Debatte Sexismus: Flirtfreiheit des Mannes
In der Debatte über Sexismus zeigt sich die Verwirrung über die Grenze zur sexuellen Belästigung. Wo hört ein Kompliment auf? Ein paar Lösungsvorschläge.
W ie kann ich noch Menschen anflirten, kennenlernen, oder eine*n Partner*in finden, wenn Komplimente als Sexismus betrachtet werden? Wie komme ich überhaupt in Kontakt mit anderen Menschen, ohne dass sie sich sexuell belästigt fühlen? In der aktuellen Debatte über #MeToo, über sexualisierte Gewalt und Sexismus, zeigt sich die Verwirrung um die Grenze zu sexueller Belästigung. Dabei steht der Kampf gegen den Sexismus dem Flirten nicht im Weg. Wir zeigen Lösungen für einige der drängendsten Problemfelder.
Ihr wollt ein romantisches Verhältnis mit jemandem anfangen, seid aber verzweifelt: Wo und wie? Eigentlich gibt es eine große Auswahl an Orten, um in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen: Fitnessstudio, Arbeitsumfeld, politisches Engagement – überall, wo sich Menschen befinden, können sich romantische Verhältnisse entwickeln – nicht nur in Clubs und Bars. Denn: Nur weil eine Frau allein in einer Bar sitzt oder in einem Club tanzt, ist sie nicht unbedingt offen für Angebote.
Dasselbe gilt auch für andere Geschlechter: Menschen wollen und müssen nicht ständig und überall daran erinnert werden, ein Geschlecht zu haben, ein sexuelles Wesen zu sein. Die Angesprochenen haben das Recht, so zu reagieren, wie sie möchten. Sie haben das Recht, von dem Flirtversuch zu halten, was sie halten möchten. Da bleibt euch eins: in Ruhe lassen.
Frauen* kennen es gut: Wenn sie mit Männern* in einem Club sind und diese mal kurz verschwinden, findet ein Tanzwettbewerb um sie herum statt. Die Begleitung merkt das nicht mal: Sobald sie wieder zurück sind, verschwinden diese Antänzer. Dasselbe gilt auch auf der Straße: Unterwegs mit einem Mann*, wird die Frau* nicht blöd angemacht. Sobald sie allein ist, schon. Natürlich können auch in Clubs romantische Beziehungen beginnen. Hier ist es ganz wichtig festzustellen, ob die Person, die angetanzt oder angesprochen wird, ein deutliches Interesse zeigt. Das lässt sich ganz leicht feststellen: Ignoriert dich die Person, vermeidet Augen- und Körperkontakt, dann hat sie keine Lust. Was macht man dann? Man lässt die Person in Ruhe. Alles, was darüber hinaus passiert, ist sexuelle Belästigung.
Nein heißt nein
Heißt nein wirklich immer nein? Ja. Das Bild, das wir von romantischen Fiktionen vermittelt bekommen, in denen der Mann nach dem Nein der Frau hartnäckig bleibt, bis er sie endlich überzeugt – das müssen wir verlernen. Es ist wichtig, die sexuelle Belästigung nicht nur aus der Perspektive zu betrachten, was sich der Mann erlauben darf und wie weit er geht. Die „Flirtfreiheit des Mannes“ ist hier nicht der einzige Gesichtspunkt. Wichtiger sind die Grenzen der Person, der das Angebot gemacht wird. Wiederholung: An einem normalen Tag können insbesondere Frauen* von mehreren Menschen blöd angemacht werden. Wenn sie Nein sagen, dann meinen sie es auch so. Und wenn sie jede*n einzelne*n mehrmals Nein sagen müssen, wird aus dem Flirtversuch Unterdrückung.
Noch ein Hinweis: Anbaggern ist kein Kompliment. Punkt.
Die Geschlechtsorgane an wildfremden Menschen zu reiben oder sie zu begrabschen ist ausnahmslos immer sexuelle Belästigung und kein Kompliment. Wenn wir uns hier einig sind, können wir weitermachen: Wenn jemand nicht angebaggert werden möchte, dann möchte er es einfach nicht. Da ist keine Diskussion notwendig, weil das keine Debatte ist. Ein Eingriff in die persönlichen Grenzen ist psychologische Gewalt. Jemandem dann auch noch zu sagen, er habe das Ganze als Kompliment zu verstehen, ist schlichter Faschismus: „Sei doch froh, dass ich überhaupt Interesse an dir habe“ heißt: „Lass dir alles gefallen, was ich mit dir anstellen möchte.“ Außerdem – wann habt ihr denn das letzte Mal jemandem ein Kompliment gemacht? Gehört das überhaupt zum Alltag in Deutschland?
Heterosexuelle Männer, die Datingapps nutzen, erzählen häufig, dass die Interaktion in der Regel nur auf die Initiative des Mannes hin erfolgt. Ein Grund dafür ist möglicherweise, dass es Frauen* schon früh beigebracht wird, so wenig offensiv zu sein wie möglich. So schwierig zu haben zu sein, wie es geht – das soll ihren Wert bestimmen.
Dabei verstärkt das nur die Vergewaltigungskultur: Ein nicht ernst genommenes Nein kann schwere Folgen haben. Da hilft es allen Geschlechtern zu versuchen, über die patriarchalen Strukturen hinauszuwachsen.
Man kann es Menschen schon ansehen, wenn sie Lust haben, in Kontakt zu treten. Wenn man es sehen und wahrhaben will, ist es überhaupt nicht schwierig. Wenn einem aber nur die eigenen Bedürfnisse wichtig sind und die von dem Gegenüber egal, dann sollte man auch nicht rumheulen, wenn man die Sache beim richtigen Namen nennt – nämlich sexuelle Belästigung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Linke gegen AfD und BSW
Showdown in Lichtenberg
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten