Debatte um Marschflugkörper für Ukraine: Tausch für Taurus
Die Bundesregierung soll einen Ringtausch erwägen, um die Ukraine mit Langstreckenraketen zu beliefern. Expert:innen begrüßen das.
Sprecher:innen des Verteidigungsministeriums und des Bundespresseamts wollten die Berichte auf Anfrage nicht kommentieren. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte verschiedenen Medien, er kenne ein solches Angebot nicht.
Marschflugkörper sind ein Waffensystem, das sich selbst ins Ziel steuern kann. Sie sind dafür gedacht, weit hinter der Frontlinie gelegene Ziele zu treffen. Die Ukraine besitzt bereits Marschflugkörper aus britischen und französischen Beständen vom Typ Storm Shadow und Scalp, doch die Vorräte neigen sich dem Ende zu.
Die Lieferung weiterer Marschflugkörper hält Major daher für notwendig. Gegenüber der taz sagte sie: „Russland hat Munitionsstützpunkte, Gefechtsstände, Versorgungsrouten weit hinter die Linien verlegt. Die Ukraine braucht also Waffen mit größerer Reichweite, wenn sie die strategischen Ziele trotz der großen Entfernung treffen und damit Russland schwächen will.“
Die Ukraine hatte die Bundesregierung bereits im Mai vergangenen Jahres offiziell um Taurus-Marschflugkörper gebeten. Während aus den Reihen der FDP und der Grünen sowie der Unionsopposition vehement die Lieferung befürwortet wird, zeigten sich Bundeskanzler Olaf Scholz und die SPD bislang abwehrend. Die Gründe wechseln – mal ist es die Sorge vor einer weiteren Eskalation, Angriffen auf Russland und dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könne, es gibt aber auch Bedenken gegen die Weitergabe sensibler Daten. Gründe, die Major nicht überzeugen: „Alle Bedenken sind bislang entkräftet worden, zumal Frankreich und Großbritannien ähnliche Marschflugkörper geliefert haben.“
Ein Ringtausch könnte dennoch sinnvoll sein. Im Gegensatz zu den Taurus wären weitere Storm Shadow- oder Scalp-Marschflugkörper sofort einsatzfähig, weil diese bereits an die von der Ukraine genutzten Kampfjets sowjetischen Typs angepasst wurden. Zum anderen würde damit das Problem umgangen, dass die Bundeswehr der ukrainischen Armee möglicherweise sensible Geoinformationsdaten zugänglich machen oder deutsches Personal einbinden müsste. Für Großbritannien oder Frankreich wäre der Deal interessant, weil sie so ein etwas moderneres und aufgrund höherer Präzision etwas wirksameres Waffensystem erhielten.
Der Taurus-Bestand der Bundeswehr soll nach Expert:innen-Schätzungen zwischen 500 und 600 liegen. Hergestellt wird der Taurus von einem Gemeinschaftsunternehmen der Deutschland-Tochter des europäischen Rüstungskonzerns MBDA und Saab Dynamics aus Schweden. Er ist das deutsch-schwedische Gegenstück zu den parallel von MBDA entwickelten und weitgehend identischen Marschflugkörpern Storm Shadow und Scalp. Der Stückpreis liegt bei allen drei Varianten bei etwa einer Million Euro.
Nachweislich erstmals im Einsatz war ein Storm Shadow-Flugkörper im Juni 2023 bei der Beschädigung der zur Krim-Halbinsel führenden Tschongar-Brücke. Während der Taurus über eine Reichweite von bis zu 500 Kilometer verfügt, kommen Storm Shadow und Scalp auf eine Reichweite von bis zu 560 Kilometer. Wobei unklar ist, ob Großbritannien und Frankreich bei ihren Lieferungen die Reichweite verringert haben, was technisch möglich wäre.
Major wies gegenüber der taz aber auch darauf hin, dass Marschflugkörper allein nicht ausreichten, um die Kräfteverhältnisse zu Gunsten der Ukraine entscheidend zu verändern. „Es geht nicht nur um ein Waffensystem, das die Ukraine braucht und das Wunder bewirken würde, sondern um die langfristige, verlässliche Unterstützung der Ukraine im Gesamtpaket, und zwar militärisch, finanziell, humanitär und politisch.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner