Diskussion um Heinsberger Studie: Battle der Virologie

Das Rennen um die Deutungshoheit wird immer wilder: Virologen hauen sich gegenseitig die Studien um die Ohren und Werber mischen auch mit.

Hendrik Streeck und Armin Laschet gehen auf die Kamera zu

Ergebnisse: Armin Laschet (CDU) am Donnerstag mit „seinem“ Virologen Hendrik Streeck im Gefolge Foto: Federico Gambarini/dpa

Am Donnerstag hielt der Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck eine Pressekonferenz ab, in der er von seinen Forschungen im Landkreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen berichtete. Heinsberg, insbesondere die Gemeinde Gangelt, war der erste Brennpunkt der Pandemie in Deutschland, viele Menschen hatten sich mutmaßlich bei einer Karnevalssitzung angesteckt. Streeck und ein Team von Forscher*innen wollten deshalb – im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen – die Ausbreitung des Virus unter den Menschen in Gangelt erforschen.

Am Donnerstag verkündete Streeck dann bei der Pressekonferenz gemeinsam mit Ministerpräsident Armin Laschet (CDU): Bei 15 Prozent sei eine Immunität gegen das Virus wegen einer laufenden oder bereits überstandenen Infektion festgestellt worden. Man könne nun in eine „Phase zwei“ eintreten. Eine recht verkürzte Schlussfolgerung verbreitete sich sogleich über die Ticker der Nachrichtenagenturen: „Lockerung von Einschränkungen wegen Corona möglich“, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Das klingt ja super, denken sich jetzt die einen. Die anderen – maßgeblich die, die nicht in NRW wohnen – denken sich dasselbe, ärgern sich aber umso mehr darüber, dass sie nun womöglich nicht in den Genuss dieser Lockerungen kommen könnten.

Und genau hier wird’s schwierig. Wenn jetzt einzelne Bundesländer ihre eigenen Virologen losschicken, die dann zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, welche dann wiederum zur politischen Meinungsbildung herangezogen werden, steht am Ende die Bundesregierung wie ein Despotenregime da, das die Bürger*innen ohne Not in ihre Häuser sperrt.

Mächtig angestochenes Verhältnis zur Obrigkeit

Braucht es das wirklich in Zeiten, wo eh schon alle mächtig angestochen sind, was das Verhältnis zur Obrigkeit und zur Vernunft angeht? Die einen, hat man das Gefühl, haben sich geradezu danach gesehnt, endlich mal von (hier kann man sie wirklich mal zutreffend verwenden, diese Metapher:) Mutti gesagt zu bekommen, was sie tun sollen und was nicht. Andere wiederum – und natürlich ist es kein Zufall, dass sich diese anderen vor allem, wenn auch nicht nur, in dem Spektrum wiederfinden, das auch sonst empfänglich für Verschwörungstheorien und Autoritarismusvorwürfe aller Couleur ist – wittern jetzt das, was sie ohnehin schon immer gesagt (bekommen) haben: Die da oben wollen uns hier unten klein halten.

Streecks Studie geriet unmittelbar nach der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse in die Kritik. Andere Expert*innen, darunter auch Christian Drosten von der Charité, zweifelten Methode und Aussagekraft an. Zum Beispiel ist das mit der Immunität gar nicht so einfach nachweisbar. Streeck, der als Professor und Direktor des Instituts für Virologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn einiges Renommee genießt, sagte„Zeit Online dazu, die Studie sei „mit heißer Nadel gestrickt“.

Wie bitte? Klar, Wissenschaftler*innen stehen dieser Tage unter einem immensen Druck, und dass Drosten als neuer Bundeskanzler der Herzen gehypt wird, hilft dem Rest des Berufsstandes auch nicht gerade. Aber umso fataler ist es doch, wenn dann so ein Chaos dabei herauskommt. Bei allen guten Absichten: Könnte darunter am Ende nicht noch mehr Schaden als Nutzen entstehen?

Schließlich wird auch das Rennen um die Deutungshoheit immer wilder. Streeck hat nicht einfach nur eine Studie durchgeführt, sondern lässt sich dabei von der Kommunikationsagentur des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann unterstützen. Das Ergebnis klingt zwar wie ein schlechter Sat.1-Abendfilm, kann sich aber durchaus sehen lassen: Das „Heinsberg Protokoll“ hat eigene Facebook- und Twitter-Pages, auf denen die beteiligten Wissenschaftler*innen Einblick in ihre Arbeit geben. Zahlen muss Streeck dafür nicht: Ein Teil der Kosten werde von nicht näher genannten „Partnern“ übernommen. Steuergelder oder Mittel der Uni Bonn würden für die Dokumentation natürlich nicht verwendet, sagte der Geschäftsführer der Agentur.

Eine Art Anti-Drosten

Und trotzdem stellt sich die Frage: Kann es das wirklich sein, dass von Werbern eine Art Anti-Drosten aufgebaut wird, mit dem dann ein Ministerpräsident Politik macht?

Es geht im Moment nicht allein um wissenschaftliche Expertise und Reputation, sondern vor allem um Sensibilität für die Tatsache, dass die in ihre Wohnungen gesperrte Öffentlichkeit noch viel weniger ein luftleerer Raum ist als sonst. Das gilt nicht nur für Virologen und andere Wissenschaftler*innen, sondern auch für Medien, die sich nur zu gern die knalligsten Zitate aus Interviews picken, um dann damit aufzumachen – und vergessen oder ganz einfach ignorieren, was sich damit in Gang setzt.

Herdenimmunität ist schließlich das eine, Schwarmintelligenz das andere.

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