Energiegeschäfte mit Russland: Die Gas-Connection
Was 1970 mit dem Erdgas-Röhren-Geschäft mit der Sowjetunion begann, könnte jetzt mit dem barbarischen Krieg in der Ukraine enden.
Rubel oder Euro? Sofortiges Embargo oder langsamer Ausstieg? Der Krieg in der Ukraine und Wladimir Putins Psychospielchen um die Gaslieferungen führen die Abhängigkeit Deutschlands von den Energierohstoffen von Gazprom und Co brutal vor Augen. Diese Abhängigkeit hat eine lange Vorgeschichte, in der sich deutsche Wirtschaftsinteressen mit der Vorstellung von „Wandel durch Handel“ verquickten. Ein Blick in die Historie hilft zu verstehen, wie es überhaupt so weit kommen konnte.
Der Essener Deal
Am 1. Februar 1970 unterschreiben in der Essener Nobeladresse Kaiserhof die Manager von Mannesmann, Ruhrgas AG und Deutscher Bank mit ihren sowjetischen Verhandlungspartnern den Vertrag zu einem einträglichen Milliardengeschäft. Mannesmann liefert den Sowjets Großröhren, die für eine 2.000 Kilometer lange Pipeline reichen. Die Deutsche Bank schießt einen günstig taxierten Kredit von 1,2 Milliarden Mark vor, damit die Käufer die Ware bezahlen können. Im Gegenzug liefert die Sowjetunion 20 Jahre lang bis zu 3 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr. Die Ruhrgas AG verteilt und verkauft alles. Für die Beteiligten ist es eine Win-win-win-win-Situation.
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Der spektakuläre Erdgas-Röhren-Handel beendet die 1962 auf Druck der USA verhängte Embargopolitik der Nato. Sie hatte es den Deutschen strikt verboten, an Obstblockstaaten Röhren für den Bau von Öl- und Gaspipelines zu verkaufen. Die damalige Doktrin: Keine Geschäfte mit dem kommunistischen Feind, die seine Entwicklung voranbringen.
Schon 16 Monate nach dem Essener Deal wird aufgestockt. Die russischen Gaslieferungen werden mehr als verdoppelt – statt 3 werden jetzt 7 Milliarden Kubikmeter im Jahr geliefert – und Mannesmann darf weitere Röhren im Gegenwert der Gasimporte verkaufen. Wieder finanziert die Deutsche Bank das Ganze mit einem Milliardenkredit. Die Bonner Politik begleitet den Handel mit Wohlwollen und Bürgschaften. Willy Brandt hat schon als Außenminister ab 1966 wirtschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion gefördert. Jetzt als Bundeskanzler setzt er auf friedliche Koexistenz und Entspannung.
„Beginn einer wunderbaren Freundschaft“
Brandt sieht – 25 Jahre nach dem Krieg – in den Gaslieferungen aus Sibirien weniger die Gefahr einer Abhängigkeit als einen Vertrauensbeweis gegenüber dem einstigen Todfeind. Einwände der USA werden abgewehrt und bald wird Bonn zusätzliche Argumentationshilfe erhalten.
Im Oktober 1973 fließt das erste sibirische Gas in die Bundesrepublik, der „Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, frozzelt die Zeit. Im selben Monat eskaliert die Ölkrise. Die arabischen Förderländer drosseln die Produktion, um den Westen für die Unterstützung Israels im Jom-Kippur-Krieg abzustrafen. Der Ölpreis lernt fliegen, die Regierung Brandt muss Benzin rationieren, sie verhängt Sonntagsfahrverbote und strenge Tempolimits; die Nation fühlt schmerzhaft die Abhängigkeit von „den Ölscheichs“.
Die westlichen Länder geraten unter Druck, ihre Energiepolitik versorgungssicher zu machen. Da sind die Gaseinkäufe aus der Sowjetunion eine gute Alternative. Weitere europäische Länder setzen ebenfalls auf sowjetisches Gas und Öl. Der Handel blüht auf, die Sowjets haben auch Uran für bundesdeutsche Atommeiler im Angebot.
Im Jahr 1979 bekräftigt die zweite Ölkrise nach der iranischen Revolution die Energiepartnerschaft mit der Sowjetunion, dann stellt sie der neue Kalte Krieg vor ernsthafte Belastungsproben. Der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan und der Nato-Doppelbeschluss mit der Aufstellung neuer Mittelstreckenraketen sorgen für frostige Beziehungen zum Kreml. Doch das Gas fließt weiter, der Pakt „Energie gegen Devisen“ scheint auch in schlechten Zeiten zu funktionieren.
Über Nacht werden Milliardäre gemacht
Als deutsche Wirtschaftsbosse Ende 1979 nach Moskau reisen, ist die sowjetische Intervention in Afghanistan vergessen. Die Gasimporte, so die neue Vereinbarung, werden nochmals kräftig erhöht, sie steigen auf 30 Prozent des Verbrauchs. Bundeskanzler Helmut Schmidt unterstützt den neuen Deal nach Kräften. „Wandel durch Handel“ ist seine Devise oder frei nach Jimmy Carter: Wer Geschäfte miteinander macht, schießt nicht aufeinander.
Um den Westexport und damit die Deviseneinnahmen zu sichern, kürzt Generalsekretär Breschnew zu Beginn der 1980er Jahre lieber die Energielieferungen an die sozialistischen Bruderländer, auch an die DDR. Es kriselt, das in Polen verhängte Kriegsrecht führt 1981 zu neuen US-Sanktionen gegen die Sowjetunion. Immer wieder warnt Washington die Europäer vor drohenden Abhängigkeiten. Doch die Gas-Connection überlebt unbeschadet, bis 1989 der Eiserne Vorhang fällt. War es auch der „Wandel durch Handel“, der den kommunistischen Block zu Reformen und schließlich zur Öffnung gezwungen hat? Diese Frage bleibt umstritten.
Im Jahr 1989 betritt ein neuer Akteur die energiepolitische Bühne: Das sowjetische Gasministerium wird in das russische Staatsunternehmen Gazprom umgewandelt, 1992 wird es zur Aktiengesellschaft.
Es ist der Auftakt einer hemmungslosen Bereicherung der früheren sowjetischen Nomenklatura und ihrer Familien. Unzählige Tochtergesellschaften und Scheinfirmen entstehen, Aktienpakete und lukrative Aufträge an Gashandelsfirmen werden hin- und hergeschoben. Über Nacht werden Milliardäre gemacht.
Gazprom wird zum verlängerten Arm Putins
Zunächst setzt Generalsekretär Gorbatschow den korrupten Ex-Gasminister Viktor Tschernomyrdin an die Konzernspitze, danach führt unter Boris Jelzin Tschernomyrdins Vize Rem Wjachirew das Unternehmen, bis Wladimir Putin im Mai 2001 seinen alten Gefolgsmann Alexei Miller als Gazprom-Chef inthronisiert. Nach und nach wird die gesamte Konzernspitze mit ehemaligen Geheimdienstleuten besetzt.
Gazprom wird zum verlängerten Arm, zur politischen Waffe Putins, Erpressungen und Drohungen gehören zum normalen Geschäftsgebaren. Auch wenn man in Deutschland damals kaum Notiz davon nimmt: Putin nutzt die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gegenüber anderen Staaten mit aller Brutalität. Der Gas- und Ölhahn wird auf- und zugedreht, Preise werden glatt verdoppelt, dann wieder für moskautreue Vasallen gesenkt. Georgien, Lettland, Litauen, Polen und immer wieder die Ukraine werden massiv unter Druck gesetzt.
Am Jahresbeginn 2006 eskaliert der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine. Russland hat neue Tarife für den Gastransit durch die Ukraine diktiert und will für den Eigenverbrauch Kiews „marktorientierte Preise“ durchsetzen.
Als die Ukraine sich weigert, die heftigen Aufschläge zu akzeptieren, stoppt Putin die Lieferungen im eiskalten Januar. Die Auswirkungen sind auch bei den europäischen Abnehmern zu spüren. Dort wirken die Engpässe wie eine Schocktherapie. Bulgarien, Estland, Finnland, Lettland, Litauen und die Slowakei sind zu 100 Prozent von russischem Gas abhängig.
Unterdessen beginnt in den USA der Frackingboom, das Land steigt auf zum größten Gasproduzenten. Doch US-Gas ist teuer, es muss verschifft und an speziellen LNG-Terminals abgeladen werden, dafür gibt es keine Infrastruktur.
Gazprom expandiert weiter aggressiv in die europäischen Märkte, will die Herrschaft über Netze und Gasspeicher bekommen. In Deutschland haben der Konzern und Präsident Putin, dem mehrere politische Morde zur Last gelegt werden, einen Freund gefunden: Gerhard Schröder. Für den deutschen Kanzler ist Putin ein „lupenreiner Demokrat“. Gemeinsam treiben sie eine neue Ostseepipeline voran, die jährlich 55 Milliarden Kubikmeter russisches Gas nach Mecklenburg-Vorpommern transportieren soll. Die Rohre umgehen aufmüpfige Transitländer.
Europa macht sich mit Nord Stream 2 abhängig
Doch im September 2005 ist die Wiederwahl von Putins Freund im Kanzleramt fraglich. Zehn Tage vor der Bundestagswahl unterschreiben Schröder und Putin noch schnell die Vereinbarung für eine neue Pipeline: Nord Stream. Schröder verliert die Wahl am 18. September. Wenige Wochen später, am 9. Dezember 2005, setzt Gazprom-Chef Miller den ersten Spatenstich für das Projekt. Gleichzeitig verkündet er, dass Schröder Aufsichtsratschef von Nord Stream wird. „Unverschämt“, kommentiert das für die Grünen Reinhard Bütikofer.
Am 8. November 2011 nimmt Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit 500 Ehrengästen die Ostseepipeline in Betrieb, die Erweiterung Nord Stream 2 wird im Februar 2022 nach dem Überfall auf die Ukraine von der neuen Ampelregierung blockiert.
Im März 2014 haben die Gasgeschäfte mit Russland auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim überlebt. Im April 2014 kommentiert die Energy Watch Group, ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern und Parlamentariern, die Lage mit prophetischen Worten: „Russland wird nicht automatisch und schon gar nicht für immer ein verlässlicher Energielieferant für Europa bleiben. Die gesamte EU steckt längst in russischer Abhängigkeit. […] Dem Diktat der Rohstoffbeschaffung werden faktisch alle wichtigen politischen Grundsätze und Werte geopfert.“
Genauso kommt es: Im Frühling 2022, mitten im Bombenhagel von Putins Krieg gegen die Ukraine, beziehen Deutschland und die EU weiterhin Gas, Öl und Kohle in gewaltigen Mengen aus aus Russland.
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