piwik no script img

Dobrindt lässt Migranten zurückweisenDie Ignoranz der Lehre vom 8. Mai

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Zum Jahrestag des Kriegsendes verkündet der neue Innenminister die Verschärfung der Migrationsabweisung. Er tritt die Lehren des 8. Mai 1945 mit Füßen.

Alexander Dobrindt (rechts) mit Bundespolizeipräsident Dieter Romann bei der Pressekonferenz am Mittwoch zu Lage an den Grenzen Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

P ünktlich zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fährt Alexander Dobrindt ganz großes Karo auf. Der frisch inthronierte Innenminister von der CSU schickt die Truppen des Bundesgrenzschutzes an die Grenze zu Polen und verkündet: Ab heute wird zurückgewiesen. Okay, wörtlich hat er das nicht gesagt. Aber inhaltlich umgesetzt wird es schon. Deutschland macht dicht, lässt keinen mehr rein, selbst wenn er oder sie ein Recht auf Asyl hat. Und damit ihn auch keine missversteht, ob der Größe seines Feldzugs gegen die Migration, verkündet Dobrindt auch noch, das Ganze sei „ein Signal an die Welt“.

Deutschland, Deutschland, gute Nacht.

Ach, was wäre es doch schön, wenn man diesen Wahnsinn als das typische Vorpreschen eines CSU-Hardliners lesen könnte. Aber nein. Dirk Wiese, der Parlamentarische Geschäftsführer der neuen SPD-Bundestagsfraktion, lässt gleich beim Morgenappell verkünden, dass die Sozialdemokraten geschlossen hinter Dobrindt stünden. Sogar der linke Flügel seiner Partei ziehe mit. Die Reihen fest …

Viele der sich hier Äußernden nehmen am Donnerstag an den Gedenkfeiern zum Kriegsende teil. Sie summen beherzt Nie- Wieder-Lieder und schwärmen vom Tag der Befreiung. Es ist zum … ja, man möchte schreien.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Denn der 8. Mai 1945 steht ja nicht nur für das Ende des Nationalsozialismus. Er steht auch für die Lehren, die aus der Zeit des Krieges und der Schoah gezogen wurden. Eine davon war das Recht auf Asyl, das 1949 an prominenter Stelle ins Grundgesetz gemeißelt wurde. Leider ist es nicht so, dass diese Politik gewordene Mahnung von den nachfolgenden Generationen besonders hoch gehalten wurde. Spätestens mit der zynisch „Asylkompromiss“ genannten faktischen Abschaffung 1993, ist sie eher zum Symbol von Geschichtsvergessenheit geworden.

Der scharfe Start der kleinen Groko aber lässt sich mit Geschichtsvergessenheit nicht mehr erklären. So doof, dass die Verantwortlichen nicht wüssten, wofür der 8. Mai steht, sind sie nämlich nicht. Es handelt sich folglich um aktive Geschichtsignoranz, die sich – was es wahrlich nicht besser macht – immer gern antreiben lässt von der Hetze der neuerdings sogar staatlich geprüft rechtsextremen AfD.

Und das soll die Lehre der Deutschen sein zum 8. Mai? Man kann sich am heutigen Gedenktag nur beschämt abwenden. Und an allen darauf folgenden Tagen auch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz. 2000 bis 2005 stellvertretender Leiter der Berlin-Redaktion. 2005 bis 2011 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Bluesky:@gereonas.bsky.social Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de ex-Twitter: @gereonas Foto: Anke Phoebe Peters
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Soeben wurde gemeldet, dass Merz bezüglich der Migration die nationale Notlage ausgerufen hat - bei zurückgehenden Zahlen.



    Eine Katastrophe!

  • Aktuelle Äußerung von Karl Theodor zu Guttenberg: CDU/CSU könnten bei der Regierungsbildung 2029 mit der AfD kooperieren (ggf. die C-Parteien als Juniorpartner); dies hänge von den politischen Entwicklungen der nächsten zwei Jahre ab. Die Ausgrenzung der AfD hält er für falsch. Man solle ihr ruhig eine Bühne geben und sie dort argumentativ stellen.



    Zu einer solchen Feststellung passen die aktuellen Handlungen der neuen Regierung sehr gut!



    Habe nur ich das Gefühl, dass es auf ein neues 1933 hinauslaufen könnte?

  • Danke für den Kommentar. Genau so ist es leider...

  • Erneut ein Beweis fehlender Sensibilität und so ärgerlich!



    Vielleicht sollten wir eine neue Maßeinheit für den Abstand zwischen zwei Fettnäpfchen einführen: 1 Merz.

  • Tja, Großvaters Politik lässt sich eben auch ganz gut ohne die AfD umsetzen - dank CDU/CSU und der mithinkenden SPD.

  • Ja, "Es ist zum …"



    Die "Christen" von der Union, als auch die Verräter (an den ehedem eigenen Idealen )von der SPD hätten wirklich gut daran getan, auf den verstorbenen Papst zu hören.



    taz.de/Neuer-Innen...bb_message_5001183



    letzter Satz

  • Das Erinnern an die eigene, festgeschriebene Verantwortung, die nun scheinbar für Migranten hintenrunter fällt, reiht sich ein in die Ignoranz für das Gedenken an Millionen von Opfern des Deutschen Vernichtungskrieges, deren Vertretern man im Heute das Gedenken an das Einst, auf deutschem Boden zu verunmöglichen versucht.



    Mehr kann man für die russische Propaganda nicht mehr liefern, denn das spricht für die Nachfahren der damaligen Opfer sehr wahrscheinlich schon allein für sich.



    Eine Schritt in Höckes Richtung, der die Erinnerungskultur um 180 Grad wenden will?

    • @Mark Menke:

      Wie bitte?



      Das ernsthafte und ehrliche Gedenken an die Opfer der Shoa und des national"sozialistischen" Weltkrieges wird hier niemandem verwehrt. Die Vertreter des Putinregimes, das von Russland aus einen völkerrechtswidrigen und sinnlosen neofaschistisch - imperialistischen Eroberungs- und Vernichtungskrieg in der Ukraine führt, "verunmöglichen" sich die Teilnahme ständig selbst mit ihren mörderischen Aktivitäten. Ausserdem haben sie als Vertreter Russlands keinerlei Alleinvertretungsrecht für die Sovjietunion gegenüber den vielen ihrer vom Stalinismus unterdrückten und ihrer Kulturen beraubten und inzwischen weitgehend freien ehemaligenTeilvölker/ -staaten.

  • Man kann weder aus dem Gedenken an den 8. Mai 1945, noch aus dem Gedenken an die Opfer des Krieges und des Nationalismus Lehren für die Zukunft ziehen. Man muss sich damit beschäftigen, wie es dazu kommen konnte. Welche Normalität hat die grauenvollen Verbrechen gegen die Menschlichkeit möglich gemacht? Und wie viel von dieser Normalität lebt heute weiter?

    Eins ist doch klar: mit der bedingungslosen Kapitulation gab es keine Befreiung vom Nationalsozialismus und keine Wende. Es gab viel Kontinuität, angefangen mit dem „Kampf im Osten, gegen Bolschewisierung und Versklavung“. Der, so die letzte Ausgabe von „Der Freiheitskampf: amtliche Zeitung der NSDAP, amtliches Blatt der Behörde“ in seiner letzten Ausgabe heute vor genau 80 Jahren, müsse weitergehen.

  • Richtig. Genauso ist es. Und das gleiche gilt auch für Holocaust-Gedenkfeiern, an denen unser neuer "Führer" AfD Entschließungsabstimmungen mit der AfD zusammen im Bundestag abstimmt.

    Denken statt Gedenken!

    Statt die Ursachen des Dritten Reichs und von Rechtsextremismus in den Schulen zu lehren, werden dämliche Zahlen und Fakten gelehrt. Bücher, wie "Die Welle" (Morton Rhue) zeigen, wie SchülerInnen beigebracht werden kann, was Ausgrenzung ist und wie sie funktioniert.

    Würde man ihnen beibringen, wie profitorientierte Medien im Kapitalismus funktionieren, verstünden sie auch, wie schnell man so Gruppen wie Geflüchtete verhetzen und als "nationale Notlage" hochspielen kann.

    Die (r)echte Bedrohung findet dann merkwürdigerweise in den "Leit"medien und sogar im ÖRR keine Beachtung. Dazu muss man dann selbst tief abtauchen:



    www.nd-aktuell.de/...lich-spuerbar.html

  • Ja nun, in der CDU sind auch damals die meisten Altnazis eingetreten und wurden mit offenen Armen empfangen. Ihre Nachfolger wittern jetzt Morgenluft und die allgemeine gesellschaftliche Stimmung macht es ihnen nur allzu leicht. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch ...