Grüne Mehrheiten ohne Macht: Die bröselnden Bündnisse der Grünen

Nach Göttingen und Hannover hat die SPD sich auch in Hamburg Nord von den Grünen getrennt. Warum nur?

Ein rote Ampel mit einem grünen Pfeil für Rechtsabbieger

Wenn grün immer freie Fahrt hat, können Ampeln auch ohne FDP ganz schön anstrengend werden

Erst Göttingen, dann Hannover, nun Hamburg Nord: Es ist schon bemerkenswert, wie sich diese Konstellationen auf kommunalpolitischer Ebene häufen. In allen drei Städten haben die Grünen eigentlich gewonnen und dann doch verloren.

Erst werden sie stärkste Kraft, dann macht sich ihr Koalitionspartner vom Acker und sie dürfen stärkste Fraktion in der Opposition spielen, während eine „Deutschland-Koalition“ aus CDU, SPD und FDP das Ruder übernimmt. Inhaltlich ist das oft schwer zu erklären, psychologisch vielleicht schon eher.

Und auch da gibt es verschiedene Deutungen. Eine, aus grüner Perspektive etwas selbstgerechte, geht so: Die SPD kann es nicht ertragen, dass ihr ehemaliger Juniorpartner sie überflügelt hat. Zu der narzisstischen Kränkung kommt die fundamentale Identitätskrise einer ehemaligen Volkspartei, der die Basis wegstirbt. Da werden die halt bockig und konservativ und schwimmen lieber auf der Anti-Grünen-Welle mit, die ohnehin gerade angesagt ist.

Diese Welle wiederum speist sich aus der Tatsache, dass die Grünen nun einmal die einzige Partei sind, die klar sagt, was ist und dass es so nicht weitergeht, was ihr zwangsläufig die Wut aller Veränderungserschöpften und Populisten einträgt, die es halt einfach nicht wahrhaben wollen. Das ist natürlich eine sehr tröstliche Variante, wenn man sich mit Trost zufriedengeben möchte. Es ist aber auch eine, die politische Gestaltungsmacht in weite Ferne rücken lässt.

Die Grünen unterschätzen, dass man politische Partnerschaften pflegen muss

Wenn Grüne nicht nur recht, sondern auch Macht haben wollen, müssten sie sich vielleicht doch einmal fragen, was eigentlich ihr Anteil an dieser Misere ist. Dazu drei Thesen:

1. Die Grünen unterschätzen, dass man politische Partnerschaften pflegen muss. Das liegt daran, dass sie als Juniorpartner auch nie das Gefühl hatten, sonderlich gehätschelt zu werden. Aber auf einen angeschlagenen Partner wie die SPD hat das eine andere Wirkung als auf einen aufstrebenden Underdog.

2. Wer sich selbst für die einzig progressive Kraft hält und alle anderen für lahm, alt und strukturell verbohrt, ist nicht mehr in der Lage, richtig zuzuhören. Ein Koalitionspartner ist aber im Idealfall nicht bloß jemand, der ein paar Stimmanteile beiträgt – sondern auch eine eigene Perspektive. Es nutzt nichts, pro forma Gesprächsangebote zu machen, wenn man die Antworten dann nicht wertschätzt.

3. Wer glaubt, er hätte im Stahlbad der innerparteilichen Auseinandersetzungen genug Konfliktfähigkeit und Führungserfahrung erworben, irrt sich möglicherweise. Ein Rathaus (oder ein Bezirksamt) funktioniert nach anderen Regeln als ein Grünen-Parteitag.

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Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020

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