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Brandmauer in OstdeutschlandEs kommt jetzt auf die CDU an

Kersten Augustin
Kommentar von Kersten Augustin

Nach den Wahlen in Thüringen wird die Union über ihren Schatten springen müssen. Die Versuchung wird groß sein, stattdessen die Brandmauer abzubauen.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (l), Thüringens Mario Voigt und Friedrich Merz beim CDU-Wahlkampfausftakt im Juli Foto: Karina Hessland/reuters

D er Jahrestag zum Bau der Berliner Mauer ist gerade begangen, da könnte in Deutschland die nächste Mauer fallen. Anders als vor 35 Jahren geschieht das nicht mit einem großen Knall, sondern Ziegel für Ziegel. Es ist die Brandmauer, die die CDU zur AfD hochgezogen hat. Und diesmal wäre das kein Grund zum Jubeln.

Auf dem Papier hat die Union beschlossen, dass sie die Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Partei ablehnt. Doch eine Mauer aus Papier ist nicht besonders stabil. Die Brandmauer muss sich täglich bewähren, bei den Mitgliedern, im Wahlkampf, in der Rhetorik, in den Parlamenten. Und da sieht es zwei Wochen vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen nicht nur schlecht aus. Die Brandmauer hat bereits offene Scheunentore.

In einer Umfrage unter 1.002 Mitgliedern der CDU gab fast die Hälfte der Mitglieder an, die Partei solle „zumindest in den ostdeutschen Ländern und Kommunen von Fall zu Fall mit der AfD zusammenarbeiten“. Unter ostdeutschen Mitgliedern stimmten sogar 68 Prozent der Aussage zu. Nun sind solche Umfragen mit Vorsicht zu genießen, aber sie stehen nicht allein.

Aus den Kommunen gibt es beinahe wöchentlich Berichte über die Zusammenarbeit von CDU- und AfDlern. Auch im Erfurter Landtag hat die Union bereits Gesetze mit den Stimmen der AfD auf den Weg gebracht. Rhetorisch und politisch hat man sich angepasst, wenn etwa die CDU Thüringen auf ihren Kanälen die Arbeitspflicht für Ausländer in einem Landkreis damit bewirbt, dass sie umsetze, was die AfD nur fordere.

Jeder Tritt gegen die Brandmauer ist auch ein Test: Wie groß ist die Empörung? Wie weit können wir gehen?

Thüringens CDU-Chef Mario Voigt schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD nach der Wahl zwar weiterhin aus. Aber kann er sich auf seine Abgeordneten verlassen? Die CDUler in Ostdeutschland sind selbstbewusst, sie lassen sich ungern aus Berlin sagen, was sie zu tun haben, und Papiere aus der Parteizentrale landen auch mal im Papierkorb.

Ein Szenario: Nach den Wahlen werden die Verhandlungen mit dem BSW unerfreulich verlaufen. Die CDU wird sich von Wagenknecht nicht ihre Außenpolitik aufzwingen lassen wollen. Was, wenn AfD-Chef Höcke dann mit dem scheinbar selbstlosen Angebot daherkommt, eine Minderheitsregierung der CDU in der einen oder anderen Form zu unterstützen?

Die mediale Aufmerksamkeit hat sich kurz vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen verschoben. Weg von CDU und AfD, hin zum Bündnis Sahra Wagenknecht. Eine neue Partei, die aus dem Stand erfolgreich sein könnte, das ist gerade spannender. Dabei darf aber nicht untergehen: Es kommt jetzt auf die CDU an.

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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21 Kommentare

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  • Der Zusammenbruch der politischen Linke zeigt sich mit zeitlicher Verzögerung nun in den Landstagswahlen. Diese Nachricht geht an alle Parteien nicht nur die CDU. Interessant zu sehen, wie eine Partei bereits angefangen hat, dies zu ihrem Vorteil zu nutzen.

  • "Es kommt jetzt auf die CDU an."

    Bullshit sag ich mal dazu. Die CDU hat n keiner einzigen Kommune die absolute Mehrheit. Rs kommt IMMER auch auf die anderen Parteien an.

    Da sind IMMER auch SPD, Linkspartei, Grüne und FDP mit im Boot. Das das journalistisch nicht mit gesehen wird ist mir schleierhaft.

    Und eine Umfrage die nur von der CDU kommt und sich nur mit der CDU beschäftigt kann wohl kaum für die Behauptung dienen, dass es in der Kommunalpolitik allen auf die CDU ankommt, wenn es um eine Brandmauer gegen die AfD geht.

  • Och, das könnte "witzig" werden bei den nächsten Wahlen im Westen. Viele CDU-Wähler würden nämlich sicherlich zu Hause bleiben, wenn die Schwatten die Brandmauer zu den Brauen - egal wo - abreißen.

  • So leid es mir tut, aber wer in diesem Falle sich auf die CDU verlässt, wird wohl verlassen sein. Die Parolen sind ja schon ähnlich der AfD, warum also nicht mit der AfD, natürlich nur unter der Führung von CDU, aber ...

  • Die Ampel hat versagt und nicht die CDU.

  • Brandmauer ist auch nur ein anderes Wort für weiter wie bisher...und das wird früher oder später in einer Absoluten Mehrheit für die AfD enden!



    Die Wähler sind ja Erwachsene, und wenn sie dann mit über 50% rechts und ganz rechts wählen, dann haben sie auch einen Ministerpräsidenten Höcke verdient....

  • Die Politischen Schnittmenge ist bei BSW und AfD mehr gegeben als von diesen zwei Parteien zur CDU, außerdem sind sie, wie alle Parteien Machtgeil. Also kann es eine Minderheit Regierung der AfD mit Duldung von BSW genauso geben.

    • @Günter Witte:

      Da unterschätzen Sie die CDU...oder glauben Sie, zB Gauland hat seine Vogelschiss-Theorie erst 2014 entwickelt und in den 80ern und 90ern bei der hessischen CDU hat er ganz anders gedacht?

  • Der CDU zu raten über ihren Schatten springen zu müssen ist aus linker Sicht natürlich ein nachvollziehbarer Akt - realistisch betrachtet ist es aber ein vergifteter Rat. Das CDU-Programm hat nichts gemein mit dem der Linken, mit dem des BSW gäbe es schon so einiges (allerdings schwierig, da die Positionen des BSW zu vielem noch vage sind und Frau Wagenknecht zur Zeit beinahe täglich vebal den Preis in die Höhe treibt), am meisten inhaltliche Überschneidung herrscht mit der AfD, der Unterschied liegt oft nur in der Radikalität.



    PS: es offenbart aber schonungslos die ganze Verzweiflung im linken Lager - wenn die letzte Hoffnung CDU heißt, dann steht das Haus längst in Vollbrand

  • Das Problem ist oft: Wenn die AfD irgendwas sinnvolles fordert (sagen wir: Ein Landesprogramm zur Sanierung von Schulen) hat man das Dilemma.



    Entweder ruckelt die Brandmauer. Oder die AfD kann sagen: "Oh, denen sind die Schüler egal".

  • Die CDU-Mitglieder seien in Ostdeutschland selbstbewusst. Was aber, wenn z.B. der Landesverband NRW fordert, ihnen den Geldhahn der Bundespartei zuzudrehen? Die Ostverbände hängen schon davon ab, dass der Westen sie machen lässt, der Westen ist daher nicht so leicht aus dee Verantwortung entlassen.

  • Vielleicht sollten sich die anderen Demokraten mal Fragen was sie seit der letzten Landtagswahl so verkehrt gemacht haben als jetzt mit dem Finger auf die CDU zu zeigen und Ratschläge zu geben!

  • Wer keine Brandmauer gegenüber dem BSW hat, braucht auch keine Brandmauer gegenüber der AfD.

    • @Kurt Kraus:

      So wurde Deutschland schon mal gegen die Wand gefahren...

  • Ich denke es ist umgekehrt:



    Es kommt zuerst auf die Inhalte an, und dann auf die Personen und Parteien.



    Eine Abgrenzung oder "Bandmauer" der CDU wird es zumindest in Ostdeutschland nie geben, denn es geht um die Paranoia, dass das "deutsche Volk" durch Veränderungen von außen unter gehen würde.



    Wenn es inhaltlich nur um alle anderen eigentlichen Themen der Gestaltung geht, nicht zu 127% NUR um "Ausländer raus", dann finden sich auch andere Prozente-Mehrheiten beim Auszählen von Wahlzetteln.



    Das völkische Original ist immer noch der Kommunalwahlsieger von Hildburghausen.

  • Die Rassisten als solche benennen und ihre Organisationen verbieten ist ein Weg.



    Sie zu einer CSU umerziehen wäre ein anderer, den wenige als erfolgsversprechend ansehen.



    Früher hätten die Alliierten zur Notr eingegriffen, was ist heute?

    Oder ganz spröde die Fraktion kaputtkaufen. Ich habe nichts angeregt.

  • Wenn die Honigtöpfchen und die Macht greifbar nahe sind, dann werden genug der CDUler einknicken. Deren persönliches Fortkommen steht dann -wie bei anderen Parzeien auch- ganz vorne. Begründet wird das dann damit, "...das man das Land ja nicht allein den Rechten überlassen könne, Verantwortung und Kontrolle ist wichtig, und wer sonst soll das machen, außer uns?" Das wird der äußere Mantel sein, inhaltlich sind viele der CDUler sehr nahe an den Inhalten der AfD.

  • Wenn die CDU AfD Parolen imitiere, dann würde die AfD normalisiert und die Leute würden das Original wählen und nicht das Imitat. So heisst es immer. Wie kann es aber dann derartige Umfragergebnisse geben? Drastisch verlieren SPD, Grüne und Linke bis unter oder an die Todesgrenze von 5%.

    Und jetzt soll es die CDU auf einmal retten? Irgendwas geht da nicht zusammen.

    • @QuerBeetLeser:

      Sozen und Teile der Grünen sind doch auf das Abschiebemärchen eingestiegen, das verprellt dann eher Stammwähler. Der Faschist Höcke schwadroniert in Thüringen über volle Abschiebeflieger, warum begegnet ihm nicht mal mit Tatsachen, das rechte Regierungen in Österreich zusammengenommen über Jahre nicht mal einen großen Flieger vollbekommen haben und Großmaul Orban auch niemanden in Herkunftsländer abschiebt, sondern andere EU Länder damit belästigt.

      Wer so blöd ist zu glauben, dass es einem abgehängten Landstrich mit zerbröckelnder Infrastruktur in einem Staat mit zutiefst ungerechten Steuer- und Sozialsystem, die Jahrzehnte vernachlässigt wurden dadurch besser geht, wenn man ein paar Asylbewerber abschiebt dem ist nicht mehr zu helfen.

    • @QuerBeetLeser:

      Die Parole ist der Versuch von SPD, Grüne und Linke Verantwortung von sich zu schieben und sich nicht selber hinterfragen zu müssen.



      Gleichzeitig der CDU aber die Verantwortung zu geben, die AFD zurückzudrängen um den eigenen Stammwählern nicht vor den Kopf zu stoßen und reinen Wein einzuschenken, dass manche Positionen Realitätsfern sind.

      Ich will endlich das auch die sPD; Grünen und Linke Verantwortung übernehmen, sonst weiß ich nicht wen ich bei der nächsten Wahl wählen soll.