piwik no script img

Zugesagte Aufnahme von Af­gha­n*in­nenErneut verraten

Frederik Eikmanns
Kommentar von Frederik Eikmanns

Deutschland hatte zugesagt, vulnerable Personen aus Afghanistan aufzunehmen. Die Union will das Programm aussetzen – und die Menschen abermals im Stich lassen.

Ein geflüchteter Afghane in Pakistan Foto: Nabila Lalee/dpa

N un haben Sie es also ausgesprochen. Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, würde die Aufnahmezusagen für afghanische Men­schen­recht­le­r*in­nen gern zurücknehmen. Jedenfalls will er, dass der nächste Bundesinnenminister das versucht. Momentan spricht viel dafür, dass es genau so kommen wird, schließlich geht das Haus absehbar an CSU-Mann Alexander Dobrindt.

Der Plan ist so armselig, dass einem die Worte fehlen. Es geht um Frauen, Kinder, Journalist*innen, Aktivist*innen, Homosexuelle – Menschen, die unter dem Regime der Taliban um ihr Leben fürchten müssen. Sie sind die Reste der Zivilgesellschaft, die entstehen konnte, solange die internationale Koalition mit deutscher Beteiligung die Taliban in Schach hielt. Menschen, denen mit dem kläglichen Abzug der Sol­da­t*in­nen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Nach diesem ersten Verrat will die Union jetzt, dass Deutschland sie erneut im Stich lässt. Und das, obwohl ihnen die Evakuierung bereits zugesichert war.

Dabei auf Sicherheitsrisiken zu verweisen, wie es die Union in jüngster Zeit ständig tut, ist absurd. Bei denen, die Aufnahmezusagen bekommen haben, handelt es sich um eine handverlesene Gruppe – von mehreren Ämtern und Ministerien gecheckt und vielfach überprüft.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Frei spart sich diesen offensichtlichen Vorwand und spricht stattdessen über die schwindende „Integrationskraft“ der deutschen Gesellschaft, die weitere Aufnahmen nicht erlaube. Auch das ist lächerlich, schließlich geht es um weniger als 3.000 Personen. Von den vielen tausenden anderen, die ebenfalls schon kontaktiert wurden, aber nie eine Aufnahmezusage bekamen, spricht schon lange keiner mehr.

Die Absurdität von Freis Aussagen entlarvt, worum es wirklich geht: migrationspolitische Härte selbst, die die Union ausstrahlen will, um Zustimmung in der Bevölkerung zu gewinnen. Es ist diese Kaltherzigkeit, die den Kern der von der Union groß angekündigten „Asylwende“ ausmacht. Für Menschlichkeit und Moral ist da kein Platz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Frederik Eikmanns
Fachredakteur Inland
schreibt über alles, was im weitesten Sinn mit Migration zu tun hat.
Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • Es scheint, als setzten die „etablierten“ deutschen Parteien alles daran der Welt zu beweisen, das die Adjektive im Namen & Programm ihrer jeweiligen Parteien nicht mehr gelten: Man/frau distanziert sich von den Attributen sozial, grün, liberal oder christlich.

    Man offenbart stattdessen ein machtpolitisch motiviertes taktisches Verhältnis zu Moral, Anstand, Gesetzestreue und Menschenwürde.

    Vielleicht war der Fall Kournaz hier schon vor Jahren wegweisend.

  • Gegen die Ortskräfte hätte sicher niemand etwas in Deutschland, aber die Grünen und die von ihnen unterstützten NGOs haben den Rahmen ja ausgedehnt.



    Insofern ist es folgerichtig in Ordnung, dass die neue Bundesregierung die Auswahl überprüft.

  • Die Union ist sich für nichts zu schade, das das C in ihrem Namen ad absurdum führt. Merz, Frei, Spahn, Klöckner und demnächst wohl das Dobrind als Innenminister. Mindestens 3 der genannten hatten sich vor einigen Jahren schon für jedweden zukünftigen politischen Posten disqualifiziert. Aber bei der Union wird ja alles schlechte von vorgestern wieder aufgewärmt. Aber die Migranten sind ja angeblich schuld am Rechtsruck. 4 Jahre im Kloster, statt in der Regierung würde denen auf jeden Fall besser tun

  • Die Union hat eben nicht nur einen Wahlkampf mit Rechtsextremismus angereichert, sondern sie folgen dieser Logik jetzt eben auch an der Regierung. Außenpolitisch ist es eine Katastrophe. Wie glaubwürdig ist die deutsche Außenpolitik?

  • "von mehreren Ämtern und Ministerien gecheckt und vielfach überprüft."



    Wie kann es dann sein, dass nach übereinstimmenden Medienberichten bei einer 2-stelligen Anzahl Afghanen bei der Einreise im letzten Flug "gefälschte oder geänderte Passdokumente" festgestellt wurden? Irgendwo wurde da wohl geschlampt.... Und auch einer 2-stellige Anzahl Afghanen wurde dir Ausreise aus Pakistan aus genau diesen Gründen verwehrt....

  • In der Überschrift steht: "Gefährdete Ortskräfte aus Afghanistan"



    Im ersten Satz: "Deutschland hatte zugesagt, vulnerable Personen aus Afghanistan aufzunehmen."



    Das sind zwei völlig verschiedene Gruppen von Personen.



    Ortskräfte waren in den letzten Maschinen aus Afghanistan fast gar keine mehr - meist nur 1 Person pro Flieger oder einige wenige. Das ist ja der Hauptkritikpunkt.



    Bitte nicht Äpfel und Birnen zudammenwerfen.

  • Die €DU/€$U hat KEINE ethischen Grundwerte.



    So wie viele deutsche Wählerinnen.



    Daher ist "Gutmensch" in Deutschland ja auch ein Springerpresse-Schimpfwort.

    Ein weiterer Kniefall vor dem selbstgezüchteten rechten Mob.

    Wir werden Annalena Bärbock noch sehr vermissen.

  • Natürlich gibt es Sicherheitsrisiken.

    www.focus.de/polit..._id_260754994.html

    Laut diesem Artikel sind zahlreiche Identitäten ungeklärt, und es kommen eben nicht nur Ortskräfte und deren Familien an.

  • Dass ist das generelle Problem mit Konservativen. Sie konnten gut verwalten, aber in Zeiten, in denen mehr gefragt ist, als nur zu verwalten, in denen wikliche Visionen für eine bessere Zukunft gefragt sind, in denen man selber Ideen für ein gesellschaftliches Miteinander benötigt werden, stinkt die Union mehr als ab!



    Nicht mal die menschenverachtende Politik, die hier beschrieben wird, ist ihnen selber eingefallen. Die Union kopiert auch hier schamlos die Ideen anderer, in dem Fall der Afd, weil man sich so immer noch verspricht, die an die Afd verlorenen Wähler wieder zurückgewinnen zu können!



    Nimmt man dazu noch die ganzen Ideen, die in Sachen Schuldenbremse von den Grünen kopiert werden, so sieht man hier eine Partei, der selber gar nichts mehr einfällt außer Wählerbeschiss im sehr großen Maßstab und alte Minister auf neuen Posten!



    Das ist einfach nur noch armselig und wird sich, sofern die Wähler sich es über 4 Jahre merken können, auch eine saftige Quittung für die Union geben.

  • Alles richtig, aber es ist auch so, dass ein Flieger aus Afghanistan die AFD ca. einen Prozentpunkt ansteigen lässt. Ich kenne die Lösung für dieses Dilemma nicht. Auch hat die Frau Baerbock durch ihre Art in diesem Bereich mehr Porzellan zerschlagen, als es nötig war. Naja.

  • Die Ampel Regierung hatte genug Zeit gehabt, die Afghanen hierher zu holen. Jetzt auf letzten Tagen so tun, dass Union schuld ist, ist Einfall billig.



    Frau Baerbock hat einfach versagt mit ihrem Feministische Außenpolitik. Man hat bei der Frauen Aufstand im Iran auch gesehen.

  • Es waren 500 (fünfhundert) Ortskräfte für Deutschland tätig. Nicht 20.000...

    • @Wellmann Juergen:

      Und Sie sind sich sicher? Waren Sie dabei?

  • Ein Problem ist das geschwundene Vertrauen, wer da genau zu uns kommt. Die Leute sind angeblich von allen möglichen deutschen Diensten und Ämtern überprüft, trotzdem kommen offenbar zumindest teilweise andere Menschen in Deutschland an, zum Teil sind die Pässe gefälscht. Wie kann das sein?

  • In der Überüberschrift heißt es "Ortskräfte", in der Einleitung dann "vulnurable Gruppen". Genau diese Verwässerung ist das Problem.

    Bei "Ortkräften" hätte es ja noch ein gewisses Maß an Zustimmung gegeben. Man hätte sie schnell und einfach bestimmen und ebenso schnell auch ausfliegen können. Durch die Ausdehnung der Parameter durch die Ampel und die vollkommen unterschiedlichen Vorstellungen im Außen- und Innenministerium hat die Neuregierung jetzt ein Problem geerbt. Und in der Bevölkerung ist die Aufnahmenereitschaft gleich Null.

    Gut gemeint ist nicht gut gemacht.

    • @DiMa:

      Tja, wenn das der Roosevelt auch so gesehen hätte, wären so manche Deutsche Flüchtlinge nicht nach USA reingekommen. Glück gehabt mit dem Roosvelt. Das wäre heute schon schwieriger. Mal sehen wenn der Putin Ernst macht, ob dann wieder die Schiffe ablegen in Hamburg und Bremen.

  • Symbolpolitik einer inhaltlich komplett leeren Partei, die großmäulig auf gestrige Politik setzt und ... genau deswegen von vielen Leuten gewählt wurde...



    Eines muss der Union schon lassen, sie hat ziemlich erfolgreich davon abgelenkt, dass wir in einem extrem ungleichen Land leben. Den Normal- und Geringverdienern haben sie eingebläut, dass die Bürgergeldempfänger und die Ausländer schuld an ihrem "Auf-der-Stelle-treten" sind...



    Spens Jahn liebäugelt jetzt noch mit der AfD, was Frau Klöckner noch vermitteln möchte.... krasse Partei, krasse Wähler...

  • Ein sehr guter Kommentar.



    Das Problem ist, dass seitens der Medien der Sachverhalt viel zu wenig kommuniziert wird, dass hier Menschen kommen sollen, die keine Islamisten sind, sondern die den bundesdeutschen Truppen in Afghanistan geholfen haben und die Regimegegner und Gefährdete sind.



    Diese Unschärfe in der Berichterstattung begünstigt die Niederträchtigkeit von Frei, Dobrindt, Merz und Konsorten.

  • Ich habe zum Thema natürlich null Detailkenntnis, wenn ich jedoch irgend etwas armselig finde, dann, dass wir das Thema 3 Jahre später auf dem Tisch haben. Wer hat denn wieder mal so lange geschlafen und nix gekonnt? 2.500 Menschen, grob gesagt 10 Flugzeuge. Wie lange dauert das, das zu organisieren?



    Und sich jetzt am Dobrindt abarbeiten. Klar.

  • Es ist die Intransparenz dieses Aufnahmeprogrammes welches ihm selber schadet. Eine unbekannte NGO entscheidet also wer nach Deutschland darf, niemand weis nach welchen Kriterien Entscheidungen getroffen werden, niemand weis wie diese Personen überprüft werden. Bei den meiste Flügen wahren immer nur rund 10 % der Personen Ortskräfte + ihren Familien, wer wahren die anderen ? Wenn es hier wirklich darum ginge Ortskräfte zu retten, muss es für jeden nachvollziehbar sein.

  • Wahrheitsgemäß muss man aber auch zugeben, dass es eben nicht "nur" um Ortskräfte geht. Sondern um zusätzliche humanitäre Aufnahmen, die in dem Programm versteckt sind.

    Und das entspricht einfach nicht mehr dem Willen der Bundesregierung sondern ist von Grün untergeschoben. Die reinen Ortskräfte mit Zusage hätte man längst abschließen können.

    • @Dr. Idiotas:

      Na das die Nichtortskräfte eine Sache der Grünen ist, war doch klar. So viel christliche Nächstenliebe ist von CDSU nicht zu erwarten und die FDP hat auch kein Interesse, da die Kommenden keinen Posche zusammenschrauben können und dem Selbstständigen nur auf der Tasche liegen.

  • "Für Menschlichkeit und Moral ist da kein Platz."

    Erstens das.

    Zweitens: Welche "Strahlkraft" will "der Westen" denn noch verbreiten?

    Amerikanische Bomber verwüsteten Deutschland. Trotzdem waren ihnen die besiegten (West-)Deutschen ewig dankbar, für Marshallplan, Kennedy, Carepakete, Demokratie, Rosinenbomber usw.

    Kann dasselbe gesagt werden von Afghaner, Iraker, Vietnamnesen?

    Und wie der "Westen" seine Verbündeten behandelt: Erst nutzen und für seine Interessen sterben, dann fallen lassen.

    Nicht nur afghanische Ortskräfte können davon ein Lied singen, sondern auch Kurden und vielleicht bald Ukrainer.

    • @Stavros:

      Tja, im Kern das deutsche Wirtscahftsmodel seit Jahrhunderten und auf Ziel der neuen Regierung; Lieferkette zeigt zuviel der Zusammenhänge, darum wieder aufheben.