„Die Zauberflöte“ wird upgedatet: Pamina ist nun politisch korrekt
Die Initiative Critical Classics will eine „Oper ohne Opfer“. Sie hat die Frauenrollen in Mozarts „Zauberflöte“ umgeschrieben, um Sexismus zu tilgen.
Seit jeher umgibt die Welt der Oper eine Aura der Exklusivität. Um 1600 wurde die kostspielige Kunstform zur Unterhaltung der Reichen und Schönen an norditalienischen Adelshöfen aus der Taufe gehoben. Viele ihrer Geschichten atmen bis heute den Geist vergangener Zeiten – in ihnen wimmelt es von mildtätigen Königen, tapferen Rittern und holden Fräulein.
Sicher spricht nichts dagegen, sich auch 400 Jahre später in vergangene oder fantastische Welten entführen zu lassen – schwieriger wird es, wenn Inhalte transportiert werden, die heute als politisch unkorrekt gelten und als sexistisch und rassistisch wahrgenommen werden.
Deshalb hat Berthold Schneider, ehemaliger Intendant der Oper Wuppertal, die Initiative Critical Classics ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, auf diskriminierende Sprache in Opernlibretti aufmerksam zu machen. Die Idee kam ihm bei einer Vorstellung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Zauberflöte“ im Herbst 2022: „Das Publikum amüsierte sich. Doch an einigen Stellen war deutlich zu spüren, dass das Publikum nicht mit uns lachte, sondern über uns. Es war bei Textzeilen wie ‚Ein Weib tut wenig, plaudert viel‘, bei denen sich die Menschen durch ein peinlich berührtes Lachen von uns distanzierten.“
Mozarts „Zauberflöte“ – das Märchen über einen Prinzen, der sich mit einer magischen Flöte aufmacht, um eine Prinzessin zu retten – gilt als Grundpfeiler des klassischen Kanons und wurde in der Spielzeit 2021/22 allein in Deutschland 245-mal aufgeführt. Gemeinsam mit seinem Team machte sich Schneider an eine modernisierte Textfassung des Kassenschlagers. Darin werden chauvinistische Begriffe wie „Jungfer“, „Fräuleinbild“ oder „Weib“ mit „Mädchen“ oder „Frau“ ersetzt. Dem Duett zwischen Prinzessin Pamina und Vogelfänger Papageno, das die gottgefällige Ehe zwischen Mann und Frau besingt, werden Zeilen hinzugefügt, die die Liebe zwischen „Frau und Frau“ und „Mann und Mann“ berücksichtigen.
Die frauenfeindlichen Attacken des Priesterkönigs Sarastro gegen seine Gegenspielerin, die Königin der Nacht, werden ausgebremst: Die Textzeile „Ein Weib tut wenig, plaudert viel“ etwa weicht den Worten „Sie lügt, sät Zwietracht, schadet viel“. Ein Kommentar erläutert, dass auf diese Weise die sexistische Verallgemeinerung durch eine persönliche Meinung Sarastros ersetzt wird.
Rassismus gibt es nun nicht mehr
Auch jenseits der Sprachebene wird eingegriffen. So wird der passiven Pamina, die wie ein Wanderpokal hin- und hergereicht wird, eine zusätzliche Arie in den Mund gelegt – nach einer umgetexteten Mozart-Konzertarie. Überhaupt stünden die Redeanteile der Frauenfiguren in der Zauberflöte im Ungleichgewicht zu denen der Männer, erklärt Leyla Ercan, Diversitäts-Beraterin von Critical Classics: „Das ist eine Manifestation von gesellschaftlichen Ungleichheiten, die sich im Text niederschlagen.“
Den größten Veränderungsbedarf im traditionellen Narrativ der Zauberflöte sieht die Initiative in der Figur des schwarzen Tempelaufsehers Monostatos – ein Bösewicht, der Pamina vergewaltigen will. Im Original singt er: „Alles fühlt der Liebe Freuden / Schnäbelt, tändelt, herzet, küsst / Und ich soll die Liebe meiden, / Weil ein Schwarzer hässlich ist.“ Als Lösung schlägt Critical Classics vor, die Rachsucht der Figur anders zu motivieren: „Bei uns ist Monostatos nicht mehr ethnisch verortet, sondern Sarastros illegitimer Sohn“, sagt Ercan. Als geheimes Kind des Fürsten hat er keinen Herrschaftsanspruch und ist folglich frustriert.
Die Lebendigkeit des Alten unter Beweis stellen
Bis alle problematischen Anteile getilgt oder abgeschwächt waren, vergingen sechs Monate. Die endgültige Fassung ist inzwischen kostenlos online zugänglich – ein Glücksfall für Regisseurin Anna Weber, die auf dieser Grundlage an einer eigenen Version arbeitet, die in der Spielzeit 2024/25 am Nationaltheater Weimar zum Einsatz kommen wird. Sie meint: „Ich komme aus der Komödie, und da ist es ganz üblich, dass verschiedene Werke an aktuelle politische und soziale Begebenheiten angepasst werden. Damit soll ja dem Werk nicht geschadet, sondern vielmehr seine Zeitlosigkeit und Lebendigkeit unter Beweis gestellt werden.“
Für ihre Vorstöße erntete die Initiative aber auch Kritik. Wie der NDR berichtete, kritisierte der hochdekorierte Opernveteran Klaus Zehelein es als Irrweg, das „Schmutzige, das Diskriminierende aus der Literatur zu eliminieren“ und das „Skandalöse wegzuretuschieren“. Critical-Classics-Gründer Berthold Schneider dagegen plädiert für Empathie mit den Sensibilitäten eines heutigen Publikums: „Die wollen bitte einen Abend haben, wo keine Menschen beleidigt werden.“ Mit seinen Kolleg:innen will er sich demnächst Bizets „Carmen“ und Bachs „Johannespassion“ vornehmen – für, wie es auf der Webseite von Critical Classics heißt, eine „Oper ohne Opfer“.
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