Diskussion um RKI-Chef Wieler: Hauptsache, Verwirrung
Die FDP kritisiert den RKI-Chef für die „plötzliche“ Verkürzung des Genesenenstatus – und schmeißt sich an Impfgegner heran.
W ann immer man meint, die FDP werde sich endlich einmal ihrer Regierungsverantwortung widmen, folgt die Ernüchterung. Nachdem die Freien Demokraten erfolgreich alle Bemühungen um eine Impfpflicht untergraben haben, wird nun am Stuhl von Lothar Wieler gesägt, dem Präsidenten des Robert-Koch-Instituts. Anlass ist die bereits vor Wochen veranlasste Verkürzung des Genesenenstatus im Vorfeld der Omikron-Welle.
Es hat Kritik an dieser „plötzlichen“ Entscheidung gegeben, und wie üblich für die Behörde wurde sie nicht von einem informativen PR-Gewitter begleitet. Doch bei allem Mitgefühl für die zweifelnden Bürger, die sich vom RKI nun ebenso plötzlich in ihren Freiheitsrechten beraubt fühlen und zu deren Schutzengeln sich die Spitze der FDP nun aufzuspielen sucht: Man sollte kurz gucken, um wen es eigentlich geht.
Von der Verkürzung des Genesenenstatus sind Ungeimpfte betroffen, die innerhalb der vergangenen sechs Monate an Covid erkrankt sind oder nachweislich infiziert waren – und die auch nach ihrer Genesung eine dringend empfohlene Impfung abgelehnt haben. Es geht also um Leute, die glauben, dass Ungeimpfte, wenn sie das Glück haben, nicht an Covid zu sterben, nach überstandener Infektion gut vor Covid geschützt seien. Dem ist aber nicht so.
Die Immunantwort nach einer Infektion ist weniger gezielt und weniger solide als der Immunschutz nach einer vollständigen Impfung. Gerade schwach Erkrankte sind kaum gegen einen neuen Angriff des Virus gewappnet. Zumal der Schutz schnell schwindet, wie der nach der ersten Dosis Coronaimpfstoff. Einfach Geimpfte aber genießen keine Privilegien unter 2G. Ungeimpfte Genesene dagegen seit vielen Monaten.
Sachlich betrachtet kann man das RKI also beglückwünschen, diese Schieflage mit der Anpassung des Genesenenstatus etwas korrigiert zu haben – und die Ungeimpften besser zu schützen. Womöglich kommt so manche:r Genesene doch noch darauf, sich impfen zu lassen.
Politisch betrachtet, muss man die FPD für den armseligen Versuch bedauern, durch den Angriff auf Wieler abermals die Nähe der Impfgegner:innen zu suchen – und den Ländern eine Vorlage für Alleingänge zu liefern. Markus Söder hat für Bayern trotz hoher Hospitalisierungsinzidenz massive Lockerungen angekündigt und die Impfpflicht in der Pflege gekippt. Der Ministerpräsident nennt das eine „klare Linie“, der Bundesregierung wirft er dagegen eine „wirre Debattenlage“ vor. Im Kern ist es Kapitulation vor dem Virus, das weiter wütet und Leben kostet.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
Lindner und die FDP verabschieden sich aus der Politik
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Wahlergebnis der AfD
Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945