CDU wählt neuen Vorsitzenden: Sehnsucht nach dem vierten Mann
Bald entscheidet die CDU, ob sie den Merkel-Kurs fortführt oder auf Friedrich Merz setzt. Manche wünschen sich gar eine weitere Option.
A m nächsten Samstag wird erstmals in der Bundesrepublik ein Parteichef online gewählt: Armin Laschet, Friedrich Merz oder Norbert Röttgen. Die CDU begibt sich damit doppelt auf unvertrautes Gebiet. Die 1.001 Delegierten werden nicht kollektiv gelungene Pointen in einer Rede bejubeln oder ratlose Blicke tauschen, wenn ein Redner unsicher oder überfordert wirkt.
In Hamburg, als Annegret Kramp-Karrenbauer 2018 knapp gegen Friedrich Merz gewann, gab die Enttäuschung mancher Delegierter über die fahrige Rede von Merz den Ausschlag. Jetzt ist alles anders.
Andreas Rödder, Historiker in Mainz und CDU-Mitglied, sagt: „Es gibt keine Meinungsbildungsprozesse am Rande des Parteitags. Die Delegierten bekommen nicht mit, wie geredet wird und wie sich Stimmungen aufbauen. Niemand weiß, welche Dynamik ein virtueller Parteitag entfalten wird.“ Nicht nur das Format ist ungewohnt. Es steht eine historische Richtungswahl an: Wie geht es nach Merkel weiter?
Armin Laschet, der Verbindliche, Ausgleichende, würde Merkels Mitte-Kurs wohl fortsetzen. Friedrich Merz steht für einen kulturell konservativen, wirtschaftspolitisch neoliberalen und stilistisch kantigen Kurs. Mehr CDU pur – und mehr Polarisierung. Norbert Röttgen, forsch, intellektuell und mit Außenseiterchancen, will eine modernere, weiblichere und digitale Partei.
Für die CDU sind Kampfkandidaturen ungewohnt. Wenn man das Duell zwischen Kramp-Karrenbauer und Merz beiseitelässt, muss man in der Parteigeschichte sehr weit zurückblättern, um Vergleichbares zu finden: 1973 trat Helmut Kohl gegen Rainer Barzel an. Die CDU kennt sich mit offen ausgetragener Konkurrenz nicht aus. „Sie ist, sagt Rödder, „immer noch ein Kanzlerwahlverein. Solche Richtungsentscheidungen sind untypisch für sie.“
Dennis Radtke, EU-Abgeordneter aus Bochum, zögert indes keine Sekunde. Natürlich Laschet, sagt er am Telefon. Er fährt gerade mit dem Auto von Brüssel ins Ruhrgebiet zurück. Der Ministerpräsident von NRW habe „alle Flügel und Vereinigungen der CDU in seine Regierung eingebunden und auch das Vertrauen der Gewerkschaften und der Industrieverbände gewonnen“, sagt der 41-Jährige.
Genau das sei nötig beim anstehenden ökologischen Umbau der Industrie. Laschet, der Moderate, stehe für „eine Politik, die Strukturbrüche vermeidet, und den Menschen Ängste nimmt“. Anders als Merz. „Ich bin Laschet-Ultra“, sagt Radtke.
Radtke ist Vizechef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), die offiziell für Laschet wirbt. Er hat neun Jahre lang als Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie gearbeitet und war bis 2002 in der SPD. Bei der CDA hat der unternehmernahe Merz, der noch bis März 2020 Aufsichtsratsvorsitzender und Lobbyist beim Vermögensverwalter Blackrock in Deutschland war, schlechte Karten. CDA-Chef Karl-Josef Laumann ist Arbeits- und Gesundheitsminister im Kabinett von Laschet.
Auch von Röttgen hält Radtke nicht viel. Wegen damals. 2010 kandidierten Laschet und Röttgen schon mal gegeneinander – um den Chefposten der CDU in NRW. Röttgen gewann – und verlor danach die Wahl gegen die SPD-Konkurrentin Hannelore Kraft eindeutig. Radtke hatte damals Röttgen unterstützt. Das hält er im Rückblick für einen Fehler.
Röttgen ging nach dem Desaster bei der NRW-Wahl 2012 nach Berlin – das haben viele Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen bis heute nicht vergessen. Röttgen sei eben nur „ein politischer Einzelkämpfer“, so Radtke. Anders als Laschet, der nach dem Röttgen-Debakel 2012 die Scherben zusammengekehrt und die CDU an Rhein und Ruhr „wieder aufgerichtet“ habe.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Sylvia Pantel, Bundestagsabgeordnete aus Düsseldorf, zögert bei der Wahl zwischen Merz und Laschet auch nicht. Natürlich Merz, sagt sie in ihrem Berliner Bundestagsbüro. „Gerade zur Bewältigung der Folgen der Pandemie brauchen wir seine Wirtschaftskompetenz“, so die 60-Jährige.
Steuererhöhungen zur Finanzierung der massiv gestiegenen Staatsschulden seien „der Tod“. Den Vorwurf, dass Merz ein verstaubtes Gesellschaftsbild vertritt, kann Pantel nicht teilen. Der Sauerländer habe sich „deutlich für eine stärkere Förderung von Frauen ausgesprochen“.
Merz hat in schlechtem 80er-Jahre-Stil kürzlich auf die Frage nach schwulen Politikern verlauten lassen, dass dies kein Thema sei, „solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft“. Die prompte Verbindung von Homosexualität mit Pädophilie fanden viele diskriminierend.
Pantel hält die Schwulen-Äußerung für ein Missverständnis: „Die Aussagen von Merz, nach denen er Homosexualität mit Pädophilie in Verbindung gebracht haben soll, sind in der Öffentlichkeit unglücklich und unzulässig verknüpft worden“, sagt Pantel. Und: „Ich bin sicher, dass er niemanden beleidigen wollte.“
Pantel gehört zu dem kleinen, aber lauten rechten Flügel in der CDU-Fraktion. Sie ist Chefin des konservativen „Berliner Kreises“, den einst Alexander Gauland mit begründete, bevor der zur AfD wechselte. Pantel hat gegen den Koalitionsvertrag und das Einwanderungsgesetz gestimmt und bestreitet, dass der Islam zu Deutschland gehört. Sie gehört zur Kerntruppe der Merz-Unterstützer. Und verkörpert in vielem das Gegenteil von Radtke, der sozialen Ausgleich und gesellschaftliche Modernität will.
Pantel und Radtke, die Entschlossenen, sind dieser Tage allerdings nicht typisch für die CDU in NRW. 298 Delegierte kommen aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland – knapp ein Drittel des Parteitages. Ein Stimmungsbild der Delegierten zwischen Rhein und Ruhr zu entwerfen ist nicht leicht, was auch damit zu tun hat, dass alle drei Kandidaten selbst aus NRW kommen.
Bettina Wiesmann, 54, Unternehmensberaterin, CDU-Bundestagsabgeordnete aus Frankfurt am Main
„Wirtschaftliche Kompetenz halte ich für elementar, gerade zur Überwindung der Pandemie und ihrer Folgen. Aber wir brauchen einen Vorsitzenden, der dazu die Flügel der Partei verbinden kann und eine Alternative `nach vorne` bietet. Für mich wäre die Sache entschieden, wenn die beiden im Tandem Laschet/Spahn die Rollen tauschen würden. Jens Spahn hat an der Seite der Bundeskanzlerin die Corona-Krise in beeindruckender Weise gemanagt. Er spricht die Konservativen genauso an wie die Jungen, ist ordnungspolitisch klar und gesellschaftspolitisch offen.“
Die nordrhein-westfälische CDU-Zentrale in Düsseldorf gibt wie viele andere Landesverbände die Namen der Delegierten nicht heraus. Die Wahl sei geheim, heißt es lapidar. Die CDU in Warendorf, westfälisch-konservativ und wohl zu Merz tendierend, weigert sich, eine Anfrage an Delegierte auch nur weiterzuleiten. „Ich will meine Delegierten schützen“, erklärt Kreisgeschäftsführer Martin Arnst.
Im Kreisverband Hochsauerland, wo Merz zu Hause ist, will sich kein Delegierter und keine Delegierte gegenüber der taz offen zu Merz bekennen. Auch in Röttgens Kreisverband Bonn stellt sich niemand offen hinter den Ex-Bundesumweltminister. Kreisverbandschef Christos Katzidis erklärt zwar, dass er beim Parteitag abstimmen wird – aber nicht, wo seine Sympathien liegen. Katzidis ist Landtagsabgeordneter in Düsseldorf.
Der geplante Ablauf
Im ersten Wahlgang werden am 15. 1. voraussichtlich Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen antreten. Bekommt keiner, wie zu erwarten ist, eine absolute Mehrheit, treten die beiden mit den meisten Stimmen in einem zweiten Wahlgang an. Weil im Parteiengesetz digitale Wahlen nicht vorgesehen sind, müssen die Delegierten das Endergebnis noch mal absegnen – per Post. Die 1.001 Delegierten bekommen einen Brief, bei dem sie nur einen Namen ankreuzen können – den des digital ermittelten Siegers. Laschet, Merz und Röttgen haben erklärt, das Onlinevotum anzuerkennen und nicht darauf zu beharren, dass auch Namen von Unterlegenen in dem Brief auftauchen.
Und wenn es anders kommt?
Wenn das Ergebnis der Stichwahl extrem knapp ausfällt, etwa im Bereich von zehn Stimmen, könnte der Unterlegene rebellieren. Ganz unklar wäre die Lage, wenn Kandidat X online eine hauchdünne Mehrheit bekäme, aber bei der Brief-Beglaubigung weniger als 50 Prozent erreichte. Dann gäbe es in der führungslosen CDU einen offenen Machtkampf, ausgerechnet im Superwahljahr 2021.
Die Vorsicht hat Gründe. In NRW will niemand gern auf der falschen Seite gestanden haben. Die Delegierten sind keine einfachen Parteimitglieder, sondern Funktionäre. Sie sitzen als Parlamentarier in Landtagen, im Bundestag oder im Europaparlament. Viele sind BerufspolitikerInnen, die in den Spitzengremien der Landesverbände verankert sind – und etwas zu verlieren haben.
Daher rührt die Hemmung mancher, sich offen gegen den eigenen Ministerpräsidenten zu stellen. Vor allem, wenn sie dem Kabinett oder der Landtagsfraktion nahestehen. Laschet, der beim Management der Coronapandemie oft unschlüssig wirkte, scheint seinen Landesverband recht gut im Griff zu haben.
„Wer sich jetzt klar zu Röttgen bekennt, kann sich dadurch Wege verbauen“, sagt Ulrich Lange, Bürgermeister im ostwestfälischen Bad Lippspringe und damit politischer Beamter. „Ich habe in meinem Alter Rücksichtnahmen nicht mehr nötig“, sagt der 56-Jährige, der auch Vizelandesvorsitzender der einflussreichen CDU-Mittelstandsvereinigung (MIT) ist.
Die Entscheidung zwischen Laschet, Merz und Röttgen fällt Lange schwer. „Ich schwanke, tendiere aber zu Röttgen“, sagt der Bürgermeister des Kurorts am Teutoburger Wald. Röttgen erscheine ihm „frischer“ und „schwungvoller“. Doch leider habe der smarte Außenpolitiker nur „geringe Chancen“ auf den Bundesvorsitz.
Beim Hamburger Parteitag 2018 hat Lange noch Merz gewählt. Doch dessen Auftritte in den letzten zwei Jahren hätten gezeigt, „dass er die CDU nicht führen kann“. Ihm fehle einfach die „Integrationsfähigkeit“.
Die Befürchtung, womöglich Nachteile zu haben, wenn man zu laut für einen Kandidaten trommelt, der dann verliert, ist nur die Oberfläche. Viele, die öffentlich nichts sagen wollen, haben einen anderen Grund: Sie hadern noch und wissen schlicht nicht, wen sie wählen werden.
Auch deshalb ist es so schwierig, solide zu prognostizieren, wer am 16. Januar auf wen zählen kann. Viel ist noch in Bewegung. Laschet kann mit den meisten Stimmen aus NRW und dem großen Landesverband Niedersachsen rechnen. Der Sozialflügel und weite Teile des Parteiapparates wollen ihn. Röttgen hat zwar in der Öffentlichkeit Punkte gemacht – aber keinen Landesverband und keine Gruppe hinter sich.
Dorothea Schäfer, 58, CDU-Vorsitzende und Landrätin im rheinland-pfälzischen Kreis Mainz-Bingen
„Jeder der drei Kandidaten hat etwas für sich, das die anderen jeweils nicht haben. Wir sollten auf keinen Fall strategisch wählen sondern müssen als Partei authentisch bleiben. Wir müssen deshalb den zum Vorsitzenden machen, dem wir das zutrauen und wir sollten nicht danach gehen, was andere uns empfehlen. Ich persönlich will mich noch nicht festlegen. Ich lasse mich ein auf das virtuelle Treffen. Ich möchte die drei auch danach bewerten, wie sie auftreten. Es ist unglücklich, dass wir diese wichtige Wahl nicht bei einem richtigen Parteitag treffen können. Ich bin mir aber auch sicher, dass wir jetzt entscheiden müssen.“
Merz wird von den Ost-Landesverbänden unterstützt, die aber nur ein gutes Zehntel der Delegierten stellen, dem Wirtschaftsflügel und der Jungen Union. Das ist die Karte der Macht. Wenn man genau hinschaut, wird sie an Rändern schnell unscharf.
Zum Beispiel in Baden-Württemberg. Der zweitgrößte Landesverband steht in dem Ruf, eine feste Bastion für Merz zu sein. Dort sind der Wirtschaftsflügel und die Mittelstandsvereinigung stark, die für den Sauerländer wirbt. 154 Delegierte kommen aus dem Südwesten – immerhin halb so viele wie aus NRW. Die CDU-Spitze in Stuttgart hat sich geschlossen für Friedrich Merz ausgesprochen – allerdings noch vor Corona.
Thomas Strobl, CDU-Landesvorsitzender und Innenminister in Stuttgart, glaubt, dass nur Merz mehr konservatives Profil bringt. Mit ihm werde die CDU, so die Hoffnung der Konservativen, bei der Landtagswahl am 14. März WählerInnen von der AfD zurückholen – und so die Grünen schlagen. Manuel Hagel, der junge, konservative Generalsekretär der CDU Baden-Württemberg, glaubt an Merz, weil der „für Bürokratieabbau“ stehe.
Auch Susanne Eisenmann, die zum liberalen Flügel in der Union zählt und als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl den Grünen Kretschmann beerben will, hat sich öffentlich für Merz ausgesprochen. Eisenmanns Merz-Begeisterung hat taktische Gründe. Es ist ein freundliches Signal an die Konservativen in der eigenen Partei, das nicht viel kostet.
Bedeutet das 154 Stimmen für Merz? Kaum. Das einmütige Votum der Spitze für Merz kam in der Partei nicht so gut an. Der Sozialflügel der Union und die Frauenunion protestierten gegen die Festlegung. Auch, ob die Gleichung wirtschaftsnah und pro Merz wirklich stimmt, ist fraglich. Blackrock gilt bei Familienunternehmen im Ländle nicht unbedingt als Ausweis soliden Wirtschaftens.
Alte Trennlinien sind brüchig
Das Bild in Baden-Württemberg ist kurz vor dem Parteitag also nicht monochrom. Generalsekretär Hagel betont, dass die Äußerungen der Spitzen-CDUler nur Meinungsäußerungen waren und keine Festlegung für die 154 Delegierten aus dem Südwesten bedeuten. „Es gibt keinen Beschluss des Landesvorstands“, sagt Hagel der taz. Er schätzt nach Gesprächen in den letzten Wochen, dass die Südwest-Delegierten auf dem Parteitag zu zwei Drittel für Merz stimmen werden.
Die alten Trennlinien zwischen konservativ und modern sind brüchig geworden. Das sieht man mehr als anderswo in Hessen. Früher war hier mal die konservative Stahlhelm-Fraktion zu Hause. Doch da bereits seit 2013 friedlich Schwarz-Grün regiert, ist von der zackigen alten Dregger-Union nicht mehr viel übrig.
Ein Beispiel: Christean Wagner, rechter Flügelmann, Merz-Unterstützer und Mitbegründer des „Berliner Kreises“, ist bei der Wahl für die Delegierten durchgefallen. Das sei ein Signal gegen Quertreiberei, heißt es in der Hessen-CDU. Volker Bouffier, CDU-Ministerpräsident, hält Merz schlicht für den falschen Kandidaten.
Manfred Pentz, Generalsekretär der Hessen-CDU
Denn der polarisiert mit seinen markigen Sprüchen über Schwule und die Deutschen, die sich in Coronazeiten das Arbeiten abgewöhnen würden, nicht nur die Öffentlichkeit – sondern auch die Union in Hardcore-Fans und entschiedene Gegner. Die befürchten, dass Merz, egozentrisch und beratungsresistent, das Erfolgsrezept der vergangenen 15 Jahre aufgeben und die Mitte der Gesellschaft räumen wird. Merz wird die Merkel-WählerInnen in die Arme von SPD und Grünen treiben.
So sieht es zum Beispiel Manfred Pentz, 40 Jahre alt, Landtagsabgeordneter aus Darmstadt und seit sechs Jahren Bouffiers loyaler Generalsekretär. Der 40-Jährige versucht gerade, den im März anstehenden Kommunalwahlkampf zu planen – unter Coronabedingungen eine echte Herausforderung, die, so sieht er es, mit einem Parteichef Merz noch schwieriger würde.
„Über Friedrich Merz ist die Zeit hinweggegangen. Mit ihm als Vorsitzendem besteht die Gefahr, dass die CDU künftig, wie heute schon die SPD, ein Nischendasein erwartet“, sagt Pentz, der alles andere als ein CDU-Linker ist. Ein Ende wie die SPD – das ist so ziemlich das Schlimmste, was man der Union prophezeihen kann.
Karin Wolff, 61, ehemalige hessische Kultusministerin und stellvertretende CDU-Landesvorsitzende, Geschäftsführerin des Kulturfonds Rhein Main
„Ich bin ich noch nicht entschieden. Ich hätte mir gewünscht, dass es nach dem letzten Wahlverfahren vor der Wahl klare Verhältnisse gegeben hätte, die dem gesamten Präsidium ein Gesicht geben. Damit gäbe es einen unbestrittenen Vorsitzenden und ein Team, dass die Profile der Union abbildet. Noch habe ich auch angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen die leise Hoffnung, dass sich das eine oder andere noch zurechtrückt.“
Merz hat natürlich auch in Hessen Fürsprecher. Die hessische CDU-Mittelstandsvereinigung hat ihre Internetseite mit der Merz-Kampagne verlinkt. „Fast 2.000 Unternehmer und Führungskräfte der MIT Hessen sehen in Friedrich Merz den Hoffnungsträger für unser Land“, heißt es da.
Wenn man mit einem Dutzend der 88 Delegierten aus Hessen spricht, gewinnt man einen gemischten Eindruck. Die Zahl von Merz-Fans und -Gegnern scheint recht ausgeglichen, die Merz-Fraktion jedoch etwas kleiner zu sein als noch beim Hamburger Parteitag.
Dann wären da hessische CDUler wie Boris Rhein. Der 49-Jährige war Innenminister in Hessen und ist nun Landtagspräsident. Rhein hat sich in seiner Karriere einen Ruf als Konservativer und Law-and-Order-Mann erarbeitet, der für Vorratsdatenspeicherung und mehr Rechte für die Polizei ist. Also klare Sache – eine Stimme für Merz? Rhein zögert. Er schätze zwar dessen Wirtschaftspolitik, und er gehöre „zu einer Strömung in der Partei, der ich mich durchaus nahe fühlte“.
Doch: „Viele haben Zweifel, dass das ausreicht, ein Land zu führen, das sich sehr schnell weiterentwickelt hat, das längst nicht mehr homogen, sondern sehr divers geworden ist.“ Für Laschet findet er freundliche, aber keine überschwänglichen Worte. Er weiß nicht, für wen er am 16. Januar an seinem Computer abstimmen wird. Und sagt: „Ich bezweifle zunehmend, dass noch ein weiterer Kandidat hinzukommt, der das Dilemma auflöst.“
Die Unsicherheit von Boris Rhein verdeutlicht den Wandel der CDU. Die postideologische Merkel-Ära hat auch die Union durchgefärbt. Weil sich die klaren innerparteilichen Linien und Fronten aufgelöst haben, bilden sich auch jetzt nur schwerfällig Lager mit klaren Präferenzen für die Kandidaten heraus. Wo nur Pragmatismus regiert, wird es schnell etwas nebelig. Und im Nebel ist es schwierig, den Weg zu erkennen.
Hinzu kommen die sichtbaren, wenig vertrauenswürdigen Schwächen der drei Kandidaten. „Merz trifft bei den Parteifunktionären auf viel Skepsis. Gegen Röttgen spricht die verlorene NRW-Wahl 2012 und der Zweifel, ob er teamfähig ist. Und bei Laschet fürchten manche, dass sein Pragmatismus zu konturlos ist und er unter Druck unsouverän wirkt“, sagt Historiker Andreas Rödder. Auch Bürgermeister Lange, der wohl Röttgen wählen wird, meint: „Wir haben keinen optimalen Kandidaten. Als Führungsfigur sehe ich alle drei nicht“, sagt er.
Diese Unzufriedenheit ist die Quelle der Sehnsucht nach dem vierten Mann – nach Jens Spahn, der Laschet unterstützt. Viele wünschen sich hinter vorgehaltener Hand den Gesundheitsminister als CDU-Chef. Spahn gilt als konservativ, aber auch als pragmatisch. So scheint er die wundersame Auflösung der inneren Widersprüche der Post-Merkel-CDU zu repräsentieren.
Spahn, so die Hoffnung seiner Unterstützer, würde nicht wie Laschet Merkels erfolgreichen Mitte-Kurs bloß fortsetzen, der die CDU programmatisch ausgewaschen hat. Er würde aber erst recht nicht, wie bei Merz zu befürchten ist, rabiat damit brechen.
Laut Spiegel soll Spahn selbst in den vergangenen Wochen seine Chancen auf die Kanzlerkandidatur ausgelotet haben.
Bei der Spahn-Begeisterung ist indes Projektion im Spiel: Gerade weil er nicht kandidiert, scheint er besonders vielversprechend zu sein. Und auch die Spahn-Fans wissen, dass ein Putsch gegen Laschet im letzten Moment Verrat wäre. Ein Verrat, der zerstören würde, was der nächste CDU-Chef unbedingt braucht: Vertrauen.
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