Wahlverhalten junger Menschen: Früher wählte die Jugend links
Heute wählen junge Menschen zunehmend rechtsextrem. Die Gründe dafür liegen in einer gefühlten Unsicherheit durch zu viele Krisen.
D as politische Establishment war im April dieses Jahres regelrecht schockiert, als wir die Ergebnisse unserer Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ präsentierten. Die populärste Partei für die 14- bis 29-Jährigen sind nicht mehr die Grünen, es ist die AfD. Dieses Ergebnis war so überraschend, dass zahlreiche Medien darüber diskutierten, manche die Ergebnisse anzweifelten und methodische Zweifel erhoben. In den bald darauf folgenden Wahlergebnissen der EU- und Landtagswahlen in Ostdeutschland zeigte sich dann klar, was sich in unserer Studie abzeichnete: Junge Wählerinnen und Wähler, die lange als woke, politisch progressiv und eher links galten, geben ihre Stimme zunehmend einer Partei, die rechtspopulistische und nationalistische Positionen vertritt.
Wie lässt sich dieses Phänomen erklären? Junge Menschen in Deutschland stehen vor großen Herausforderungen, die ihre Zufriedenheit und ihre politischen Präferenzen stark beeinflussen. Jugendliche und junge Erwachsene wachsen in einem Land auf, das gefühlt den Wohlstandszenit überschritten hat. Das Leben fühlt sich für viele an wie das Navigieren auf Sicht durch den Dauerkrisenmodus. Sie fühlen sich nicht beteiligt an den politischen Entscheidungen für die Zukunft, das führt zu einem Ohnmachtsgefühl im Gegensatz zu einer gestaltbaren und wünschenswerten Zukunft.
Aber man darf nicht alle jungen Menschen in einen Topf werfen. Es gibt viele, die wirtschaftlich so gut dastehen, dass ihnen die finanziellen Herausforderungen der Inflation und Wirtschaftskrise nichts anhaben. Es gibt andere, die gut darin sind, sich auf das in ihrem Umfeld Gestaltbare zu konzentrieren und so keinen Kontrollverlust erleben. Doch die allgemeine Lebenszufriedenheit dieser jungen Generation ist – entgegen dem Bild, das oft von der glücklichen, digital vernetzten Jugend gezeichnet wird – aktuell auf einem Tiefstand. Der Trend wurde nach den Pandemiejahren nicht positiver, sondern deutlich negativer. Ein entscheidender Faktor ist die wirtschaftliche Situation, die sich für viele junge Menschen tagtäglich bemerkbar macht: Wenn sie verzichten müssen und trotz guter Chancen auf dem Arbeitsmarkt voll Ungewissheit in die Zukunft blicken.
Hier setzt die AfD an: Sie spricht gezielt Menschen an, die das Gefühl haben, vom politischen System vergessen worden zu sein. Eines der zentralen Motive für junge Menschen, die AfD zu wählen, ist die Angst vor der Zukunft. Eine Angst, mit der sie sich von der Regierung allein gelassen fühlen. Viele junge Menschen erleben täglich, dass ihnen das Geld für vieles fehlt. Sie müssen sich in Verzicht üben und von manch lieb gewonnener Gewohnheit verabschieden. Sie befürchten, dass sie sich weder Eigentum noch eine stabile Zukunft leisten können, obwohl ihre Chancen und Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt gut sind. Durch die AfD fühlen sich manche junge Menschen ernst genommen. Zudem verspricht die Partei einfache und verständliche Lösungen, egal ob diese im Realitätscheck bestehen würden oder nicht. Was zählt, ist oft nicht die faktische Sicherheit, sondern ein Gefühl von Sicherheit.
Simple Botschaften verfangen
Die AfD schafft es auch, auf tief verwurzelte Ängste vor Überfremdung und den Verlust nationaler Identität einzugehen. Der Anteil junger Menschen, die Angst vor Zuwanderung haben, ist im letzten Jahr von rund 20 auf über 40 Prozent gestiegen. Und mehr als die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen haben den Eindruck, dass der Staat sich stärker und besser um Flüchtlinge kümmert als um hilfsbedürftige Deutsche. So verfängt die Botschaft der AfD, dass sie sich konsequent gegen Zuwanderung und für Abschiebungen stark macht. Und sie hat es geschafft, dass ihre auch junge Anhängerschaft vollkommen ausblendet, wie notwendig Zuwanderung für die alternde deutsche Gesellschaft ist.
Angst macht jungen Menschen aber auch der Krieg in der Ukraine. Ältere argumentieren gern, dass es für sie nicht anders war zu Zeiten des kalten Krieges. Dabei vernachlässigen sie, in welcher Weise Smartphones heute als Verstärker der Krisen und Kriegsbilder wirken. Die neuen digitalen Zugänge führen im Vergleich zu früher zu einer Art Krisendauerbeschallung, mit denen viele junge Menschen nicht klarkommen. Dass die Vorstellung eines von der AfD thematisierten Friedens erstrebenswert klingt, ist zumindest nachvollziehbar. Noch dazu, wenn viele junge Menschen dank russischer Propaganda in den sozialen Medien den Eindruck bekommen, dass der Krieg nicht die Schuld Russlands sei.
Die digitale Transformation hat den Zugang zu Informationen grundlegend verändert. Junge Menschen informieren sich zunehmend über soziale Medien wie Instagram, Tiktok, Youtube, und weniger über klassische Nachrichtenquellen wie Zeitungen oder Fernsehen. Diese Plattformen fördern kurze, zugespitzte Inhalte und begünstigen die Verbreitung von Desinformation. Die AfD hat sich geschickt auf diesen noch jungen Kanälen positioniert und erreicht mittlerweile ein großes Publikum. Mit provokativen und emotionalisierenden Inhalten gewinnen Parteipersönlichkeiten geschickt die Aufmerksamkeit von jungen Wählenden.
Dabei spielen die Algorithmen eine wichtige Rolle: Junge Menschen, die einmal mit rechtspopulistischen Inhalten in Kontakt kommen (und sei es aus Neugier), werden oft durch ähnliche Beiträge in eine Informationsblase gezogen, die ein zunehmend verzerrtes Bild der Realität zeigt. Dies fördert ein Gefühl der Bestätigung eigener Vorurteile und Ängste, was wiederum die Wahlentscheidung beeinflussen kann.
Die AfD bietet vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme. Eine nationale Wirtschaftspolitik, eine strikte Kontrolle der Migration, eine Ablehnung internationaler Kooperationen wie der EU – das alles verspricht eine Rückkehr zu einer vermeintlich einfacheren und sichereren Welt. Das ist für viele junge Menschen, die sich von der Komplexität der heutigen Gesellschaft überwältigt fühlen, attraktiv.
AfD profitiert von der Politikverdrossenheit
Das Vertrauen junger Menschen in etablierte Parteien ist in den vergangenen Jahren spürbar gesunken. Viele junge Wähler:innen haben das Gefühl, dass ihre Sorgen von den traditionellen Parteien nicht ernst genommen werden. Sie fühlen sich von den Versprechen der Politikerinnen und Politiker enttäuscht, insbesondere im Hinblick auf Themen wie Bildung, Wohlstand, soziale Gerechtigkeit, Umgang mit Krisen. Die AfD profitiert von dieser Politikverdrossenheit, da sie sich als „Anti-Establishment“-Partei inszeniert, die mit den „Altparteien“ abrechnet. Zudem haben viele junge Menschen das Gefühl, dass es kaum noch Unterschiede zwischen den großen Parteien gibt. In einer solchen Lage ist es für einige verlockend, eine Partei zu wählen, die sich klar von den anderen abgrenzt – auch wenn das bedeutet, extremere Positionen zu unterstützen.
Doch wie jüngst Forschungen der Shell-Studie und des Instituts für Generationenforschung zeigten, hat sich noch etwas anderes grundlegend verschoben: Junge Menschen sehen sich nicht als politisch rechts, selbst wenn sie die AfD wählen. Die Positionen der AfD werden eher als konservativ wahrgenommen. Die Aufregung über die Einstufung der AfD-Landesverbände Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als „gesichert rechtsradikal“ geht an ihnen vorbei. Im Gegenteil, es bestärkt sie sogar darin, für die AfD zu stimmen, weil sie eine Verschwörung des „Systems“ vermuten. Oft geht es nicht darum, was wahr ist, sondern um das, was sich in ihrer jeweiligen Informationsbubble als Wahrheit anfühlt.
Was können Politik, Wirtschaft, Medien und Bildung tun, um jungen Menschen Zuversicht zu geben? So banal und einfach es klingt: Die politischen Parteien müssen besser auf die Ängste und Sorgen der jungen Generation eingehen und sie bei der Bewältigung von Krisen beteiligen. Das betrifft ebenso die Wirtschaft, die jungen Menschen helfen sollte, sicherer mit Unsicherheit umzugehen. Ja, junge Menschen benötigen häufiger Feedback und treten fordernd auf. Wenn Führungskräfte verstehen, warum das so ist, kann man das GenZ-Bashing fallenlassen.
Bad News haben bessere Quoten
Medien und Journalist:innen sollten darauf achten, dass sie auch positive Nachrichten verbreiten. Migration konnte nur mit einem so schlechten Ruf besetzt werden, weil einerseits politisch vieles falsch läuft und über das, was gut läuft, zu wenig berichtet wird: die vielen engagierten und gut integrierten Menschen, die in Deutschland ihre neue Heimat gefunden haben und zu einer lebenswerten Zukunft im Land beitragen. Das Problem ist: Bad News haben bessere Quoten. Bräuchte es vielleicht eine Quote für Good News?
Last but not least: Junge Menschen sollten künftig die Schule verlassen und das Gefühl haben, dass ihre schulische Bildung sie ausreichend auf das Leben vorbereitet. Dafür benötigen sie mehr Kompetenzen im Umgang mit Finanzen und Stress sowie deutlich mehr Medienkompetenz, um Desinformation entgegenzuwirken. Die Ergebnisse der sogenannten Ostwahlen sind alarmierend, aber nicht hoffnungslos.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn