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Flüchtlinge an der Grenze von Melilla getötet„Heiße Abschiebungen“ am Grenzzaun

Spanien hat die Grenzen seiner nordafrikanischen Exklaven und damit die EU-Außengrenze in den letzten 20 Jahren immer stärker abgeschottet.

Migranten klettern am Freitag den Grenzzaun hoch, hinter dem Polizisten auf sie warten Foto: Javier Bernardo/ap

Berlin taz | Bis zu 37 Menschen sollen am Wochenende beim Versuch getötet worden sein, die Grenze zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla zu überwinden. Es ist die bisher höchste Zahl von Toten an einem Tag an einer Landgrenze zwischen Europa und Afrika.

Noch vor 20 Jahren waren die Exklaven Ceuta und Melilla praktisch ungehindert zu erreichen. Doch seither hat Spanien sie immer weiter abgeschottet, seit 2006 in Kooperation mit Marokko. Die Entwicklungshilfe für den Maghreb-Staat wurde von Spanien und der EU stark aufgestockt.

Marokko bewacht dafür die spanischen Grenzen. Jene, die die Zäune nach Europa überklettern, darf Spanien postwendend zurückschicken. Marokkos Militär löst regelmäßig informelle Siedlungen subsaharischer MigrantInnen vor Ceuta und Melilla auf. Dann werden die Menschen in den Süden des Landes gefahrten und dort mittellos ausgesetzt.

Immer wieder versuchen Migranten, teilweise mit Decken mit Isolierband um die Arme gewickelt, den scharfen Klingendraht zu überklettern. Andere versuchen es mit bloßen Händen und ziehen sich schwerste Schnitte zu.

Beamte belastet der Anblick im Zaun hängender Migranten

Der von Spanien genutzte Zaundraht ist eigentlich zum Schutz von Munitionslagern und Atomreaktoren gedacht. Die Gewerkschaft von Polizei und Grenzschützern erklärte vor einigen Jahren, die Beamten seien „den Anblick sterbender Menschen leid“, die versuchen, die Grenze zu überqueren.

„Wir sind nicht bereit, noch mehr Subsaharis zu finden, die blutend im Stacheldraht festhängen“, schrieb die Gewerkschaft. Die Konfrontation mit vermeidbaren Todesfällen setze die Grenzschützer „unnötigem Stress“ aus.

Mehrfach sollen Sicherheitskräfte auch auf MigrantInnen geschossen haben. Am 6. Februar 2014 hatten 200 Menschen versucht, die am marokkanischen Strand von Tarajal ins Meer hinein gebaute Befestigung von Ceuta zu umschwimmen. Im Wasser wurden sie von der Guardia Civil beschossen. Mindestens 14 Menschen starben.

Im selben Jahr tauchten erste Videos auf, die marokkanische Paramilitärs zwischen den mit einigem Abstand errichteten Grenzzäunen zeigten. Auf spanischem Territorium nahmen sie Flüchtlinge fest und brachten sie zurück nach Marokko.

Spaniens Parlament und EU-Gericht legalisieren Pushbacks

Wem es gelang, beide Zäune zu überwinden – auch das zeigten Videos –, konnte von der Guardia Civil mit Schlagstöcken von den Zäunen heruntergeprügelt werden. Die Festgenommenen wurden direkt an Marokkos Militär übergeben, ohne einen Asylantrag stellen zu dürfen. „Heiße Abschiebung“ heißt das in Spanien. Ein klarer Verstoß gegen das Gebot der Nicht-Zurückweisung.

2015 aber stimmte Spaniens Parlament für das „Gesetz zum Schutz der Bürgersicherheit“. Das sollte die Pushbacks legalisieren. Das Argument: Das Asylrecht sei erst dann anwendbar, wenn die hinter den Zäunen stehende letzte Polizeilinie erreicht würde.

Dagegen klagten zwei Männer aus Mali und der Elfenbeinküste, die im August 2014 gemeinsam mit 70 Afrikanern versucht hatten, die Zäune zu überwinden. Als sie den dritten Zaun erreichten, wartete unten Spaniens Polizei. Ohne Prüfung ihrer Situation wurden die Migranten durch Türen im Zaun nach Marokko zurückgebracht.

Vor Gericht unterlagen sie: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied 2020, das Verbot der Kollektivausweisung gelte nicht, wenn Geflüchtete vorhandene legale Einreisewege nicht nutzten.

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21 Kommentare

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  • Welche legalen Einreisewege?



    Fähren für alle!

  • Gewalt gegen illegale Migration, das ist bedenklich, aber dabei wird es nicht bleiben. Der Druck durch Migration wird noch zunehmen. Die Antworten sind ratlos und schwanken. Viele Staaten möchten junge Männer exportieren, viele Staaten möchten diese Menschen nicht haben. Einige beuten sie dann am Ende aus- bis aufs Blut. Ich fürchte das ist erst der Anfang. Und arme, prekäre Zuwanderer bringen auch risikoreiche Menschen mit. Am Ende sind wahrscheinlich genug billige Arbeitskräfte in Spanien, neue werden nicht mehr benötigt. Dann geht man hart vor.

  • Die linke spanische Regierung hat erst vor wenigen Jahren den Stacheldraht am der Grenze wieder abgebaut, was man auch auf dem Foto oben sieht. Zu den Toten kam es wohl vor allem dadurch, dass tu viele Personen von hinten aif die vorderen gedrückt haben (kann man auch bei Twitter sehen).

    • @Clara Kreuzer:

      Wichtige Klarstellung.

  • Wahrscheinlich sterben immer mehr Menschen bei dem Versuch, Europa zu erreichen.

    Das macht die Migration grausamer, blutiger, wird sie aber nie ganz stoppen können.

    Und in ein paar Generationen sind dann die Nachfahren dieser Flüchtlinge Rechtsanwälte und Lehrer in Deutschland oder Frankreich.

  • Viele der Flüchtlinge waren mit Stöcken, Eisenstangen und Messern bewaffnet.



    Und die zwei getöteten marokkanischen Grenzschützer sind wohl auch erfunden?

  • Dies ist nicht nur die Verantwortung Spaniens, sondern die Verantwortung aller in der EU, auch die Verantwortung Deutschlands.

    Ich finde allerdings die Ausführungen zum Stress der Beamten, die - wenn auch auf der unteren Ebene - mit zu den Täter:innen gehören wenig passend:

    "Die Konfrontation mit vermeidbaren Todesfällen setze die Grenzschützer unnötigem Stress aus."

    Wichtiger wäre hier doch die Perspektive der Sterbenden. Wir bedauern ja auch typischerweise nicht die "armen Leute von Frontex", die Menschen zurück aufs Meer treiben und dadurch töten.

    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Übrigen bezüglich Geflüchteter längst die Menschenrechte vergessen gehabt, bereits vor diesem Urteil.

    In politischen Fragen gibt es eben schon einen Zusammenhalt, der eine Fortsetzung von Menschenrechtsverletzungen mit juristischer Hilfe ermöglicht. Wie wäre es sonst denkbar, dass jeden Tag Menschen im Mittelmeer unter unseren Augen ertrinken, an den Außengrenzen Menschen in Not, Terror und Kälte leben, mache den Tod finden?

    Menschenrechte enden dann, wenn die betreffenden Staaten andere Interessen haben und das gelingt es ihnen dann auch meistens so durchzuziehen, überall.

    • @PolitDiscussion:

      Die Geflüchteten wurden von marrokanischen Grenzern erschossen. Bei den Auseinandersetzungen bei der Erstürmung des Grenzzauns wurden ja unter anderem auch 2 marokkanische Grenzer getötet. Eine Verantwortung der afrikanischen Seite scheint es aber laut Ihrem Kommentar komplett nicht zu geben?

      • @Šarru-kīnu:

        Afrikaner haben auf Afrikaner in Afrika geschossen, zur Wahrung europäischer Interessen.



        Was verstehen sie denn nun genau unter "Verantwortung der afrikanischen Seite"? Und relativiert das das Vorgehen in irgendeiner Weise?

  • Worin besteht der Sinn dieser Exklave?



    Sollte Spanien die nicht einfach aufgeben?

  • Zwei Zitate dazu:



    "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten."

    Und ein paar Jahre zuvor:

    "Unter den Angehörigen der Wachmannschaften sind gerade die Wachdienste am Lagerzaun unbeliebt da der Dienst hier oftmals äußerste Härte und Disziplin erfordert."

    • @Bolzkopf:

      Ein linker Klassiker: einen Grenzzaun nach außen mit dem hoheitlichen Ausreiseverbot einschließlich Mauerschützen gleichsetzen. In der DDR haben auch keine bewaffneten Horden die Grenze erstürmt.

      • @In aller Ruhe:

        Das 2. Zitat kommt nicht aus der DDR...

      • @In aller Ruhe:

        Dass da bewaffnete Horden ankommen würden, ist schlicht falsch.



        Klassischer rechter Talkingpoint

        • @Piratenpunk:

          Zwei der aktuellen Toten waren marokanische Grenzbeamte (stand in einem anderen taz-Artikel).

          Wie sind die zu Tode gekommen?

  • Es ist mir persönlich äußerst peinlich, dass wir Menschen die lediglich ein besseres Leben suchen dieses mit Schüssen auf sie verwehren - das stimmt mich depressiv, das ist nicht mein Europa, das ist nicht der Staatenverbund für den ich stehe ... sondern einfach nur noch scheiße!

    • 2G
      21659 (Profil gelöscht)
      @Moe479:

      Ich kann sie verstehen, dennoch halte ich ihre Haltung für unrealistisch und bin anderer Meinung. Da wir in Europa in vielerlei Hinsicht besser leben als in den meisten anderen Ländern gibt es Gründe fast jeden Flüchtling aufzunehmen. Dies werden die europäischen Länder aber nicht tun. Im Gegenteil, sie werden sich unterschiedlich schnell Abschottung. Keine europäische Regierung würde die nächste Wahl bestehen. Als einzige Möglichkeit sehe ich eine gesteuerte und begrenzte Zuwanderung. Spanien schützt nicht nur seine Grenze sondern eben auch Europa. Die Alternative wörenicht das fruedvolle Miteinander, sondern die Spaltung der europäischen Gesellschaften und vermutlich viele rechte Regierungen. Und mit Rechts meine ich



      nicht die derzeitige Union oder die französischen Republikaner.

    • @Moe479:

      Andere finden es „scheisse“ dass andere Menschen einfach die Grenzen ignorieren und sich mit GEWALT ZUTRITT verschaffen!

      Europa muss die Hoheit haben zu entscheiden wen es aufnehmen will. Wenn wir sagen ukrainische Flüchtlingen können gerne kommen, und andere nicht , dann muss diese Entscheidung erlaubt sein, sonst gibt es bald kein Europa mehr. Denn der brexit ist dann nur der Anfang, In Frankreich konnte gerade noch eine rechte Regierung verhindert werden. Unter den Rechten gibt es überhaupt keine Migration mehr!

    • @Moe479:

      Die Frage ist, warum nicht die legalen Einreisewege genutzt werden.

      • @gmpf:

        Weil jemand mit einem somalischen Pass (der nicht unbedingt anerkannt wird) nicht einfach so ein Schengen-Visum bekommt wie Sie und ich eins für Ägypten oder Namibia. Die legalen Einreisewege sind für Menschen aus afrikanischen Staaten nahezu unmöglich zu beschreiten, für Menschen, die keinen Besitz und kein gutes Einkommen haben, manchmal ja eben nicht mal einen aktuellen Pass, ist es völlig unmöglich. Und dazu kommt: Das Recht auf Asyl und damit verbunden die Antragstellung wird von der EU rechtswidrig unterlaufen, indem Menschen auf dem Mittelmeer zurückgedrängt werden usw.

        Politische Lösungen wie jährliche Quoten an Visa für Ausbildungssuchende und Arbeitsuchende z.B. könnte die EU finden, will sie aber nicht.

        Mit einem Arbeitsvertrag oder Ausbildungsvertrag kann man einreisen per Visum, aber da muss man schon prima organisieren und die europäische Seite arg viel Geduld mit den staatlichen Stellen haben...

        Mit Touristenvisum geht nix und für eine Einladung muss dee Einladende ne Menge Geld hinterlegen und langfristig bürgen.

        Also bleibt der "illegale" Weg, der Leben kosten kann.

      • @gmpf:

        Genau das ist die Frage, wegen der das Urteil am Ende des Artikels die Push backs für erlaubt erklärt hat.