eigentümer sind rechtlich verpflichtet, eine Wohnung zu vermieten, wenn diese länger als zwei Jahre leer steht. Finden sie anschließend innerhalb eines Monats keine Mieter:innen, wird die Immobilie für die Hälfte des marktüblichen Preises von der Stadt enteignet. In Spanien gibt es außerdem immer mehr Initiativen, um die Stadtbevölkerung für das Leben auf dem Land zu gewinnen: durch kostenfreies Mieten, Bargeldprämien und Subventionen von Kindern, Schulen oder Strom.
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