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Drittstaatler aus der UkrainePlötzlich von Abschiebung bedroht

Wer aus der Ukraine geflohen ist, aber keinen ukrainischen Pass besitzt, verliert am Mittwoch seinen Schutzstatus. Studierende und Fachkräfte fürchten Abschiebung.

Das Brandenburger Tor leuchtet für die Ukraine – doch nicht für alle, die Schutz suchen Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Sie sind vor den Bomben auf die Ukraine geflüchtet und leben seit drei Jahren in Berlin – doch nun ist ihr Aufenthalt in der Hauptstadt auf einmal unsicher. Über 1.800 Flüchtlinge aus der Ukraine, die keine ukrainischen Staatsangehörigen sind, stehen ab Mittwoch ohne Aufenthaltsrecht da.

Während für ukrainische Staatsbürger der Schutzstatus in der EU um ein weiteres Jahr bis März 2025 verlängert wurde, erlischt der für nicht ukrainische Staatsbürger. In Kürze könnten bei ihnen also amtliche Aufforderungen reinflattern, Deutschland zu verlassen – ob in Richtung Ukraine oder in ihr ursprüngliches Heimatland, ist ihnen überlassen. Reisen sie nicht aus, könnte im nächsten Schritt die Abschiebung drohen – in den Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie haben.

Die Menschen stammen beispielsweise aus Nigeria, Kenia, Ghana, Somalia, Vietnam, Thailand, Ägypten und Syrien. Sie haben in der Ukraine studiert, dort als Geschäftsleute oder anerkannte Flüchtlinge gelebt oder sie haben mit Ukrainern eine Familie gegründet.

Die Entscheidung, die Aufenthaltserlaubnisse auslaufen zu lassen, kommt aus dem Bundesinnenministerium. In Berlin gebe es dagegen grundsätzlich den politischen Willen, auch ukrainischen Geflüchteten aus Drittstaaten Schutz zu gewähren, sagt Emily Barnickel vom Berliner Flüchtlingsrat der taz. „Politisch hat man sich auf den ‚Berliner Weg‘ geeinigt, das heißt, bei diesen oft hoch qualifizierten Personen ein Fachkräftevisum großzügig zu prüfen. Berlin hat ja ein öffentliches Interesse an der Zuwanderung von Fachkräften“, so Barnickel.

Der Weg zu einem sicheren Aufenthaltstitel ist schwer

Nicht betroffen vom Auslaufen des Aufenthaltsrechts ist, wer einen ukrainischen Familienangehörigen hat. Das betrifft beispielsweise viele vietnamesische Familien, deren Kinder in der Ukraine geboren wurden und oft einen ukrainischen Pass besitzen, oder auch syrische Staatsbürger, die eine ukrainische Person geheiratet haben. Auch für Menschen, die in der Ukraine als anerkannte Flüchtlinge lebten, gilt das Aufenthaltsrecht weiter. Das betrifft jedoch nur eine sehr kleine Zahl von Menschen.

Völlig chancenlos ist indes auch die Situation für die Ukraineflüchtlinge aus Drittstaaten nicht. Es gibt die Möglichkeit, das bisherige Aufenthaltsrecht als Flüchtling aus der Ukraine in ein anderes umzuwandeln, beispielsweise in ein Arbeitsvisum oder ein Visum für eine Ausbildung oder den Familiennachzug. Doch viele Betroffene wissen schlicht nicht, dass es diese Option gibt.

Für ein neues Aufenthaltsrecht müssen die Ukraineflüchtlinge aus Drittstaaten deutsche Sprachkenntnisse und einen Arbeitsplatz nachweisen und dürfen keine Straftaten begangen haben. Vor allem aber: Es muss ihnen erst einmal gelingen, in dem völlig überarbeiteten Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) einen Termin für die Umwandlung der Visa zu buchen. Hier, so Barnickel, hapere es allerdings an der Umsetzung.

Viele Abschlüsse werden nicht anerkannt

Auch eine Rolle spiele, dass bei Geflüchteten aus der Ukraine aus den Pässen nicht klar hervorgehe, dass sie in Deutschland arbeiten dürfen, so Barnickel. Das mache es Arbeitgebern schwer, zu erkennen, dass sie diese Personen hier einstellen dürfen – die einen Arbeitsvertrag aber brauchen für das umgewandelte Aufenthaltsrecht.

Oleksandra Bienert von der Allianz Ukrainischer Organisationen (AUO) ergänzt, dass viele Abschlüsse aus der Ukraine zudem in Deutschland nicht anerkannt seien, sodass sich Hochschulabsolventen auf Hilfsjobs bewerben müssten. Schü­le­r:in­nen müssten teils mehrere Schuljahre wiederholen.

Ihre Erfahrung sei es zudem, dass gerade Menschen aus afrikanischen Staaten dorthin nicht zurückkehren können. „Sie haben ihr gesamtes Kapital darein investiert, in der Ukraine studieren zu können. In ihren Herkunftsländern stehen sie darum vor dem Nichts.“ Bienert zufolge seien das viele Ärzte und Ingenieure, die kurz vor ihrem akademischen Abschluss standen und die mit vergleichsweise geringen Mitteln für den akademischen deutschen Arbeitsmarkt zu Ende qualifiziert werden könnten.

Unterstützung für vietnamesische Geflüchtete

Sehr engagiert kümmert sich die vietnamesische Community in Berlin um mehrere Hundert vietnamesischstämmige Ukraineflüchtlinge. 2022 haben viele Menschen sie in ihren Wohnungen aufgenommen. Inzwischen sind viele Flüchtlinge in vietnamesischen Gemeinden integriert. Einige haben auch Arbeit in vietnamesischen Restaurants gefunden oder werden von vietnamesischen Firmen ausgebildet. Das erzählt Hung Manh Le der taz, der einige von ihnen unterstützt.

Die vietnamesischen Ukraineflüchtlinge haben inzwischen einen eigenen Verein gegründet. „Die Problemlagen sind unterschiedlich“, berichtet Le der taz. „Wer in der Ukraine studiert oder als Arbeitnehmer gearbeitet hat, sieht die Zukunft oft in Deutschland und bemüht sich in der Regel um deutsche Sprachkenntnisse und Arbeit.“

Er wisse dagegen von einer kleinen Gruppe von vietnamesischstämmigen Geschäftsleuten aus der Ukraine, die zwischen Berlin und Charkiw oder Kyjiw hin- und herpendelten. Sie kümmerten sich dort um ihre Firmen und hätten die Option, in die Ukraine zurückzukehren, sodass sie kein Deutsch lernen würden. Le: „Nach Vietnam wollen sie natürlich nicht zurückkehren.“

Doch genau dorthin könnte ihnen die Abschiebung drohen, wenn sie keinen ukrainischen Pass oder keine minderjährigen Kinder mit ukrainischer Staatsangehörigkeit haben. Wie viele von ihnen die vietnamesische und wie viele die ukrainische Staatsangehörigkeit haben, weiß Le nicht. Die vietnamesische Community berät die Leute eher nicht in aufenthaltsrechtlichen Fragen, weil auch ihnen das Wissen dazu fehlt.

Das versucht sich Vicky Germain vom Landesbeirat für Partizipation anzueignen. Sie ist mit vielen afrikanischstämmigen Ukraineflüchtlingen im Gespräch und versucht, zwischen ihnen und den Behörden zu vermitteln.

Als Vertreterin des Landesbeirates hatte sie letzte Woche ein Gespräch beim LEA mit der Bitte um eine politische Lösung. „Aus diesem Gespräch bin ich allerdings mit Tränen herausgegangen. Ich kann zwar nicht ausschließen, dass es den guten Willen gibt, aber wir bekommen als Zivilgesellschaft leider keinerlei Informationen.“ Germain fordert eine humanitäre Lösung für diese Ukraineflüchtlinge. „Das muss angesichts des Fachkräftemangels möglich sein.“

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19 Kommentare

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  • ABSOLUT RICHTIG. Man muss sich einfach mal vor Augen halten was Schutzstatus wirklich bedeutet: Einfach gesagt, dem Deutschen Jonas wird von seinem hart verdienten Lohn etwas abgezweigt, um humanitär Menschen zu versorgen deren Heimat gerade zerbombt wird. Das zählt aber niemals für Drittstaatler, weil in deren Heimat kein Krieg ist.

  • Verstehe ich das richtig? Diese Studenten befinden sich seit drei Jahren hier, auf unsere Kosten, und schreiben sich nicht in Polen, Russland, Schweden, Türkei ein um weiter zu studieren? Den Aufenthalt in der Ukraine hat denen doch die Ukraine nicht bezahlt. Lieber hier in D eine schöne Zeit haben, statt nach Hause zu fahren, dort zu studieren und dort was für die eigene Familie zu tun. Es gibt wirklich viele Hilfsbedürftige. Worin besteht Hilfsbedürftigkeit bei Leuten, die ein zuhause haben?

    • @fresh eudora:

      Sie haben es nicht richtig verstanden. Diejenigen, auf die Ihre Darstellung zutrifft, werden tatsächlich jetzt Schwierigkeiten bekommen, ihren Aufenthaltstitel zu verlängern. Aber die meisten waren eben weiter aktiv hier und haben daher auch eine Chance, mit anderen Gründen bleiben zu dürfen. Nur das pauschale Bleiberecht für Drittstaatler entfällt.

  • Wird der Schutzstatus für die Ukraine jetzt bis 2026 verlängert? Im Artikel steht 2025.

  • Wer mit Ukrainern verheiratet ist darf belieben, der Rest muss in die Heimat zurück wenn keine Verfolgung droht ganz einfach. Deutschland ist nicht dafür da jedem Menschen der kommt bei der Selbstverwirklichung zu helfen.

  • "dass viele Abschlüsse aus der Ukraine zudem in Deutschland nicht anerkannt seien, sodass sich Hochschulabsolventen auf Hilfsjobs bewerben müssten", hat doch schon seit Jahrzehnten Methode, nicht nur bei ukrainischen Abschlüssen.

    • @Paul Anther:

      Ja und auch seit Jahrzehnten gibt es ausländische Hochschulabschlüsse in deren Studium nur Theorie vorkam. Oder die auch im naturwissenschaftlichen Bereich 50% politische Indoktrination enthielten. Die Abschlüsse sind (leider) oft nicht äquivalent.

      • @fly:

        Aber seit gut 30 Jahren kommen Menschen aus "aller Herren Länder", wie es früher hieß, zu uns.

        Da müsste es doch längst Handbücher oder Dateien geben, in denen die Stärken, Schwächen und Knackpunkte bei den Hochschulabschlüssen der Herkunftsländer aufgelistet und bei Bedarf aktualisiert werden.

        Oder geht das wieder nicht, weil der Datenschutz diesen Austausch von Informationen verbietet?

        Oder hat man im Außen- und Entwicklungshilfeministerium verpennt, die Gesandschaften in den Herkunftsländern daran zu erinnern, dass sie nicht nur dafür da sind, "Kontakte" zu pflegen, indem sie mit Holland frühstücken, mit China oder Italien zu Mittag essen, den Nachmittag beim Golf mit England oder Indien totzuschlagen, um den Abend dann entspannt und bei exquisitem Essen mit Frankreich ausklingen zu lassen? ;-)

        • @ PeWi:

          Die Möglichkeit, Teile des Studiums oder der Ausbildubg hier zu ergänzen, gibt es doch bereits.

          Ist Gang und Gäbe.

          Ihre Häme gegenüber dem "Außen-und Entwicklungshilfeministerium" erschloss sich mir nicht.

          Zumal die Angelegenheit gar nicht in deren Ressort fällt.

    • @Paul Anther:

      Ja leider - und dass die Akademiker da unliebsame Konkurrenz mit voller Absicht als Konkurrenz den ärmeren Schichten zuweisen, ist Teil des Problems.

  • Wie wäre es, wenn wir uns ausnahmsweise an das geltende Recht halten, das sehr genau erklärt, wann jemand ein Flüchtling ist. Von plötzlich kann auch keine Rede sein.

  • Es ist die altbekannte Leier: Abschieben, Schikanen und Härte - alles Produkte des Hinterherhetzens rechtsextremer Vorgaben. Und gleichzeitig dann das Gejammer, Fachkräfte irgendwo her zu holen. Ja was denn nun? So lange gestandene Politiker*innen nicht endlich das Maul aufmachen und sich für MENSCHEN einsetzen und sich nicht extrem feige wegducken, so lange werden sie weiter den Faschos Zulauf bescheren....

    • @Perkele:

      Das Argument, warum es beispielsweise Vietnamesen, die in Vietnam nicht politisch verfolgt sind, nicht zumutbar ist, nach Vietnam auszuweisen, ist nicht unbedingt nachvollziehbar, selbst wenn man voll hinter dem geltenden Asylrecht steht.

      Dazu brauchen Sie keine rechtsextremen Vorgaben.

      Möglicherweise werden Fälle gleichbehandelt, die nicht gleich sind.

      Wir reden hier von Flüchtlingen, die solidarische Leistungen in Anspruch nehmen, nicht von zuwandernden Fachkräften.

      Menschen, die kein Schutzbedürfnis haben, sondern einfach in ihr Herkunftsland zurückkehren könnten, als "Flüchtlinge" zu deklarieren, bringt den Rechten definitiv Zulauf.

      Es entspricht exakt deren Nrrativ, es kämen nur Leute, die keinen Schutz benötigen würden.

  • Es ist richtig , dass wir auch weiterhin unterscheiden wer ist verfolgt und wer nicht. Warum sollten wir Personen die nicht verfolgt werden, z.b Studenten aus Indien etc. ein Aufenthaltsrecht geben nur weil sie aus der Ukraine zu uns gekommen sind. Sie hatten jetzt lang genug Zeit Ihre Heimreise zu organisieren. Lasst uns die wirklich schutzwuerdigen schützen. Und schicken wir die die nicht verfolgt werden konsequent zurück

    • @Thomas Zwarkat:

      Indien hat seine Studenten damals direkt aus Polen nach Hause geflogen. Was noch offen ist sind die Studierenden afrikanischer Herkunft bei denen die Heimatländer keinen Finger rühren. Komischerweise sind davon mehr in Deutschland angekommen als an ukrainischen Unis vorher überhaupt immatrikuliert waren. Polen hat einfach eine Frist zur Heimreise gesetzt und damit war das Problem dort erledigt bzw. wurde nach Deutschland verlagert. Wir stellen uns aber wieder absichtlich dumm in der Verwaltung und werden dann natürlich übervorteilt.

      • @Šarru-kīnu:

        Ein weiterer Unterschied zu Polen dürfte sein, dass man dort nach Ablauf der gesetzten Fristen die gesetzlichen Regeln durchgesetzt hätte.

        Während in Deutschland, wie einige der Kommentare hier ja deutlich machen, sofort wieder eine Diskussion darüber bekommen, ob wir "rechte Narrative" bedienen, wenn wir geltendes Recht durchsetzen.



        Im Gegensatz etwa zu @Perkele glaube ich, dass diese Haltung der AfD die Wähler zutreibt, nicht angebliche "Härten" und "Schikanen".

        Ich bin mir auch nicht sicher, ob man nur die Verwaltung für die jetzige Situation verantwortlichen machen kann. Die Verwaltung setzt um, was Regierungen und Parlamente beschließen.

        Wir haben eine Bundesinnenministerin und 16 Ministerinnen und Minister in den Ländern. Die sich regelmäßig zusammensetzen, um aktuelle Fragen zu besprechen. Hier liegt meiner Meinung nach das Problem, wie auch bei manchen anderen Vorschriften, die Flüchtlingen erschweren, sich zu integrieren und Arbeit zu finden. Man will sich nicht kümmern, wie schon zu Frau Merles Zeiten - und ist dann nach steigenden AfD-Wählerzahlen wieder "sehr betroffen".

  • Aus einem Geflüchteten einen geordneten Migranten zu machen ist für unser Innenministerium viel zu queer, als das soetwas vorstellbar wäre. Am besten jetzt schon mit Ausländischer Adresse einen offiziellen Einreiseantrag stellen, weil eine Fachkräftelücke besetzt werden kann.



    Anders wird das nix. Denn unsere Verwaltung kann ohne Bürokratie nicht arbeiten.

  • Ganz in historischer Tradition. So war es schon vor 80 Jahren.



    "Nicht betroffen vom Auslaufen des Aufenthaltsrechts ist, wer einen ukrainischen Familienangehörigen hat." Nur ging es damals überwiegend um jüdische Bürger mit individuell vergleichbarer Konsequenz. Je weniger Menschen noch leben, welche die damalige Zeit noch miterlebt haben, um so einfacher wird es wieder solch von der Verwaltung gestützten Anordnungen schamlos zu treffen. Wie Geschichtsvergessen dies doch ist.

  • Eine Gruppe bleibt unerwähnt, Ukrainer von der Krim.