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US-VizepräsidentschaftskandidatTim Walz’ badische Wurzeln

Kommentar von Gunnar Hinck

Huch, wieder ein Deutschstämmiger! Der Hype um die Urahnen von Tim Walz zeigt, dass die Geschichte der Einwanderung in die USA wenig bekannt ist.

Hat deutsche Wurzeln: Tim Walz, der demokratische Vize-Präsidentschaftskandidat in den USA

E ine kleine Erregungswelle schwappt gerade durch Südwestdeutschland: Tim Walz, der demokratische Vize-Präsidentschaftskandidat in den USA, hat deutsche Vorfahren! Ein Ururgroßvater stammt aus Baden. Nun ist diese Nachricht ungefähr so überraschend wie die Tatsache, dass Hillary Rodham Clinton englische und walisische Wurzeln hat.

Es gab mal eine Zeit, in der ziemlich viele Deutsche flüchteten – man nennt sie ein bisschen verniedlichend „Auswanderer“. Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren die Deutschen die größte Migrationsgruppe in den USA; rund 45 Millionen Amerikaner haben heute deutsche Wurzeln. Sie flohen aus politischen, religiösen und natürlich auch wirtschaftlichen Gründen (Rechtspopulisten würden sie wohl als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnen, wenn sie keine Deutschen wären).

Im Mittleren Westen, aus dem Tim Walz stammt, gab es bis zum Ersten Weltkrieg Hunderte deutschsprachiger Schulen und ebensolche Zeitungen. Die German Americans sind eine eher unauffällige Migrationsgruppe. Das liegt natürlich an den beiden Weltkriegen, die dazu führten, dass sich die Deutschen lieber schnell assimilierten.

Gleichzeitig waren die Deutschen recht kompatibel mit der dominanten britisch geprägten Kultur. Sie hatten es nicht nötig, sich abzugrenzen und eine eigene Subkultur zu bilden, weil sie, abseits von Kriegszeiten, nicht ausgegrenzt wurden – anders etwa als die italienischen Einwanderer oder natürlich die unterjochten afroamerikanischen Sklaven. Aber in der eher bodenständigen, ländlichen Mentalität des Mittleren Westens zeigen sich heute noch Spuren, teilweise auch in regionalen Dialekten.

Kein Roman zum deutschen Treck

2009 veröffentlichte der Schriftsteller Colm Tóibín den herzzerreißenden Roman „Brooklyn“ über eine junge Irin, die sich allein auf den Weg nach New York City macht, um ein besseres Leben zu finden; die Verfilmung wurde zu einem Kassenschlager. Bis heute gibt es keinen großen Roman über den deutschen Treck in die USA und seine speziellen Geschichten.

Das liegt sicherlich an besagter Unauffälligkeit. Aber vielleicht ist es hierzulande bis heute ein Tabu, sich daran zu erinnern, dass Deutschland einmal ein Land war, woraus viele einfach nur fliehen wollten.

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ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
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44 Kommentare

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  • In Hamburg gibt es ein komplettes Museum zum Thema Auswanderung aus Deutschland und die Rolle der Hamburger Häfen für den Weg nach Amerika. Aktuelle Sonderausstellungen im "Auswanderermuseum Ballin-Stadt Hamburg" berühren auch heutige Fragen zu Migration.

  • „Bis heute gibt es keinen großen Roman über den deutschen Treck in die USA und seine speziellen Geschichten.“

    Immerhin gibt es z. B. das schöne Buch " Die Lehman brothers" von Stefano Massini.



    Sehr zu empfehlen!

  • Er ist Amerikaner. Ob irgeneiner seiner Vorfahren vor 4 Generationen mal in Deutschland gelebt hat, ist für seine Person völlig irrelevant.

  • Nur als Anmerkung: bis 1871 war Deutschland kein Land

    • @Peter Schmidt:

      Bissmarck lässt grüßen.

  • in der Jahrtausend Wende waren die "Deutsch-Amerikaner" mit über 40 Millionen die stärkste Einwanderer Nation wie das heute auusieht weiß ich nicht. Waltz ist vlt. ein vernünftiger deutsch-amerikanischer Ausgleich für Trump-



    This creepy weird Person.

  • „Bis heute gibt es keinen großen Roman über den deutschen Treck in die USA und seine speziellen Geschichten.“

    Wie wär’s mit dem Roman Der Club der singenden Metzger von Louise Erdrich, der auch verfilmt wurde?



    Die Autorin selbst hat sowohl deutsche als auch indigene Vorfahren, und ihr Werk in der Gesamtheit kann ich nur empfehlen.

    • Gunnar Hinck , Autor des Artikels,
      @Klabauta:

      Danke für den Hinweis! Das Buch kannte ich nicht.

  • Von denen, die vor den so hoffnungslosen badischen Lebensaussichten in Richtung "Amerika" ausgewandert sind, haben weit mehr dort ins Präriegras gebissen, als sie erwartet und erhofft haben.



    Da war mehr Hoffnung auf ein besseres Leben als sich hinterher realisiert hat. Nur die die erste Generation einigermaßen überstanden haben, konnten ein paar Jahrzehnte später sagen: hat sich gelohnt. Den ersten der Tod, den zweiten die Not, ....



    Walz ist Amerikaner. That's it. Kamala Harris übrigens auch.

  • „Aber vielleicht ist es hierzulande bis heute ein Tabu, dich daran zu erinnern, dass Deutschland einmal einmal ein Land war, woraus viele einfach nur fliehen wollten.“



    Wie heißt es so schön? Es gibt Badische und es gibt Un(sym)badische.



    Vielleicht könnte man sich ja auch mal daran erinnern, dass seinerzeit viele deutsche Migranten - gerade aus dem Südwesten - ihre Heimat wegen ihrer freisinnigen, revolutionären Gesinnung verlassen mussten und ihr neues „Vaterland“ nicht bloß mit Würsten und Schlachthöfen bereichert haben.



    Ich erinnere in diesem Zusammenhang beispielsweise an den Namen Carl Schurz … war der überhaupt Badener?😉



    de.m.wikipedia.org/wiki/Carl_Schurz

    • @Abdurchdiemitte:

      In Spandau gibt's eine carl schurz Straße

  • Auswanderung ist nicht dasselbe wie Flucht. Diese Menschen wollten nicht um jeden Preis weg von hier, sondern ereriffen die Chancen, die sich in anderen Ländern boten, welche Zuwanderer einluden und z.T. (wie Rußland oder Brasilien) aktiv um sie warben. Wären sie hier geblieben, sie wären nicht zugrunde gegangen, sondern (z.B.) Kleinbauern und Handwerker geblieben, wie ihre Vorfahren.

  • Die Geschichte der Einwanderung in die USA wenig bekannt....



    Echt jetzt?



    Bei jedem US-Amerikaner -egal ob Filmschauspieler(in), Serienmörder(in), Sportler(in) oder Politiker(in)- kriegt gefühlt sofort der nächst verfügbare Volontär den Auftrag die deutschen Wurzeln zu erforschen. Und irgendein deutscher Ur-Ur-Schwippschwager findet sich immer.



    Und was das "weg wollen" aus Deutschland betrifft: das ist keine deutsche Spezialität, sondern eine gesamt-europäische. Also wird's wohl ebenso am "dahin wollen" liegen...



    Und zum ersten Zeitpunkt des Weg-Wollens war von Deutschland eigentlich noch gar nicht die Rede...

  • "Aber vielleicht ist es hierzulande bis heute ein Tabu, sich daran zu erinnern, dass Deutschland einmal ein Land war, woraus viele einfach nur fliehen wollten."



    Es war nicht nur einmal*, sondern zweimal dieses besagte Land. Und das zweite mal wird leider noch viel zu oft vergessen gemacht.



    *Wortspielerei

  • Ja, die Präsidentschaftswahlen werden nicht identitätspolitisch genug betrachtet.

    Die Deutschen durften nur einmal Präsident sein.

    Die Kenianer durften zweimal, die Engländer sogar mehrfach.

    Die Iren waren jetzt zwar auch nur einmal dran, durften aber davor bereits.

    Wenn jetzt die Tamilen übernehmen, ist es nur fair, dass die Deutschen wenigstens Vize werden.

    Dass nach Rheinland-Pfalz nun Baden-Württemberg dran ist, entspricht der föderativen Struktur. Ist völlig ok.

    • @rero:

      Was ist mit Eisenhower?

    • @rero:

      Soll das irgendwie witzig sein? Jeder bisherige Präsident und ggf. zukünftige Präsidentin der USA muss als amerikanische/r Staatsbürger/in in den USA geboren worden sein, um dieses Amt anzutreten.

      Und wieso "durften die Kenianer" zweimal? Alles gut bei dir?

  • Donald Trump ist auch Deutschstämmiger. Über seine deutschamerikanische Familiengeschichte wurde auch schon viel berichtet.

  • Ich wundere mich, dass noch niemand geschrieben hat, dass Tim Walz ein symbadischer ist. Oder habe ich da was uebersehen?

    • @Ratzematatze:

      Noi, isch scho recht!

      • @Horst Schlichter:

        Das "noi" klingt eher Schwäbisch. Vorsicht!!1!

  • Es überrascht mich, dass die deutschen Wurzeln irgendwelcher US-amerikanischer Personen des öffentlichen Lebens noch immer für Furore sorgen können.

    Gefühlt kam bisher bei jeder Volkszählung (Census) im "Land of the free and home of the brave" heraus, dass die deutsche Abstammung die häufigste unter den US-Bürger*innen ist.

  • "... Sie hatten es nicht nötig, sich abzugrenzen und eine eigene Subkultur zu bilden, ... "



    Es gibt ja vielerorts in den USA Viertel mit Namen "Germantown", das dürfte ja analog der "Little Italies" und "Chinatowns" eher einer Abgrenzung gedient haben.

    ".... Aber vielleicht ist es hierzulande bis heute ein Tabu, sich daran zu erinnern, dass Deutschland einmal ein Land war, woraus viele einfach nur fliehen wollten. ...."



    Dazu sollte man sich verdeutlichen, dass es damals noch nicht mal ein Deutschland gab, sondern nur einen Haufen eher dysfunktionaler feudaler Staaten. Dass man es jetzt so abfeiert, dass ein Kandidat Vorfahren dort hatte finde ich etwas befremdlich, zumal bis auf eine verschwindend kleine Minderheit in den USA alle eingewanderte Vorfahren haben dürften.

    • @Axel Schäfer:

      Zu schade, dass sich die Einwanderer nicht in die indigenen Gesellschaften integriert haben.

    • @Axel Schäfer:

      Natürlich gab es damals Deutschland schon, nur nicht als Nationalstaat. Aber als dysfunktional würde ich das damalige Preußen - oder Baden - nun auch nicht bezeichnen.

      • @Ulrich Hartmann:

        So richtig toll wird es außer für die Feudalherrscher nicht gewesen sein, sonst wären die Menschen nicht in diesem Maße unter meist widrigen Umständen ausgewandert.

  • Also der schönste Roman über eine deutsche Auswanderung nach "Jowa" (Iowa) ist doch Gillhoffs unsterblicher Jürnjakob Swehn de.wikipedia.org/w...der_Amerikafahrer! @HermaHuhn hat recht -- es gibt viel gute Erzählung, aber eben auf Deutsch oder Plattdeutsch. Muss man eben bloß gucken.

    • @miri:

      "Dieser Artikel existiert nicht"

        • @Monomi:

          Danke. In einem Übungsseminar zur Kurrentschrift haben wir echte Briefe gelesen, die in vielen Teilen mit der gegebenen Beschreibung des romans übereinstimmen.

  • "Wirtschaftsflüchtlinge"??? - eine sehr eigenwillige Interpretation für Einwanderer, die sich wie Eroberer benommen haben und der indigenen Bevölkerung ihr Land geraubt und sie fast ausgerottet haben.

    • @Winnetaz:

      Auch wenn die deutsche Siedlungsgeschichte in den USA bis Jamestown zurückgeht, ist der Großteil der deutschen Ein-/Auswanderer zwischen 1848 und 1900 geflüchtet. Von 48 bis 71 wahrscheinlich nicht nur wegen wirtschaftlichen Gründen, sondern sicher auch ein Teil aus politischen (Repression nach dem Scheitern der 48er Revolution). Die höchsten Auswanderungszahlen finden sich jedoch nach 71, wo politische Gründe, wie die Sozialistengesetze, auch gegeben waren, aber die größte Anzahl der Migranten eher durch die Hoffnung auf ein besseres Leben getrieben gewesen sein dürfte und daher mMn als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet werden können.

      en.m.wikipedia.org...i/German_Americans

    • Gunnar Hinck , Autor des Artikels,
      @Winnetaz:

      Hallo, ich schreibe, dass Rechtspopulisten das so nennen würden. Es ist sarkastisch gemeint.

    • @Winnetaz:

      Und trotzdem kamen die Leute als Flüchtlinge.

      Nicht nur die Deutschen.

      Wer sich wie benommen hat, bedarf der Differenzierung.

  • Natürlich gab es bis zum Ersten Weltkrieg eine deutsche Subkultur und Inmtegrationsverweigerung, Viertel oder Gegenden, in denen man nur Deutsch sprach, untereinander heiratete und Bierfeste begang. Und gegenseitige Ressentiments natürlich auch.



    Der Erste Weltkrieg gegen Deutschland beendete das schlagartig, auch Nachnamen wurden dann flugs anglisiert.

    Auch deswegen sollten wir hierzulande begreifen, dass Migranten-Subkulturen zur gegenseitigen Stützung für gewöhnlich auftreten.

  • Ein Großonkel von mir ist 1925 mit 18 Jahren in die Staaten ausgewandert (auch Minnesota). Er hat sich die Überfahrt von seinem zukünftigen Arbeitgeber finanzieren lassen und viele Jahre unter erbärmlichen (Abhängigkeits)Verhältnissen gelebt und gearbeitet. Dass es den deutschen Emigranten im Vergleich zu den italienischen und irischen so viel besser ging, ist eineziemlich holzschnittartige Pauschalisierung. Die Ressentiments gegen Migranten richteten sich ganz allgemein gegen Unterschichtemilieus, in den Iren und Italiener zeitweise sicher sehr stark repräsentiert waren. Das hing eben auch vom jeweiligen Kontext ab.

  • Keine Romane über Deutsche, die in die USA migrieren. Was ist mit dem Roman Der lange Weg des Lukas B? Rs gibt sicher noch mehr. Bitte erst Recherchieren und dann These aufstellen.

  • Was macht denn einen "großen" Roman aus?



    Ich kenne mehr als eine Roman-Aufarbeitung deutscher Einwanderer in damals noch mexikanisches heute US-amerikanisches Gebiet.



    Sind halt auf Deutsch geschrieben und daher nur schwierig auf dem Weltmakrt zu platzieren.

    • @Herma Huhn:

      Der große B. Traven oder doch der große Karl May - wie viele Deutsche bei Letztgenannten als blonde Helden den Wilden Westen bevölkern mussten, ist schon beachtlich, und den kann man auch außerhalb Deutschlands mal gelesen haben.

      • @Janix:

        Traven fand ich super. Sehr zu empfehlen. Auch der Film "Das Totenschiff" mit Mario Adorf in der Hauptrolle.

  • Eine sehr gute Frage. Beim Thema Auswanderung fällt einem natürlich sofort John Wayne, der Mormonen-Trail, Quäker, Mennoniten, Amish, Herrnhuter, Tunker, John Steinbeck ein, die zweite Generation, die Früchte des Zorns, der Hunger der Okies, es fällt einem Frank McCourt ein, die irischen Auswanderer - über die deutsche Besiedelung Pennsylvanias ist wenig bekannt; immerhin spricht man auch von Pennsylvaniadeutschen. Ebensowenig ist über die Geschichte der Deutschen im Mittleren Westen nach der Staatsgründung und die Texas-Deutschen bekannt - jedenfalls nicht international.

    In der Tat, da fehlt eine große Erzählung, eben ein John Steinbeck oder Gabriel García Marquez, eine Tania Blixen. Darunter sollte man es nicht machen.

  • Im 19. Jahrhundert wanderten 5 Millionen aus dem Gebiet, das heute Deutschland heißt, nach Nordamerika aus. Die Lebensbedingungen waren für weite Teile der Bevölkerung so erbärmlich, daß sie die teure, riskante und furchterregende Reise machten.



    So ist es heute in anderen Teilen der Welt, und derzeit verspricht Europa ein besseres Leben.

    • @Kahlschlagbauer:

      Schon richtig. Aber es macht einen Unterschied, ob man Platz für neue Siedler hat oder nicht.



      Auch zu Empfehlen sind die Bücher von John Steinbeck, in denen die Flucht aus Oklohoma (dust storms) nach Kalifornien erfolgte. Da wurden Versprechen gemacht, dass alle die leichte Arbeit des Orangenpflückens machen könnten. (Ähnlich wie heute für Europa)



      Die Wirklichkeit sah völlig anders aus. Siehe auch Früchte des Zorns - Film von John Ford mit Henry Fonda in der Hauptrolle.

    • @Kahlschlagbauer:

      Das Gebiet hieß damals schon Deutschland, und so erbärmlich waren die Lebensbedingungen nicht. Aber anderswo hatte man mehr Chancen, etwa wenn man als Zweitgeborener den Hof nicht erben konnte und nur als Knecht ein Auskommen gefunden hätte.