Auto trotz E-Bike: Statussymbol Elektrorad
E-Bikes tragen offenbar nicht dazu bei, dass es weniger Autos gibt. Wer braucht sie dann überhaupt noch?
V or der Schule meines Sohns steht ein Felgenbrecher. Also einer dieser halbrunden Doppelbögen, in die man das Vorderrad seines Fahrrads schieben kann. Wenn man Glück hat, steht das Rad da später noch. Mit etwas Pech ist jemand dagegen gestoßen, das Rad ist umgefallen – und hat eine Delle in der Felge.
An diesem Symbolbild musealer Radinfrastruktur traf ich jüngst einen Mitschüler-Vater und sein auffällig schickes, neues Rad. Schlankes Design, hydraulische Scheibenbremse, im Rahmen integriertes Licht – und natürlich mit Motor. Der stolze Besitzer erklärte mir, das Bike sei im Angebot gewesen, „da konnte ich nicht widerstehen“. Seither legt er die gut ein Kilometer lange, flache Strecke zur Schule des Kinds mit dem E-Bike zurück.
Warum auch nicht? Wenn mehr als die Hälfte aller Autofahrten kürzer als fünf Kilometer sind und das angesagte Verkehrsmittel für „die letzte Meile“ der E-Roller ist, dann braucht ein Rad zur Erhöhung des Standings auch einen Antrieb jenseits eigener Körperkraft. „Bio-Bikes“, sprich Räder ohne Motor, sind die SMS unserer Zeit: Geht schon noch, nutzen aber nur noch Nerds. Wer vorne mit dabei sein will, trägt Helm mit integriertem Blinker und hat eine elektronische Schaltung am Bike.
Vor ein paar Jahren war der E-Bike-Gedanke für mich eine Verheißung: Menschen würden ihr Auto verkaufen, weil sie größere Einkäufe oder zwei, drei Kinder bequem per Rad transportieren könnten. Ältere, untrainierte Menschen trennten sich von ihrem Auto – schließlich kämen sie auch bei einem Wohnsitz auf dem Land mit dem E-Bike überall hin. Pizzabotinnen und Paketzusteller, niemand würde mehr ein Auto brauchen.
Falsche Visionen
Ich sah Städte voller Flaniermeilen und breiten Radwegen – auf denen entspannt der Dreijährige ebenso wie die Rennradfahrerin Platz fänden. Einen Pkw würde sich der moderne Städter nach Bedarf für den Urlaub oder den Ikea-Einkauf leihen.
Inzwischen habe ich eine ernüchternde Studie in meinem Bekanntenkreis angestellt. Von den Dutzenden E-Bikefahrern hat exakt keiner sein Auto verkauft. Eine Minderheit fährt einige Strecken per E-Bike, die früher mit dem Pkw absolviert wurden. Die Mehrheit hat jetzt schlicht einen Motor am Rad.
Wenn E-Bikes nicht dazu beitragen, dass weniger Autos fahren und parken, haben sie eben doch nur den Charme von Treppenliften. Klasse, dass es sie gibt. Aber man kann froh sein, (noch) keines zu brauchen. Ich habe eine Sammlung Bio-Bikes. Zur Infrastruktur Marke Felgenbrecher vor der Schule passt am besten das 100-Euro-Bahnhofsrad aus der Polizeiversteigerung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung