Verschwörungsmythen bei Aids und Corona: Schluss mit der Schwurbelei
Wird die Wissenschaft geleugnet, hat das fatale Folgen, das zeigte schon die Aids-Pandemie. Daraus haben wir für die Coronazeit leider nichts gelernt.
Wir wollen doch nur eine Debatte.“ Das ist das Lieblingsargument von Aids-Leugner:innen wie der US-Amerikanerin Christine Maggiore Anfang der 1990er Jahre. Sie wollten damals darüber diskutieren, ob das HI-Virus wirklich die Immunschwächekrankheit Aids auslöst. Maggiore und ihre Anhänger:innen hatten von Biologie, von Zellen und Viren kaum einen Schimmer. Aber sie wollten mit hochdekorierten Wissenschaftler:innen diskutieren. Auf Augenhöhe. Und zwar eine Frage, die zu diesem Zeitpunkt bereits seit zehn Jahren beantwortet war.
Nein, nicht jeder hat einen Anspruch auf eine Debatte. Egal wie laut er oder sie das auch fordert. Und Maggiore und ihre Anhänger:innen waren laut. Sie stürmten Kongresse, beschimpften Wissenschaftler:innen, drohten Journalist:innen. Und sie fluteten das Internet mit ihren kruden Thesen über die sogenannte Aids-Lüge. Nach der war Aids eine Erfindung von Gesundheitsbehörden und der Pharmaindustrie. Maggiore war selbst HIV-positiv. Damals noch ein Todesurteil. Die Leugnung war für sie die einzige Möglichkeit, der Realität zu entkommen.
Lange vor Corona gab es also auch schon Leugner:innen und Querdenker:innen. In der Aids-Pandemie hatte ihr Handeln schwerwiegende Folgen. In Südafrika sind zahlreiche Menschen gestorben, weil ihr Land eine Zeit lang vom Aids-Leugner Thabo Mbeki regiert wurde. Man hätte daraus einiges lernen können. Dass das nicht passiert ist, ist ein großes Versäumnis. Bei Corona darf sich das nicht wiederholen.
Am 23. April 1984, also genau vor 40 Jahren, beruft die US-amerikanische Gesundheitsministerin Margaret Heckler eilig eine Pressekonferenz ein und gibt feierlich bekannt: Die Ursache von Aids sei gefunden. Ein Virus. Der Entdecker: der US-amerikanische Forscher Robert Gallo.
Kein Durchbruch, sondern kommunikatives Desaster
Was eigentlich wie ein Durchbruch klingt, entpuppt sich als kommunikatives Fiasko. Vor Gallo hatten schon französische Forscher dasselbe Virus entdeckt. Erwähnt werden sie auf der Pressekonferenz nicht. Heckler war vorgeprescht, sie wollte den Durchbruch und die mit dem Verkauf der HIV-Tests verbundenen Einnahmen für die USA reklamieren. Das französische Forscherteam klagt. Ein jahrelanger Rechtsstreit und eine diplomatische Krise entbrennen.
Dieser Moment gilt als Stunde null der so genannten Aids-Leugner:innen. Sie sagen, das HI-Virus sei harmlos und Aids eine Erfindung. Der Skandal um die Pressekonferenz ist Wasser auf ihre Mühlen. Denn in ihrer Eile ist Heckler noch ein weiterer Fehler unterlaufen. Zum Zeitpunkt der Verkündigung ist der wissenschaftliche Nachweis noch gar nicht abgeschlossen. Für die Leugner:innen ist damit klar: Hier sollen Fakten geschaffen werden. Jeder, der jetzt noch etwas anderes behaupte, werde als Häretiker gebrandmarkt. Es gibt jetzt eine staatlich vorgegebene Meinung. Man solle mundtot gemacht werden. Aus einer Unstimmigkeit leiten sie gleich die ganz große Verschwörung ab.
Kommunikation entscheidet über Glaubwürdigkeit. Jede Ungenauigkeit und kleinste Fehler torpedieren dieses wertvolle Gut. Wenn Wissenschaft politisch instrumentalisiert wird, wenn Wissenschaft dazu dient, im Nachhinein politische Entscheidungen zu rechtfertigen, kommt zu Recht Misstrauen auf. Gerade in Krisenzeiten sollten beide Bereiche auf eine strikte Trennung achten. Das galt für Aids und das gilt auch für Corona.
Eine entscheidende Rolle spielen in Krisenzeiten auch Medien. Es ist richtig und wichtig, über Leugner:innen und ihre Behauptungen zu berichten. Solche Narrative lassen sich nicht einfach ignorieren. Nur ist es ein Fehler, ihre Aussagen als Beitrag zu einer Debatte einzustufen. Ihre Verschwörungserzählungen dürfen nicht gleichberechtigt neben erwiesenen Fakten stehen. Coronaleugner:innen haben nichts in Talkshows verloren. Sie haben nichts zum Diskurs beizutragen. Wer sie einlädt, stellt sie auf eine Bühne, auf die sie nicht gehören.
Leugner:innen wollen predigen
Das hätte man aus der Aids-Pandemie für die Zeit mit Corona längst lernen können. Leugner:innen wollen in Wahrheit nicht debattieren, sie wollen predigen. Sie diskutieren nicht ergebnisoffen, sondern wollen überzeugen. Sie ignorieren Fakten und sie stellen Fragen, die längst beantwortet sind.
Das ganze Phänomen der Krankheitsleugnung ist nichts Neues und nichts Ungewöhnliches. Cholera, Malaria, Spanische Grippe, Tuberkulose – auch da traten schon Zweifler:innen und Skeptiker:innen auf. Sie verschwanden nur schnell wieder, sobald die Ursachen gefunden wurden. Bei Aids und später auch bei Corona war es anders. Das sind die beiden ersten Pandemien in Zeiten des Internets. Durch das Internet erhalten Irrglauben und falsche Behauptungen eine neue Haltbarkeit und Reichweite. Sie wirken größer, als sie sind. Und wirken schnell gleichberechtigt zu Fakten und Realität.
Es hätte sicherlich geholfen, wenn jemand während der Coronapandemie darauf hingewiesen hätte, dass Leugnungsbewegungen zu Beginn neuer Krankheiten immer wieder entstehen. Dass sie meist aus Angst, Unsicherheit und Verzweiflung entstehen. Dass eine inhaltliche Debatte mit ihnen zu nichts führt und dass sie gefährlich werden können. Es hätte auch geholfen, Politik, Wissenschaft und Medien beizeiten daran zu erinnern, dass ihre Glaubwürdigkeit in Krisenzeiten besonders zur Disposition steht. Dass sie klar und transparent kommunizieren müssen, um Brandstifter:innen keinen Raum zu geben. Dass Schlingerkurse und zwielichtige Maskendeals fatale Folgen haben. Dass geschwärzte Sitzungsprotokolle Stoff für neue Verschwörungsmythen sind.
Für alle Beteiligten ist eine neue Pandemie eine extreme Ausnahmesituation. Da werden Fehler gemacht. Die klar zu benennen ist die einzige Möglichkeit, sie nicht zu wiederholen. Irren ist menschlich – das Bekenntnis dazu auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“