Protest gegen AfD-Bundesparteitag: In Essen unerwünscht

Zehntausende demonstrieren am Samstagvormittag gegen den Bundesparteitag. Am Morgen kommt es zu ersten Blockaden.

Ganz viele Menschen mit Protestschildern

Unendlich viel bunter als die AfD: In Essen ziehen Zehntausende am Samstagvormittag vom Hauptbahnhof bis vor die Grugahalle Foto: Christian Mang/reuters

ESSEN taz | Eine schier unüberschaubare Menschenmenge ist am Samstagvormittag in Essen auf der Straße. Sie demonstriert gegen den AfD-Bundesparteitag der gerade in der Grugahalle angefangen hat. Friedlich und bunt macht sich ein Protestzug vom Hauptbahnhof aus zu einem Messparkplatz in die Nähe der Halle auf, wo ab 14 Uhr die zentrale Kundgebung der Proteste stattfinden soll. Nach einer Weile erstreckt er sich auf mehrere Kilometer Länge. Viele Teilnehmende halten selbstgebastelte bunte Plakate in die Höhe,

Genaue Angaben zur Zahl der Demonstrierenden will die Polizei zunächst nicht machen, es seien auf jeden Fall „mehrere tausend“, sagt ein Sprecher. „Gemeinsam Laut“, das Aktionsbündnis, das zu der Großdemo aufgerufen hat, vermeldet 50.000 Teilnehmende.

„Am Wochenende demonstrieren mehr Menschen lautstark gegen die AfD, als die Partei Mitglieder hat“, erklärt die Sprecherin von Gemeinsam Laut, Linda Kastrup. „Die AfD ist hier ganz klar nicht willkommen. Gemeinsam stehen wir für eine weltoffene und demokratische Gesellschaft.“

Auf der Kundgebung wollen sich Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) oder auch die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Anna-Nicole Heinrich, zu Wort melden.

Blockade an der Autobahnauffahrt

Schon um sechs Uhr morgens stehen und sitzen an der Autobahnabfahrt Essen-Haarzopf ein paar hundert Demonstrierende in gelben Warnwesten auf der Straße – Zehntausende sollen es an diesem Samstag noch werden. Vor ihnen steht ein bunt angemalter Transporter, aus dem Musik ertönt. Ein großes Plüsch-Einhorn guckt vom Dach aus auf die Menge.

In den nächsten Stunden werden es immer mehr, die „Alle zusammen gegen den Faschismus“ rufen. Sie haben ein Ziel: „Wir wollen die AfD stören und verhindern, dass sie ihre faschistische Ideologie weiterverbreitet“, sagt Alassa Mfouapon, Sprecher der Gruppe „Widersetzen“, die seit Wochen dazu aufruft, den AfD-Bundesparteitag zu „verhindern“. Die Demonstrierenden klatschen und jubeln immer wieder, denn sie wissen,dass über diese Autobahnausfahrt in den nächsten Stunden wohl kein AfD-Abgeordneter zum Parteitag anreisen kann. Aus der Ferne sind noch mehr Demonstrierende, Pfeifen und ein Trompetenspieler zu hören.

Ein Polizist fordert die Demonstrierenden über einen großen Lautsprecherwagen an der Autobahnausfahrt zum Weitergehen auf. Nach etwa zwei Stunden kommt es zu kleinen Rangeleien, bei denen auch Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt werden. „Wir wollen uns nicht mit der Polizei konfrontieren, sondern die AfD konfrontieren“, sagt Alessa Mfouapon. Zwei Wasserwerfer rücken an und über die Autobahn kommen immer noch mehr Einsatzwagen der Polizei angefahren.

Tausende seit dem Morgen unterwegs

Im Essener Stadtteil Rüttenscheid, in dem sich der Ort des AfD-Parteitags, die Grugahalle, befindet, sind an diesem Morgen schon Tausende von AfD-Gegner:innen unterwegs. Wie viele es sind, ist schwer zu sagen – denn die Protestierenden haben sich an verschiedenen Stellen zu Mahnwachen, Kundgebungen und Protestzügen versammelt. „Es sind extrem viele Leute aus ganz Deutschland gekommen um zu zeigen, dass die AfD nicht willkommen ist“, freut sich Carola Rackete, die als Spitzenkandidatin der Linken ins Europaparlament gewählt wurde und sich heute unter die Menge gemischt hat. Auf dem Weg zur Grugahalle sind an fast jeder Ecke Menschen in gelben Westen zu sehen.

Auch an der Joseph-Lenné-Straße hinter der Grugahalle haben sich einige Demonstrierende versammelt. „Hier mussten schon viele Abgeordnete wieder umdrehen“, freuen sie sich. Hinter ihnen stehen drei Mannschaftswagen der Polizei. Die Straßen in unmittelbarer Nähe sind mit Polizeiketten gesichert. Wer hier durch möchte, muss sich als Jour­na­lis­t:in oder An­woh­ne­r:in ausweisen.

Es kommt an mehreren Stellen zu kleineren Auseinandersetzungen, auch weil teilweise Gruppen versucht haben, Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Sie wollten in den Sperrbereich rund um die Grugahalle gelangen. In unmittelbarer Nähe der Halle ist die Stimmung angespannter. Manche Abgeordnete kommen zu Fuß. Sobald sie erblickt werden, kommen Demonstrierende von mehreren Seiten angelaufen und stimmen laute Sprechchöre an. „Haut ab“, ist dann zu hören.

Jour­na­lis­t:in­nen berichten, dass schon vor Beginn der Proteste Autos, davon viele dicke SUVs, an der Messe angekommen seien. Aller Aktionen zum Trotz: Die ersten Delegierten haben die Grugahalle also schon erreicht.

Viele Menschen befinden sich in einer Straße und demonstrieren gegen die AfD. Am rechten Bildrand sieht man eine auf der Ladefläche eines Lasters aufgebaute Lautsprecheranlage

Lautstark gegen die Präsenz der in Teilen rechtsextremen AFD in Essen: der „Bass gegen Hass“-Rave am Freitagabend Foto: Cedrik Pelka

Rave-Demo schon am Freitagabend

Die Proteste gegen die in Teilen rechtsextreme Partei beginnen schon am Freitagabend: Um 19 Uhr startet eine Rave-Demo mit dem Motto „Bass gegen Hass“ am Essener Hauptbahnhof. Tausende ziehen von dort zur Grugahalle. Schrill, bunt laut ist die Demo – und wie von den ­Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen erhofft kreativ und friedlich.

Auf zwei Trucks legen Djs der lokalen Par­ty­ma­che­r:in­nen „essen diese“, „Statik“ und „Gitter Kollektiv“ auf. Die Bässen wummerm, drumherum tanzen die Leute. „Nazis essen heimlich Baklava“, „Tanzt für Toleranz“ und „AfD wählen ist so 1933“ steht auf selbstgemachten Schildern und Transparenten, die sie in die Höhe halten. Ein Mensch in einem pinken Einhorn-Kostüm verteilt Flyer von „Widersetzen“. „Kein Bier für Nazis“, rufen die Feiernden, „keine Pizza für Nazis“ steht auf der Innenseite des Deckels eines geöffneten Pizzakartons, den ein Mittzwanziger hochhält.

Tanz für Toleranz

Mitten in der Demo steht am Freitagabend gegen halb acht Leo. Um gegen die extrem rechte Partei zu demonstrieren, ist sie extra aus den Niederlanden angereist, wo sie bald studieren wird. Vier Stunden hat die Fahrt von Delft nach Essen gedauert – aber das habe sich gelohnt: „Ich glaube, es ist Bürger:innen-Pflicht, hier zu sein“, sagt die junge Frau, die einen großen Wanderrucksack auf dem Rücken trägt. „Die AfD nimmt viel zu viel Raum ein. Es ist superwichtig zu zeigen, dass wir damit nicht einverstanden sind.“

Und tatsächlich ist der Rave auch eine Versicherung, ein Zeichen, dass die AfD eben nicht, wie von ihr suggeriert, für eine Mehrheit spricht. „Sehr beeindruckend und sehr motivierend und schön“ sei die Demo, sagt deshalb Shobi, Mitte 20, aus Essen. „Ich bin hier, weil es sein muss. Kein Mensch braucht die Jungs“, findet auch Peter – mit seinen 49 Jahren gehört der Mann mit dem Motörhead-T-Shirt zu den vielen Älteren, die bei der Demo mitfeiern. „Nazis von der Straßen pogen“, steht auf einem Pappschild, das er mit einem Besenstiel in die Höhe hält.

„Unsere Demo ist mit 5.000 Leuten gestartet, jetzt sind wir 7.000. Angemeldet waren 1.000. Das muss man feiern“, freut sich auch Linda Kastrup, Mitorganisatorin des Bündnisses „Gemeinsam laut“, das einen großen Teil der Proteste trägt – auch die Polizei spricht am Freitagabend von 5.000 Teilnehmenden. „Hier ist nicht nur das ganze Ruhrgebiet, sondern die ganze Republik vertreten.“ Gefühlt „ganz Rüttenscheid“ schließe sich dem Rave gegen die AfD an, sagt auch Christian Baumann vom lokalen Bündnis „Essen stellt sich quer“, das seit Jahren gegen Neonazi-Strukturen in der Stadt wie etwa die „Steeler Jungs“ kämpft.

Kritisch blicken Kastrup und Baumann dagegen auf das große Polizeiaufgebot, das den absolut friedlichen Rave begleitet: Der Demo fahren mindestens 10 Mannschaftswagen der Polizei voraus, an deren Ende zählt die taz mehr als 50 davon. Dazu kreist ein Polizeihubschrauber über Essen. „Der massive Polizeieinsatz, der uns begleitet, ist absolut nicht nötig. Hier sind Leute, die friedlich gegen die AfD protestieren, die dabei Spaß haben wollen, die tanzen“, sagt Linda Kastrup dazu. Zuvor hatten Boulevardblätter und lokale Medien gewarnt, Autonome könnten massive Gewalt ausüben und Essen in eine Art Kriegsgebiet verwandeln. „Die ganze Panikmache hat nicht gefruchtet“, sagt Christian Baumann dazu.

AfD wirft Journalistin raus

Auf dem 15. Bundesparteitag der extrem rechten AfD will die Partei ihren Bundesvorstand neu wählen und über die Einführung eines Generalsekretärs diskutieren. Kurz vor dem Parteitag wirkt vor allem der Co-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla dünnhäutig: Nach kritischer Berichterstattung schließt er kurzerhand eine Spiegel-Journalistin von einem Presseempfang am Vorabend des Parteitags aus. Souverän geht anders, Pressefreiheit auch.

Dass Chrupalla willkürlich Jour­na­lis­t*in­nen ausschließt, ist nicht das erste Mal, zeigt aber, wie angekratzt er ist. Das mag daran liegen, dass parteiintern vor allem er für den komplett verkorksten EU-Wahlkampf verantwortlich gemacht wird. Chrupalla hatte Maximilian Krahs Spitzenkandidatur maßgeblich unterstützt – der wiederum wollte 23 Prozent holen, hatte aber mit Spionage- und Korruptionsaffären sowie SS-Verharmlosung solange marodiert, bis die AfD sogar im EU-Parlament aus ihrer ID-Fraktion flog und bei aus ihrer Sicht enttäuschenden 15,9 Prozent gelandet ist.

Nach dem Krah-Fiasko jedenfalls rollten Köpfe: Krah wurde nicht in die AfD-Delegation aufgenommen und beschimpfte daraufhin den neuen Delegationsleiter René Aust als Verräter – und der ist immerhin ein Vertrauter des Rechtsextremisten Björn Höcke. Der wiederum griff in einer Pressemitteilung Krah und Chrupalla an – es war ein munteres Alle gegen Alle im völkischen Flügel.

Streit um neuen Generalsekretärs-Posten

Als offenen Angriff las Chrupalla auch den für den Parteitag anstehenden Antrag auf die Einführung eines Generalsekretärs ab 2025. Die mögliche Berufung sollte zunächst als eine Art politischer Geschäftsführer an eine Einzelspitze gekoppelt werden. Laut Antrag sollte dieser mit politischer Parteiarbeit in die Landesverbände hineinwirken – sich also um heikle Personalangelegenheiten, Rechtsextremismus-Skandale und Russlandreisen kümmern, letztlich der Parteiführung den Rücken frei halten.

Für die Parteispitze ist allerdings nicht Chrupalla vorgesehen, sondern seine Co-Bundessprecherin Alice Weidel, wie vielfach zu hören ist. Die gilt zwar im Bundesvorstand und bei den Frak­ti­ons­kol­le­g:in­nen als faule Opportunistin, ist aber wegen ihrer rassistischen Reden und kalkulierten Wutausbrüche als Galionsfigur an der Basis überaus beliebt. Deswegen gilt sie vielen in der Partei als gutes repräsentatives Aushängeschild und ist als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2025 schon gesetzt.

Darüber wird in Essen allerdings noch nicht entschieden. Entsprechend glätteten sich kurz vor der Bundesvorstandswahl die Wogen: Weidel und Chrupalla betonten bei jeder Gelegenheit ihre gute Zusammenarbeit und wollen als Doppelspitzen weiter machen. Der Antrag auf den Generalsekretär soll per Änderungsantrag möglicherweise noch abgeschwächt werden – ein Zugeständnis an Chrupalla. Der Generalsekretär sollte dann auch unter einer Doppelspitze möglich sein, was Platz für Chrupalla ließe. Für die notwendige Satzungsänderung braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, wobei der Antrag Unterstützung aus 13 Landesverbänden hat.

Landtagswahlen disziplinieren völkischen Flügel

Disziplinierend insbesondere auch in den völkisch dominierten Landesverbänden wirken zudem die anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Auch der Spitzenkandidat der AfD Thüringen, Björn Höcke, meldet sich am Freitag noch mit einem Statement zu Wort und wünscht sich „vor den Ost-Wahlen“ keinen Schwenk in Richtung Einzelspitze, sondern Kontinuität mit zwei Personen als Parteiführung. Allerdings spricht er sich langfristig für eine Einzelspitze mit Generalsekretär aus, er ist ebenfalls Unterzeichner des Generalsekretär-Antrags.

Ein offenes Geheimnis ist dabei, dass Höcke langfristig gerne selbst die Partei anführen will. Das klingt auch in seinem Statement durch, in dem er sich vorerst noch einmal für die Doppelspitze ausspricht: „Ich sehe im Augenblick noch nicht die Einzelspitze, die jetzt in dieser Phase reüssieren könnte, um dann wirklich als integrative Kraft und Person diese Partei über viele Jahre auch stabil in die Zukunft zu führen.“ Und dann, findet Höcke, könne man mal gucken, was in zwei Jahren ist.

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