piwik no script img

Vergewaltigungsprozess in FrankreichAbgründe sexueller Perversionen

Bei den Gerichtsverhandlungen kommen immer neue grausige Details ans Licht. Die Verteidigung versucht, das Opfer auf infame Weise zu diskreditieren.

Gisèle Pelicot mit ihrem Anwalt Antoine Camus im Gerichtsgebäude in Avignon am 19.09.2024 Foto: Antony Paone/reuters

Paris taz | Dominique Pelicot steht in Avig­non wegen Vergewaltigung vor Gericht, weil er seine Frau Gisèle jahrelang betäubt und anderen auf einer Chatplattform kontaktierten Männern für von ihm gefilmte oder fotografierte Vergewaltigungen überlassen hat. Nicht weniger als 50 von ihnen sitzen nun ebenfalls auf der Anklagebank.

Der Fall ist vor allem in seinem Ausmaß in der französischen Kriminalgeschichte einzigartig und schockiert weit über das Land hinaus. Wenn jetzt vor den Richtern und Angeklagten die Einzelheiten aufgerollt werden, tun sich vor der Öffentlichkeit Abgründe sexueller Perversionen auf.

Der Prozess, der auf ausdrücklichen Wunsch von Gisèle Pelicot öffentlich ist, hat eine exemplarische Bedeutung. In der zweiten Prozesswoche versuchen die Anwälte der Verteidigung, das Opfer zu destabilisieren oder zu diskreditieren.

Empört über die provokativen Versuche, die Schuld der Vergewaltiger, denen sie vor Gericht ins Gesicht blickt, mit Suggestionen zu mindern oder ihr als Opfer gar eine Verantwortung unterzuschieben, hat sie ihnen zugerufen: „Eine Vergewaltigung ist und bleibt eine Vergewaltigung!“ Sie bedauert nicht, dass die Verhandlungen nicht hinter verschlossenen Türen geführt werden, aber bemerkt zu ihrer eigenen Erfahrung: „Ich verstehe jetzt, warum (andere) Opfer von Vergewaltigungen nicht vor Gericht gehen.“

Gisèle Pelicot lässt sich nicht beirren

Für Gisèle Pelicot gehen die Anwälte der Verteidigung in schockierender Weise zu weit, indem sie versuchen, sie in mit heimlich aufgenommenen Fotos zu diskreditieren, auf denen sie nackt, mit einem Sextoy und in Vergewaltigungsszenen zu sehen ist. Das Interesse der Verteidiger dürfte sein, mit den Bildern zu belegen, dass sie vielleicht doch in einigen Fällen wusste, was geschah und das duldete.

Einer der Verteidiger erlaubt sich sogar die Frage, ob sie nicht „eine nicht eingestandene exhibitionistische Neigung“ habe. Zu den gezeigten Fotos gehören Bilder, auf denen angeblich zu sehen ist, wie sie nackt aus dem Badezimmer kommt oder sich in jüngeren Jahren an einem FKK-Strand sonnt.

Die mutig und selbstsicher auftretende Gisèle Pelicot lässt sich nicht beirren und beleidigen: Zu keinem Zeitpunkt habe sie bemerkt, dass ihr Mann diese Bilder oder Videos aufgenommen habe, sie sei bewusstlos gewesen, als er und diese vielen Männer sie vergewaltigt hätten.

Aber ist es vertretbar, wenn die Verteidigung der Angeklagten auch jetzt noch gravierende Zweifel an der Schuld oder die Unschuldsvermutung geltend macht, nachdem Dominique Pelicot selber die Anklagepunkte bestätigt und seine Schuld eingestanden hatte: „Ich bin ein Vergewaltiger wie alle anderen Betroffenen hier im Saal.“

Volles Geständnis abgelegt

Er bezeichnet sich selber als Opfer einer Vergewaltigung im Alter von neun Jahren. Mit 14 habe man ihn gezwungen, auf einer Baustelle bei der Vergewaltigung einer Frau mit Behinderung mitzumachen. „Man kommt nicht als Perverser auf die Welt, man wird es“, sagt er zuletzt zur Erklärung.

Ein volles Geständnis hat auch einer der Mittäter vor Gericht abgelegt. Er hat erklärt, wie ihm Dominique Pelicot auf einer (inzwischen eingestellten) Plattform alle Einzelheiten – namentlich die völlige Betäubung seiner Frau mit einem geeigneten Medikament – geschildert und ihn zu Vergewaltigungen animiert habe. Er habe dies zuerst abgelehnt, aber zuletzt nicht nur akzeptiert, sondern diese Praktiken dann mit seiner eigenen Gattin nachgeahmt. Jeder Prozesstag in Avignon liefert zusätzliche schockierende Fakten.

Wenige der Mitangeklagten bitten um Verzeihung. Die übrigen versuchen bisher glaubhaft zu machen, dass sie der (fälschlichen) Meinung waren, es habe sich um ein mit dem Opfer abgesprochenes Szenario gehandelt. Oder sie sagen, dass sie sich der kriminellen Tragweite nicht bewusst gewesen seien, weil der Mann die Zustimmung gegeben habe. Das habe ihnen genügt.

„Sie sagen, sie hätten bloß gemacht, was man von ihnen verlangte! Und ein eigenes Hirn haben sie nicht?“, entgegnete Gisèle Pelicot. „Und man soll nicht von sexuellen Handlungen reden, das sind Vergewaltigungen. Ich rege mich gewöhnlich nicht auf, aber jetzt reicht’s!“ Vor Gericht steht somit die patriarchalische Vorstellung, dass ein Mann durch die Ehe über seine Frau verfügen könne.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • Man muss bei verstörenden Vorgängen versuchen, sch bei der Zuweisung von Empörung und Schuld nicht stören zu lassen. Die Verteidiger der nicht geständigen Angeklagten versuchen Frau P. eine willentliche Mitwirkung nachzuweisen. Das wäre bei passiven Paraphilien nicht ungewöhnlich. Das Geständnis von Herrn P. ist eigentlich ehrenwert, könnte aber auch auf eine Folie à deux de.wikipedia.org/w..._wahnhafte_Störung hinweisen. Nun kann man sagen, dass das Gericht die Beweisaufnahme schon sorgfältig abschliessen und keinen Unschuldigen verurteilen wird.Das ist bei Deliktsanschuldigungen sogar dieser Qualität leider nicht garantiert: Horst Arnold und Ralf Witte waren unschuldig langjährig inhaftiert weil die Glaubwürdigkeit von Zeugen und Opfern fehlerhaft bewertet worden waren. Das sind die Lücken in der Wahrheitsfindung, das ist sehr schwer für das Gericht. - Dass häusliche Gewalt fast aussschließlich gegen Frauen gerichtet ist stimmt nicht : www.aerzteblatt.de...walt-gegen-Maenner und www.buergerundstaat.de/1_03/gewalt.htm Bei einer erheblichen Dunkelziffer ist das richtige Verhältnis wahrscheinlich ca. 1:1.

    • @Hans - Friedrich Bär:

      Mit 20 Jahre alten Artikeln aus dem Ärzteblatt für ein 1:1 Verhältnis zu plädieren halte ich ja mal für einen ziemlich steile These. Daher gern was Aktuelles:

      www.bka.de/DE/Pres...sliche_Gewalt.html

      Noch immer sind 70 % der Opfer häuslicher Gewalt in D weiblich. Und selbst wenn wir von einer nicht zu ermittelnden (!) Dunkelziffer ausgehen, so leuchtet mir nicht ganz ein, wie sie darauf schließen, dass dann nur noch von 50 % weiblicher Opfer auszugehen ist.

  • "Ein eigenes Hirn haben Sie nicht?"



    Dieser Frage ist nichts hinzuzufügen.

  • Mme Pélicot, lassen Sie sich nicht unterkriegen.



    Ich bewundere Sie.

    • @aujau:

      anschließe mich

      unterm—- btw & entre nous only —



      “Vor Gericht steht somit die patriarchalische Vorstellung, dass ein Mann durch die Ehe über seine Frau verfügen könne.“



      Mit Verlaub Herr Balmer - lesense diese ehra Sentenz doch mal gegen den Strich!



      Und dann - überlegense nochmals!



      Danke.

  • Ich wünsche Frau Pélicot von Herzen, dass sie ihre Stärke bewahrt und sich nicht beirren lässt. Dann werden all die schäbigen Argumente der Verteidiger ihre Mandanten nur noch tiefer in den Sumpf reiten. Ich hoffe vor allem darauf, dass all jene, die ihre Schuld nicht anerkennen, die Höchststrafe vekommen.

  • Es ist für mich unglaublich, woher Mdm Pélicot diese Stärke, diese Kraft nimmt, nicht nur den Prozess durchzustehen sondern auf die Widerlichkeiten und Grauslichkeiten der gegnerischen Anwälte (meine Herren Rechtsanwälte, es gibt trotz ihrer Amtspflicht der Verteidigung Grenzen!) auch noch angriffig zu sein.

    Der Dame gebührt mehr Bewunderung, als ich auszudrücken vermag.

  • Es ist nicht neu, dass bei Vergewaltigung die Verteidigung lautet, die Frau wollte es doch auch.

    Neu - und unerklärlich - ist für mich, dass die Männer sich damit verteidigen, doch die Zustimmung des Ehemannes zu haben. Für mich liest sich das so absurd, und macht das Ganze noch schlimmer und widerlicher als die Taten eh schon sind.

    • @Strolch:

      Vergewaltigung in der Ehe ist (in Österreich) noch nicht lange strafbar.

      Vorher war es erlaubt. Das scheint in den Hirnen mancher noch festzusitzen.

      • @Angelika70:

        Jedoch glaube ich nicht, daß damit eine straffreie Freigabe der Ehefrau für alle hirnlosen Vergewaltiger verbunden war.

      • @Angelika70:

        Fritze Merz fand das ja früher auch ok. Und nicht strafbar. Allein dadurch imo unwählbar.

        • @Anidni :

          Glaub mir, wenn der Merz an die Macht kommt, dann haben wir wieder ein Österreich der 1960er. Was Verfügung über Frauen angeht und so.

  • Das ist schon ausgesprochen grässlich, man muss sich überwinden das zu lesen. Es ist aber der Wunsch des Opfers. Mich erinnert das stark an den Fall Dutroux . Der geständige Täter war damaliges Opfer Pädokrimineller was noch in den 80ern toleriert wurde. So erklärt er sich auch seine persönliche Entwicklung. Es gibt prominente damals pädokriminelle Täter, die heute sogar darüber berichten. Es ist gut, dass die Gesellschaft die Irrwege der 80er Jahre gründlich verlassen hat. Es ist insoweit auch eine Verfügungsfrage, als sie immer im Verhältnis von Stark und Schwach auftaucht.

  • Die größte problematische Gruppe in der Gesellschaft sind Männer.

    • @pablo:

      Das größte verborgene Problem in dieser und anderen Gesellschaften ist eine Kultur der Gewalt gegen Schwächere.

    • @pablo:

      Das ist eine sinnlose Aussage, und das wissen Sie selber. Was soll denn daraus folgen?

      • @fhirsch:

        Ja, was soll denn daraus folgen? Das ist genau die richtige Frage zu einer sehr sinnvollen Aussage. Auch Sandra Newman hat sich diese Frage in ihrem Buch "Das Verschwinden" gestellt. Lesennswert.

    • @pablo:

      Die allergrößte problematische Gruppe sind Menschen.

      • @StromerBodo:

        Dass es Männer sind, braucht keine Relativiereng durch den Begriff Menschen. Es sind Männer. Punkt.

        • @oricello:

          Der Begriff "Menschen" ist keine Relativierung, sondern eine Verallgemeinerung, genau wie der Begriff "Männer". Dass jemand ein Mann ist, macht ihn nicht zum Vergewaltiger, so wie ein Muslim nicht Islamist sein muss, ein Deutscher nicht Nazi. Eine ganze Gruppe als "problematisch" zu bezeichnen, weil eine Teilmenge kriminell ist, ist selbst problematisch.

          • @sonicprisma:

            Im Patriarchat wachsen Menschen in einer unfairen rassistisch und sexistisch geprägten Welt auf. Insbesondere weiße Männer aber Männer allgemein genießen hier Privilegien und erlernen ein Dominanzverhalten unter dem viele andere, auch Männer selbst, leiden. Wenn wir weiße Männer uns nicht aktiv dagegenstellen und für eine fairere Welt Kämpfen, nehmen wir den Status Quo als Proviteure in Kauf. Aus dieser Perspektive sind Männer auf jedenfall problematisch!

            • @Jugend:

              Aus der Perspektive sind Muslime als Gruppe eben auch problematisch, und Deutsche auch. Denn die müssten sich ja dann auch aktiv gegen Islamismus und Rechtsextremismus stellen. Aber erstens kann man das zwar selbst machen, aber nicht als Bedingung für Akzeptanz von anderen einfordern, und zweitens schließt eine Gruppe wie "die Männer", "die Muslime", und "die Deutschen" ja auch gerade die mit ein, die sich dagegen stellen.

      • @StromerBodo:

        Wobe9i das Täterverhältnis Männer zu Frauen etwa 90:10 ist.

    • @pablo:

      Dem ist leider nicht zu widersprechen.