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Die Wehrpflicht in den WahlprogrammenMüssen sie dienen?

Soll Deutschland zurück zur Wehrpflicht? Haltung, Personal und Finanzierung – was dazu in den Wahlprogrammen der Parteien steht.

Soldatinnen in der Grundausbildung Foto: imago

Berlin taz | Mehr als ein halbes Jahrhundert war die 1956 eingeführte Wehrpflicht fester Bestandteil des Lebens vieler deutscher Männer. Doch nach dem Ende des Kalten Kriegs begann die Wehrpflicht zu wackeln. Die Kosten waren zu hoch, der Nutzen umstritten. 2011 wurde sie unter Angela Merkel „ausgesetzt“. Seitdem ist die Bundeswehr eine Freiwilligenarmee. Mit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und angesichts der unsicheren Zukunft der Nato wird viel über die Verteidigungsfähigkeit Deutschland diskutiert. Und somit ist auch die Büchse der Wehrpflicht-Pandora wieder geöffnet. Sollen junge Menschen wieder dazu verpflichtet werden, militärisch zu dienen?

Ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien offenbart Unterschiede.

Die Grünen wollen „den freiwilligen Wehrdienst und die Reserve für eine breite Zielgruppe attraktiver machen“. Das soll insbesondere durch „gute Lebens- und Arbeitsbedingungen für Sol­da­t*in­nen“ gelingen, mit dem Ziel, sie langfristig an die Bundeswehr zu binden. Zudem fordern die Grünen eine neue Form der Wehrerfassung, damit im Verteidigungsfall schnell Sol­da­t*in­nen rekrutiert werden können. Diese Wehrerfassung soll auch den „Zivil- und Heimatschutz“ stärken.

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Die SPD plant angesichts einer „veränderten sicherheitspolitischen Lage“ einen „neuen, flexiblen Wehrdienst.“ Der Wehrdienst soll „auf Freiwilligkeit basieren“ und sich „am Bedarf der Bundeswehr orientieren“. Sie fordert auch die Einführung einer Wehrerfassung. Das Programm klingt damit stark nach dem Vorstoß des SPD-Verteidigungsministers Boris Pistorius, der in den letzten Monaten eine Änderung des Grundgesetzes für einen „neuen Wehrdienst“ ins Spiel gebracht hatte. Demnach sollten alle 18-Jährigen zur Wehrerfassung einen Brief erhalten, mit der Aufforderung, einen Onlinefragebogen auszufüllen. Junge Männer wären dazu verpflichtet, für „Frauen und Personen anderen Geschlechts ist die Beantwortung der Fragen freiwillig“.

Die Union will eine Erhöhung der Sol­da­t*in­nen­zahl von 180.000 auf 203.000. Nur durch eine Wehrpflicht könne man der Verteidigungsfähigkeit des Landes gerecht werden. Es sollen aber nur so viele junge Menschen einberufen werden, wie es die „Streitkräfteplanung erfordert“. Zudem solle die Wehrpflicht mit einem „verpflichtenden Gesellschaftsjahr“ zusammengedacht werden. Die „Tauglichen“ sollen einberufen werden. Wer dies verweigert, könne seinen Dienst „bei einer Blaulichtorganisation“ ableisten.

Die FDP setzt sich für eine „professionelle Freiwilligenarmee“ ein, lehnt die allgemeine Wehrpflicht aber ab. Sie fordern dennoch eine Wehrerfassung. Die Attraktivität der Truppe soll durch „hervorragende Rahmenbedingungen“, wie Gehalt und gesellschaftliche Vorteile erhöht werden.

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Die Linkspartei stellt sich „gegen eine Militarisierung der Gesellschaft.“ Die Wehrpflicht wird abgelehnt sowie ein „Werben fürs Sterben“ an Schulen und Universitäten.

Für die AfD ist der „Auftrag der Bundeswehr“ eine „Verpflichtung für jeden Staatsbürger.“ Der Wehrdienst soll der Regelfall sein, wobei der „Ausnahmefall“ auf Verweigerung aus Gewissensgründen anerkannt wird. Kurz: „Kriegsdienstverweigerer leisten Wehrersatzdienst.“

Das BSW betont, dass es für Jugendliche sehr wichtig sei, frei in der „beruflichen Orientierungsphase“ zu sein. Für eine „Kriegs- und Aufrüstungspolitik“ dürfe diese freie Entwicklung nicht ausgesetzt werden. Es lehnt eine Wehrpflicht ab.

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17 Kommentare

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  • Also vielleicht ist es nur gefühlt aber ich meine das nach Aussetzung



    des Wehrpflicht und Ersatzdienst auch der Zusammenhalt und die Solidarität auf der Strecke geblieben sind.

  • Insgeheim, ich kann es mir eigentlich nicht anders vorstellen, sehnt die AfD doch den großen Krrrrrrrieg mit Russland, den USA oder wem auch sonst herbei... Krieg stählt schließlich den Volkscharakter, reinigendes Stahlgewitter, gelobt sei, was da hart macht bla bla bla. Rechte sind seit jeher verliebt in Tod und Vernichtung!

    • @Yadgar:

      Die AfD ist Putins Verbündeter.

  • "Die Union will eine Erhöhung der Sol­da­t*in­nen­zahl von 180.000 auf 203.000. Nur durch eine Wehrpflicht könne man der Verteidigungsfähigkeit des Landes gerecht werden."



    Wieder so eine Unions-Nebelkerze, irrlichternde Anbiederung an populistische Einstellungen



    2017 bei sagwas.net



    "Wer sich heute effektiv verteidigen will, braucht Spezialisten. Das sind zum Beispiel Programmierer, Nahkämpfer und Drohnenpiloten. Ein neunmonatiges Schmalspurprogramm, wie es die Wehrpflicht war, erzeugt keine Profis – höchstens junge Menschen, die unmotiviert Dielen schrubben. Das schreckt eher ab, als dass es Fachkräfte für die Bundeswehr begeistert. Wehrpflichtige sind ein unnötiger, demotivierender, aber teurer Ballast in einer Armee, die Spitzenpersonal benötigt."



    "Deutschland soll wieder die Wehrpflicht einführen, sagt eine knappe Mehrheit. Stefan Giese erkennt darin die groteske Selbstbezogenheit einer bestimmten Generation.



    Das „junge Gemüse“ soll wieder zur Armee müssen, meint eine knappe Mehrheit der Menschen in Deutschland und spricht sich dafür aus, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Forsa-Umfrage. Besonders verbreitet ist diese Auffassung..."



    swr.de

  • "Kein Weltkrieg ohne Deutschland!"

    • @Lui:

      Stimmt. Wenn die Deutschen ihr Land nicht verteidigen wollen - etwas anderes schaut ja aus den gegenwärtigen Diskussionen von SW und Co nicht heraus - wird sich auch sonst niemand an die Oder stellen.

  • „gute Lebens- und Arbeitsbedingungen für Sol­da­t*in­nen“

    Die Grünen haben eben immer einen Scherz auf den Lippen 😁

  • "Militarisierung der Gesellschaft“, das konnte man im Kaiserreich und in Nazideutschland sehen, ein bisschen auch in der DDR. Heutzutage ist das ein infamer Vorwurf.



    Die meisten von uns wollen eine Welt in Frieden, aber solange es Mensch und Staaten gibt, die das nicht teilen, ist Abschreckung und Verteidigung nötig, und in den demokratischen Staaten funktioniert die Armee keinesfalls wie in den o.g. Beispielen.

  • Warum die Verpflichtung nicht auf die Grundausbildung beschränken, die dauert heute 3 Monate. Schulpflicht haben wir ja auch, und im Zeitverhältnis zur Schule, Lehre, Studium ist ein kurzes Praktikum mehr kein Drama. Wer danach wirklich keine Lust hat weiterzumachen den braucht man auch nicht zwingen.

    • @Descartes:

      Drei Monate dürften knapp für ein qualifiziertes Überlebenstraining ausreichen. Bei dem Glauben, so eine Grundausbildung mache Appetit auf mehr, bleibt die Frage offen, wer denn zukünftig mal Deutschland verteidigen solle.

  • Eine Debatte über eine Wehrpflicht bzw eine Darstellung der Parteipositionen ist doch ohne eine kurze Analyse der Lehren aus dem Ukrrainekrieg nicht sehr sinnvoll. Diese Lehren lassen sich kurz zusammenfassen:



    1. Infanterie, Schützenpanzer, Artillerie und Drohnen bestimmen das Kampfgeschehen.



    2. Flugabwehr im Kampfgebiet und im Hinterland ist extrem wichtig.



    3. Flugzeuge und Kampfhubschrauber haben sekundäre Rollen ausserhalb des Kampfgebietes z.B. zum Abwurf von Gleitbonmben.



    4. Kampfpanzer sind bei weitem nicht so wichtig wie bisher angenommen.



    5. Elektronische Kampfführung ist sehr wichtig



    Insbesondere aus dem wichtigsten Punkt (1) ergibt sich die absolute Notwendigkeit, eine ausreichende Anzahl aktiver und Reserve-Soldaten auszubilden und auszurüsten. Die aus der Merkel-Zeit stammende Vorstellung von einer Armee die aus einer geringen Zahl von hochausgebildeten Spezialisten bestehen soll ist komplett überholt.



    Das heisst, wenn man eine russische Bedrohung ernst nimmt, kommt man an der Wehrpflicht - und da würde ich Männer und Frauen so wie in Israel einbeziehen - nicht vorbei.

  • Dann ist das nicht mein Land.

    • @Christian Clauser:

      Dann müssen Sie eben in einem leben, für das sich sonst niemand interessiert. Das Angebot könnte dünn ausfallen, wo doch selbst Grönland ... Bleiben wohl nur die Pazifikinseln, die zur Überflutung infolge des Klimawandels anstehen.

    • @Christian Clauser:

      Sagen Sie Bescheid, wenn Sie ein Land gefunden haben, das es schätzt, wenn jemand vor seinen sozialen Pflichten ins Ausland flieht.

  • "Professionelle Freiwilligenarmee" ist Orwellsch für Fremdenlegion. Kennen wir schon. Sandro und Kevin nach Afghanistan, Maximilian und Thorben-Tobias zum Studium. Eine verlogene Klassengesellschaft, die Tod und Verstümmelung gerne an die Unterschicht delegiert. Die Vorstellung, Putins Horden gegenüberzutreten, müsse "attraktiver gemacht werden", klingt unendlich naiv, selbst in einer Gesellschaft wie der unseren, in der Naivität die eigentliche Staatsräson ist. Kriegsdienst ist nichts, was die beruflichen Fähigkeiten stärkt, den Charakter schult oder der Selbstfindung dient, und das muss er auch nicht. Es ist eine Pflicht und eine Notwendigkeit und die sind selten angenehm, sondern meist eine Last. Lasten gerecht zu verteilen, ist das Merkmal einer solidarischen Gesellschaft. Es wäre schön, wenn die Besserverdienenden, die sich als Besserwählende wähnen, dies nicht länger leugnen würden.

  • In meinem Teil Deutschlands wurde die allgemeine Wehrpflicht 1962 eingeführt. „Neue Form der Wehrerfassung“? Was nützt eine Liste von unausgebildeten Leuten? Die SPD möchte sich waschen, aber nicht nass machen. Die CDU ähnlich. Die Linke will das nicht, was sie selbst 40 Jahre in der DDR gemacht hat - sie ist aber auch gerade nicht an der Macht. Alles nicht sehr einfallsreich. Wo ist der Vergleich zum Bereich Finanzierung, den die Überschrift verspricht?

  • Ich bin für eine allgemeine Wehrpflicht.



    Die sollte allerdings gleichberechtigt neben dem Ersatzdienst, wie es ihn bereits gab und einem Klima- und Umweltdienst stehen.



    Somit würden den drängensten Problemen begegnet.



    Der Vorschlag der CDU ist abzulehnen, da eine "Wehrgerechtigkeit" so nicht zu erreichen ist.



    In einer Übergangsphase sind Pistorius Vorschläge sinnvoll. Schließlich muss eine Bürokratie für diesen Kraftakt erst wieder aufgebaut werden.



    Den Dienst an der Gesellschaft betrachte ich nicht als Zeitverlust für die Betreffenden, sondern als berufliche Orientierungsphase.



    Für die Wirtschaft sind junge Erwachsene, die ein Arbeitsleben kennen gelernt haben, auch von Vorteil. Sinnvoll wären in dieser Zeit auch optionale Weiterbildungen, z.B. zum Nachholen eines Schulabschlusses.



    So könnte daraus eine staatlich organisierte Qualifizierungsmaßnahme erwachsen.



    Gesellschaftlich verspreche ich mir davon eine Zusammenarbeit mit Menschen anderer Hegkunft und Schichten und somit ein besseres gesamtgesellschaftliches Verständnis. Auch ist die Möglichkeit, "gesellschaftsbildend" tätig zu sein, möglich.



    "Lass die Andern machen", hat hingegen keine Zukunft.