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Bundeskanzler Scholz in Saudi-ArabienIrgendwas mit Menschenrechten

Karim El-Gawhary
Kommentar von Karim El-Gawhary

Das Schlimmste ist nicht, dass man sich auf Geschäfte mit Ländern wie Saudi-Arabien einlässt. Sondern die Heuchelei um Werte und Menschenrecht.

Kronprinz bin Salman freut sich sichtlich über den Besuch des Bundeskanzlers Foto: Kay Nietfeld/dpa

I m Winter frieren oder in den sauren saudischen Apfel beißen? Die Antwort ist klar. Die Karte energiepolitischer Sachzwänge sticht das Blatt der Menschenrechte. Der kräftige Handschlag zwischen dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und Bundeskanzler Olaf Scholz bei dessen Besuch in Dschiddah beweist das erneut.

Nach der Ermordung des saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul vor vier Jahren galt der saudische Kronprinz als internationaler Paria. Er soll laut einem CIA-Bericht der Drahtzieher dieses brutalen Mordes gewesen sein. Auch die Bundesregierung forderte damals, „dass alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“.

Aber spätestens mit dem Ukraine­krieg, den Sanktionen gegen Russland und der verringerten Lieferung von russischem Gas war klar: Diese Linie hatte ein Ablaufdatum. Zunächst gab kein Geringerer als der US-Präsident Joe Biden mit einer Reise nach Saudi-Arabien im Juli dem kontroversen Kronprinzen den internationalen Passierschein, gefolgt vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Ex-Premier Boris Johnson. Da kräht bei der jetzigen Scholz-Reise schon kaum mehr ein Hahn nach diesen alten Menschenrechtskamellen. Scholz betonte als Feigenblatt, dass er das Thema Khashoggi mit dem Kronprinzen angesprochen habe.

Heute ist es wieder opportun, sich mit dem Kronprinzen zu treffen und, wie Scholz, eine riesige Wirtschaftsdelegation mit elf Topmanagern mitzunehmen. Die Knochensäge, mit der Khashoggi zerteilt wurde, ist Vergangenheit. Es ist verständlich und pragmatisch, dass Europa und Deutschland ihre Energiezufuhr absichern müssen. Aber es wäre ehrlicher, offen zuzugeben, dass Menschenrechte und Demokratie den europäischen Sonntagsreden vorbehalten sind.

Am Ende gibt es in diesem Energiedilemma nur einen Ausweg: sich durch den Ausbau erneuerbarer Energien von den Autokraten dieser Welt weniger erpressbar zu machen.

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Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)
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29 Kommentare

 / 
  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Demokratie ...



    Oskar Lafontaine redete vor Jahren Klartext: youtu.be/nocS-cD4whE .

    Was scheren "Scholtz @ Co." da noch "irgendwelche" Menschenrechte?

    Dann wäre es logischerweise ein leichtes, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben, und zwar sofort!



    youtu.be/PkDi-ZxONjo

  • Die alte Frage: Pest oder lieber Cholera?

  • "Im Winter frieren oder in den sauren saudischen Apfel beißen?"

    Die Antwort zum Schluss sagt, dass man in den saudischen Apfelmus beißen soll um nebenbei die Erneuerbaren zu promoten. Er sagt nicht, dass "wir" frieren sollen, wenn der Verzicht auf saudische Energie dies bedeuten würde.

    Das ist genau auch "Scholz seine" Position. Oder wie es im Artikel heißt "Heuchelei um Werte und Menschenrechte"

  • Der Handschlag selbstbewusst, der Händedruck fest, der Schritt voll Tatendrang. Bedenklich waren die dechiffrierbaren mimischen Kontakte als Konversation und Geste. Dass anschließend Tacheles geredet wurde, ist nicht auszuschließen, aber nach meinem Eindruck zu laufenden Bildern werden wir von erneuter Verstimmung beider Seiten nichts hören. Für übermäßige verbale Streitkultur auf internationalem Parkett steht der Kanzler wohl eher nicht. Den Job machen andere.

  • "Am Ende gibt es in diesem Energiedilemma nur einen Ausweg: sich durch den Ausbau erneuerbarer Energien von den Autokraten dieser Welt weniger erpressbar zu machen."

    Mag sein, ja. Aber Scholz hat das Ergebnis von 16 Jahren Nichtstun unter Merkel geerbt, und muss erstmal schauen, dass die aktuell existierende Infrastruktur betrieben werden kann.

    • @Herbert Eisenbeiß:

      Sicher doch. "Wandel durch Handel" war eine Erfindung der CDU und für Kalten Krieg ist die SPD erforderlich.

  • Hach, wie deutsch! "Heuchelei" als schlimmstes aller Verbrechen.

    Leider lagen Gas und Öl nicht ausschließlich in Norwegen. Aber Saudi-Arabien und die Golfstaaten versuchen immerhin nicht seit Jahren, uns zu vernichten. Russland schon. Das macht nun mal einen Unterschied.

  • Echt tolle Mission,zum Glück führt Saudi Arabien keinen Krieg oder ist dieser Krieg gegen Jemen moralisch vertretbarer als der Krieg in der Ukraine ?????????????????????????????



    Auf jeden Fall reicht das erbettelte Gas scheinbar für einen ganzen Tag !!!!



    Tolle Sache

    • @Jens Tischer:

      Saudi-Arabien ist aber für UNS keine Bedrohung. Russland schon.

      Ich find's ja auch nicht gut, aber es ist nun mal so.

  • Der Unterschied zwischen dem Iran und Saudi Arabien ist klar: Letztere SAGEN, sie wären unsere Freunde.

  • Saudi-Arabien, ist das nicht das Land das seit kurzem billiges russisches Öl importiert um seine Entsalzungsanlagen zu betreiben und das so eingesparte Öl bzw Diesel an den Westen oder genauer Deutschland zu verkaufen?

  • Das maßlose Verlangen nach mehr und mehr Wohlstand (Wachstum) hat seinen Preis. Mehr Energie, mehr Rohstoffe, mehr Müll.

    Der Markt ist leer. Wenn die Mehrheit der Deutschen dieses will, so muss sie nach den Dealern suchen, die den Stoff bereitstellen.

    Wer medial fordert, den Drogenkonsum runterzufahren, wird demontiert.

    Predigern, die meinen, dass Innovation und Technik das Drogenproblem lösen würden, wird vertraut. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

  • Scholz ist nun mal dem deutschen Volk verpflichtet, dessen Grundbedürfnisse nach Wohnen, Heizen, etc erfüllt werden müssen. Danach kann man auch über den Rest reden! Nennt sich interessengeleitete Politik, müssten wir mehr von haben!

    • @Peter Müller:

      Wenn man auch als Wahlvolk keine Werte, nur Interessen hat, dann ja.

      • @Bussard:

        @Bussard:



        Erst die Grundbedürfnisse, dann die Werte. Wenn Sie nichts mehr zum Essen, Wohnen, Heizen, etc haben, können Sie von Ihren Werten nicht leben. Ist so!

  • Saudi.-Arabien ist ein Extrem-Staat:

    - Twitter-Benutzer:innen erhalten Haftstrafen von mehreren Jahrzehnten, ganz aktuell!

    - Es finden öffentliche Hinrichtungen, auch in Gruppen, auf den Straßen statt

    - Das Land führt einen äußerst brutalen Krieg im Jemen unter Einsatz von Clustermunition, der zudem zu hunderttausenden Hungernden führte

    - Das Land bringt einen Journalisten in seiner eigenen Botschaft um, wozu extra ein Killerteam und ein Team zur forensischen Beseitigung einflog.

    - Das Land bedroht weiterhin zahlreiche Exilanten mit dem Tod und setzt dazu Spionagesoftware ein

    - Das Land ist zudem überzeugt, sich all dies leisten zu können, ohne auch nur die geringsten Schwierigkeiten mit anderen Staaten zu bekommen - und damit hat es recht!

    In der Tat ist es zweifelhaft, ob wirtschaftliche Sanktionen helfen würden, da diese in der Vergangenheit in anderen Ländern oft zu keinen Verbesserungen, sondern zu Verschlechterungen der Menschenrechtssituation führten.

    Aber dennoch gilt, dass wer ein solches Land aktiv umwirbt, für sich in keiner Weise in Anspruch nehmen kann, allgemeinen oder auch anderswo für die Menschenrechte einzustehen.

    Es kann schlichtweg nicht sein, dass z.B. Sanktionen gegen Russland oder die Unterstützung der Ukraine durch den Westen aus Menschlichkeit stattfinden, und gleichzeitig (auch um diese Sanktionen für den Westen abzufedern) ein Regime, wie das in Saudi-Arabien, umworben wird.

    Denn wenn Menschlichkeit das Motiv wäre, dann könnten die betreffenden Menschen und Staaten es nicht über das Herz bringen, mit solchen Menschenschindern gemeinsame Sache zu machen.

    Wenn trotzdem auch die Medien weiträumig (auch die taz) immer wieder den Eindruck erwecken, dass es dem Westen um Menschenrechte gehe, dann ist dies nun tatsächlich eine Desinformation - und zwar eine schwer erträgliche - siehe Saudi Arabien!

    Wer Menschenrechtsverletzungen gegeneinander eintauscht, der fördert nicht die Menschenrechte, sondern zerstört sie.

  • Moralisch konsequent wäre danach nur Autarkie. Allerdings woher dann das Lithium und Palladium in Deutschland kommt, wissen wir auch noch nicht.



    Der letzte deutsche Versuch einer autarken germanischen Wirtschaft sollte eigentlich Mahnung genug sein, wohin dieses Denken führt.

    • @Ignaz Wrobel:

      Lithium haben wir selber, garnicht mal so wenig…

    • @Ignaz Wrobel:

      Zur Autarkie: Man sollte Ursache und Wirkung schon noch auseinander halten können.

  • Wenn uns Menschenrechte schnurz sind, warum dann nicht gleich zum alten Lieferanten zurückkehren?

    • @zio pipo:

      Saudi-Arabien versucht nicht,. uns zu vernichten.

      Und selbst wenn es das täte - es hat keine Atomwaffen.

      Russland ist eine Bedrohung für uns, S-A nicht. So einfach ist das.

    • @zio pipo:

      Das ist einfach zu beantworten: Weil der noch dazu die internationale Ordnung zerstört.

      Diese aber hängt noch höher, weil nur sie gewährleistet, dass man immerhin in seinem eigenen Land die Geltung der Menschenrechte durchsetzen kann.

  • Wenn aufrechte, verdiente DEmokraten jetzt im Nahen Osten zu Kreuze kriechen müssen, um die Sorgen um die deutsche Wirtschaft etwas abmildern zu können, stimmt doch etwas nicht: Die Gier nach Rohstoffen kennt keine Menschenrechte, im Gegenteil: Sie hat diese Regimes, bei denen wir jetzt noch `friedliche`Fußballweltmeisterschaften ertragen sollen, erst groß gemacht. Ein kleinlauter Kapitalistenknecht im Regierungsjet auf Bittstellerreise, da lachen doch die Scheichs, insbesondere, wenn sie jetzt auch noch das Know how zum neuen Exportgut Wasserstoff quasi geschenkt bekommen. Doch: Wer soll es abnehmen, wenn die früheren Industriestaaten pleite sind, weil sie dem Weltmarkt nichts mehr zu bieten haben?

    • @Dietmar Rauter:

      Es verdutzte mich lange, dass an den Umgang mit anderen Staaten die ganz woanders auf der Welt existieren, zunehmend Privatmoral angelegt wird.

      Unstrittig ist, dass man wenn man Menschenrechte verteidigt, die dort nur unzureichend gelten, im Recht ist. Aber damit hat es sich auch schon..

      Man hat in der Regel keinen Einfluss auf das Geschehen in weiter Ferne und schon gar nicht kann man dekretieren. Aber mal grundsätzlicher: Wenn man die Maßstäbe hochsetzt, schließt man einen großen Teil der ganzen Staaten aus d.h. man ächtet sie, aber sie sind dann nicht Teil der Ökonomie d.h. der Interaktion! Das kann man - es sei denn man ist die USA die es bei vielen vermögen (nicht bei allen) - einfach nicht tun, dafür hat man als Land nicht genug Macht.

      Also was sollen dann diese Schwanengesänge? Was kann man bewirken? Was soll die Übertragung interpersoneller Moral auf die Staatenebene? Da stimmt gar nichts zusammenund das Thema ist so abgekaut dass es nur noch nervt und mich beschleicht der Verdacht, dass es genau deswegen immer wieder journalistisch hervorgezogen wird (Reizthema bringt ja auch Klicks).

      Gehen wir weiter um mal etwas Gehaltvolles auf das "Papier" zu bringen. Man könnte ja jetzt mir etwas Unschönes vorwerfen: Relativierung. Aber ich mach den Unterschied zu Staaten wie Putins Russland: Diese sind in der Tat ein eigenes und noch größeres Problem und zwar weil sie die ordnung angreifen, die es uns und anderen Ländern ermöglicht, im Inneren und im gegenseitigen Umgang die Menschenrechte aufzuspannen! Das ist der Unterschied, die anderen Despote versuchen uns nicht Land wegzunehmen, auf dem Völker wie die Ukraine ihr Gemeinwesen - demokratisch -leben wollen.

      Deswegen ist dieser Vorwurf der Relativiererei völlig deplatziert.

      Man muss natürlich nochmal etwas sagen: Wenn irgendwo in einem Land Genozide begangen werden, dann haben wir die Schwelle der Nichteinmischung auch überschritten, selbst wenn es nach außen nicht expansiv unterwegs ist.

    • @Dietmar Rauter:

      Die Industriestaaten haben dem Weltmarkt momentan noch sehr viel zu bieten und es ist nicht klar, wer diese in Kürze ablösen sollte!

  • ..Es ist verständlich und pragmatisch, dass Europa und Deutschland ihre Energiezufuhr absichern müssen. Aber es wäre ehrlicher, offen zuzugeben, dass Menschenrechte und Demokratie den europäischen Sonntagsreden vorbehalten sind...



    Dem kann ich mich anschließen.



    ... Die Knochensäge, mit der Khashoggi zerteilt wurde, ist Vergangenheit...



    Scholz hat es angesprochen. Mit diesen Worten?

    • @Ringelnatz1:

      ".... Die Knochensäge, mit der Khashoggi zerteilt wurde, ist Vergangenheit...

      Scholz hat es angesprochen. Mit diesen Worten?"



      Herr Ringelnatz1, Sie sollten Redenschreiber des Kanzlers werden. Zweitjobs Willkommen!



      Happy Sunday ff

  • ... wer mit dem Mörderprinzen kuschelt ...