Die Krise der Union: Aufstand vertagt
Armin Laschet ist Kanzlerkandidat. An der CDU-Basis macht das viele wütend. Doch eine Revolte dürfte ausbleiben.
An dem Tag, als Armin Laschet Kanzlerkandidat der Union wird, ist Guido Heuer sauer. Heuer, 54, ist Abgeordneter der CDU im Magdeburger Landtag, bei der Landtagswahl am 6. Juni will er erneut das Direktmandat in seinem Wahlkreis nordöstlich von Magdeburg holen. Leicht wird das nicht, die AfD sitzt der CDU im Nacken. Nicht nur in der Börde, sondern im ganzen Bundesland.
Heuer glaubt nicht, dass sein Parteichef in diesem Kampf hilfreich ist. Im Gegenteil. „Die Wahl ist eine Katastrophe“, twittert er. Und: „Bin sprachlos, wie ein Bundesvorstand gegen die Stimmung der Bevölkerung eine solche Entscheidung treffen kann. Abstimmung der Kreisvorsitzenden ist erforderlich!“ Das kann man wohl als Aufforderung zum Aufruhr gegen den eigenen Bundesvorstand werten.
Auch gut 400 Kilometer südwestlich von Magdeburg ist die Stimmung schlecht. „Das Feuer brennt“, sagt Matthias Lammert, Vorsitzender des Rhein-Lahn-Kreises, der für die CDU im rheinland-pfälzischen Landtag sitzt, über die Stimmung an der Basis gegenüber der FAZ. Es gebe bereits die ersten Austritte. Schwierig werde es, „alles wieder auf die Schiene zu bringen“.
Und von der Schiene gerutscht ist einiges. Kurz vor der entscheidenden Sitzung des Bundesvorstands am Montagabend hatten die rheinland-pfälzischen Kreisvorsitzenden intern für CSU-Chef Markus Söder votiert. Die Parteispitze aber sprach sich für Laschet aus, mit der Stimme der Landesvorsitzenden Julia Klöckner. Seitdem hängt im Landesverband der Haussegen schief. „Es ist zurzeit viel los“, sagt einer der Kreisvorsitzenden, „die sind noch auf dem Baum“, berichtet ein anderer. Namentlich genannt werden wollen sie beide nicht.
CDU gegen CSU, CDU gegen CDU
Besonders aufgebracht ist die Parteibasis in den drei rheinhessischen Landkreisen, in denen Anfang April die Stimmung abgefragt worden war. Bei reger Beteiligung hatten sich zwischen Bingen, Mainz, Alzey und Worms um die 80 Prozent der CDU-Mitglieder für Markus Söder als Kanzlerkandidaten ausgesprochen. „Die fühlen sich jetzt natürlich vor den Kopf gestoßen“, sagt Kreisgeschäftsführer Andreas Blum. Bis Donnerstag gab es bereits 16 Parteiaustritte. Droht also noch ein Aufstand der Basis gegen die Parteispitze? Fest steht: Die vergangenen zwei Wochen, in denen Laschet und Söder intern um die Kanzlerkandidatur rangen, haben nicht nur die Union aus CDU und CSU erneut an ihre Grenze gebracht. CDU gegen CDU, das war die noch schlimmere Kampflinie.
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Laschet musste dabei schwer einstecken. In der Bundestagsfraktion am Dienstag vor zwei Wochen und auch in der entscheidenden Sitzung des Bundesvorstands am vergangenen Montag. Mit Laschet werde man die Bundestagswahl verlieren, hieß es dazu an der Basis, aber auch von einigen Ministerpräsidenten. Doch Laschet blieb stehen, und Söder auch. Zwei CDU-Granden stärkten dem Aachener dabei den Rücken: Parteivize Volker Bouffier, der auch hessischer Ministerpräsident ist, und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.
Die beiden waren auch bei einem Treffen am späten Sonntagabend im Bundestag dabei, das möglicherweise das entscheidende war. Denn dort machten, nach allem, was bislang bekannt ist, Laschet und Schäuble dem CSU-Chef Söder klar: Komme, was wolle, die Unterstützung der CDU bekomme er nicht. Denn aus ihrer Sicht ging es in dem Zweikampf um weit mehr als eine Personalie: Auf dem Spiel stand die Zerstörung der CDU als Volkspartei im klassischen Sinn, ihre Unterwerfung unter Umfragewerte und den Populismus des CSU-Chefs. Aus Sicht der Parteigranden war Söders Gleichsetzung der CDU-Gremien mit Hinterzimmern ein Angriff auf die repräsentative Demokratie.
Erst mal Schadensbegrenzung
Wie verführerisch dies ist, hatte zu diesem Zeitpunkt Reiner Haseloff, der CDU-Regierungschef in Sachsen-Anhalt, deutlich gemacht, der als Erster aus der Spitze der großen Schwesterpartei zu Söder übergelaufen war. Jetzt zählten nur noch Umfragewerte, hatte Haseloff gesagt, Vertrauen zu dem Kandidaten und dessen Charaktereigenschaften seien unerheblich.
Weil die Zeit für Söder spielte, setzte Laschet in der Bundesvorstandssitzung am Montagabend, nach fast sechsstündiger kontroverser Debatte, mit aller Macht eine Abstimmung durch. 31 Vorstandmitglieder stimmten für ihn, 9 für den CSU-Chef, 6 enthielten sich. Ein klarer Sieg. Doch gewonnen hat Laschet noch lange nicht. Bouffier sagte es in der Sitzung so: „Das, was wir machen, entspricht nicht der Erwartungshaltung vieler. Die müssen wir alle einsammeln.“ Immerhin: Am Mittag nach dem CDU-Votum räumt Söder das Feld, in der Sitzung der Bundestagsfraktion am Dienstagnachmittag bleibt es ruhig. Das Einsammeln kann also beginnen.
Am Mittwochabend schalten sich die rheinland-pfälzischen CDU-Kreisvorsitzenden bereits zum zweiten Mal binnen drei Tagen zusammen. „Es ging um Schadensbegrenzung“, sagt einer aus der Runde. Zunächst sei es heftig zur Sache gegangen, nach ausführlicher Debatte habe es gegenseitiges Verständnis gegeben, am Ende sei Friede eingekehrt. Offiziell gilt Vertraulichkeit.
Zähneknirschen ist normal
Auch in Sachsen-Anhalt scheint die Wut etwas abgekühlt zu sein. Bei Nachfragen relativiert sich der Eindruck, der gesamte CDU-Landesverband bestehe nur aus enttäuschten Söder-Fans. Das alles sei „selbst gemachtes Leid“, klagt Regionalgeschäftsführer Michel Földi vom Börde-Kreisverband, zu dem auch der Landtagsabgeordnete Guido Heuer gehört. Földi ist gebürtiger Dresdner, hörbar ein Sachse, und er klingt auch fern seiner Heimat wie ein bodenständiger Pragmatiker. „Nun ist es so, wie es ist“, sagt Földi, „wir werden uns nicht querstellen.“
Das sei nicht nur seine Meinung, das habe auch eine Videokonferenz mit den Ortsverbänden im weit ausgedehnten Kreis am Mittwochabend gezeigt. Földi betont auch, was für die meisten Kreisverbände in Sachsen-Anhalt gilt: Ursprünglich war weder Laschet noch Söder der Favorit, sondern Friedrich Merz. Der hat unterdessen erklärt, er werde die Sachsen-Anhalter im Landtagswahlkampf unterstützen. Der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende im Burgenlandkreis, Dieter Stier, begrüßt das sehr. „Er hat die Wirtschaftskompetenz, die wir oft vermissen!“
„Führungskräfte sind gewünscht, aber nicht nur als Lautsprecher im Bierzelt“, sagt dagegen Michel Földi und lässt damit Sympathien für Laschet erkennen. Immerhin habe dieser in NRW einiges geleistet und sich gegen heimische Konkurrenten wie Merz oder Norbert Röttgen durchgesetzt. Wie überall seien die Präferenzen auch in seinem Kreisverband geteilt gewesen. Einhellige Kritik habe es nur daran gegeben, dass die Basis an der Nominierung nicht beteiligt war. Nun gelte es, „Laschet eine Chance zu geben“, so Földi, und „den Schulterschluss zu suchen“, sagt Stier. Dass manche dabei mit den Zähnen knirschen, sei in der Politik normal.
Eine Partei, drei Spaltlinien
„Der Schwelbrand ist erst einmal ausgetreten“, meint auch der Mainzer Historiker Andreas Rödder dazu, der selbst CDU-Mitglied ist und seine Partei gut kennt. Um fünf Monate vor der Bundestagswahl einen Aufstand gegen den eigenen Parteichef und Spitzenkandidaten anzuzetteln, dafür sei die CDU doch zu sehr am Machterhalt interessiert. „Bis zur Bundestagswahl sehe ich da keine Gefahr“, sagt Rödder. Doch wenn die Union mit Laschet die Wahl verlieren sollte – „dann ist alles möglich“.
Schon lange, so Rödder, schwele die Spaltung in der CDU, die allerdings deutlich komplizierter sei, als es aktuell erscheine. „Es gibt drei Spaltlinien“, so der Historiker. Eine inhaltlich-programmatische, die sich in der Auseinandersetzung zwischen der Kanzlerin und Friedrich Merz gezeigt habe. Quer dazu liege die zweite, die eher eine Stilfrage sei: Vertraut man eher den Gremien oder eher den Umfragen? Und als dritte komme der Konflikt zwischen Basis und Führung hinzu.
Nach einer verlorenen Bundestagswahl könnten all diese Konfliktlinien aufbrechen. Zunächst aber kommt es für Laschet darauf an, die Partei in der Breite zusammenzuhalten. Er hat angekündigt, dass er sich nun in viele Sitzungen zuschalten und das Gespräch auch mit Kontrahenten suchen werde. Bald soll es eine Sitzung der Kreisvorsitzenden geben; auch das Format „CDU live“, bei dem sich Parteimitglieder zuschalten und ihre Fragen und Bedenken loswerden können, sei geplant.
Die CDU hat mit Laschet einen Chef, der für seine Fähigkeit zum Zusammenführen und Integrieren bekannt ist. Jetzt wirkt es wie eine Ironie der Geschichte, dass die CDU nun ausgerechnet wegen ihres großen Integrators so gespalten ist wie selten zuvor. Laschet steht vor einer Herkulesaufgabe, fünf Monate vor der Bundestagswahl. Historiker Rödder meint: „Man traut ihm das durchaus zu.“
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