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Umgangston im Spitzensport„Jetzt halt die Fresse!“

Hockeybundestrainer Valentin Altenburg blafft in einer Auszeit eine Spielerin an. War das eine Grenzüberschreitung?

„Jetzt reiß dich zusammen“: Bundestrainer Valentin Altenburg mit klarer Ansage Foto: Federico Gambarini/dpa

Der Zuschauer rückt den Sportlern dicht auf den Pelz. Kameras halten das Geschehen aus allen Winkeln fest, Mikrofone schneiden mit, was gesprochen wird auf den Plätzen. Im US-Sport dürfen Journalisten sogar die Umkleide betreten. Sportler und Trainer haben sich mit der ­Distanzlosigkeit, die gern als Nahbarkeit verkauft wird, abgefunden. Es geht zum Beispiel in den Auszeiten überraschend nüchtern und zielorientiert zu.

Nur selten sind die Momente, in denen die Darsteller trotz zudringlicher Medien die Nerven verlieren: Man erinnert sich an den Basketballbundestrainer Gordon Herbert, der Dennis Schröder harsch zurechtwies. Nun wird über eine Szene aus dem Hockey der Frauen diskutiert.

„Anne, jetzt halt die Fresse und komm her“, fauchte Bundestrainer Valentin Altenburg in einer Auszeit nach dem ersten Viertel im Spiel gegen Frankreich, eine Partie, die das deutsche Team mit 5:1 gewann. „Das nervt mich, deine Körpersprache. Das ist genau das, was ich vor dem Spiel gesagt habe. Das ist schlecht von dir. Meine Güte. Jetzt reiß dich zusammen.“

Starker Tobak

In diesem Moment, der von der ARD eins zu eins in die Wohnzimmer transportiert wurde, horchten nicht nur die Experten für Mikroaggression und verbale Übergriffigkeiten im Lande auf, nein, das war so oder so starker Tobak. Was ist da los bei den Hockeyspielerinnen, fragte man sich. Ist dieser Altenburg ein autoritärer Knochen der alten Schule? Muss sich der Deutsche Olympische Sport-Bund einschalten wegen der Gefährdung des Sportlerinnenwohls? Und warum die Aufregung, wo das Hockeyteam doch so souverän aufspielte?

Nun, im Teamsport geht es mitunter robust zu. Der Trainer macht Ansagen, die im Arbeitsumfeld aus guten Gründen verpönt (und sanktionswürdig) wären. Im Sport gelten aber offenbar immer noch andere Maßstäbe. Sie kommen weiterhin zur Anwendung, weil, wie gesagt wird, sich das Blaffen und Bölken bewährt habe und schon immer so gesprochen worden ist. Das sei pragmatisch und bringe Disziplin in die Truppe.

Und dies scheint nun am Tag nach dem Vorfall auch die gescholtene Anne Schröder verstanden zu haben. Sie bagatellisiert die Szene: „Er hatte das Gefühl“, erklärt Schröder, „dass ich meine Schultern habe hängen lassen, und dann habe ich halt eine kurze Ansage gekriegt. Ist auch okay.“ Und weiter: „Ich kenne Vali super lang, wir haben ein sehr, sehr enges Vertrauensverhältnis, dementsprechend nehmen wir uns das gegenseitig nicht übel.“

Auch Altenburg versicherte, „es sei nichts auszuräumen“ – schon gar nicht mit Schröder, die sein „verlängertes Herz auf der Wiese“ sei. Aber selbst wenn das stimmt und man den kumpelhaft-deftigen Austausch ritualisiert hat: Muss das wirklich sein?

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43 Kommentare

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  • Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Die Älteren der Leserschaft werden sich villeicht noch an Udo Bölts erinnern, als er seinen Teamkapitän Jan Ullrich anschnauzte: "Quäl Dich, Du Sau".

    • @Offebacher:

      Eben, lief super mit Ulle!

      Für Rostocker Verhältnisse ist der Spruch geradezu zärtlich.

  • Habt ihr ne Ahnung. Im Hockey geht das noch ganz anders zur Sache. Da heißt es "Reiß dich zusammen!" auch bei gebrochenem Nasenbein. Und ja, ich spreche von den Frauen. Sogar von einer TrainerIN.

  • Es ist situativ bedingt in der Tat notwendig, dass im laufenden Spiel kurz und SEHR deutlich kommuniziert wird. Die Zeit ist knapp, und die Spielerinnen sind angespannt, angestrengt, bis oben hin mit Adrenalin vollgepumpt und voll konzentriert auf das, was sie denken, das sie auf dem Platz tun müssen. Das reduziert massiv die Aufnahmefähigkeit. Der erste Teil des Rants lässt ahnen, dass Anne Schröder gerade NICHT aus ihrer Zone rauskam, denn sonst wäre die Anweisung - in welchem Ton auch immer - nicht nötig gewesen. Diesen Panzer muss der Trainer also verbal regelrecht durchbrechen, wenn er etwas rüberbringen will, was dazu querläuft.

    Und damit danach die Message übrigbleibt und nicht etwa eine Indignation über den rüden Ton, ist das Vertrauensverhältnis zwischen Spielerinen und Trainer so wichtig. Wenn der Trainer es schafft, dass seine Spielerinnen in so einer Situation seinen drastischen Ton auch durch den emotionalen Nebel hindurch als Subtext "Achtung, wichtig! Zuhören!" verstehen und nicht als hierarchischen Anschiss (über dessen Berechtigung sie hadern könnten), dann hat er einen wichtigen Teil seines Jobs gut gemacht.

    • @Normalo:

      Kurz und deutlich: Eine Ansage mit dem Wortlaut "Anne, jetzt aber bitte mehr Haltung zeigen", das wäre konservativ, kurz, klar und deutlich, auch auf des Trainers Wunsch nach weniger wurschtiger Körpersprache bezogen.

      Trainer Altenburg aber liebt es, sich umständlich auszudrücken, statt mit 7 Worten Klartext sprechen verschwendet er 35 Worte, 5 mal mehr als nötig! Für den modernen schnellen Sport ist es also extrem viel effizienter, 7 gewaltfreie Worte zu formulieren! Als Dank wird er von den ZuschauerInneN dann auch nicht als übler Charakter wahrgenommen!

    • @Normalo:

      1. Warum sei eine Beleidigung deutlich? ’Deutlich’ ist hier ein Euphemismus, wenn das Wort ’Beleidigung’ zu deutlich ist.

      2. Will man einen Sportler im Tunnel erreichen, muss man _durchdringend_ kommunizieren. Durchdringend heißt nicht verletzend. Sportler sind das gewohnt. Aus dem Sein folgt kein Sollen.

      Die Gleichsetzung von Beleidigung und Eindringlichkeit offenbart ein dürftiges Repertoir in der Kommunikation. Darf jemand als Spitzentrainer gelten, der in aller Öffentlichkeit, bei Olympia, so hilflos kommuniziert? Ist er der Beste, Beweglichste, Trickreichste, …?

      Um durchzudringen, muss man: den Sportler kennen und ihn überraschen. Zuviel Arbeit für den armen Trainer?

      3. Die Indignation und der rüde Ton bleiben selbstverständlich übrig. Sportler sind keine Köter. Ich höre jedes Wort trotz Sauerstoffarmut beim Training, auch wenn ich nicht die Kraft habe, zu reagieren. Die Verletzungen verstetigen sich zu einem geringen Selbstwert; der sich zeitweise durch Selbstüberhöhung zu retten versucht.

      4. Die Olympiateilnehmer, die ich persönlich kenne, sind außerirdisch disziplinierte Menschen. Was jene sich sportlich abverlangen, würde die Kommentatoren hier zum weinen bringen…

  • So ein Spruch ist mir immer noch lieber als spuckende Fußballmillionäre im Fernsehen.

  • Wer hätte je geahnt, dass eine linke Zeitung mal solche Benimmkommentare bringen würde?

    • @jan ü.:

      Ich bitte Sie! Die gesellschaftspolitisch hochrelevante Positionierung zu Mikroagressionen und die stockkonservative Benimmpredigt sind FUNDAMENTAL unterschiedliche Dinge! ;-)

      • @Normalo:

        Eben, die Weltbühne des Spitzensports hat nichts mit Politik zu tun.



        .



        Politik? War das nicht die Frage nach den Bedingungen unseres Zusammenlebens?

  • "sehr, sehr enges Vertrauensverhältnis"

    Kann den Vorgang nicht beurteilen, frage mich aber, warum gerade beim Sport immer diese grausliche Sprachverhunzung mit der Doppelung des "sehr" vorkommen muss. Hat dafür jemand eine Erklärung?

    • @Kohlrabi:

      Von Sportlern darf ein reiches Ausdrucksvermögen nicht verlangt werden – sonst wäre es vorbei mit der Bewunderung.



      .



      Eine doppelte Bejahung gilt in machen Kontexten als Verneinung; sicherlich wäre das hier, mit Sicherheit, eine psychologisierende Vereinfachung.



      .



      Ersetze ’Vertrauensverhältnis’ durch ’Loyalität’.

    • @Kohlrabi:

      Danke - anschließe mich - sehr sehr -

      Das ist das eigentliche Problem! Wollnich

      unterm——-



      Diese - ob gewollt oder nicht - “Unterhosenschnüffelei“ Journaill‘ista - !



      Ist so überflüssig wie ein Kropf!



      Wenn ich an Ratzeburger Zeiten zurückdenke - jeder ergriff die Flucht - wenn die Schreiberlinge auftauchten!



      Irgendwer hatte mal nen Uffz von der BW 🪖 als Steuermann ausgegraben - der spätere Wetterfrosch war später - !



      Und LÜGT - die schon Moritz vG (“Deutschlandachter“👎) eingekauft hatte - lutschte den aus wie nix Gutes:



      Der 50kg Zementsack war der wichtigste an Bord!!;)) Heiligs Blechle



      &



      Der Ton? - der Vors.&Trainer 1. Kieler Ruderklub - hatte sich verdattelt.



      Training mit Karl Arsch war schon gelaufen! Er aber bestand darauf - sein! Vierer - das Dickschiff vom Achter müsse nochmals aufs Wasser!!!



      “Arschloch!!!“ der Schlagmann



      Heiliger Strohsack “Raus! Sofort! Nicht beim 1. Kieler!“



      Paustian - der schöne! “Wieso denn???!!!



      Das hat er doch zu mir gesagt!“



      “Ach so! Ja dann!“ - alles gluckste!



      Das Boot blieb im Lager! 🚣🚣‍♀️🚣‍♂️🚣

      So geht’s doch auch! Newahr



      Normal Schonn - wa!

  • Die Meisten die hier kommentieren sind doch mehr ganz sauber. Halt die Fresse ist völlig unakzeptabel. Ich habe früher selbst Leistungssport gemacht und kenne die Abhängigkeit vom Trainer. Da wird viel geschluckt um in der Aufstellung zu bleiben.

    • @Andreas J:

      Die schlichte Wahrheit dieses Kommentars.

  • "Muss das wirklich sein?" - Geht die tazzis das wirklich was an?

  • Gottes Willen. Die beiden haben kein Problem damit, die meisten Zuschauer auch nicht. Wie oft wir uns in meiner Fußballgruppe vollmeckern, und danach wird zusammen herzhaft darüber gelacht und gut ist.

  • Mikroaggressionen? Ich habe den Eindruck, dass nicht wenige noch nie Mannschaftssport betrieben haben, weder als Spielerin noch als Trainerin.



    Manchmal ist der Ton für Unbeteiligte sicher nicht schön und wäre im Alltag manchmal grenzwertig - aber auf dem Platz, solange nicht herabgewürdigt wird ist das nicht tragisch, denn in 99,9% der Fälle ist das Ganze bei den Beteiligten nach dem Spiel sofort vergessen.



    Auch wenn es doof klingt: manchmal ist das Leben kein Streichelzoo!

    • @Heideblüte:

      Danke, ja!



      Und ob der Streichelzoo für die Gestreichelten so fein ist...

  • Lieber Herr Völker, Sie sitzen als Pressemitglied bestimmt immer unter sprachlich versierten KollegInnen im erlauchten Pressebereich, aber setzen Sie sich mal beispielsweise im Profi-Fußball inkognito hinter die Trainerbank.



    Wenn das Adrenalin kocht, kommen komische Szenen zustande, das ist wie Comedy, kaum bezahlbar.



    Auch Herr Tuchel sprach in Dortmund nicht französisch, sondern Tacheles.



    Herr Assauer ist mir besonders in Erinnerung geblieben, trotz Gestik mit Kampfansage im Westfalenstadion souverän.

  • Ja, er misshandelt mich, aber er liebt mich doch. Das sagt er mir immer wieder. Ich bin ja quasi sein Herz auf dem Platz.



    Echt lustig und Daumen hoch?



    Oder vielleicht doch etwas mehr Fantasie und Mühe für kurze, effektive Ansprachen, ohne Beleidigungen?

    • @Christian Götz:

      Meine Güte, das alles interpretierst du in diese _eine Szene? Krass! Schon mal überlegt, dass Trainer*innen in Stresssituationen nicht zu 100% perfekt agieren - so wie wir alle? Dass Menschen, die sich lang kennen, manchmal auch derart ehrlich miteinander sind, dass Außenstehende das nicht checken? Dass die Goldwaage ein schlechtes Gerät ist für das Messen von Kommunikation in angespannten Momenten?

  • Das kommt mir vor wie die Oma, die fremden Leuten in der Bahn ungefragt Erziehungstipps gibt, vielleicht auch "Beziehungstipps"?

  • Meine Position dazu ist, dass das nach dem Turnier diskutiert werden sollte (wenn das Verhalten des Trainers ein Problem für die Spielerinnen ist). Beim Turnier geht sonst Energie und Fokus verloren. Hinterher muss aber alles auf den Tisch, selbst bei Erfolg, denn der ist flüchtig.

  • Ja, das war eine klare Grenzüberschreitung!!! "halt die Fresse" ist eindeutig eine respektlose Verletzung. Umso schlimmer, wenn sich Trainer und Spielerin darauf 'geeinigt' haben, es sei eine zu vernachlässigende Bagatelle. Es ist keinesfalls eine Privatsache, was auf öffentlichen, olympischen Plätzen geschieht,sondern hat Vorbildcharakter für alle Sportler.



    Leider hat dieser Vorfall mein Misstrauen bestärkt, dass hinter den Kulissen mehr von dieser Art Missbrauch geschieht nach dem Motto : ohne Fleiß und schmerzvollen Schweiß kein Preis. Kein Pluspunkt für den Leistungssport. Widerspricht vollkommen des olympischen sportlichen Geist.



    sehr schade und absolut unangemessen.

    • @poesietotal:

      Preis ohne Fleiß und Schweiß? Wenn das der olympische sportliche Geist sein soll, dann warte ich schon mal drauf, dass Chipsfuttern auf der Couch olympische Disziplin wird.

  • Ja, das muss sein, weil Zeit knapp ist und Sätze wie

    „Liebste Anne, Du weisst, dass ich Dich respektiere, Deinen Stil schätze und für eine ausgesprochen gute Sportlerin halte. Ich würde gerne über Deine Körperhaltung sprechen - Du darfst dazu natürlich auch gerne was sagen, damit wir eine Lösung finden, die für Dich und das Team perfekt ist. Dafür wäre es total toll von Dir, wenn Du Deine eigene kommunikativen Bemühungen kurz einstellen könntest, damit wir reden können.“

    einfach zu lang sind.

    • @Strolch:

      Bitte!1!!

    • @Strolch:

      Treffend auf den Punkt gebracht.

    • @Strolch:

      Punkt.

    • @Strolch:

      Exakt.



      Ja, das muss wirklich sein. Dort an diesem Ort. In diesem Moment.

    • @Strolch:

      es gibt aber auch andere Ansagen für professionelle Trainer als halt die Fresse das muss nicht sein

    • @Strolch:

      👍😊

      • @HaKaU:

        genau so ist das im teamsport .

    • @Strolch:

      Stimmt. „Anne, Konzentration! Fokus!“ wäre auch viel zu lang gewesen.

      • @HanM:

        Der Ton macht die Musik. Gebrüllt ist das auch „Mikroaggression“.

    • @Strolch:

      nice. !!!

  • Das müssen wohl genau die zwei selbst entscheiden. Ist die Wertschätzung nach ihrer beider Gefühl da und drückt sie sich nur dermaßen rustikal in der Wettkampfzone aus, dann wäre das so.



    Im Training wird man erklärender, im Wettkampf jedoch wird es direktiver, direkter, um auch im Adrenalinzustand durchzukommen und den Impuls zu setzen.



    Kann so, kann so sein.

  • Ohne den Gesamtkontext und Kenntnis der zwischenmenschlichen Verhältnisse ist jede Bewertung des Vorgangs durch Dritte doch Blödsinn.

    Wer nichts einstecken kann, hat im Spitzensport nichts verloren.



    Der oder die macht dann einfach nach Bundesjugendspielen ohne Siegerurkunden einfach nix und gut ist!

  • Um die Frage zu beantworten: Ja, muss sein

  • Experten für Mikroaggressionen sollten Sportvereine generell eher meiden.