Debatte Grundrente und Altersarmut: Leistungsdenken scheitert
Die von Arbeitsminister Heil geplante Grundrente soll für mehr Gerechtigkeit sorgen. Aber sie schafft neue Ungerechtigkeiten. Und: Sie ist zu gering.
I n der von Arbeitsminister Hubertus Heil angestoßenen Debatte über die Rente ist Gerechtigkeit ein zentraler Begriff. Das ist gewagt. Denn gerade bei der Rente zeigt sich die enorme Spaltung der Gesellschaft: Jemand, der 40 Jahre zum Mindestlohn Vollzeit arbeitet hat, bekommt etwas mehr als 500 Euro Rente im Monat. Topmanager wie der frühere VW-Chef Winterkorn erhalten dank zusätzlicher Betriebsrente im Ruhestand mehr als sechsmal so viel – am Tag. Der Staat, als Anteilseigner von VW aber vor allem als Steuergesetzgeber, muss für Balance sorgen.
Immerhin: Heils Vorschläge zielen auf die Menschen am ganz unteren Ende der Einkommensskala. Der Sozialdemokrat will die „Grundrente“ aus Steuermitteln finanzieren, so dass Gutbetuchte wenigstens theoretisch mitzahlen. Menschen mit mindestens 35 Beitragsjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung sollen künftig einen Zuschlag zur Rente bekommen, wenn die weniger als 896 Euro beträgt.
Dieser Zuschlag würde RentnerInnen etwas über die Grundsicherung heben, die heute inklusive Wohngeld bei im Schnitt knapp 796 Euro liegt. Eine echte Verbesserung ist, dass Heil keine Bedürftigkeitsprüfung vorsieht. Wer heute als GeringverdienerIn Geld in eine private Rentenversicherung steckt, bekommt die Auszahlung auf die Grundsicherung angerechnet – was viele mit Recht als sehr ungerecht empfinden. Denn Grundsicherung bekommt heute nur, wer wirklich nichts mehr hat.
Wer 40 Jahre zum Mindestlohn gearbeitet hat, soll künftig 961 Euro Rente im Monat bekommen, davon gehen Beiträge für die Krankenkasse ab. Künftige GrundrentnerInnen würden rund 60 Euro mehr erhalten als heutige BezieherInnen von Grundsicherung. Das ist nicht nichts. Aber das nimmt niemandem die Angst vor Altersarmut.
Wie erarbeitet man sich Wertschätzung?
„Es geht um tüchtige Menschen, die sich nach einem Leben voller Arbeit eine ordentliche Rente verdient haben“, sagt Heil. Das sei eine Frage des „Respekts“ vor der „Lebensleistung“.
Aber was ist mit denen, die nur auf 34 Jahre und 11 Monate bei den relevanten Zeiten kommen oder weit darunter bleiben? Sind die nicht tüchtig gewesen, auch wenn sie Kinder erzogen oder Menschen gepflegt haben, ohne dafür Rentenansprüche gesammelt zu haben? Und die Kranken, die gern mehr gearbeitet hätten?
In einem sind sich Heil, seine Widersacher aus dem konservativ-liberalen und seine VerteidigerInnen aus Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften fatalerweise einig: „Jemand, der jahrzehntelang hart gearbeitet hat, hat das Recht, deutlich mehr zu bekommen als jemand, der nicht gearbeitet hat“, lautet das Credo. Das gilt als gerecht. Aber wieso eigentlich?
Wer so argumentiert, verkennt: Arbeit zu haben ist hier und heute ein Privileg. Ja, die Wirtschaft boomt. Unternehmen suchen händeringend Fachkräfte – aber nur bestimmte. Die Leute müssen jung und gesund, passend gebildet, flexibel und mobil sein. Wer einen Makel hat, hat Pech – und den hat jedeR spätestens mit 50. Dann sind es noch 17 Jahre bis Rentenbeginn. Ein „Makel“ ist häufig schon die Existenz eines Kindes – von chronischen Krankheiten oder anderen Kalamitäten gar nicht erst zu reden. Unternehmen zahlen lieber „Ausgleichsabgaben“, als einen Schwerbehinderten einzustellen.
Früher gab es in Unternehmen sogenannte Schonarbeitsplätze. Die waren für jene, die sich für den Betrieb kaputtgeschuftet hatten und die Zeit bis zur Rente überbrücken mussten. Heute gibt es für diese Leute Hartz IV – und später eine mickrige Rente. Sie gehören zu den Millionen Arbeitslosen, die abgeschrieben werden und von denen etliche nicht einmal mehr in der Statistik auftauchen. Wo bleibt der Respekt vor diesen Menschen? In Deutschland gibt es kein Rechtsanspruch auf Erwerbsarbeit. Der Markt entscheidet, ob man seine Arbeitskraft gegen Ansprüche auf die Rente eintauschen kann, nicht der oder die Einzelne. Dabei zeigt die Explosion der Jobs im Niedriglohnsektor, dass viele sich lieber unter Wert verkaufen als arbeitslos zu sein.
Dem Sozialdemokraten Heil, seinen WidersacherInnen, aber auch GewerkschafterInnen ist offenbar nicht klar: Wer den Job verliert, macht keine Flasche Sekt auf. Absagen auf Bewerbungen werden nicht gefeiert, sondern von den Betroffenen mit Trauer, Selbstzweifeln oder Resignation zur Kenntnis genommen. Die allermeisten Menschen empfinden es als Strafe, arbeitslos zu sein. Diejenigen, die sich nach 50 erfolglosen Bewerbungen noch immer ins Rennen um einen Job begeben, verdienen das Bundesverdienstkreuz – und keine Geringschätzung. Sie können sich nicht nur wenig leisten. Ihnen fehlt oft ein soziales Umfeld, aus dem sie Anerkennung beziehen. Sie zusätzlich mit Minirenten zu bestrafen und zu erklären, sie seien selbst dran schuld, ist zynisch. Denn eben das ist die Botschaft des Fingerzeigs auf jene, die jeden Tag aufstehen und arbeiten und deshalb mehr Rente verdienten.
Gerechtigkeit bei der Rente ist ohne Gerechtigkeit in der Gesellschaft nicht möglich. Höhere Löhne bringen auch höhere Renten. Viele Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen blicken mit großer Furcht aufs Alter, weil ihnen klar ist, dass sie dann finanziell Probleme bekommen. Die drastischen Rentenkürzungen unter Rot-Grün aus dem Jahr 2002 werden die voll treffen, die in den kommenden Jahren in Rente gehen. Die private Altersvorsorge, deren staatliche Förderung Rot-Grün eingeführt hat, ist gescheitert. Sie bringt angesichts der niedrigen Zinsen nicht genug Rendite, und viele haben zudem einfach kein Geld dafür.
Das richtige Mittel gegen Altersarmut ist eine staatliche, deutlich über der Armutsgrenze liegende Mindestrente für alle, auch für die, die keine langen Versicherungszeiten haben. Jede Grenze, jede Zugangsbarriere muss dem als Willkür erscheinen, der nicht darüber kommt. Und: Die Lebensleistung eines Menschen spiegelt sich nicht in seinen Rentenansprüchen.
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