Corona-Impfstoff mit Bedenken: Grummeln im Bauch
Milliardengeschäft und Behörden unter Zeitdruck: Kann doch gar nicht sein, dass eine Impfung gegen Corona sicher ist.
Angenommen, wenige Wochen, nachdem Impfungen gegen das Sars-CoV-2-Virus angelaufen sind, taucht dieses Video im Netz auf: ein kleines Kind, das Krämpfe hat, hohes Fieber, verzweifelte Eltern – und dann der Vorwurf: Wir wollten alles richtig machen, haben unsere Kleine gegen Corona impfen lassen, und jetzt das. Der Impfstoff macht sie kränker, als es das Virus je getan hätte. Das Video geht viral, wird millionenfach geteilt, und innerhalb kürzester Zeit müssen vom Impfstoffhersteller bis zur Kanzlerin alle eine verunsicherte Bevölkerung beruhigen.
Vor einem solchen Szenario warnte jüngst der TV-Moderator und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar und berief sich auf prominente Beispiele: In Japan sorgte ein solches Video im Zusammenhang mit Impfungen gegen Gebärmutterhalskrebs dafür, dass das Vakzin dort praktisch nicht mehr verabreicht wird.
In Schweden will sich die Hälfte der Bevölkerung nicht gegen Corona impfen lassen: Dort sind hunderte Fälle von Narkolepsie bekannt geworden, nachdem sich große Teile der Bevölkerung gegen die 2009 grassierende Schweinegrippe haben impfen lassen. Das in Deutschland für Arzneimittelsicherheit zuständige Paul-Ehrlich-Institut hält den Zusammenhang für „konsistent“.
Geht das, so schnell einen Impfstoff zu entwickeln?
Zwar wollen sich in Deutschland nach jüngsten Umfragen 60 bis 70 Prozent sicher oder wahrscheinlich einen Impfstoff gegen Corona injizieren lassen. Und dennoch ist da, ganz subjektiv, diese Grummeln im Bauch: Kann das sicher sein? So schnell einen Impfstoff zu entwickeln? Und dann ist da auch noch was mit mRNA drin, gentechnisch erzeugt, was auch immer das bedeutet.
Impfgegner werden es tatsächlich leicht haben, aus diesem Bauchgefühl Panik zu machen, sollte eine Tatsache nicht klar benannt werden: Alle Impfstoffe haben Nebenwirkungen. Aus dieser Tatsache lässt sich schließen, dass auch Corona-Impfstoffe Nebenwirkungen haben werden.
Und aus der Tatsache, dass vermutlich 56 Millionen Bundesbürger ein solches Vakzin erhalten werden, also 70 Prozent, die nötig sind, um die Pandemie zu stoppen, folgt, dass auch sehr seltene, schwere Nebenwirkungen denkbar sind. Auch wenn sich das bisher nicht abzeichnet: Biontech berichtete am Mittwoch lediglich von Erschöpfung und Kopfschmerzen bei 2 bis 4 Prozent der Proband*innen.
Jeder der Impfstoffe ist zwar, bis zur endgültigen Zulassung, an rund 40.000 Menschen erprobt – von 12 bis 85 Jahren, inklusive Risikopatient*innen mit Vorerkrankungen wie Hepatitis C oder HIV. Aber wenn schwere Nebenwirkungen bei nur einer von einer Million Personen auftreten, dann liegt die Wahrscheinlichkeit, das in den Tests zu entdecken, bei knapp unter 4 Prozent.
Nebenwirkungen und Komplikationen werden rigide dokumentiert
Kurzum, für ein Video wie das von Yogeshwar befürchtete kann es Material geben. Wie eben bei jedem Impfstoff: So führt das PEI, das Paul-Ehrlich-Institut, eine öffentlich zugängliche Datenbank, in der sämtliche seit dem Jahr 2000 in Deutschland nach einer Impfung gemeldeten Komplikationen erfasst sind: Durchfall, Übelkeit, Fieber, Erbrechen, Ausschlag.
Eine Zeit lang hat das PEI sogar sämtliche Einzelfälle anonymisiert veröffentlicht, die Folge: Impfgegner*innen zogen sich die Datensätze runter und stellte sie auf ihre Webseiten, wo man heute noch durchscrollen kann – es wirkt auf den ersten Blick schockierend, sich durch zehntausende Fälle zu klicken. Was da nicht steht: Dass das PEI schreibt, man wisse nicht, ob die Komplikationen vom Impfstoff herrührten, sie stünden lediglich in einem zeitlichen Zusammenhang.
Insgesamt verzeichnet das PEI seit 2000 437 Todesfälle nach Impfungen, darunter 228 bei Kindern. Wohl gemerkt: Sie starben zeitnah nach einer Impfungen. Woran, ist oft unbekannt. Was bei mindestens 800 Millionen in Deutschland verabreichten Vakzinen in den letzten 20 Jahren viele natürliche Ursachen haben kann. Aber in einigen Fällen ist auch erwiesen, dass eine Impfung zumindest mit ursächlich war.
Solche Fälle zu finden und zu skandalisieren, ist also stets möglich. Bei Impfstoffen gilt: Schwere Nebenwirkungen sind bei jeder einzelnen betroffenen Person eine Tragödie, das ersparte Leid von Tausenden, die nicht an Masern, Kinderlähmung oder Covid-19 erkranken, nur eine Zahl in der Statistik.
Dennoch ist es natürlich nicht irrational zu sagen: Ich bezweifle, dass Corona-Impfstoffe wirklich sicher sind, weil ihre Entwicklung so verdammt schnell ging. Es gibt zahlreiche Fälle, wo Behörden oder Ärzte Warnhinweise ignorierten, nicht unabhängig agierten, schlicht korrupt waren oder Irrtümern unterlagen – Contergan ist der prominenteste, Wikipedia führt eine Liste dazu.
Aber zur Bewertung der aktuellen Glaubwürdigkeit von Zulassungsbehörden, klinischen Studien, Medien, Politiker*innen und Konzernchefs tragen diese Anekdoten wenig bei. Die Frage der Sicherheit der Impfstoffe ist vor allem eine an das eigene Vertrauen in die Institutionen, die diese bewerten.
Für die Skandale der Vergangenheit können die nichts – aus ihnen lässt sich lediglich ableiten, ob die Muster, die dazu führten, wieder zu erkennen sind. Das ist bisher nicht der Fall: Das Gremium CHMP, das für die Europäischen Arzneimittelbehörde und damit für die Europäische Kommission die Vorschläge zur Genehmigung auch von Corona-Impfstoffen erarbeitet, kennt eben deshalb niemand, weil es geräuschlos, unabhängig und ohne Skandale arbeitet.
Warum es diesmal schneller geht
Die Geschwindigkeit der Impfstoffentwicklung lässt sich gut erklären: Das liegt an den enormen Ressourcen, die investiert werden, vor allem von der öffentlichen Hand. Die EU etwa kauft die Vakzine ab, egal ob sie am Ende wirken oder nicht, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem das abzusehen ist.
Die Fördermilliarden fließen, der zu erwartende Markt ist gigantisch: 7,7 Milliarden Menschen gibt es, wenn die Hälfte geimpft wird, und das vermutlich wie bei der Grippe, wegen mutierender Viren immer wieder – rechnen Sie selbst nach. Markt und Fördermilliarden: Deshalb entwickeln Unternehmen rasend schnell Corona-Impfstoffe.
Gleichzeitig haben Kliniken weltweit alles andere den Studien für Covid-Impfstoffe untergeordnet. Wegen der Dauerberichterstattung hatten sie keine Probleme, binnen kürzester Zeit genug Freiwillige zu finden. Auch die Zulassungsbehörden haben ihr Personal bei Covid-19 gebündelt und prüfen, sobald Daten vorliegen. Die öffentliche Hoffnung auf einen schnellen Impfstoff hat dabei sogar Vorteile: Sie führt dazu, dass die Genehmigungsprozesse wesentlich genauer observiert werden als bei jedem anderen Impfstoff.
Sind die gegen Covid-19 also sicher? Sagen wir mal so: Statistisch gesehen ist es verdammt unwahrscheinlich, dass die Impfung Ihnen mehr schadet, als sie allen nützt.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott