Die AfD bei der Niedersachsenwahl: Kriegsgewinnler AfD
Die AfD ist zweistellig und hat damit ihr Wahlergebnis im Vergleich zu 2017 fast verdoppelt. Sie profitiert von Abstiegsängsten und dem Bundestrend.
Bei der Wahlparty in dem griechischen Restaurant „Ouzeri – Griechische Botschaft“ brach bei der AfD nach der ersten Hochrechnung lauter Jubel aus. Die Arme des Spitzenkandidaten schossen mit geballten Fäusten in die Höhe. Die Repräsentanten der Partei wissen: Der Erfolg kam nicht durch einen erfolgreichen Wahlkampf. Der Wahlzuspruch, so die ersten Analysen von Expert*innen, erfolgte wegen der gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise.
Erneut trägt das Credo der AfD: Geht es Deutschland schlecht, geht es der Partei gut. In einem Statement bei der ARD hob der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla auch gleich auf die gestiegen Preise ab und betonte, dass die Wählenden von den anderen Parteien keine Hilfe mehr erwarteten und ein Ende der Sanktionen wollten.
Erste Wahlanalysen bestätigen, dass für AfD-Wählende die Preissteigerung und die Energieversorgung wahlentscheidend waren. Ebenso heißt es, dass etwas über 50 Prozent aus „Enttäuschung von anderen Parteien“ die AfD wählten, 38 Prozent zudem aus „Überzeugung“.
Streit und Machtkämpfe scheinen egal
Im Jubel der AfD war auch Erleichterung zu hören. Nach dem Nichtwiedereinzug der AfD in den Schleswig-Holsteinischen Landtag am 8. Mai sorgte sich der niedersächsische Landesverband ebenso, an der 5-Prozent-Hürde scheitern zu können. In beiden Landesverbänden dominierten interner Richtungsstreit und Machtkämpfe – die Fraktionen in den Landtagen zerbrachen und strahlen in ihren Bundesländern kaum aus.
In Niedersachsen stritt die AfD unter anderem um ihre Landesliste. Der ehemalige AfD-Landtagsabgeordnete und Ex-AfDler Christopher Emden hielt seinen Ex-Kolleg*innen bei seinem öffentlichkeitswirksamen Austritt vor, eher „Beutegemeinschaft“ als Alternative zu sein. Seine Vorwürfe: Für einen sicheren Listenplatz hätten 4.000 Euro gezahlt werden müssen. Derzeit laufen deswegen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Untreue gegen Ansgar Schledde, der auf Listenplatz 2 antrat – den Wähler*innen war das offenbar egal.
Mit dem Ergebnis zeigt sich: In Niedersachsen entschied weniger die Landespolitik der AfD über den Erfolg. Ganz gezielt hatte sie sich erneut als die Partei der „Normalen“ inszeniert, der rechtschaffen arbeitenden Bevölkerung und deren Abstiegsängsten.
Mobilisierungsthemen Rassismus und Abstiegsangst
In den Wahlkampf war sie etwa mit „Die Meiers – Eine Familie in Niedersachsen“ gezogen: In diesem 16-seitigen Comic stellte sie die alltäglichen Herausforderungen und wirtschaftlichen Sorgen der Meiers – „Christian, 36, Fensterbauer“, „Lisa, 32, Verkäuferin“, „Mia, 9, Ballerina“ „Lukas, 5, Judo-Gelbgurt“, „Finn, Nesthäkchen“ und „Lucy, Wachhund“ ganz konkret vor.
Die AfD griff darin die Sorge auf, dass wegen der Inflation der Familienurlaub ausfällt, dass trotz Arbeit Armut droht und dass die Energiekosten wegen der Wirtschaftssanktionen weiter steigen. Ebenso darf Rassismus nicht fehlen: Dass Kinder „ohne Migrationshintergrund zu einer Minderheit“ gehören könnten, kam ebenso vor.
Die Position der AfD, im Ukrainekrieg mehr zu Russland zu neigen, könnte zudem anziehend auf das deutsch-russische Milieu gewirkt haben. Bereits die Proteste gegen die staatlichen Pandemiemaßnahmen trugen Teile dieses Milieus mit.
Auch offenbaren die Wahlanalysen: Das Thema „Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen“ ist weiter Mobilisierungsthema für die AfD. Im niedersächsischen Landtag könnte die AfD 17 Sitze erhalten.
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