Debatte über Islamismus in Frankreich: Ins Wespennest der Laizität

Der islamistisch motivierte Mord an Samuel Paty spaltet die französische Bevölkerung und Politik – sogar über die Landesgrenzen hinaus.

Emmanuel Macron steht mit feierlich geschlossene Augen und offenbar emotional gerührt vor einem Sarg, mit dem Rücken zum Sarg

Macron beim Staatsakt zu Ehren des ermordeten Samuel Paty. Doch lange dauert die Eintracht nicht Foto: Francois Mori/Pool/ap

PARIS taz | Mit seiner Bemerkung, die separaten Regale mit Halal-Produkten in ­Supermärkten oder Kleider für bestimmte Glaubensvorschriften finde er „persönlich schockierend“, weil damit die Selbstabgrenzung von religiösen Gemeinschaften („Communautarisme“) vom Rest der Gesellschaft beginne, hat der französische Innenminister Gérald Darmanin in ein Wespennest gestochen. Wie sichtbar darf denn der Islam in Frankreich sein? Wie soll sich diese in Frankreich von vielen weiterhin als „ausländisch“ betrachtete Religion, die immerhin zwischen drei und fünf Millionen „Seelen“ zählt, integrieren oder assimilieren?

Die Frage hängt mit der Geschichte der Kolonisation, mit gescheiterter Immigrationspolitik der letzten Jahrzehnte und mit einer seit mehr als einem Jahrhundert dauernden Kontroverse über die strikte Trennung von Staat und Religion in Frankreich zusammen. Regelmäßig kommt es zur Konfrontation wegen Kopftuchverbots in Schulen, Verschleierung in der Öffentlichkeit oder „Burkinis“.

Im Stil Reaktion und Gegenreaktion eskaliert derzeit dieser Streit erneut nach dem Mord am Lehrer Samuel Paty, der im Unterricht die umstrittenen Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte. Nach Äußerungen von Staatschef Emmanuel Macron zur Verteidigung der humanistischen und weltlichen Verfassung der Republik werden in den Golfstaaten und in der Türkei französische Importprodukte boykottiert. In der Rede hatte Macron sich gegen den „Separatismus“ fundamentalistischer oder radikaler Muslime in Frankreich ausgesprochen und eine „Strukturierung des Islam in Frankreich“ gewünscht.

Dabei geht es namentlich um die Ausbildung der Imame, die zum Teil aus dem Ausland – auch aus der Türkei – kommen. Gegen diese Organisation des Islam wendet sich der türkische Präsident in einem vehementen persönlichen Angriff: Macron solle „sich auf seine geistige Gesundheit untersuchen lassen“, meinte Recep Tayyip Erdoğan. Er wirft Frankreich eine Diskriminierung der Muslime vor: „Millionen von Mitgliedern religiöser Gemeinschaften werden auf unterschiedliche Weise behandelt“, sagte Erdoğan. Frankreich berief als Reaktion auf die Verbalattacken am Wochenende seinen Botschafter aus Ankara zu Konsultationen nach Paris.

Rechte Töne auch aus der linken Partei

„Am Freitag wurde Samuel Paty zum Gesicht der Republik, unseres Willens, die Terroristen zu brechen, die Islamisten niederzuringen. (…) Wir machen weiter, professeur: Wir werden die Freiheit verteidigen, die Sie so gut lehrten, und wir werden die Laizität hochhalten. Wir werden auf Karikaturen und Zeichnungen nicht verzichten, selbst wenn andere zurückschrecken. Wir werden der gesamten Jugend ohne jede Diskriminierung die Chancen bieten, die die Republik ihnen schuldet. Wir machen weiter.“

Aus Macrons Gedenkrede für Samuel Paty beim Staatsakt in Paris am 21. Oktober

In Frankreich sieht sich die extreme Rechte in ihren muslimfeindlichen Forderungen bestätigt. Das Amalgam zwischen radikalem Islamismus und dem Islam ist in diesen Kreisen schnell zur Hand.

Der nicht weniger patriotische Wortführer der linken Partei France Insoumise, Jean-Luc Mélenchon, wiederum will sich nicht länger von der Staatsführung im Namen der nationalen Einheit instrumentalisieren lassen. Der Präsident müsse seine Strategie überdenken: „Frankreich wurde erniedrigt, gedemütigt und lächerlich gemacht. Was gedenkt er zu tun, außer sich auf Twitter zu äußern?“

Mélenchon glaubt aber in Anspielung auf die Herkunft des Terroristen von Conflans-Sainte-Honorine auch, dass es „ein Problem mit der Gemeinschaft der Tschetschenen“ gebe. Ihre Dossiers müssten „einzeln geprüft werden“. Alle, die in Kontakt mit dem politischen Islamismus stünden wie der Attentäter Abdoulakh Ansorov, müssten „gefasst und abgeschoben werden“. Mélenchon reagiert so auf Vorwürfe von rechts, in denen der Linken sträfliche Sympathien mit dem Islamismus untergeschoben werden.

Wenn die eigentliche Absicht des jungen tschetschenischen Terroristen Ansorov gewesen sein könnte, mit dem Mord am Lehrer Samuel Paty nicht nur den Streit über Mohammed-Karikaturen anzuheizen, sondern generell die Verständigung zu vereiteln, dürfte die Rechnung zumindest teilweise aufgegangen sein. Fünf Jahre nach der blutigen Attacke auf die Redaktion der Satire-Zeitung Charlie Hebdo ist Frankreich keinen Schritt weitergekommen: Weder im Kampf gegen organisierte Dschihadisten oder eher individuelle Täter wie Ansorov noch in der Debatte über die Meinungsfreiheit, die in der weltlichen Republik Frankreich auch das Recht der Gotteslästerung einschließt.

Gefahr einer ideologisch motivierten Überreaktion

Wie schon 2015, als (fast) ganz Frankreich mit „Ich bin Charlie“-Schildern auf die Straße ging, wurde in den ersten Tagen nach der Enthauptung des Lehrers nationale Einheit demonstriert. Doch diese defensive Eintracht hält nie lange. Ein kleine Minderheit – nicht nur von Muslimen in Frankreich – denkt, dass die frechen Zeichner von Charlie Hebdo oder auch der Lehrer mit seinem Unterricht über die Pressefreiheit „selber schuld“ seien und darum für ihre „Provokation“ büßen. Das sind Ansichten, die tatsächlich existieren.

Die Regierung dagegen steht unter politischem Druck, da eine von Rechtsextremisten seit Jahren beeinflusste, latent muslimfeindliche Öffentlichkeit eine starke Reaktion der Staatsführung erwartet. Ohne die Ergebnisse der Ermittlungen abzuwarten, hat der Innenminister angekündigt, 231 wegen Sympathien zum islamistischen Terrorismus oder propagandistischen Aktivitäten registrierte Ausländer würden in ihre Herkunftsländer ausgewiesen.

Von Extremisten benutzte Moscheen würden geschlossen, kündigte Darmanin an, der die Drohung mit der provisorischen Schließung einer Moschee im Pariser Vorort Pantin wahrmachte. Außerdem wünscht der Minister, dass insgesamt 50 Organisationen wie namentlich das Conservatoire contre l’Islamophobie en France (CCIF) oder die Hilfsorganisation BarakaCity wegen ihrer angeblichen Nähe zu radikalen Islamisten verboten und aufgelöst werden.

Meinungsfreiheit soll nicht Laisser-faire sein. Doch solche Eingriffe wie das Verbot von Vereinigungen im Namen der Demokratie müssen von Fall zu Fall gut belegt werden. Die Gefahr einer ideologisch motivierten Überreaktion, die bloß neue Ressentiments schafft, statt die Integration zu fördern und echte Feinde zu bekämpfen, ist in diesem Kontext allgegenwärtig.

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