piwik no script img

Forscherin über Migrationshintergrund„Weg mit diesem Begriff“

Vor 15 Jahren wurde der Begriff Migrationshintergrund eingeführt. Im Alltag werde er meist stigmatisierend verwendet, sagt die Forscherin Deniz Yıldırım.

Bis in die wievielte Generation hat man Migrationshintergrund? Passagiere in der Berliner S-Bahn Foto: Karsten Thielker
Dinah Riese
Interview von Dinah Riese

taz: Frau Yıldırım, die Stuttgarter Polizei ermittelt den Migrationshintergrund von jungen Tatverdächtigen der „Krawallnacht“ – und erklärt, dass das im Jugendstrafrecht nun mal dazugehört. Was halten Sie davon?

Deniz Yıldırım: Ich finde es sehr gut, dass die Polizei auf die Lebensumstände gucken und präventiv vorgehen will. Ich habe mir die gängigen Präventionsmaßnahmen mal angeguckt. Da wird geschaut, ob es Gewalt in der Familie gibt oder ein Elternteil arbeitslos ist, solche Dinge. Keine einzige Maßnahme zielt auf den Migrationshintergrund. Außerdem gibt es keinerlei Studien, die einen Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Kriminalität belegen. Die Polizei widerspricht hier sowohl der Forschung als auch ihren eigenen Maßnahmen.

Mit welcher Wirkung?

Wieder einmal wird jungen Leuten abgesprochen, deutsch zu sein. Erst fällt die Polizei selbst mit rassistischen Funksprüchen auf, dann versucht sie mit sehr hohem Aufwand, zu rekonstruieren, welche Jugendlichen einen Migrationshintergrund haben. Dabei wird eine Akribie an den Tag gelegt, die wir an anderer Stelle vermissen, etwa bei den Ermittlungen zum NSU 2.0. So zerstört die Polizei das Gefühl dieser jungen Menschen, dass auch sie dort einen Ansprechpartner haben, der auch für ihren Schutz da ist.

Der Migrationshintergrund wurde vor 15 Jahren als statistische Größe im Mikrozensus eingeführt. War das ein Fortschritt oder ein Fehler?

Im Jahr 2000 wurde das Staatsbürgerschaftsrecht liberalisiert. Wir sind vom Blut- zum Bodenrecht übergegangen. Wenn auch mit vielen Einschränkungen gilt seitdem im Grundsatz, dass in Deutschland geborene Kinder Deutsche sind. In der Statistik sollte der Migrationshintergrund ab 2005 Integrationsverläufe über mehrere Generationen sichtbar machen. Im Alltag aber sagt man seitdem statt „Ausländer“ einfach „Menschen mit Migrationshintergrund“. Und zwar egal, ob die Definition das hergibt oder nicht.

Die Definition hat sich über die Jahre gewandelt. Migrationshintergrund besagt heute, dass eine Person selbst oder mindestens ein Elternteil ohne deutsche Staatsbürgerschaft geboren wurde.

Genau. Aber im Sprachgebrauch meint man damit meist schlicht Menschen, die nicht dem Phänotyp „weiß“ entsprechen. Damit hat der Begriff etwas sehr Stigmatisierendes. Und das hat Folgen: Es gibt Studien, in denen etwa der Anteil der Muslime völlig überschätzt wurde, weil er synonym mit Migrationshintergrund gedacht wurde.

Was kann eine statistische Größe wie der Migrationshintergrund aussagen?

Bild: Citizens for Europe
Im Interview: Deniz Yıldırım

39, ist Senior Research Scientist bei der Menschenrechtsorganisa­tion Citizens for Europe im Bereich „Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership“.

Er kann uns sagen, dass wir etwa 25 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund in der Bevölkerung haben. Was aber unsichtbar bleibt: Diese Menschen haben zig verschiedene Nationalitäten, Muttersprachen, Religionen, Herkunftsländer, Milieuzugehörigkeiten. Im Mainstream denken wir nur an ein paar wenige Gruppen: etwa türkisch, arabisch, polnisch, russisch. Trotzdem kann der Begriff dazu beitragen, Diskriminierung sichtbar zu machen, etwa beim Zugang zum Wohnungs- oder Arbeitsmarkt. Man muss dabei aber immer seine Grenzen bedenken.

Was wären die?

Es erfahren auch Menschen rassistische Diskriminierung, die in der dritten, der fünften oder der hundertsten Generation hier leben. Die fallen aus der Statistik. Das kann zum Beispiel Schwarze Menschen betreffen, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma…

Bei Citizens for Europe haben Sie untersucht, wie divers die Führungsebenen in Berliner Verwaltungen sind. Auf welcher Grundlage?

Wir verwenden den Migrationshintergrund – noch. In vielen Referenzstatistiken, etwa zur Bevölkerungszusammensetzung, gibt es eben nur diese Größe. Wenn wir sagen: Verwaltungen müssen die gesellschaftliche Vielfalt abbilden, dann bleibt uns nichts anderes übrig. Wenn einen aber Diskriminierung interessiert, muss man weitergehen.

Inwiefern?

In unserer Berlin-Studie hatten 15 Prozent der Führungskräfte einen Migrationshintergrund. Nur 3 Prozent aber haben angegeben, dass sie rassistisch diskriminiert werden. Wir haben einen Fragenkatalog entwickelt, um speziell solche Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten zu erheben. Da geht es um die Selbst- und die Fremdwahrnehmung: Wie bezeichne ich mich selbst? In Bezug auf was werde ich diskriminiert? Das ist nicht immer deckungsgleich – ich kann antimuslimisch diskriminiert werden, ohne Muslima zu sein.

Wäre es nicht problematisch, wenn ein Migrationshintergrund oder sogar weitere Daten, etwa in Personalabteilungen, erhoben würden?

Wir als Menschenrechtsorganisation haben uns aufgestellt, um zu zeigen: Man kann sich vom Migrationshintergrund lösen und diese differenzierten Daten erheben, ohne diskriminierende Kategorien aufzumachen und ohne den Datenschutz zu verletzen. Da sind wir bisher führend. Gerade arbeiten wir an einer Onlineplattform zum Beispiel für Personaler*innen – die aber die Anonymität der Beschäftigten wahrt. Das ist enorm wichtig.

So ganz um den Migrationshintergrund herum kommen Sie also nicht.

Gerade brauchen wir noch Daten zum Migrationshintergrund in Institutionen und Organisationen, weil es die einzigen Daten sind, mit denen innerhalb und außerhalb von Organisationen gearbeitet wird.

Ist der Migrationshintergrund noch zu retten?

Nein. Weg damit. Und dann kann die Wissenschaft gerne zu uns kommen und darüber sprechen, wie man es richtig macht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

34 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Deutschland ist immer noch diskriminierend. Denn auch wenn ein Elternteil deutscher ist und ein anderer eben nicht bekommt man, ob man es will oder nicht den vermerk das man die andere Antion hat. Selbst wenn man nur den deutschen Pass also die deutsche Staatsangehörigkeit will, wird man trozdem vermerkt bzw makiert. Damit machen die einen doch deutlich auch wenn man in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, man wird nie ein reiner deutscher sein. Das ist so rassistisch wie das Wort schlammblut in Harry Potter. Man wird trozdem vermekrt und abgestemplet als nicht deutscher. Das man den Vermerk nicht abwählen kann, zeigt mir Rassismus ist in der deutschen Gesellschaft immer noch ein Teil. Ich finde es extrem Rassistisch, da ich es ja nicht wählen kann.

  • Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, habe seit meiner Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft, einen "deutschen" Namen, ein "deutsches" Aussehen, und beherrsche fließend und akzentfrei die deutsche Sprache.

    Nach den üblichen "Alltagskriterien" habe ich keinen Migrationshintergrund. Gemäß der offiziellen statistischen Definition aber schon: Meine Mutter war bei ihrer Geburt Österreicherin. Rassistisch diskriminiert wurde ich deshalb noch nie.

    Umgekehrt gibt es vermutlich tausende Menschen in Deutschland, die formal KEINEN Migrationshintergrund haben und trotzdem immer noch oft als "fremd" wahrgenommen und entsprechend diskriminiert werden.

    Und jetzt?

    Der Begriff ist zur rein statistisch-akademischen, wertneutralen Erfassung und Untersuchung von Wanderungsbewegungen in Ordnung, aber NUR dafür. Eine anderweitige Verwendung als Feigenblatt zum vermeintlich "sauberen" Ausdruck rassistischer Vorurteile entlarvt sich schnell.

    Auf der anderen Seite ist ein Wort aber auch in den seltensten Fällen *Ursache*, sondern meistens nur *Symptom* eines Problems. Die Abschaffung des "Migrationshintergrunds" schafft rassistisches Denken leider nicht aus der Welt.

  • Wir sind nicht alle "Gleich" warum also gleich behandelt.



    Am besten schreiben wir in alle Ausweise rein zB. "Seine Mutter hat gesoffen, der Vater ging 3 mal femd, der Familienpudel hat gebissen, In der Grundschule bekam er von einem Andersgläubigen mal eine bescheuert. In der Schule ein Versager, immer geschwänzt und nichts gelernt. Alkohol und Drogen Mäßig. IQ 60 von 110, kurzer Schnipel und Schweis riecht nach Knoblauch"



    In der neuen Mitleidscale 76/100 Punkte

    Dann können ihne die BVG Kontrollore besser einschätzen und mit einen "eideidei" laufen lassen.

    Klar ist es anders wenn er 7 Jahre in Nielanderland gelebt hat wo Kinder auch Dampflock fahren dürfen und nackt am Strand spielen. Aber das kann nicht zählen wenn er bereits sei 20 Jahre in Deutschland lebt.

    Die Strafen sollten weniger "Sozialstunden" sondern auch ein "Bildungsangebote" enthalten.

    Straffrei gegen Schulabschluss nachholen - wäre doch was

  • Mittlerweile ist das Problem doch eher andersrum: eine türkische Freundin beschwerte sich, dass sie als PoC bezeichnet wurde, obwohl sie das nicht möchte sie eben kein solches Selbstverständnis hat. Das ist schon paradox, auf der einen Seite soll es keine Bedeutung mehr haben, auf identitätspolitischer Seite werden unterschiedliche Gruppen immer mehr ausdifferenziert. Was denn nun?

  • Ich habe nie verstanden, warum Bezeichnungen wie "PoC" oder "Menschen mit Migrationshintergrund" nicht rassistisch konnotiert sind.



    Um nicht selber in diese Falle zu laufen, benutze ich solche Begriffe nicht und bleibe einfach bei "Mensch".

    Aber wie ist es mit sozialen oder kulturellen Einflüssen? Aus der Sozialpsychologie kennen wir ja alle Zusammenhänge von z.B. persönlicher Entwicklung und Elternhaus, die zutreffen können, aber auch nicht zutreffen müssen.

    Ich GLAUBE z.B. nicht, dass die typischen Milieus, die immer etwas mit sozialen und kulturellen Einflüssen zu tun haben, weder durch neue Wortbildungen noch durch Integrationsangebote nachhaltig verändert bzw. beeinflusst werden können.



    Unterschiede bleiben real bestehen. Vielleicht sollte die heute im selbst ernannten links-liberalen Milieu grassierende Unterscheidung von Menschen in gut und böse einfach einmal kritisch hinterfragt werden.



    Da sollten diejenigen damit anfangen, die stets besser wissen, wer oder was gut und schlecht ist.

  • In den 80er, insbesondere 90er Jahren haben viele emanzipatorisch denkende (insbesondere migrantischen) Menschen / Gruppen, begonnen von „MigrantInnen“ zu sprechen bzw. sich selbst so zu bezeichnen. Das war eine Abgrenzung zu „AusländerInnen“ und sollte dazu dienen, die Zugehörigkeit zu Deutschland zu betonen. Politisch betrachtet war das damals eine Provokation!



    Was erleben wir jetzt? Große Teile der Mehrheit greift den Begriff auf und verwendet ihn, meint aber das gleiche wie „Ausländer“…..



    Was haben wir gelernt? Wenn sich jetzt andere Menschen als PoC bezeichnen, wird in 10 Jahren die Mehrheit diesen Begriff verwenden, nach dem Motto: „Ihr wollt ja das sein, nicht leichter als das! Schön, dass ihr uns die Begriffe liefert, dann haben wir es einfacher, euch zu bezeichnen, müssen uns selbst nichts einfallen lassen! Es lebe die Vielfalt! Es lebe die Differenz, solange ihr uns unseren Status nicht ernsthaft gefährdet!“



    Die neuen Begriffe finden dann Eingang in die Strukturen, in scheinbar emanzipatorische Programme aufgenommen und die alten Denkbilder von Differenz reproduziert. Wenn wir mal denken, wie viele staatlichen Programme es gibt, die der „Integration“ von Migrant*innen dienen (sollen)



    Also: Differenz wird durch Strukturen, durch Gesetze, durch Programme produziert und zementiert Macht. Differenz ist politisch gewollt!

    • @edelkanake:

      "Was erleben wir jetzt? Große Teile der Mehrheit greift den Begriff auf und verwendet ihn, meint aber das gleiche wie „Ausländer“….."

      Ich vermute, dass mit diesem Begriff zu allererst gemeint ist, dass diese Menschen "anders" sind. "Ausländer", wie Sie es vermuten, wäre ja zunächst einmal nicht diskriminierend. Was wäre schlimm daran, Franzose zu sein, also Ausländer? Und wenn z.B. ein Türke mit deutschem und türkischem Pass von sich behauptet, Türke zu sein, dann ist das völlig unbedenklich. Es sei denn, er wäre türkischer Nationalist und Islamist und würde sich dafür einsetzen, dass hier die Scharia herrschen sollte. Aber das hat nichts mit Migrationshintergrund zu tun, vielmehr ist er kulturellen Ideen verpflichtet, die ich z.B. grundsätzlich ablehnen würde. So wie ich das Denken von Nazis ablehne.



      Wenn wir nicht aufhören, Menschen nach Herkunft (Migrationshintergrund) zu unterscheiden und nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass Menschen verschieden sind aufgrund ihrer kulturellen und sozialen Unterschiedlichkeit, dann ist Rassismus stets vorprogrammiert. Also weg mit "POC" oder "Migrationshintergrund" "Hartz IVer" usw.

      Aber wir leben in einer Klassengesellschaft, die ohne Diskriminierung gar nicht existieren könnte. Diese zu verändern ist allerdings erheblich schwerer als eine politisch korrekte Wortwahl.

      • @Rolf B.:

        „Und wenn z.B. ein Türke mit deutschem und türkischem Pass von sich behauptet, Türke zu sein, dann ist das völlig unbedenklich.“

        > Warum ist ein Mensch mit deutschem und türkischem Pass für Sie gleich automtisch Türke? Nach dem Pass zu urteilen ist er beides. Auch wenn ich nationale Identititätskategorien an sich für recht problematisch halte, habe ich weniger ein Problem, wenn Menschen von sich sagen ,sie sind Türken, Kurden, Deutsche, Bayern oder was auch immer. Also wenn es eine Art Selbstpositionierung widergibt. Das Problem ist die Fremd-„Türkisierung“ oder „Zwangs-Türkisierung“ durch die Mehrheit. Fremd-Ethnisierung ist immer schlimm!

        > Was wenn dieser Mensch von sich aber behauptet, Deutscher zu sein? Habe ich tausendmal erlebt, bekomme die Frage zu hören: Wo kommen Sie eigentlich wirklich her? Ich und meinesgleichen, mit welchem Pass auch immer, gehöre eigentlich nicht hierher!







        Wie auch immer: Es geht um die alltägliche Herstellung/Aufrechterhaltung von hierarchischer Differenz. Rassismus nutzt tatsächliche oder zugeschriebene Differenzen, um Hierarchisierungen aufzubauen. Leider ist jemand, der einen "Migrationshintergrund" hat oder so aussieht, per se anders und different.

  • Wir leben in einer rassistisch Gesellschaft leben. Heftig viel Rassismus bei Rechtsextremen, aber ebenso auch in allen anderen Gruppen. Israelbezogener Antisemitismus beispielsweise besonders auch in linksextreme Gruppen.

    Man wird diesem Problem nicht herr über den Wechsel von Bezeichnungen.

    Ob nun "Migrationshintergrund", "PoC,", "Türke" oder was immer sonst, bei einer rassistischen Denkweise läuft immer das gleiche Denkmuster ab.







    Man läuft dem Problem des Rassismus nur hilflos und oberflächlich hinterher durch immer wieder wechselnde Bezeichnungen.

    Aber ohne Bezeichnungen hat man kein Wissen über Rassismus. Auch Daniel Gyamerah im verlinkten taz Interview "Wir brauchen einen Einblick" taz.de/Rassismusfo...rozensus/!5677279/ sieht die Notwendigkeit von Bezeichnungen wenn er einen Afrozensus fordert:



    "In Deutschland leben über eine Million Menschen afrikanischer Herkunft. Das ist aber auch schon eine der ganz wenigen statistischen Angaben, die wir über diese Gruppe machen können. Sie steht bisher weder im Fokus der Wissenschaft noch der Politik. Das führt dazu, dass die Lebensrealitäten Schwarzer Menschen in Deutschland oft einfach nicht gesehen werden."

    "Migrationshintergrund" als Oberbegriff ist da noch einmal ungenauer und gerade mal der Einstieg beim Hinschauen. Aber selbst das oberflächliche Hinschauen bekommt man in DE scheinbar nicht gebacken.

  • Was fuer ein Schwachsinn - Migrationshintergrund ist, wie im Artikel erwaehnt, eine rein statistische Groesse ohne Rechtsfolgen. Meine Frau und meine Tochter kommen mit ihrem jeweiligen Migrationshintergrund wunderbar zurecht. Das ist "Halbjuden" und erst recht "Volljuden" unter der Nazi-Herrschaft ganz anders gegangen! Und zu Ihrem "Einmalmigrantimmermigrant": Migrationshintergrund vererbt sich genau einmal! Wenn meine Tochter mit ihrem "biodeutschen" Freund Kinder bekommt, haben diese Enkel meiner eingewanderten Frau per definitionem KEINEN Migrationshintergrund. Machen Sie sich also bitte erstmal kundig, bevor Sie die Welt an Ihrer Schnappatmung teilhaben lassen!

  • "... Migrationshintergrund besagt heute, dass eine Person selbst oder mindestens ein Elternteil ohne deutsche Staatsbürgerschaft geboren wurde."



    Als ich das erste Mal diese Definition las, war ich entsetzt. Mir fiel sofort der Begriff Halbjude ein.



    Damals war das Merkmal die falsche "Rasse" eines Elternteils. Nun ist es der falsche Pass eines Elternteils bei dessen Geburt, auch wenn dieser in Deutschland geboren wurde.



    Der Geburtsort Deutschland nützt einem nichts. Die Migrationsgeschichte von Vorfahren oder die "falsche" Partnerwahl von "echten" Deutschen entscheidet darüber, dass man als Person mit Migrationshintergrund definiert wird. Einmal Migrant, immer Migrant: Das ist immer noch Blut.



    Nur durch diese verquere Migrationshintergrund-Geschichte und deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, kann es geschehen, dass Anis Mohamed Youssef Ferchichi, bekannt als Bushido, geboren und aufgewachsen in Deutschland, Sohn einer Deutschen Mutter, einen Preis für gelungene Integration bekommt. Und wenn es um seine kriminellen Machenschaften geht, kann man seinen Vorurteilen frönen: Tunesischer Migrationshintergrund? War ja zu erwarten.



    Zudem: Wenn man den Hintergrund der Migration genug in die Vergangenheit ausdehnt, dann sind wir eh alle afrikanische Migranten.

  • ein Problem ist die Vereinfachung, "weiß" oder nicht, "blond" oder nicht, "links" oder nicht usw. Die Welt ist offenbar zu kompliziert, also versuchen Menschen mit dualen Kategorien Ordnung hinein zu bringen.



    Begriffe sollten eigentlich das bedeuten, was sie eben bedeuten. Ausländer, Menschen mit Migrationshintergrund, Flüchtlinge, haben unterschiedliche Bedeutungen.



    Diejenigen, die das als Waffe einsetzen, verschandeln die Begriffe. Es sind Lügner wie Trump, die das Bedürfnis der Menschen nach Vereinfachung ausnutzen.

    Streichen von Begriffen halte ich für kontraproduktiv, es sei denn, sie werden durch treffendere ersetzt.

    Manche Begriffe sollte man allerdings wirklich streichen. Z.B. beinhaltet "sexueller Missbrauch", dass es auch einen guten "sexuellen *Ge*brauch" gibt, also eine Verdinglichung des betroffenen Menschen.

    Um Begriffe zu missbrauchen, bedarf es der Unlogik. Z.B. sind nicht alle mit einer blonden Dachfrisur automatisch Lügner. Da heute viel mit Statistiken angeblich bewiesen wird, sind wir dafür besonders anfällig.



    Man sollte mal langsam neben einer statistischen Korrelation (die die logische Richtung nicht beinhaltet) verlangen, dass auch stichhaltige Begründungen für mögliche kausale Zusammenhänge geliefert werden.



    Im Grunde kann die Statistik nur als Prüfstein der Realität für analytische Überlegungen dienen, aber nicht als alleinige Aussage.

  • >Deniz Yıldırım: Ich finde es sehr gut, dass die Polizei auf die Lebensumstände gucken und präventiv vorgehen will. Ich habe mir die gängigen Präventionsmaßnahmen mal angeguckt. Da wird geschaut, ob es Gewalt in der Familie gibt oder ein Elternteil arbeitslos ist, solche Dinge.<

    "Solche Dinge..." Natürlich kann Frau Yildirim den Begriff des "Migrationshintergrund" in Frage stellen. Sie nennt ja auch Gründe dafür.

    Als lange Erwerbsloser muss ich aber dann an einer anderen Stelle schlucken, wenn es um Krimminalitätsprävention bei Jugendlichen geht. Sind ein oder beide Elternteile erwerbslos. Wird da nicht auch mal ebenso ein Kriterium vorschnell zur Einschätzung von Lebenssituationen und zur "Prognostizierung" von Verhalten herangezogen? Dass erwerbslose JUgendliche selbst vielleicht eher zu krimminellen Taten neigen, wäre ja die eine Sache. Aber die Erwerbslosigkeit der Eltern?



    Es gibt in unserer Gesellschaft eben noch so einiges mehr zu hinterfragen.

    • @Moon:

      Ich muss mich hier ergänzen. Mein Kommentar bestätigt im Grunde Frau Yildirms wissenschaftlich-kritischen Blick auf den alltäglichen Gebrauch des Wortes "Migrationshintergrund".

      Ein solcher Blick täte auch gut in Bezug auf Worte wie "Hartz IV". Es ist eben nicht ein Faktum, ein Merkmal, welches "herausstechend" zur Beurteilung von Lebenssituationen und dann zum "Prognostizieren" von Verhalten herangezogen werden kann. So äußert sich ja Frau Yildirim auch selbst.Aber wie gesagt, manche Worte/Begrifflichkeiten sind eben sehr vorschnell und "ungut" mit Assoziationen verknüpft.

  • Die Wissenschaft soll kommen, um zu lernen '...wie man es richtig macht.'. Weiss die Forscherin, was sie da redet?

  • 21 x verwenden Interviewende und Interviewte diesen Begriff :-)

  • ‘Sprache’ hat Einfluß auf unsere Realitätswahrnehmung. ‘Sprache’ sollte jedoch auch nicht überwertet werden: Wir denken nicht nur sprachlich, sondern in hohem Maße nicht-sprachlich, in der Assoziation von Bildern, in Gefühlen. - Und wir kommunizieren in hohem Maße körpersprachlich. Ein Erbe, das wir mit non-humanen Primaten teilen.

    ‘Sprache ist nur EIN Faktor unserer Realitätswahrnehmung. Und im Zweifel ändern wir gar nichts an dem zugrunde liegenden Sachverhalt, wenn wir nur die Bezeichnung ändern: ‘Mord’ bleibt ‘Mord, auch wenn wir diesen nun ‘Drom’ nennen würden. Auch kann es nach Umbenennungen, wie z.B. von ‘Hilfsschule’ in ‘Sonderschule’ dazu kommen, daß auf die neue Bezeichnung die alte Wertung übertragen wird, und sich wieder durchsetzt.

    Offen diskriminierende Bezeichnungen sind natürlich abzulehnen.

    Allein die Dosis macht das Gift: Wo Sprache und Spachkritik systematisch überbewertet werden; wo ‘Sprechen’ und ‘Handeln’ einfach kurzgeschlossen werden; wo der ‘Sprache’ quasi-magische Kräfte zugeschrieben werden; wo bestimmte Wörter ‘des Teufels’ sind, und wo mit verbissenem Eifer Sprache, von von allem, was ‘irgend jemanden’ ‘verletzen’ könnte (wer entscheidet darüber??) zu reinigen versucht wird, wächst die Gefahr, daß wir in einer Orwellschen Dystopie landen – und unsere Kinder sich in Zukunft vor jedem Satz dreimal fragen müssen, ob sie das auch sagen dürfen.

  • Hm. Da ist jemand in Deutschland geboren und hat (auch) die deutsche Staatsbürgerschaft. Befragt, als was er sich empfinde, antwortet er stolz: "Als Türke". Wäre es dann nicht diskriminierend, ihn als Deutschen zu bezeichnen, weil er es formaljuristisch ist, sich selbst aber nicht als solcher empfindet oder bezeichnet?

    • @Cristi:

      Der sagt wahrscheinlich "als Türke" im gleichen Sinn, wie ein anderer sich als Bayer oder als Schwabe bezeichnet. Das ist eine Differenzierung innerhalb der Gesellschaft, keine Abgrenzung.

      • @Francesco:

        Mit dem feinen Unterschied, dass sich Bayern und Schwaben in Deutschland befinden, die Türkei jedoch nicht.

  • Okay, ich habe verstanden: Das Logo auf dem Päckchen ist nicht hübsch. Machen wir ein neues, dann wird alles anders.



    Der Inhalt bleibt zwar der selbe und irgendwann schimmert auch das alte Logo wieder durch, aber es war von uns doch echt nett gemeint. Und keiner denkt dabei an Orwell'sches "Neusprech". Wer liest denn auch heute noch Bücher!?



    Irgendwann fragte ich mal einen befreundeten Soziologie-Studenten nach seinen beruflichen Zukunftsaussichten. Ich wollte von ihm wissen welche Jobs man als Soziologe bekommen könnte. Er meinte: Soziologie studiere man um danach Soziologen auszubilden. Ich ahne: Er hat mir da noch was verschwiegen...

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Es gab 2015+ die Angst, dass die Zureise von Menschen aus einer anderen Kultur Probleme verursacht. Ob diese Theorie stimmt, weiß ich nicht. Wenn es jedoch Argumente gibt die das bestätigen, entkräften wir sie nicht dadurch indem wir sie ignorieren oder nicht nachforschen. Beim Nachforschen kann man es allerdings auch zuweit treiben, was mMn in Stuttgart passiert ist.

    Ansonsten siehe Kaboom. Begriffe sind ein Ausdruck der Ideologie, nicht die Ideologie. Getreu dem Motto "Das wird man doch noch sagen dürfen" gibt eine Abschaffung von negativ konnotierten Begriffen eben den Kräften Vorschub, die sich gegängelt und bevormundet fühlen. Verhindern wird man damit nichts.

    • @83191 (Profil gelöscht):

      Der Begriff "Migrationshintergrund" erfasst aber nicht nur (oder sogar in geringem Maß) die Neuzuwanderer, sondern vor allem die Nachfahren der Gastarbeiter der 50er- und 60er-Jahre, die sehr oft schon in 3. oder 4. Generation in D leben.

      • 8G
        83191 (Profil gelöscht)
        @Francesco:

        4 Generationen in 60 Jahren? ;-)



        Möglich ist das, klar. Aber das sind Details.

        Aber ja, in diesem vorliegenden Fall ist eine Recherche über die Eltern hinaus nicht zielführend. Menschen die zu DDR Zeiten aus dem Osten geflohen sind, müssten da streng genommen genauso dazu zählen.

        Aber den Begriff abschaffen geht zu weit.

  • Das Problem am Begriff "Migrationshintergrund" ist das man/frau auch als in D geborene



    immer im Schatten der Vergangenheit ein"sortiert" wird



    statt wie beim Begriff "Neudeutscher"* die künftige Perspektive zu verdeutlichen!

    *wohl leider auch nicht ganz unbelastet

  • Das ist DER Lieblingsbegriff der SpringerPresse, AFD und CO....



    keine Chance auf Abschaffung.

  • Worte sind irrelevant. Relevant ist das Weltbild. Und ob der braune Bodensatz der Gesellschaft "Ausländer" oder "Menschen mit Migrationshintergrund" benutzt, spielt eben KEINE Rolle, solange das Weltbild sich nicht ändert. Den gleichen Fehler macht man in den USA, wo seit Jahrzehnten im Kampf gegen Begriffe statt gegen Ideologien aufreibt. Und bekanntlich nichts erreicht hat.

    • @Kaboom:

      Richtig. Das nennt man nicht nur in den USA "Euphemism-Treadmill", "Euphemismus-Tretmühle". Ein ursprünglich als Ersatz für ein diskriminierend empfundenes neues Wort nimmt mit der Zeit immer mehr die Bedeutung des ursprünglichen Wortes an, so dass es auch wieder ersetzt werden muss:

      www.kunst-worte.de...emismustretmuehle/

      de.wikipedia.org/w...mus-Tretm%C3%BChle

    • @Kaboom:

      Daß Worte irrelevant sind, sehe ich anders.



      Mir ist z. B. das Wort Ausländer deutlich lieber als das pseudo-liberale "Migrationshintergrund", das wie eine Krankheit klingt.



      Hätte man da Leute aus den Marketingabteilungen von z. B. Red Bull oder McDonald's ran gelassen, wäre etwas besseres raus gekommen.

      Dem zweiten Teil Ihres Kommentars stimme ich zu.

      Viel Erfolg weiter für Frau Yildirim.

      P. S.: Auf Rügen habe ich vor einigen Jahren "Schaumküsse mit Migrationshintergrund" gesehen. ;-)

      • @shashikant:

        Ausländische Touristen haben per se keinen Migrationshintergrund.

      • @shashikant:

        Bei vielen "Ausländern" oder "Migrationshintergründlern" handelt es sich schlicht um Inländer mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, weil sie entweder in Deutschland geboren wurden (und sich für die ausländische Staatsangehörigkeit entschieden haben), oder aber sich schon den überwiegenden Teil ihres Lebens in Deutschland aufhalten.

  • Ach? Wenn man ein negativ konnotierten Begriff (Ausländer) durch einen technisch-neutraleren (Migrationshintergrund) ersetzt, geht mittelfristig die Konnotation auf den den neuen Begriff über? Wer hätte das gedacht?



    Zudem: offenbar ist eine solche Begrifflichkeit sinnvoll. Beispielweise ist es im Bildungsbereich sinnvoll zu wissen, welche Art von Lehre man z.B. in der Grundschule anbieten sollte - ist z.B. Deutsch als Fremdsprache in der Primarstufe an einer Schule sinnvoll und wenn ja, in welchem Umfang?



    Und sich ständig auf diese Daten zu beziehen "In unserer Berlin-Studie hatten 15 Prozent der Führungskräfte einen Migrationshintergrund.", aber den Begriff nicht zu wollen, ist auch schwierig - auch wenn natürlich feinere Daten (z.B. Deutschkenntnisse) sinvoll wären.

    • @flipmar:

      Dann muss man die Sprachfähigkeiten der Kinder in Erfahrung bringen, aber nicht die Herkunft der Eltern.

    • @flipmar:

      "auch wenn natürlich feinere Daten (z.B. Deutschkenntnisse) sinvoll wären"

      Bei Führungskräften in der Berliner Verwaltung die Deutschkenntnisse abzufragen, hat einen merkwürdigen Beigeschmack. Unterstellt man schlechtere Deutschkentnisse bei Vorliegen eines Migrationshintergrundes oder unterstellt man den Führungskräften schlechtere Deutschkenntnisse weil sie Berliner sind? Generell würde man ja "fließend" voraussetzen, nicht?