Fans beim Rammstein-Konzert in Madrid: In einem anderen Jahrhundert
Rammstein gab in Madrid das einzige Spanien-Konzert seiner Stadiontour 2023. Trotz Vorwürfen gegen Till Lindemann bleiben Fans unerschütterlich.
„In einer Stunde waren die Karten ausverkauft“, erinnert sich Laura. Sie hat noch rechtzeitig eine gekriegt. 102 Euro. Am vergangenen Freitag war es dann so weit. Die junge Frau aus dem südostspanischen Cartagena und ihr Freund Antonio waren zwei von 51.000 Rammstein-Fans im Stadion Metropolitano in Madrid.
„Unvergleichlich“ – „einfach genial“ – „einzigartig“ lauten die Kommentare, wenn es in Spanien um die Band Rammstein geht, deren Musik auch mal als „Neue deutsche Härte“ bezeichnet wird. Bereits vor Jahren verkaufte die Band ihre Konzerte in Rekordzeiten aus.
„Spanien ist heavy, vor allem die nördliche Hälfte des Landes“, erklärt Omar. Er ist aus der Mittelmeerstadt Alicante in Begleitung von Rosa zum einzigen Konzert in Spanien angereist, das Rammstein während seiner Europe Stadium Tour 2023 gibt. Beide sind Anfang 20. „Alles auf Deutsch? Kein Problem, Englisch verstehen wir ja auch nicht wirklich und gehen dennoch auf Konzerte“, grinst Omar.
Auf die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Sänger Till Lindemann angesprochen, schaut Omar nur gelangweilt. „Das passiert bei Reichen und Berühmten doch immer. Es geht den Frauen um Kohle und sonst nichts“, ist sich Omar sicher. Freundin Rosa schaut ihn an, als wolle sie widersprechen, sagt dann aber nur so etwas wie „man muss zwischen Person und Künstler trennen“. Beide gehen weiter.
„Ich glaube solche Sachen einfach nicht.“
Noelia, Mitte 40, aus Barcelona angereist, ist der gleichen Ansicht. Sie vergleicht die Vorwürfe mit einem Fall, der in Spanien für Aufsehen sorgt. Fußballstar Dani Alves wird von einer jungen Frau beschuldigt, versucht zu haben, sie auf der Toilette einer VIP-Lounge zu vergewaltigen. „Du gehst doch nicht mit einem Typen aufs Klo, wenn du nichts von ihm willst“, sagt Noelia. Ähnliches passiere nun mit Lindemann. „Ich glaube solche Sachen einfach nicht“, fügt sie hinzu.
Niemand rundherum widerspricht. „Wir können doch nicht die ganze Band verurteilen, wegen einiger unbewiesener Vorwürfe gegen den Sänger“, meint Laura. Solange nichts bewiesen sei, bleibe sie treuer Fan.
Raul aus Barcelona mischt sich ein. „Alle Welt kennt die Vorwürfe gegen den Maler Paul Gauguin, und dennoch hängen seine Bilder polynesischer Frauen überall“, sagt er. „Kunst und Wahnsinn liegen oft sehr nahe beisammen“, fügt er hinzu, als würde das irgendetwas entschuldigen.
Auch Barbara – eine Frau Mitte 30 aus Madrid – will den Frauen, die Lindemann beschuldigen, nicht glauben. In ihrem Fall erstaunt das, denn ihr sei „so etwas auf einem Fest wirklich passiert“. Sie meint damit einen sexuellen Übergriff. „Du bist so geschockt. Es dauert Monate, bis du darüber selbst im engsten Kreise reden kannst. In den Netzwerken aufzutreten, das ist das Letzte, was dir in den Sinn kommen würde“, sagt sie. Deshalb sei für sie Shelby Lynn, die Erste, die per Twitter die Stimme nach einem Konzert in Vilnius gegen Lindemann erhob, einfach nicht glaubwürdig. Sollte sich dennoch alles bewahrheiten, „dann gehe ich auf kein Konzert mehr“, sagt sie. Sie könne auch keine Woody-Allen-Filme mehr schauen.
Die spanische Presse berichtete von den Vorwürfen erst, als die Wogen besonders hochschlugen. Kommentare zum Thema? Fehlanzeige. Selbst bei Twitter – sonst so schnell, wenn es um Verurteilung geht – sind kritische Stimmen selten. „Wären die Eintrittskarten jetzt in den Verkauf gegangen, hätte ich keine gelöst. Es wird nicht leicht, all das aus dem Kopf zu bekommen und einfach nur die Show zu genießen“, schreibt User @DocCastellari als einer der wenigen über seine Zweifel. „Es tut gut zu sehen, dass ich nicht die Einzige bin, der es so geht“, antwortet @Albacion, die ihrem User-Namen den LGBT-Regenbogen beigestellt hat.
„Wen interessieren schon die Frauen, solange Rammstein spielt“
Die Show nahm trotzdem ihren Lauf. „Wen interessieren schon die Frauen, solange Rammstein spielt“ titelt die Tageszeitung La Vanguardia. Der Autor des Artikels, Israel Merino, schreibt zum Konzert: „In der Pause laufen auf den riesigen Leinwänden Livebilder aus dem Publikum, auf der Suche nach Frauen, die ihre Brüste entblößen. Wenn es eine tut, singen und johlen 50.000 Menschen (…) Ich fühle mich wie in einem anderen Jahrhundert.“
Die konservative ABC aus Madrid hatte vom spanischen Publikum gar nichts anderes erwartet: „Der Erfolg war sicher, seit die Eintrittskarten in den Verkauf gingen. Daran können auch der furchtbare Sound und kein Staatsanwalt in Berlin etwas ändern.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip