Bundespräsident zur Lage der Nation: Ein Hauch Blut, Schweiß und Tränen

Der Bundespräsident stimmt die Bevölkerung auf raue Zeiten ein. Er fordert mehr Wehrhaftigkeit, Verzicht und eine gerechte Verteilung der Krisenlast.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht bei seiner Grundsatzrede an einem Rednerpult im Schloss Bellevue

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Grundsatzrede im Schloss Bellevue Foto: dpa

BERLIN taz | Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Deutschen auf eine lange Ära des Verzichts eingestimmt. „Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu“, sagte er am Freitag in Berlin. Der russische Angriffskrieg sei ein Epochenbruch. Das Land stehe vor einer Zeit „schwerer wirtschaftlicher Verwerfungen, Energiekrise und explodierender Preise“. In dieser fundamentalen Krise müssten die Deutschen wieder zwei Dinge lernen: Bescheidenheit und Wehrhaftigkeit. Es sind zwei Tugenden, die im postmateriellen Wertekanon nicht ganz oben stehen.

Steinmeiers Rede im Schloss Bellevue war vorab als bedeutend angekündigt worden. Und sie erfüllte die geweckten Erwartungen. Diese Rede war, anders als viele bundespräsidiale Ansprachen, nicht nur ein Echo des Common Sense. Sie war eine Intervention mit zwei Botschaften, die man nicht jeden Tag zu hören bekommt: Die Republik müsse wegen des Ukraine­krieges ein anderes Verhältnis zum Militär und zum Verzicht entwickeln. Überspitzt: mehr Bundeswehr, weniger Konsum, mehr Gemeinsinn.

Die Republik müsse „wehrhaft, aber nicht kriegerisch“ sein. Dafür müsse die Gesellschaft der Bundeswehr „den Rücken stärken“. Zudem solle Deutschland seine Rolle als eine der großen Nationen in Europa spielen. „Von uns wird Führung erwartet, Führung im Interesse Europas.“ Das lässt sich als Korrekturzeichen zu der in der SPD derzeit beliebten und mit Hybris aufgeladenen Formel von der „Führungsmacht Deutschland“ lesen. Und es ist ein Seitenhieb auf Olaf Scholz, der bei der Gaspolitik sehr wenig Verständnis für die Empfindlichkeit kleinerer EU-Staaten zeigte.

Der originelle Kern der Rede war die Botschaft, dass der Krieg die Deutschen zum Verzicht zwinge. „Diese Krise verlangt, dass wir wieder lernen, uns zu bescheiden.“ Anders als der Waschlappen-Appell des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, preiste Steinmeier aber das Soziale mit ein. Verzicht klinge „wie Hohn in den Ohren derer, die schon heute nicht über die Runden kommen“.

Interessant war seine Beschreibung der Rolle der Reichen in der Krise. Diese müssten „helfen, die immensen Kosten der notwendigen Entlastungen stemmen zu können“. Viel hänge davon ab, ob die Krisenlast gerecht verteilt werde.

Die logische Konsequenz dieses Aufrufs wäre eigentlich eine Vermögensabgabe zur Bewältigung der Krise. Doch dieses Wort fehlte. So blieb es beim unverbindlichen Appell. Konkret wurde Steinmeier nur beim sozialen Pflichtjahr, das er abermals als Instrument zur Förderungen von Gemeinsinn ins Spiel brachte. Am Ende der Rede stand der obligatorische Mutmachteil, in dem Ostdeutschland eine zen­trale Rolle spielte, eine Region, die offenbar besonderen präsidialen Zuspruchs bedarf. „Alles zu stärken, was uns verbindet. Das ist die Aufgabe“, so Steinmeiers Conclusio.

In politischen Reden ist die „Blut, Schweiß und Tränen“-Rhetorik die rare Ausnahme. Die politische Kultur der Bundesrepublik ist zivil, ihre Rhetorik betont arm an Pathos. In dieser Nüchternheit schwingt noch immer die Distanz zu dem furchtbaren Wir-Versprechen des NS-Regimes nach. Steinmeier gilt geradezu als idealtypische Verkörperung dieser rhetorischen Selbstbegrenzung. Im Zweifel lieber allgemein als konkret, lieber gefällig als anstrengend.

Diese Rede hatte aber eine andere Tönung, sie war farbintensiver und hatte weniger Halteseile als sonst. An zwei Stellen paraphrasierte der Bundespräsident bekannte Pathosformeln. Die Deutschen sollten nicht zuerst nach Entlastungen rufen, sondern tun, was hilft, um gemeinsam durch die Krise zu kommen. Das war eine Variante von John F. Kennedys „Frage nicht, was Dein Land für Dich tut, sondern was Du für Dein Land tun kannst“.

Und der Satz „Ohne den Kampf gegen den Klimawandel ist alles nichts“ war eine etwas bemühte Paraphrase von Willy Brandts Satz „Ohne Frieden ist alles nichts“. Die Passagen zum Klimawandel klangen dann, anders als die zu Ukraine und Krise, wieder sehr nach Common Sense und dem Bemühen, nichts falsch zu machen.

Diese Grundsatzrede kam erst Monate nach dem 24. Februar, dem Beginn des russischen Angriffskriegs. Offenbar brauchte Steinmeier erst die Reise in die Ukraine inklusive persönlicher Eindrücke aus dem Luftschutzkeller auf der Flucht vor russischen Angriffen und das Versöhnungsfoto mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski. Seine politischen Fehleinschätzungen zu Russland erwähnte der frühere Außenminister nur in einem Halbsatz. Keine Selbstkritik, auch keine Rechtfertigung der deutschen Krisendiplomatie. Auch das war eine Botschaft dieses Auftritts. Steinmeier will nach vorne schauen.

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