Die Grünen und die K-Frage: Wer macht's?

Annalena Baerbock oder Robert Habeck? Viele rätseln, wer KanzlerkandidatIn der Grünen wird. Eine – auch spekulative – Analyse.

Auf dem Bundesparteitag der Grünen steht Robert Habeck (r), Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, hinter der Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock.

Habeck wäre der bessere Kandidat – aber Baerbock womöglich die bessere Kanzlerin Foto: dpa

Robert Habeck oder Annalena Baerbock? Offiziell ist das kein Thema. Beide Grünen-ChefInnen schweigen zu einer möglichen Kanzlerkandidatur. Oder sie sagen die immer gleichen Sätze: Die Frage stehe nicht an, sie werde rechtzeitig vor der Bundestagswahl beantwortet, gemeinsam mit der Partei natürlich. Regulär wird ja erst in zwei Jahren gewählt.

Da ist natürlich was dran. Aber das, was Grüne behaupten, nämlich dass die K-Frage niemanden im Lande interessiere außer ein paar HauptstadtjournalistInnen, stimmt auch wieder nicht. Wenn ich mit FreundInnen oder Bekannten über die Grünen diskutiere, kommt die Frage immer. Wer macht's? Menschen haben eben ein Interesse daran, wer sie regiert. Und nun, da die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Grünen die Nach-Merkel-Ära mitgestalten, ist dieses Interesse berechtigt.

Schauen wir also in die Glaskugel, die bei jedem Politikjournalisten neben der Tastatur steht. Dieser Text unternimmt einen Ausflug in die Zukunft, auf Basis begründeter Annahmen und vieler Gespräche mit Grünen. Ein paar Hypothesen lassen sich nämlich schon aufstellen. Sie können, müssen aber nicht eintreffen.

Eins ist zum Beispiel sehr sicher: Die Grünen werden auf jeden Fall eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten aufstellen, wenn die Umfrage so gut bleiben, wie sie im Moment sind. Das sagen eigentlich alle. Habeck und Baerbock machten sich lächerlich, duckten sie sich weg.

Zwei Szenarien für die K-Frage

Schließlich ist ihr Machtanspruch unüberhörbar und vielfach dokumentiert. Sie wollen die „führende Kraft der linken Mitte“ sein, die republikanischen Institutionen gegen den Angriff von Rechts verteidigen und den Klimaschutz endlich ins Zentrum staatlichen Handelns rücken. Wo ginge das besser als im Kanzleramt? Wer die Dramatik des Klimawandels beschreibt, muss ihn an höchster Stelle stoppen.

Eine Situation, wie sie das Umfrageinstitut Infratest dimap neulich ermittelte, wäre ideal für den Griff nach der Macht. Die Union liegt bei 25 Prozent, die Grünen bei 22. Baerbocks und Habecks Grüne wären die Angreifer, dem Platzhirsch auf den Fersen. Eine Rolle, die zu ihnen und ihrem Aufbruchsversprechen passt.

Für eine grüne Kanzlerkandidatur gibt es, grob gesagt, zwei Szenarien. Das erste: Beide möchten den Job und keiner ist bereit zurückzuziehen. Baerbock und Habeck vertrauen und schätzen einander. Die Harmonie ist nicht gespielt. Ein solcher Wettbewerb würde deshalb fair und offen ausgetragen werden, also mit ständiger Abstimmung auf dem kurzen Dienstweg und ohne persönliche Angriffe.

Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hat bereits gesagt, dass die Entscheidung „gemeinsam mit der Partei“ getroffen würde. Das letzte Wort hätte also ein Bundesparteitag – oder eine Urwahl, bei der alle Mitglieder befragt werden. Mit diesem Instrument klärten die Grünen bei vergangenen Wahlen ihre Spitzenkandidaturen.

Habeck ist deutlich prominenter als Baerbock

Auf einem Parteitag hätte Baerbock gute Chancen zu gewinnen. Ihr Rückhalt ist bei der Basis größer als der Habecks. Sie gilt als sehr kompetente, exzellent vorbereitete Verhandlerin, die offen für andere Meinungen bleibt. Wie enorm ihr Standing ist, zeigt auch ihr Rekordergebnis bei der Vorstandswahl in Bielefeld. Mit 97,1 Prozent ließ sie Habeck (90,4 Prozent) hinter sich.

Bei einer Urwahl sähe es anders aus. Die 94.000 Mitglieder ticken anders als der Parteimittelbau, der sich auf Bundesdelegiertenversammlungen trifft. Habeck ist deutlich prominenter als Baerbock – und einer der beliebtesten deutschen Spitzenpolitiker. Seine Stärke ist die Verkaufe, die Erzählung. Kaum einer kann Politik so philosophisch aufladen wie er. Anders als Baerbock verfügt er über Regierungserfahrung, weil er in Schleswig-Holstein sechs Jahre lang Minister für Umwelt, Landwirtschaft und Energiewende war.

Kurz: Normale Grünen-Mitglieder, die sich nicht permanent mit Politik beschäftigen, könnten ihm den Vorzug geben. Diese These hört man von vielen Grünen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat neulich offen ausgeplaudert, dass er Habecks Kandidatur für aussichtsreicher hält. Das war ein Unfall, keine Frage, aber er spricht für sich.

Selbst Habeck-KritikerInnen analysieren die Lage ähnlich. Eine Abgeordnete, die Baerbock bevorzugen würde, drückt ihr Dilemma so aus: „Robert wäre der bessere Kanzlerkandidat. Aber Annalena die bessere Kanzlerin.“

Bis 2021 unter dem Brennglas

Ein solcher Wettbewerb, egal wie fair er geführt würde, wird problematisch eingeschätzt. Schließlich wäre Schluss mit der Harmonie, auf die der ganze Erfolg gründet. Plötzlich gäbe es harte Konkurrenz im Machtzentrum. Die Fans der einen oder des anderen würden tratschen, die Medien den Streit genüsslich inszenieren.

Kein schöner Start für einen Wahlkampf, der ohnehin brutal wird. Grüne, die um die Macht kämpfen, werden von den Medien, von CDU und FDP härter angegangen, als eine unbedeutende Oppositionspartei. Habeck hat seine Partei in seiner Bewerbungsrede nicht ohne Grund gewarnt. Die Grünen werden bis 2021 unter das Brennglas gelegt.

All das wissen natürlich auch Baerbock und Habeck. Wahrscheinlicher ist deshalb das zweite Szenario, die gütliche Lösung. Beide einigen sich, wer die Kanzlerkandidatur übernimmt. Baerbock würde also Habeck unter vier Augen sagen, dass sie ihm den Vortritt lässt. Rechtzeitig vor dem Parteitag Ende 2020 erschiene ein Doppel-Interview, in dem beide die Entscheidung begründen. Die Delegierten des Parteitags müssten dies nur noch bestätigen.

Selbstverständlich ginge es auch anders herum. Auch Habeck könnte Baerbock den Vortritt lassen. Aber was ist wahrscheinlicher?

Sie pfeifen auf die grüne Parteilogik

Um diese Frage zu beantworten, sollte man auf die Philosophie der beiden schauen. In der Parteilogik müsste Baerbock antreten. Die Grünen, die stolz auf ihre feministische Tradition sind, schieben bewusst Frauen nach vorn. Frauen bekommen die ersten Listenplätze. Zwei Frauen dürfen in einer Doppelspitze sitzen, zwei Männer nicht. Warum sollten ausgerechnet sie einen Mann ins Kanzleramt schicken?

Nun, weil Baerbock und Habeck auf das pfeifen, was als grüne Parteilogik gilt. Sie geben nichts auf Flügelrituale, auf Selbstvergewisserung oder sorgsame Klientelpflege. Stattdessen zielen sie auf Mehrheitsfähigkeit, auf Milieus jenseits der eigenen. Sie denken aus dem Zentrum heraus. Dies führt zu einem einfachen, kalten Gedanken. Jenem, der auch dem Basismitglied bei einer Urwahl durch den Kopf gehen könnte: Kanzlerkandidat wird der, der die größten Chancen hat.

Das ist, gemessen an Umfragen, Robert Habeck. Dabei spielen sicher auch althergebrachte Rollenbilder eine Rolle. Die meisten Deutschen sind eben nicht so progressiv wie die Grünen. Das kann man bedauern, aber man muss es zur Kenntnis nehmen. Baerbock und Habeck werden das wägen. Zwar beteuern beide gerne, auf die Statistiken der Institute nichts zu geben. Aber das darf man getrost als Notlüge abbuchen. PolitikerInnen sind fixiert auf Umfragen, weil sie die valideste Rückmeldung über Erfolg oder Misserfolg liefern, die es gibt.

Die Grünen könnten demnach im nächsten Jahr eine Lösung für die K-Frage präsentieren, die reich an vermeintlichen Widersprüchen ist: Die Chefin einer feministischen Partei schlägt einen Mann für den Topjob vor – obwohl sie mindestens genauso gut geeignet wäre.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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