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Feministische AußenpolitikFrauen immer mitdenken

Baerbock und Schulze stellen ihre feministische Politik vor. Diese betrifft Auslandseinsätze, aber auch Botschaften und den Bau von Toiletten.

Annalena Baerbock (li) und Svenja Schulze wollen mit ihrer Politik mehr Gleichberechtigung schaffen Foto: Reuters

Berlin taz | Annalena Baerbock hängte die Erwartungen gleich mal tief. „Wir rufen keine Revolution aus“, sagte die grüne Außenministerin, als sie am Mittwoch vor dem Kanzleramt ihre Leitlinien zur feministischen Außenpolitik vorstellte. Nein, feministische Außenpolitik sei eine Selbstverständlichkeit. Das Auswärtige Amt will künftig Rechte von Frauen und strukturell benachteiligten Gruppen immer mitdenken. Die zehn erarbeiteten Leitlinien sollen sowohl nach außen als auch nach innen wirken.

Als Beispiel nannte Baerbock etwa den Wiederaufbau eines zerstörten Dorfes in Nigeria – wo Sanitäranlagen eben nicht mehr am Rand der Siedlung geplant werden sollen, sondern den Sicherheitsbedürfnissen von Frauen und Kindern entsprechend in zentraler Lage. Bis 2025 sollen 85 Prozent aller Projektmittel so vergeben werden, dass solche und andere Interessen berücksichtigt werden.

Feministische Politik betrifft aber auch den Einsatz von mehr weiblichen Offizieren bei Auslandsmissionen sowie Veränderungen im eigenen Haus: „Wir haben nur 26 Prozent Botschafterinnen, da ist noch viel Luft nach oben“, sagte Baerbock.

Gemeinsam mit Baerbock stellte auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze eine Strategie zur feministischen Entwicklungspolitik vor. Und sie legte die Latte gleich wieder hoch: „Wir wollen Gesellschaften gerechter machen“, so die SPD-Politikerin. Ihre eng mit Baerbock abgestimmte Strategie zielt ebenfalls darauf ab, Frauen und marginalisierten Gruppen gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen, wie etwa Land, zu verschaffen, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen und ihre Rechte, zum Beispiel auf Bildung, zu wahren. 90 Prozent aller Projekte des Ministeriums sollen künftig das Thema Gleichstellung adressieren.

Hohe Ziele, leere Kassen

Die entwicklungspolitische Sprecherin der Linken, Cornelia Möhring, bezeichnete es als Erfolg, dass Feminismus zu einer zentralen Leitlinie der Außen- und Entwicklungspolitik werden solle. Gleichzeitig sollte sie nach Ansicht der Linken weit darüber hinaus gehen: „Privatisierten Sozial- und Gesundheitssystemen müsste eine solche Politik genauso wie massiven privaten Vermögen den Kampf ansagen, denn unter zu teuren Infrastrukturen, unter knappen öffentlichen Kassen leiden Frauen am allermeisten“, so Möhring.

Unter den knappen Kassen könnten auch die Pläne von Baerbock und Schulze leiden. Den Eckpunkten für den Haushalt 2024 zufolge sollen die Projektmittel des Auswärtigen Amtes um ein Drittel von derzeit 7,5 auf 5 Milliarden Euro schrumpfen. Für das Entwicklungsministerium sind 1,6 Milliarden Euro weniger eingeplant. Die Ressorts feilschen derzeit mit Finanzminister Christian Lindner (FDP). Die Eckpunkte sollen Mitte März im Kabinett beschlossen werden. Das Thema wird wohl auch eine Rolle spielen, wenn sich Regierungsmitglieder am Sonntag und Montag im brandenburgischen Meseberg treffen.

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13 Kommentare

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  • Was Annalena Baerbock einbeziehen sollte in ihre feministische Außenpolitik, gerade gegenüber Russland:

    Kürzlich hieß es, die russischen Soldatenmütter schwiegen. Siehe taz.de/Soldatenmue...Russland/!5837817/

    Der deutsche Botschafter sollte Baerbock darüber auf dem Laufenden halten, dann kann eine feministische Außenpolitik gelingen. Wird nämlich tatsächlich klar eine Phase festgestellt, in welcher diese Frauen offiziell zum Schweigen vergattert werden, kann übergangsweise die Argumentation der Außenministerin gegenüber Russland alle dort bekannt, also auf zugelassenen öffentlichen Medien veröffentlichten Protestargumente dieser Mütter, stellvertretend für die dann Schweigenmüssenden zur Sprache bringen, oder wenigstens die wesentliche Essenz aus diesen Argumenten.

    Die Soldatenmütter Russlands sind die einzige pazifistische oder zumindest kriegspolitikkritische anerkannte Gruppe und nicht wenige, so dass deren Argumente in der Summe von Gewicht sind. Das ist also ein prima Anwendungsfall für feministische Außenpolitik, wenn so unsere Außenministerin die russische Führung an ethische Forderungen aus der russischen Bevölkerung erinnert! Aber bitte im passenden Moment.

    Ein prima Einsatz unserer auswärtigen Beamten, wenn sie stets auf dem Stand der in Russland geäußerten Regierungskritik bleiben und Auskunft geben können, welche dieser Kritik tatsächlich relativ verbreitet ist, also als Top-Argument im Diskurs mit der russischen Führung nutzen könnten, jedenfalls solange diese Frauen ihre Anliegen gerade nicht mehr selber vertreten dürfen. Also da ist sehr sorgsam vorzugehen, um im richtigen Moment nichts Falsches, sondern etwas unbestreitbares sagen zu können, wenn es nötig ist. Von Frau Baerbock für Frauen in Russland.

  • Muss man die Aspekte dieses feministischen Paternalismus nun als maternalistisch lesen - oder wie gelingt eine neue Sprache, die einfach gesetzt wird!? Sich vermehrt um Frauenrechte usw. zu bemühen, das braucht keine Etikettierungen, die zudem seitenlanger Begründungen bedürfen, um sie so zu übersetzen, dass sie nun wirklich nicht nur feministisch gemeint seien. Dazu kommt, dass man bei den Menschen einen Reflex auslösen möchte - wer so formuliert, braucht wirklich Reflexion - denn das ist Framing par excellence.



    Und gibt Anlass zur Besorgnis, denn mündige Bürger:innen sind keine Kunden, bei denen man Kaufreflexe auslösen möchte.

  • Alle Mühe und Geld für solche lobenswerte Projekte sind nicht nachhaltig, da in diesen Ländern Rechtssicherheit, politische Stabilität und auch die Bereitschaft und Wille der männlichen Bevölkerung nicht gegeben sind. Die Zustimmung unserer Bevölkerung für solche Hilfe in den Kriesengebieten der Welt wird sich angesichts maroder Toiletten in /und Schulen hierzulande in Grenzen halten. Von fehlenden Wohnungen und menschenwürdiger Flüchtlingsunterkünfte ganz zu schweigen.

    • @Klempner Karl:

      Sie sprechen davon, dass Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland nicht menschenwürdig seien, sind aber der Meinung, dass Flüchtlinge in anderen Ländern keiner Sanitären Anlagen bedürfen?

  • Zu feministischer Außenpolitik gehört auch die Frauenqoute (50%) bei den Auslandseinsätze der Bundeswehr umzusetzen. Zumindest bei den höheren Dienstgraden.

    • @Luxusverschmäher:

      Wenn der Frauenanteil in den höheren Rängen dem Frauenanteil in den untersten Rängen entspricht, wär das schon gerecht. Erkämpfen sich allerdings Frauen in ihrer Bundeswehrsoldatinnenlaufbahn regelmäßig mehr Kompetenz als ihre männlichen und sternchengeschlechtlichen Kameraden, dann sollte sich in den Führungsrängen ihr Anteil darüber hinaus entsprechend steigern. Dank weiterer gleichberechtigungsberechtigter Geschlechter, die nun hinzukommen, hat das aber nicht mehr viel mit Feminismus, sondern vielmehr mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun.

    • @Luxusverschmäher:

      "Zumindest bei den höheren Dienstgraden."



      Wieso ausgerechnet da? Wenn dann überall. Sonst reden wir von einem Rosinenpicken-Feminismus.

  • Gibt es bereits eine Definition von "Feministische Außenpolitik"? Dann ließe sich ja leicht beurteilen, ob die Petition von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer darunter fällt oder nicht. Beide Ergebnisse wären spannend und eine schöne Ausgangsbasis für konzeptionelle und begriffliche Klärungen.

  • "...wo Sanitäranlagen eben nicht mehr am Rand der Siedlung geplant werden sollen, sondern den Sicherheitsbedürfnissen von Frauen und Kindern entsprechend in zentraler Lage." Schön und gut, aus unserer westlichen Sicht. Man sollte aber bedenken, dass die Menschen anderen Ortes ein anderes, manchmal sehr schambehaftetes, Verhältnis zu solchen Dingen wie öffentlichen Toiletten haben und diese nicht an zentraler Stelle, sichtbar für jeden, sehen wollen.

    • @Pia Mansfeld:

      Diese Strategie ist nicht aus dem Hut gezaubert, sondern den Gegebenheiten angepasst.



      Zugang zu Trinkwasser, ebenso, wie zu sanitären Anlagen, ist weltweit ja leider keineswegs Standard.



      Somit ist dieses Thema, allein schon bzgl. der Gesundheitsvorsorge wesentlich.



      Bedauerlicherweise werden viele Frauen bei Ihrer Notdurft überfallen und vergewaltigt.



      Ein Umstand, der scheinbar nicht allgemein bekannt ist.



      Auch aus Gründen der Information, auch westlicher Interressierter, ist die Neuausrichtung der beiden Ressorts, zu begrüßen.

      • @Philippo1000:

        Die Ausrichtung ist nicht neu, nur neu etikettiert. Schon lange werden in der Entwicklungshilfepolitik Frauenrechte in den Fokus genommen, deren Belange



        berücksichtigt. Alter Wein in neuen Schläuchen! Pompös präsentiert.



        Das Problem in Indien ist nicht neu - es muss immer wieder angegangen werden, aber Inder:innen sind keine Objekte deutscher Politik, sondern Subjekte eigener Emanzipation!

        • @Toni Zweig:

          Unter" pompös präsentiert" würde ich etwas Anderes verstehen.



          Es ist ein positives Signal, dass sich zwei Ressorts für das Gleiche stark machen.



          Das ist wohl auch im Hinblick auf die kommenden Haushaltsplaningen nicht unwichtig.



          Ihr Anliegen verstehe ich nicht recht, falls Ihnen Außen- und Entwicklungspolitik mit einem Focus auf Frauenrechte und - anliegen wichtig ist, warum sollte dafür nicht getrommelt werden?