E-Mobilität und Autonomes Fahren: Wozu noch Autos?
Wenn das autonome Fahren kommt, wird sich unsere Mobilität erheblich verändern. Das Thema wird aber reichlich fantasielos diskutiert.
D ie Zeit ist reif für ein Gedankenspiel. An dessen Ende könnte die Erkenntnis stehen, dass die Ladebox für das eigene Elektroauto künftig genau so überflüssig sein wird wie überhaupt die eigene Garage.
Doch der Reihe nach. Es soll bei diesem Gedankenspiel um das autonome Fahren gehen. Denn dieses dürfte die Art und Weise, wie wir unsere Mobilität organisieren, stärker verändern, als es viele Akteure in unserer Gesellschaft heute noch glauben. Selbst Verkehrsexperten zeigen sich mitunter noch reichlich fantasielos, wenn es darum geht, die Bedeutung dieser technischen Entwicklung zu ermessen.
Zum Beispiel erklärte ein Vertreter des Verkehrsclubs VCD kürzlich, für seine verkehrspolitischen Zukunftsbetrachtungen spiele das autonome Fahren noch keine Rolle, denn mit dieser Technik würden ja nur Oberklasse-Fahrzeuge ausgestattet. Und die könnten sich schließlich nur wenige Autofahrer leisten.
Welch eingegrenzte Sichtweise! Denn warum, bitteschön, sollte man sich ein autonom fahrendes Auto überhaupt kaufen? Denn dieses kommt angefahren, wenn man es braucht, gerufen per App. Der Preis des Fahrzeugs spielt dann für den Nutzer keine Rolle, sondern nur der Preis pro Fahrtkilometer. Sich ein autonom fahrendes Auto zu kaufen, ist ähnlich sinnvoll, wie sich ein Restaurant zu kaufen, weil man gerne essen geht.
Unsere Kinder werden kein Auto brauchen
Das autonom fahrende Auto, davon sollte man ausgehen, wird unser tradiertes Verhältnis zum Pkw massiv verändern. Die Unterscheidung zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr wird verschwimmen. Und manche Berufe werden aussterben: Kein Mensch wird mehr einen Taxifahrer brauchen, einen Fahrlehrer auch nicht. Die Kinder, die heute die Kindergärten besuchen, werden vermutlich keinen Führerschein mehr machen, weil sie ihn schlicht nicht mehr benötigen.
Denn das autonome Fahren schreitet mit Macht voran – Ingenieure haben verschiedene Level definiert. Aktuell sind Fahrerassistenzsysteme (Level 1) schon weit verbreitet. Manche Fahrzeuge verfügen bereits über Komponenten von Level 2 („Teilautomatisiertes Fahren“). Dazu zählt ferngesteuertes Einparken. Auch Level 3 („Hochautomatisiertes Fahren“) wird in Forschungsfahrzeugen schon getestet. Dann folgt Level 4 („Vollautomatisiertes Fahren“), wobei der Fahrer nur noch in Bereitschaft wacht, um notfalls einzugreifen. Bei Level 5 werden alle Personen im Wagen zu Passagieren.
Der Zürcher Zukunftsforscher Lars Thomsen geht davon aus, dass Level 5 im Jahr 2026 erreicht sein wird. Dann werde man die ersten Fahrzeuge sehen, die völlig selbstständig agieren, die keinen Fahrer mehr haben und nicht einmal mehr ein Lenkrad, allenfalls noch einen Notausknopf.
Potentielles Ziel für Hacker
Die Begleiterscheinungen dieser Technik sind vielfältig, einige auch heikel. Man wird in enormem Ausmaß dezentrale Serverkapazitäten aufbauen müssen, um Latenzzeiten der Kommunikation zu minimieren. Man wird gigantische Datenmengen verarbeiten müssen, was – 5G lässt grüßen – einen enormen Ausbau des Mobilfunks erfordert und viel Energie kostet. Ferner werden personenbezogene Daten in großer Menge anfallen. Und für Hacker wird das Verkehrssystem ein potenzielles Ziel werden.
Alle diese Konsequenzen sind erheblich, aber sie sollen hier nicht das vorherrschende Thema sein. Vielmehr soll sich dieses Gedankenspiel um die Frage drehen, was das vollständig autonome Auto für die Städte bedeutet.
Der Kerngedanke: Weil eigene Autos durch solche von Mobilitätsanbietern ersetzt werden, kommt jedes Fahrzeug erst angerollt, wenn man es braucht. Pkws, die – wie heute – im Durchschnitt 23 Stunden am Tag herumstehen, werden dann Geschichte sein. Künftig werden die Fahrzeuge im Laufe des Tages eine Vielzahl von Passagieren befördern; ob nacheinander oder – bei gleicher Route – auch gemeinsam, entscheidet der Kunde. Wer unbedingt allein fahren will, bezahlt dann eben mehr für den Kilometer.
Die Chancen des autonomen Fahrens
Selbst wenn die Menschen dann nicht weniger unterwegs sein werden als heute, wird es möglich sein, dieses Mobilitätsbedürfnis mit deutlich weniger Fahrzeugen zu befriedigen. Damit werden in großem Stil Parkplätze in den Städten frei. Das ist die große Chance des autonomen Fahrens. (Neben dem Vorteil der verbesserten Sicherheit, weil autonome Autos sich stets ans Tempolimit halten, weil Autos niemals alkoholisiert fahren, nie übermüdet sind oder senil werden, weil sie über kein Testosteron verfügen, und – anders als der Mensch – gleichzeitig konzentriert fahren und Mails checken können.)
Vor allem sollten sich jene Akteure die Mobilität der Zukunft vor Augen halten, die heute Entscheidungen für Jahrzehnte treffen – also speziell in den Sektoren Hausbau und Stadtplanung. So wirft das autonome Fahren zwingend die Frage auf, ob es heute noch sinnvoll ist, Häuser durch teure Tiefgaragen noch teurer zu machen.
Geht man davon aus, dass das Fahrzeug der Zukunft elektrisch fährt, ist es zudem sinnvoll, auch bei der Planung der Ladeinfrastruktur das autonome Fahren zu antizipieren. Denn wer kein eigenes Auto mehr fährt, braucht auch keine Ladebox in der Garage mehr. Und die öffentlichen Ladestationen befinden sich idealerweise dort, wo die fahrerlosen Autos ohnehin verweilen, wenn sie gerade nicht gebucht sind. Das wird vermutlich eher in einem Industriegebiet der Stadt sein, als an einer Tankstelle an der Autobahn.
Die Gedanken spielen lassen
Über Details der Entwicklung kann man freilich spekulieren. Sicher aber ist: Wenn der neue Modebegriff der Disruption irgendwo passt, dann beim autonomen Fahren und dessen Folgen für unsere Mobilität. Autohersteller und Verkehrsunternehmen sowie die Googles und Ubers der Welt haben das begriffen. In der Öffentlichkeit hingegen werden die Umbrüche bislang kaum diskutiert. Unbefangene Gedankenspiele können helfen, das zu ändern.
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