Berlins Abstimmung zum Klima-Entscheid: Grandios gescheitert
Der Niederlage der Klimainitiative dürfte radikale Kräfte der Bewegung stärken. Dabei bräuchte es mehr gesellschaftliche Akzeptanz für das Thema.
E igentlich hat alles gepasst: Mit immenser Präsenz hatte die Initiative Klimaneustart Berlin in der Stadt für ihren Entscheid geworben; zahlreiche bekannte Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen unterstützten ihr Ziel, Berlin bereits bis 2030 klimaneutral zu machen. Eine Gegenkampagne für ein „Nein“ gab es erst gar nicht: Kaum eine Politiker*in traute sich, sich offensiv gegen mehr Klimaschutz auszusprechen. Und Anfang vergangener Woche hatte der Weltklimarat IPCC noch einmal gewarnt, die bisherigen Anstrengungen gegen die Erderwärmung seien bei weitem nicht ausreichend.
Doch dann stand am Sonntagabend eine Niederlage, die kaum deutlicher hätte ausfallen können für Berlins Klimabewegung: Nicht einmal eine halbe Million Unterstützer*innen votierte mit Ja; damit scheiterte der Entscheid deutlich am 25-Prozent-Quorum. Schwerwiegender für die Interpretation des Ergebnisses dürfte allerdings sein, dass die Zahl der „Nein“-Stimmen nahezu genauso hoch ausfiel. Und das ausgerechnet in Berlin, der vermeintlich linken Stadt, in der im Herbst 2021 eine deutliche Mehrheit bei einem Volksentscheid für die Enteignung großer Wohnungsunternehmen votiert hatte.
Fast ein Patt also bei der Frage, ob mehr Klimaschutz nötig ist: Das wirkt geradezu absurd in diesen Zeiten, in denen täglich die Folgen des Klimawandels für Schlagzeilen sorgen, etwa durch Unwetter, Hochwasser, Hitzewellen et cetera. Zugleich ist es eine unerwartet deutliche Unterstützung für all jene Populist*innen und Konservative, die wirksamen Klimaschutz ausbremsen. Umgekehrt wird das Ergebnis es allen anderen Politiker*innen – nicht nur in Berlin, auch im Bund – schwerer machen, effiziente Maßnahmen gegen die Erderwärmung durchzusetzen, zum Beispiel im Verkehr.
Kaum Stimmen aus der Politik, die „Nein“ sagten
Wobei ein Blick ins Detail hilft. Im Wahlkampf spielte die Frage, ob Klimaneutralität in so kurzer Zeit überhaupt zu erreichen ist, eine zentrale Rolle. Es ging also auch um die Frage der Machbarkeit und die der Kosten. Sogar die meisten Unterstützer*innen gaben zu, dass realistisch gesehen die Zeit dafür sehr knapp sei; selbst die Grünen hielten das Ziel für nicht erreichbar, empfahlen aber trotzdem – wenn auch spät – ein „Ja“. Nicht allen Abstimmenden dürfte sich diese Dialektik erschlossen haben und das Argument, dass allein schon mehr Druck auf die Politik helfen könnte.
Das Positive, das man dem Entscheid abgewinnen kann, ist: Die Berliner*innen, die zur Wahlurne gingen, haben sich mit dem Thema offenbar wirklich auseinandergesetzt – es gab wie gesagt kaum Politiker*innen, die offen für ein „Nein“ warben. Das von vielen prognostizierte Ergebnis, wonach fast nur „Ja“-Sager abstimmen würden, blieb aus. Das ist ein Sieg für die (direkte) Demokratie.
Die Aktivist*innen wird das nicht trösten. Für die Klimabewegung ist das jüngste Scheitern in Berlin die Fortsetzung zahlreicher Niederlagen in den vergangenen Jahren. So gelang und gelingt es zwar immer noch, große Proteste zu organisieren. In der Politik findet das Thema aber weiterhin kaum Nachhall; selbst einfachst umzusetzende Maßnahmen wie ein Tempolimit auf Autobahnen können nicht durchgesetzt werden.
Doomsday-Szenarien und Frust
So ändert sich – allen düsteren Zukunftsszenarien und Protesten zum Trotz – politisch viel zu wenig. Schlimmer noch: Für all jene, die die Klimakrise für dramatisch halten, verfestigt sich die Erkenntnis, dass diese Gesellschaft unfähig ist, absehbare, von der Forschung belegte bedrohliche Entwicklungen auch nur verhindern zu wollen. Zu den Doomsday-Szenarien gesellt sich so immer mehr Frust.
In der Klimabewegung dürfte das radikaleren Kräften wie der Letzten Generation Auftrieb geben. Doch deren Aktionen sind bisher nicht förderlich, dem Klimaschutz mehr gesellschaftliche Akzeptanz zu verschaffen. Nicht wenige sagen, sie würden sogar abschreckend wirken.
Dabei muss es Ziel sein, Klimaschutz in breiteren Schichten als relevantes Thema zu verankern. Denn zur bitteren Wahrheit des Volksentscheids gehört auch: Die Beteiligung lag mit knapp 36 Prozent zwar auf dem Niveau anderer Entscheide in Berlin, die nicht parallel zu einer Wahl stattfinden. Aber sie war eben doch sehr niedrig für ein derart wichtiges Thema.
Geht man mal davon aus, dass tendenziell viele Menschen, die mit „Ja“ stimmen wollten, das auch getan haben, bleibt eine erschreckend große Gruppe übrig. Sie zu erreichen muss ein wesentliches Ziel der Klimabewegung blieben. Und wie warb die Initiative Klimaneustart Berlin im Wahlkampf: „Es ist noch nicht zu spät“. Hoffen wir mal, dass das auch stimmt.
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