Debatte Heimat und Heimatminister: Die Rechten haben im Grunde recht
Weil die Kritik am Heimatbegriff verwässerte, wurde Seehofers Ministerium möglich. Daraus könnte ein Amt für kulturelle Selbstverteidigung werden.
Geht’s in die Heimat?“ Das war die saublöde Frage der Schwaben, die jedes Jahr aufs Neue gestellt wurde, wann immer meine Familie in die Ferien fuhr. Sonst fiel das Wörtchen „Heimat“ in meiner Kindheit nie. Unsere deutschen Nachbarn bezogen „Heimat“ immer auf die Bergdörfer, in denen sie uns vermuteten. Das rückständige Bild dieser „Heimat“ war so schwer auszulöschen wie die Vorstellung, wir hätten diese zurückgelassen – als sei Heimat ein Stück Stoff, das man ordentlich zusammenlegt und da wartet es geduldig im Kleiderschrank.
Dieses „Geht’s in die Heimat?“ wirkte auch wie eine Entschuldigung für die eher begrenzte Gastfreundlichkeit: Da unten gehört ihr dazu! Da unten seid ihr unter euresgleichen! Da unten nimmt man euch sicher freundlich auf. Die meisten nahmen das Wort „Heimat“ sonst nicht in den Mund. Es kam mir vor, als würden sie letztlich „Geht ihr in eure Vergangenheit?“ fragen. Genau das möchte ich jetzt zurückfragen.
Warum sitze ich plötzlich auf zig Podien und Tagungen, die mit „Heimat“ überschrieben sind? Viele, die „Heimat“ noch vor zehn Jahren nicht als intellektuell tragfähiges Konzept erachtetet hätten, brüten nun darüber, wie man Heimat erneuern könnte. Wobei „Erneuern“ hierzulande meist Nonsense hervorbringt, weil dieses Land zum Erneuern nur bedingt fähig ist. „Heimat“ lässt sich nicht erneuern. Geschichte lässt sich nicht neu erfinden. Sie lässt sich jedoch zum Verschwinden bringen.
Lassen sich Begriffe reinwaschen, nur weil man sie nicht den Rechten überlassen will? Sauber werden sie dadurch nicht, im Gegenteil. Wann kapiert man endlich, dass man mit dieser Normalisierung rechter Diskurse den Rechten vor allem nützt? Ein Blick nach Österreich müsste doch reichen, um zu sehen: Das geht nicht.
Gesammeltes Nichtkapieren
Das gesammelte heimatliche Nichtkapieren wird nun in einer Person erneuert: Horst Seehofer. Seehofer besetzt mit knapp siebzig Jahren das Innenministerium und erhält als barockes Beiwerk das Schmuckwort „Heimat“ dazu. Er will auch kräftig bauen dürfen mit seinem Heimatministerium – allerdings hat er in Sachen Bauen die Zuständigkeiten vorher nicht klar abgesteckt, weder mit dem Wirtschaftsministerium noch mit der Wirtschaft.
Haben die Bayern etwa so gute Erfahrungen mit ihrem Heimatministerium gemacht, dass Seehofer es gleich in den Bund exportieren muss? In Bayern steht, trotz des Heimatministeriums, die CSU so schwach da wie nie. Was durchaus ein Fortschritt sein könnte für Bayern, würde nicht die AfD auf die CSU-Prozente lauern. Nun soll Heimat-Horst es von Berlin aus richten. Doch Seehofer wird höchstwahrscheinlich einen Heimatbegriff propagieren, wie er dem rechten näher steht als dem progressiven Deutschland.
Es geht hier jedoch weder um das Progressive noch um das Liberale, schon gar nicht um das Konservative. Es geht schlichtweg um Zukunftsfragen und den Umgang mit gegenwärtiger Realität: Wenn in einer Grundschulklasse inzwischen jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund hat, besitzt ein Heimatminister im rentenfähigen Alter die Kompetenz, eine Politik zu entwickeln, die alle einschließt?
„Bis zur letzten Patrone“
Im Jahr 2011 sagte Seehofer auf dem Politischen Aschermittwoch der CSU: „Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsystem wehren – bis zur letzten Patrone.“ Die Parolen der AfD sind nicht harmloser, wenn sie aus dem Mund der CSU kommen. Würde man jemand so einseitig Vorbelastetes auf irgendeinen anderen Posten setzen? Beim Thema Heimat ist die Kernkompetenz wohl das Parolenschwingen.
Es wird kein Ministerium für Digitalisierung geben. Keines für Migration. Aber eines für Heimat. Besetzt mit einem Minister, der es als Ministerium für kulturelle Selbstverteidigung missverstehen könnte. Er möchte dafür sorgen, dass rechts von der CSU keine Partei mehr zu finden ist. Derzeit finden sich dort 13 Prozent, die mit Aufmerksamkeit überschüttet wurden.
Auf der anderen Seite finden sich bei dieser Bundestagswahl fast 12 Prozent Erwachsene in Deutschland, die nicht wählen durften. In einem ersten Schritt müsste ein Heimatministerium dafür sorgen, auch ihnen eine politische Heimat zu bieten. Sonst werden es die Regierungschefs ihrer „Heimat“ tun. Und man würde es wieder den Minderheiten zum Vorwurf machen, dass man sie nicht als Staatsbürger wollte.
Deutschland braucht keine „Heimat“
All die Podien zur Heimat, auf denen in den letzten Jahren Gäste erzählt haben, weshalb Heimat wichtig sei! Doch die Rechten sind trotzdem nicht zu diesen Podien gekommen. Sie haben sich stattdessen über die politisch Korrekten amüsiert: weil sie jetzt auch auf Heimat machen, dabei aber unglaubwürdig sind. Und im Grunde haben sie recht. Die verwässerte Kritik hat dazu geführt, dass ein „Heimatministerium“ wieder möglich wurde.
Deutschland braucht keine „Heimat“. Aber es braucht dringend Mut. Den Mut, eine Infrastruktur für den digitalen Wandel zu legen. Den Mut, eine Infrastruktur für gelingende Einwanderung zu schaffen. Den Mut, für den öffentlichen Raum zu sorgen und für die wirtschaftliche Teilhabe der Verarmten – aber auch der Mittelschicht. Wo kein Mut, da kein Optimismus.
ist Autorin und Kolumnistin. Im Frühjahr 2017 erschien bei Hoffmann und Campe ihr Band „Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?“. Sie twittert zum Zeitgeschehen unter @jagodamarinic.
Bisher hatten die Deutschen nicht einmal den Mut, nach zwölf Jahren eine neue Kanzlerin zu wählen. Niemand hatte, so wie Merkel damals unter Kohl, den Mut, ihrer Macht Grenzen zu setzen. Politiker halten sich an ihrer Macht fest, heißt es. Bei Merkel wirkt das beidseitig: Deutschland hält sich an Merkel fest.
Doch weder Merkel noch Seehofer werden dafür sorgen können, dass die Zeit stillsteht. Selbst wenn nun ein Heimatminister prüft, ob einer beim Fußball die Heimathymne leidenschaftlich singt: Der Wandel vollzieht sich. Gesinnungsprüfungen schaffen keinen Zusammenhalt. Beton auch nicht. Miteinander etwas zu wagen schon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers