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Ethische Fragen bei Corona-BehandlungAuswahl anhand „Erfolgsaussicht“

Grünes Licht vom Ethikrat: Würden Beatmungsgeräte knapp, dürften behandelnde Ärzte die Erfolgsaussichten von Patienten vergleichen.

Ein Arzt bedient eine Beatmungsmaschine auf einer Intensivstation Foto: Marijan Murat/dpa

Freiburg taz | Wer darf leben, wer muss sterben? Vor solchen Entscheidungen werden Ärzte möglicherweise bald stehen, wenn die Corona-Epidemie zu einer Überforderung des Gesundheitssystems wie in Italien führt. Noch ist es in Deutschland nicht so weit – aber die Regeln, die dann gelten sollen, werden jetzt schon intensiv diskutiert. Am Dienstag hat der Deutsche Ethik­rat vor Journalisten seinen Ansatz erläutert.

Befürchtet wird, dass es trotz der geplanten Verdopplung der Kapazitäten für Intensivmedizin am Ende an Betten mit Beatmungsgeräten mangelt. Ärzte müssten dann entscheiden, wer die lebensrettende Beatmung erhält und wer nur noch schmerzmildernd behandelt wird. Mediziner nennen diesen Vorgang „Triage“, es ist das französische Wort für Auswahl.

Vor der Bundespressekonferenz erläuterte der Gießener Rechtsprofessor Steffen Augsberg die Position des Ethikrats zur Triage. Der Ethikrat ist ein staatliches Beratungsgremium, das 2001 eingerichtet wurde und aus Naturwissenschaftlern, Theologen und Juristen besteht. „Jedes Leben ist gleich viel wert“, betonte Augsberg die Grundposition des Ethikrats. Dies folge aus der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes. Der Staat dürfe deshalb keine Vorgaben machen, wer im Knappheitsfall gerettet wird. Jede Klassifizierung, zum Beispiel anhand Alter, Beruf oder prognostizierter Lebensdauer, müsse „seitens des Staates“ unterbleiben.

Etwas anderes sei es jedoch, wenn ärztliche Fachgesellschaften Empfehlungen zur Auswahl in dieser Situation abgeben. Deren Überlegungen seien nicht nur zulässig, sondern sogar „geboten“, so Augsberg, um in den Kliniken eine Gleichbehandlung nach einheitlichen Kriterien sicherzustellen.

„Erhöhte Gebrechlichkeit“

Bisher liegt vor allem ein Vorschlag auf dem Tisch, den die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften vorgelegt hat. Auch die DIVI will niemand generell von der Beatmung ausschließen, es soll also zum Beispiel keine Altersgrenzen geben. Die Fachgesellschaft propagiert dann aber die Auswahl anhand der „Erfolgsaussicht“ der Behandlung. Dabei sei etwa zu berücksichtigen, wie schwer die Personen jeweils erkrankt sind, welche Begleiterkrankungen sie haben und nicht zuletzt, wie ihr allgemeiner Gesundheitszustand („Gebrechlichkeit“) ist. Der Ethikrat hat gegen die Anwendung dieser Kriterien keine Bedenken.

Es gibt aber auch einen Dissens zwischen Ethikrat und DIVI. So wollen die Intensivmediziner ihre Kriterien auch dann anlegen, wenn schon alle Beatmungsgeräte belegt sind und nun ein neuer Patient hinzukommt. Auch hier solle es auf die Erfolgsaussichten ankommen. Wenn es die Auswahl ergibt, müsste also ein bereits künstlich beatmeter Patient auf sein Gerät verzichten und dann mit hoher Wahrscheinlichkeit sterben. Für DIVI wäre dieser Auswahlprozess genauso rechtmäßig, wie wenn zwei neu ankommende Patienten um ein freies Beatmungsgerät konkurrieren.

Der Deutsche Ethikrat macht zwischen beiden Konstellationen dagegen einen Unterschied. Wenn die Beatmung eines Patienten beendet werde, müsse dies als rechtswidrig eingestuft werden. Strafrechtlich würde der Arzt dabei einen „Totschlag“ begehen. Der Ethikrat will Ärzte dann zwar nicht ins Gefängnis stecken. „Das Rechtssystem ist flexibel genug, um die Tragik zu berücksichtigen“, sagte Augsberg. Die Tat sollte dann als „schuldlos“ behandelt werden. Praktischer Unterschied: Die Angehörigen dürften hier mit Gewalt verhindern, dass der Arzt das Gerät abschaltet.

Es gibt aber auch generelle Kritik an den DIVI-Kriterien. „Die Prüfung der Erfolgsaussicht diskriminiert Behinderte“, sagt die Grünen-Sozialpolitikerin Katrin Langensiepen, einzige weibliche Europaabgeordnete mit sichtbarer Behinderung. Die negative Berücksichtigung von „erhöhter Gebrechlichkeit“ verringere die Chancen auf eine lebensrettende Behandlung. Langensiepen fordert DIVI auf, ihre Empfehlung zurückzuziehen.

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48 Kommentare

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  • Ethik ist, sich GEGEN künstliche Tötungen oder Tötungsinkaufnahmen einzusetzen. Sonst diskutieren wir morgen "ethisch" darf man Foltern, um ein Kind zu retten, oder um einen Greis zu retten? Irgendwie entgleist grade alles in Europa. Das ist rein digitales Denken und der Zwang - zu denken man ÜSSE minütlich ja oder nein drücken

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @ophorus:

      Das Gegenteil ist der Fall. Wir reden gerade über ethische Fragen und nicht über Wirtschaft. Und das nicht auf gefühligem Niveau. Ein Fortschritt.

  • Ethik wäre, NICHT über Leben und Tod am Krankenbett eine Entscheidung zu fordern.

    • @ophorus:

      Das wäre dann Nichtstun.

  • Soweit man in der Kürze a)der vorliegenden Äußerungsmöglichkeiten und b)des ärztlichen Auswahlprozesses hier eine Stellungnahme abgeben sollte, bzw. die Ärzte eines der Auswahlkriterium anwenden können, so stimme ich persönlich – ganz grundsätzlich – der Ethikrat-Auffassung zu. Primär deshalb, weil damit mehr als bei DIVI der Wertekanon Beachtung findet, der sich auch ansonsten durch unsere Rechtsordnung zieht.



    Doch in den Grenzfällen wird diese grundsätzliche Einstellung auf eine harte Prüfung gestellt; egal welcher Auffassung man folgt. Beispiel: ein stark vorerkrankter, sehr alter und gebrechlicher Mensch (Tpy: totgeweiht) soll seinen Beatmungsplatz für ein aktuell bedürftiges junges Kind mit hohen Erfolgsaussichten auf Heilung räumen. Laut Ethikrat darf dies keine Rolle spielen und das Kind wird eben leider nur 3 Jahre alt (und es bleibt ihm das Leid der Klimakrise erspart). (Einige Minuten später stirbt dann auch der bis zum letzten Röchler beatmete alte Mensch). Unser darwinistischer Urinstinkt (also unsere ca. 97,5%ige DNA-Übereinstimmung mit dem Schimpansen) findet dies nicht so lustig, und verurteilet ein solches Vorgehen. Schließlich hat der alte Mensch sein Leben schon gelebt und dient das Kind definitiv mehr dem Arterhalt, um was es nun einmal in der Natur primär geht.



    Und weil wir doch alle vom Neoliberalismus so begeistert sind, und (in wirtschaftlichen Dingen) dem Stärkeren stets den Vortritt geben, verwundert es dann doch, wenn wir im genannten Beispiel – ethisch korrekt – dem bedürftigen Kind die benötigte Behandlung zugunsten der sowieso totgeweihten Person verweigern.



    Anderes Beispiel: Die Bundesregierung hat ihr OK zur Übernahme von 50(!) kranken KINDERN aus den Griechenland-Flüchtlingslagern gegeben. Laut Ethikrat ist diese Selektion sehr bedenklich.



    In jedem Fall gibt dies uns Anlass genug unsere Patientenverfügungen um die persönliche Entscheidung zu diesem Punkt umgehend zu ergänzen:



    Räumt mich weg, wenn



    Räumt mich NICHT weg, weg..



    ;-)

    • @tazeline:

      Ich will vorliegend meine Ausführungen noch um folgende (provozierende) Überlegung erweitern.



      Gerade herausgesagt können wir von der Corona-Sterbe-Statistik die Tatsache ablesen, dass „Corona“ eher eine Gefahr für die „Alten“ ist, worauf derzeit die „Alten“ schützend die ganze Bevölkerung Rücksicht nimmt. Der Preis dafür bezüglich Gesellschaft, Wirtschaft, Europa,… steht noch nicht fest, da dieser sehr wesentlich von der Dauer des aktuellen shut-down gebildet wird. Doch diesen „Preis“ haben die „Alten“ sehr viel weniger auszulöffeln als die „Jungen“, weshalb wir objektiv festhalten können, dass aktuell die „Jungen“ große Rücksicht auf die „Alten“ nehmen, und dies zu einem u.U. SEHR HOHEN PREIS, den primär die „Jungen“ zu zahlen haben werden.



      Müsste man dann nicht umgekehrt – ethisch, moralisch – unter Berücksichtigung des Gesamtbildes, und nicht nur der isolierten Betrachtung am Beatmungsbett, als „Junger“ dem „Alten“ berechtigt entgegenhalten dürfen: Sorry, aber ich „Junger“ kann auf dich „Alten“ nicht immer und zu jedem Preis Rücksicht nehmen. Deshalb musst Du nun Dein Beatmungsbett zu meinen Gunsten räumen!

      😉

      • 4G
        4813 (Profil gelöscht)
        @tazeline:

        Ach, die Jungen wollen jetzt auch schon beatmet werden, damit sie die Alten werden?

        Ihre Logik ist unlogisch.

  • Ich würde so entscheiden: Hätte ich alle Maschinen in Gbrauch und käme ein neuer Patient hinzu, dann hätte er eben keine Maschine. Jemanden von der Maschine wegzunehmen, würde ich mich nicht trauen.

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    die Entscheidung , war schon immer gefragt. Bekommt ein 70 jähriger eine Chemotherapie(Übelkeit , Erbrechen),



    Heilungschance 0%, medianer Überlebensvorteil ca. 3Monate?



    Bekommt ein 85- jähriger, multimorbider Patient einen Beatmungsplatz(Überlebenswarscheinlichkeit 5%)? Diese Abwägung wird tagtäglich getroffen

    • @97287 (Profil gelöscht):

      Ja, natürliche werden solche Entscheidungen getroffen, aber unter anderen Voraussetzungen.



      Bei Ihren Beispielen geht es darum: soll der Arzt dem Patienten die Quälerei noch zumuten, die ihm vermutlich gar nicht mehr hilft. Dafür haben viele ja eine Patientenverfügung.

      Im Fall der hier diskutierten Triage geht es aber doch darum, dass die Beatmung vermutlich beiden Patienten helfen würde, aber bei dem einen ist das wahrscheinlicher als bei dem anderen. So kann es sein, dass die junge Mutter von drei Kindern in einem schlechteren Zustand ist als ein rüstiger Siebzigjähriger, und so wird letzterer den Beatmungsplatz bekommen.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @Kolyma:

        In Ihrem Modell, in meinen Modell hat der 70jährige sein Leben gelebt(selbst 72) für die Mutter wird , solange eine auch nur geringe Chance besteht, gekämpft. Der 70jährige hat seine Chancen gehabt. Entscheiden werden immer die Ärzte vor Ort , keine Ethik-Kommission. Wenn die Lungenfunktion bei dem 70 - jährigen bei 60% liegt und bei der Mutter bei 50% , wer bekommt den Beatmungsplatz?

  • Sterben ist so ein Ding, das viele gerne verdrängen. Die Palliativmedizin und Palliative Care gibt es ja nicht umsonst.

    Menschen, die keine Überlebenschanche mehr haben, bekamen vor Corona eine betreuende (abwartende) Behandlung und Sterbebegleitung.

    In Zeiten von Corona fällt die Sterbebegleitung oftmals weg oder ist nur noch eingeschränkt möglich.

  • Interessant. Wenn ein Corona-Infizierter keine guten Aussichten hat, dürfen Ärzte den Patienen einfach so sterben lassen. Wenn ein Todgeweihter sterben möchte und Sterbehilfe verlangt, wird ihm das verwehrt oder aber der, der die Sterbehilfe leistet, macht sich strafbar.

    • @Jossi Blum:

      Nein, einfach so dürfen sie natürlich nicht. Tun sie auch nicht.



      Jeder "Todgeweihte" wird bestmöglich so behandelt, dass er möglichst nicht leiden muss.



      Hier wird allein über die Situation diskutiert, die eintritt, wenn die Behandlungsmöglichkeiten nicht für alle ausreichen.



      Das ist auch nicht neu, diese Entscheidungskriterien gelten international im Rahmen einer Triage, übrigens auch bei Organspenden (da geht es auch nicht allein nach der Dringlichkeit sondern nach der bestmöglichen Überlebenszeit des zu transplantierenden Organs) und werden auch so angewendet.



      Neu ist lediglich, dass wir möglicherweise viel öfter mit der Situation konfrontiert sind, dass eben die Behandlungsmöglichkeiten nicht für alle ausreichen könnten.



      Das ist ein schreckliches Dilemma, und niemand von uns möchte sicherlich mit denjenigen tauschen, die da eine Entscheidung treffen müssen. Aber wenn das denn erforderlich ist, sollte sie zumindest sinnvoll sein, sprich dazu führen, dass möglichst viele Menschen am Ende überleben.

    • @Jossi Blum:

      "Einfach so"? Nö.

      Es geht auch nicht um Sterbehilfe. Selbst Sterbebegleitung ist heutzutage kaum noch möglich, weil Menschen und Material fehlen. Einfach mal die Medien verfolgen!

    • @Jossi Blum:

      Richtig. Vorherrschender Konses ist: Kein Mensch sollte das Recht haben einen Menschen aktiv umzubringen, auch nicht sich selbst.



      Als nächste Abstufung kommt das passive Sterbenlassen in Betracht. Als Patient ging das schon immer: Beatmung verweigern.

      Neu ist jetzt lediglich, dass in Zeiten der Not auch Ärzte eine bewusste Auswahl zum Sterbenlassen treffen können, wenn sie es denn ohnehin tun müssen.

      Es geht in diesem Artikel darum Leben zu erhalten und was man tun kann, wenn man nicht jedes erhalten kann. Sterbehilfe hat offensichtlich ein ganz anderes Ziel.

  • Naja, zum Teil ist das ja nichts neues. Im letzten Erstehilfe-Kurs den ich gemacht habe (auch schon 5 Jahre her), wurde uns auch erklärt, dass man bei einem Busunglück nicht erst denen hilft, denen es am schlechtesten geht.

  • Die Würde des Menschen ist eines der wesentlichsten Grundrechte, die das deutsche Recht kennt. Bei der Umsetzung kommt mir jedoch manchmal das Grausen.

    Der Staat dürfe keine Vorgaben machen, wenn es um die Triage geht - ärztliche "Fachgesellschaften" jedoch schon und die sollten dann für alle verbindlich sein...

    Mir wäre es lieber, ein demokratische legitimiertes, unter der Aufsicht (u.a.) der Presse stehendes Gremium (z.B. der Bundestag) würden die Rahmenbedingungen im Parlament debattieren, reglementieren und abstimmen als das eine für mich im Dunkeln operierende, gesichts- und namenlose Gruppe dies ohne öffentliche Kontrolle tut. Schließlich will der Abgeordnete bei der nächsten Bundestagswahl wiedergewählt werden, während das Gremiumsmitglied wer weiß wie zu seiner Position kommt.

    • @Cerberus:

      Ich bin gegen politische oder ideologisch motivierte unethischen Selektion.

    • @Cerberus:

      Sie bringen es auf den Punkt. Wesentliche, also: die Grundrechte betreffende, Entscheidungen müssen vom Parlament getroffen werden. So sagt es auch das Bundesverfassungsgericht. Dass die Menschenwürde unantastbar und jedes Leben gleich viel "wert" ist, ändert nichts daran, dass eine Auswahl getroffen werden muss, wenn lebensrettende Mittel nicht für alle zur Verfügung stehen. Man nennt es vornehm und verharmlosend auf Französisch "Triage", aber man sollte sich vor Augen halten, dass das grausame Wort "Selektion" das Gleiche bedeutet. Das ist natürlich ein Tabubegriff, aber er macht deutlicher, dass es um Entscheidungen geht, die den Tod von Menschen in Kauf nehmen.

      Bei einem Patienten, der bereits beatmet wird und ohne Beatmung sterben würde, verbietet es sich, die Beatmung abzubrechen, denn das wäre in der Tat Totschlag (vorsätzliche Verursachung des Todes eines Menschen durch Abbruch rettender Kausalverläufe). Aber wie soll man auswählen, bei welchem von mehreren Patienten, die eine Beatmung zum Überleben zwingend brauchen, ein verfügbares Gerät neu eingesetzt werden soll? Ein anderes Kriterium als die Erfolgsaussicht der Behandlung, gemessen an der Höhe der Überlebenschancen, fällt mir nicht ein. Vielleicht noch die voraussichtliche Dauer der Beatmung, weil dann das Gerät schneller wieder frei wird und mehr Menschenlaben gerettet werden können. Alle nichtmedizinischen Kriterien würden gegen den Grundsatz der Gleichwertigkeit jedes menschlichen Lebens verstoßen. Wie Jim Hawkins in seinem Kommentar angemerkt hat, hat eine Auswahl nach der Erfolgsaussicht zwar zur Folge, dass dann in der Praxis am ehesten Alte, anderweitig Erkrankte oder Behinderte als erste sterben. Aber das ändert nichts daran, dass es nicht richtig sein kann, eine Quote für bestimmte Gruppen zum Auswahlkriterium zu machen. Das Leben von Alten, Kranken und Behinderten (ich gehöre selbst zu dieser Gruppe) ist mit dem Leben anderer Personen gleichwertig, aber es ist nicht höherwertig.

    • @Cerberus:

      Dann lassen Sie sich besser auch von Abgeordneten behandeln. Die Chance, dass Sie dabei auf einen Arzt treffen, liegt bei unter 2%; die Chance, dass Sie einen Juristen erwischen, bei 21%. Was kann da schon schief gehen?

      Übrigens: Kennen Sie den Unterschied zwischen einer Empfehlung und verbindlichen Vorgaben?

  • Es ist einfach nur Unsinn. Jedes Menschenleben ist gleich viel wert. Die Ärzte haben schon bei der Vergabe von Organen gezeigt, das da ein System überfordert ist (durch Korruption). Das wird hier nicht anders sein, der Privatpatient kriegt die Sauerstoffmaske, ganz klar.

    Ärzte hier "Götter in Weiß" spielen zu lassen, geht gar nicht.

  • Bei der Frage, ob eine bereits begonne Behandlung zugunsten eines Neuzugangs abgebrochen werden sollte, tendiere ich zur Position der Fachgesellschaften:



    Es ist ethisch ein starkes Argument, dass die Priorisierung - wenn sie denn notwendig ist - immer zwischen allen Patienten (den Neuzugängen und auch den Nicht-Covid-Fällen) geschehen muss.



    Psychologisch ist das allerdings die schwierigere Position: Wenn Mediziner seit Tagen um das Leben eines Menschen kämpfen und aufgrund der schlechten Aussichten die Behandlung zugunsten eines Neuzugangs abbrechen müssten, stelle ich mir das noch schlimmer vor als die Entscheidung zwischen zwei Neuzugängen.



    Ich kann mir vorstellen, dass dies auch immer wieder dazu führen wird, dass Ärzte in Einzelfällen die Behandlung doch weiter führen werden, einfach weil sie das Gefühl kaum überwinden könnten, umsonst gearbeitet zu haben.

    • @pitpit pat:

      Nun ja, wenn es darum geht zu entscheiden, wer von der Behandlung eher profitiert, ist das das denkbar beste Kriterium in dieser zweifellos schwierigen Situation.



      Wie fühlt es sich denn wohl an, zuerst jemanden zu verlieren, weil man ihn nicht beatmen kann und dann ein paar Tage später die Person, die man an der Beatmung gelassen hat, trotzdem stirbt?



      Denn machen wir uns nicht vor: Diejenigen, die bisher gestorben sind, sind jedenfalls in Deutschland, weit überwiegend trotz Beatmung gestorben.

      • @Life is Life:

        Sehr gute Ergänzung! In der Tat ist die von Ihnen skizierte Situation ebenso belastend.



        Meine angedeutete Gegenüberstellung von ethischen und psychischen Motiven sollte die Doppelnatur des Menschen offenlegen: Wir sind Wesen, die Zugang zu einer intelligiblen Welt der Rationalität haben und gleichzeitig werden wir immer auch irrationale Wesen bleiben, knietief im Leben stehend.

        Das ist unsere menschliche Natur und wie wir mit diesem Sachverhalt umgehen macht unseren persönlicher Charakter aus.

    • @pitpit pat:

      Ähm, apropos Psychologie: Schon mal überlegt, wie das dem Patienten mit schlechten Aussichten, sofern er noch wach und halbwegs im Besitz seiner geistigen Kräfte ist, vermittelt werden soll ?

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @jhwh:

        Jedem Krebskranken im Endstadium der Erkrankung sagt man, das man nichts mehr tun kann. Es ist die Art und Weise wie man es dem Patienten und Angehörigen mitteilt. Eventuell möchte der Patient noch Dinge regeln(Testament oder Familienangelegenheiten)

        • @97287 (Profil gelöscht):

          In Ihrem Beispiel geht es um Nichtbehandlung bei aussichtsloser Prognose. PITPIT PAT und ich diskutierten den von der DIVI vorgeschlagenen Behandlungsabbruch (!), wenn ein anderer Patient eine bessere Prognose hat und die Geräte braucht.

      • @jhwh:

        Ja, hat mir aber nicht gefallen.

  • Diese Abwägung ist alles andere als trivial.



    Wem soll zuerst geholfen werden ? Denen, denen es am schlechtesten geht und die am dringendsten Hilfe brauchen ? Oder denen, die die besten Überlebensaussichten haben ? Beide Gruppen überlappen sich, wie man sich vorstellen kann, nur wenig.



    Der Deutsche Ethikrat hat in der Transplantationsmedizin klar zugunsten der ersten Gruppe entschieden. Das wird m.W. auch von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt.



    Bei der Notversorgung von Coronakranken wird jetzt die heiße Kartoffel an "ärztliche Fachgesellschaften" weitergegeben, die bekannterweise die zweite Gruppe bevorzugen. Konsistenz ? Fehlanzeige.

    • @jhwh:

      Der Unterschied zwischen beiden Fällen könnte darin liegen, dass die meisten Patienten, die dringend ein Spenderorgan brauchen, mit dem Spenderorgan vermutlich erstmal überleben werden, während das bei Patienten mit Covid, die bereits invasiv beatmet werden und in einem kritischen Zustand sind, möglicherweise unsicherer ist.

      • @pitpit pat:

        Ja, im ersten Fall geht es um das mittel- bis langfristige Überleben im zweiten wohl eher um das kurzfristige (wobei die Kriterien der "Fachgesellschaften" das nicht so genau festlegen). Der ethische Konflikt bleibt aber der Gleiche.

        • @jhwh:

          Der ethische Konflikt muss beantwortet werden, auch wenn wir beide wahrscheinlich den Luxus haben dies nur als theoretisches Problem zu diskutieren. Notfallmedizin und Quietismus passen nicht so gut zusammen.

          Ein weiterer Unterschied ist auch: Kriegt der eine nicht die Niere, kriegt sie ein anderer. Einer lebt, einer stirbt.



          Im aktuellen epidemischen Fall ist die Gleichung aber wahrscheinlich anders: Einer stirbt, dafür können vielleicht zwei überleben.

          BTW: Haben Sie eigentlich ein Problem mit Ärzten, dass Sie Fachgesellschaften in Anführungsstriche setzen? Oder möchten Sie ihnen nur subtil die Kompetenz absprechen?

          • @pitpit pat:

            Korrektur: Wenn bei Orantransplantationen die dringensten Fälle zuerst berücksichtigt werden, dann eben darum, dass man verhindern möchte, dass einer stirbt. Es zielt wohl darauf ab, dass, wenn die gefährdesteten zuerst behandelt werden, der nächste auf der Liste noch lebt, wenn das nächste Organ verfügbar ist.

            Das ist aufgrund des Krankheitsverlaufs bei Covid und den Gründen der Triage (Personal, Intensivbetten, Beatmungsmaschinen) etwas anders.

            • @pitpit pat:

              Die "Nutzenbetrachtung" (mir fällt kein besseres Wort ein) bei Organtransplantationen ist noch komplizierter: Ein Patient im Endstadium des Organversagens hätte ohne Transplantation statistisch vielleicht noch ein halbes Jahr zu leben. Er erhält als dringender Fall ein Spenderorgan, hat aber, weil seine anderen Organe schon in Mitleidenschaft gezogen wurden, nur noch eine Überlebensaussicht von vielleicht 2 Jahren (das schließt die Sterblichkeit bei der OP und kurz danach in der Klinik mit ein). Ein zu diesem Zeitpunkt (bis auf sein versagendes Organ) noch halbwegs gesunder Patient hätte dagegen mit Transplantation eine Überlebensaussicht von vielleicht 20 Jahren, geht aber wegen der Dringlichkeit des anderen leer aus und muss wegen der Organknappheit warten, bis seine Überlebensaussicht nach Transplantation auch nur noch 2 Jahre beträgt. Geht man also nach Dringlichkeit, gewinnt man mit 2 Spenderorganen 4 Jahre Leben. Geht man nach Erfolgsaussichten, gewinnt man mit einem Spenderorgan 20,5 Jahre.



              Die Zahlen mögen in der Realität etwas anders sein aber das Dilemma bleibt. Um den Nutzen einer knappen Ressource (hier Spenderorgan, dort Beatmungsgerät) zu maximieren, muss man den schwächeren Patienten seinem Schicksal überlassen. Natürlich haben Sie auch Recht, wenn Sie argumentieren, daß bei einer Notfalltriage die Rechnung anders wäre (i.a. kurzfristig zwei Tote gegen einen).



              ad BTW: Die Anführungsstriche kennzeichnen hier das Zitat. Kein Problem mit Ärzten :) Die Diskussion, ob nicht besser die Bundesärztekammer anstatt einer Fachgesellschaft wie der DIVI hinzugezogen werden sollte, würde jetzt zu weit führen ...

              • @jhwh:

                Danke für die lange Antwort, über die ich noch nachdenken muss.

                Verzeihen Sie bitte meinen rauhen Ton von gestern. Ich hatte einen schlechten Tag.

                • @pitpit pat:

                  Auch ich bedanke mich. Ihre Argumente haben doch eine Schwäche meines Vergleichs aufgezeigt. Ihr Ton war für mich im grünen Bereich.



                  Ich wünsche Ihnen heute einen besseren Tag ;)

                  • @jhwh:

                    Vielen Dank! ;)

  • Man wird sich wohl eingestehen müssen, dass es hier um Grenzsituationen geht in denen gute oder gerechte Entscheidungen nicht mehr möglich sind.



    Wie will man denn etwa "Erfolgsaussichten" beurteilen, wenn man einen Fall dessen Überlebenschancen mit künstlicher Beatmung ganz passabel, ohne aber garantiert nicht vorhanden sind und einen weiteren der ohne Beatmung wahrscheinlich auch ganz gute Chancen hätte, bei dem sie aber nach den Regeln der ärztlichen Kunst ebenfalls angezeigt wäre?

  • Vielleicht geht es ja in so einem Fall tatsächlich nicht anders.

    Dennoch gruselt es mich bei der Vorstellung, dass es ausgemachte Sache ist, dass Alte, Kranke und Behinderte als erste über die Planke gehen werden.

    Wenn ich wüsste, wie das geht, würde ich dafür beten, dass es nicht so weit kommt.

    • @Jim Hawkins:

      So können Sie´s machen: Knien Sie sich hin, falten Sie die Hände, schließen Sie die Augen (oder gucken Sie nach oben), und sprechen oder denken Sie irgendwas wie "Lieber himmlischer Vater" (damit ist der liebe Gott gemeint), dann das, was Sie wollen, und wenn Sie fertig sind, sagen Sie "Amen".

      Bringt aber erfahrungsgemäß nichts.

      • @Budzylein:

        Merkt Gott das nicht, wenn man ihn bescheißen will?

        • @Jim Hawkins:

          Der liest hier sogar mit.

          • 0G
            05158 (Profil gelöscht)
            @Alexander Stein:

            Na, jut,jut!



            ;-)

        • 0G
          05158 (Profil gelöscht)
          @Jim Hawkins:

          OFFTOPIC!!



          Da gibt es ausgefeilte Taktiken!

          „Herrgottsbscheißerle“

          www.stuttgarter-ze...-c2c80da43e2f.html

          • @05158 (Profil gelöscht):

            Die sind mir als Schwabe natürlich wohlbekannt.

            Außerdem liebe ich die Verlogenheit der Katholischen Kirche.

            • 0G
              05158 (Profil gelöscht)
              @Jim Hawkins:

              „Die Glocken fliegen nach Rom"

              „Wenn im Turm die Glocken läuten,



              kann das vielerlei bedeuten.



              Erstens: dass ein Festtag ist.



              Dann: dass du geboren bist.



              Drittens: dass dich jemand liebt.



              Viertens: dass es dich nicht mehr gibt.



              Kurz und gut,



              das Glockenläuten



              hat nur wenig zu bedeuten."

              Erich Kästner

  • Man sollte nicht vergessen, dass Beatmung hier ohnehin nicht die lebensrettende Maßnahme ist, zu der sie in den Medien manchmal gemacht wird. Wer einmal so weit ist, dass er beatmet werden muss, hat maximal eine Chance von ca. 50% das zu überleben, oft mit Folgeschäden.