Documenta-Chefin will nicht zurücktreten: Das Problem ist größer
Documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann steht für ein Kulturmilieu, das Kritik an BDS mit Rassismusvorwürfen kontert.
N achher will es wieder keiner gewesen sein. Kulturstaatsministerin Claudia Roth sagte jüngst, die Verantwortlichen der documenta hätten versagt. Die so vor allem Angesprochene, documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann, blieb der Kulturausschusssitzung des Bundestags fern, in der über antisemitische Darstellungen auf der Kunstschau gesprochen wurde. Inzwischen wurde bekannt, dass mindestens 84 Teilnehmer*innen der documenta fifteen Aufrufe zum Israelboykott unterschrieben haben, während anscheinend unter den über 2.000 Beteiligten keine Künstlerin aus Israel gefunden werden konnte.
Nun hat Schormann eine Erklärung abgegeben, in der sie alle Vorwürfe zurückweist: Seit Januar hätten „zunächst pauschale Antisemitismus-Vorwürfe“ im Raum gestanden: „Einzelne Beteiligte standen aufgrund ihrer Herkunft oder (vermeintlichen) BDS-Nähe im Fokus.“ Das ist falsch. Es wurde in der Debatte durchaus nüchterne Quellenkritik betrieben. Die Herkunft von Künstlern war ebenfalls nicht der Punkt, sondern ihre Unterstützung der BDS-Bewegung, die zum Teil mit antisemitischen Klischees arbeitet, zum Teil die Existenz Israels infrage stellt und sich unisono für einen Boykott israelischer Künstler und Wissenschaftlerinnen ausspricht.
Schormann steht mit ihrer Wahrnehmung allerdings pars pro toto für einen nicht kleinen Teil eines Kulturmilieus in Deutschland, das Kritik an den Aktivitäten des BDS kurzerhand mit Rassismus gleichsetzt, weil ihm die graue Wirklichkeit zu kompliziert ist. Wer sich Austausch mit dem Globalen Süden wünscht, sollte Menschen, die von dort kommen, auf Augenhöhe begegnen. Dazu gehört auch, solidarisch Kritik an ihren Äußerungen zu üben, wenn es einen Dissens gibt, statt paternalistisch zu erklären, Leute aus dem Globalen Süden dächten nun mal anders, wie man ständig zu hören bekommt.
Es mehren sich nun Rücktrittsforderungen an Schormann aus der Politik. Wichtiger ist, entschiedener all jenen entgegenzutreten, die Kritik an BDS pauschal mit Rassismus gleichsetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“