piwik no script img

Antisemitismus auf der BerlinaleIm falschen Film

Auf einem Instagram-Kanal der Berlinale tauchten israelfeindliche Posts auf. Das zeigt: Auch in der Filmwelt ist Antisemitismus verbreitet.

„Cease Fire Now“-Forderung auf dem Rücken von Jurymitglied Verena Paravel, während sie den Preis für „No Other Land“ überreicht Foto: Monika Skolimowska

Hat die Berlinale ein Antisemitismusproblem? Seit dem Wochenende stellt sich diese Frage. Auf der Preisverleihung des Filmfestivals am Sonnabend hatte es neben Solidaritätsbekundungen mit „Palästina“ in Wort und Bild – Juroren trugen Stoffteile mit „Cease Fire Now“-Aufdruck, Preisträger erschienen mit Palästinensertuch auf der Bühne – auch direkte Kritik an Israel gegeben.

Von „Genozid“ war die Rede, als der Dokumentarfilm „No Other Land“ eines israelisch-palästinensischen Kollektivs als bester Dokumentarfilm geehrt wurde. All das geschah unter Beifall aus dem Publikum. Am Sonntag erschien dann ein Post auf dem Instagram-Kanal der Berlinale-Sektion „Panorama“, der ein Foto von zerstörten Häusern im Gazastreifen mit dem Schriftzug „The Zone of Interest“ versah.

Dieses „Interessengebiet“ ist historisch das Gelände des KZ Auschwitz, in dieser Woche startet in den deutschen Kinos zudem Jonathan Glazers Spielfilm „The Zone of Interest“ über den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. Auf X kommentierte der Grünen-Politiker Volker Beck: „Das Ungeheuerlichste ist diese Kachel. Es ist eine Gleichsetzung von Gaza & Auschwitz durch Kombination von Gaza mit dem Auschwitzfilm ‚Zone of interest‘.“

Die Berlinale gab nach dem Bekanntwerden des Posts bekannt, ihr Account sei gehackt worden. Dass diese Antwort skeptische Reaktionen hervorrief, ist unabhängig von der Frage, ob die Begründung stimmt, ein Zeichen dafür, dass die Berlinale seit dem Wochenende ein Problem mit Antisemitismus hat. Damit wäre sie die zweite internationale Kulturveranstaltung in Deutschland, die in dieser Hinsicht auffällt.

Brücken einreißen

Zuvor hatte 2022 die Kasseler Kunstausstellung documenta fifteen für Diskussio­nen gesorgt, weil dort vorübergehend antisemitische Kunstwerke ausgestellt waren, ohne dass die Kuratoren des indonesischen Kollektivs Ruangrupa sich überzeugend distanziert hätten.

Was den Skandal, mit dem sich die Berlinale konfrontiert sieht, so überraschend macht, war der zuvor eher ruhige Verlauf des Filmfestivals. Allerdings hatte bei einzelnen Veranstaltungen die Stimmung im Publikum merklich in eine Richtung tendiert.

Der israelische Regisseur Amos Gitai sah sich bei der Premiere seines Films „Shikun“ etwa mit der Bitte eines Zuschauers konfrontiert, Gitai möge Kulturstaatsministerin Claudia Roth bitten, auf die Bundesregierung einzuwirken, ihre diplomatischen Beziehungen zu Netanjahus Regierung zu kappen. Worauf der Regisseur souverän erwiderte, er sei studierter Architekt und mehr daran interessiert, Brücken zu bauen, als sie abzubrechen.

Die Bereitschaft zum Brückenbauen war am Wochenende nicht zu erkennen. Die Solidarität mit Israel, die verspätet nach dem 7. Oktober aus der Kultur in Deutschland bekundet wurde, wirkte bei der Preisverleihung wie weggefegt. Dass die scheidende Berlinale-Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek zu Beginn an das Massaker der Hamas vom 7. Oktober erinnerte, half wenig. Sie blieb als Stimme eine viel zu kleine Minderheit.

Kein Wort der Kritik

Dass inzwischen Kritik an Claudia Roth laut wurde, unterstreicht den Ernst der Schieflage. So forderte Volker Beck von seiner Parteikollegin im rbb-Sender Radio 1 eine Strategie, „wo man antisemitismus­kritische Stimmen stärkt und diese Sache nicht einfach laufen lässt“. Auch warf er ihr vor, er habe von ihr, die bei der Preisverleihung zugegen war, „noch kein Wort der Kritik gehört“.

Die Berlinale muss seit Jahren um ihre internationale Bedeutung fürchten. Sie muss jedoch vermeiden, sich dem internatio­nal dominierenden propalästinensischen „Mainstream“ anzubiedern, auch in ihren einzelnen Sektionen. Das Bekenntnis „Hass steht nicht auf unserer Gästeliste“, von Rissenbeek griffig formuliert, geriete sonst zum leeren Werbeslogan. Wenn die Berlinale weiter als Kulturveranstaltung des Bundes ernst genommen werden will, muss sie glaubwürdig sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • Ich denke aber doch, dass wir in der Lage sind, die Terror-Aktion der Hamas genauso, nach denselben Maßstäben zu verurteilen wie Attacken auf Zivilisten zu verurteilen sind.



    Dass wir unterscheiden können zwischen echter Kritik an Netanyahu und dem Handeln der israelischen Regierung und offenem oder verkappten Antisemitismus. Doch, das geht. Ja, lasst uns universalistisch dieselben Maßstäbe anlegen. Keine besondere kritische, keine besonders unkritische Elle speziell für Israel, sondern universalistisch urteilen.

  • Vielleicht sollte man einfach auf internationale Kulturveranstaltungen so lange verzichten, bis entweder endlich der Rest der Welt bereit ist, sich die deutsche Sicht auf das Weltgeschehen anzueignen oder man hierzulande gelernt hat zu akzeptieren, dass man mit einem anderen Hintergrund auch eine andere Sicht der Dinge haben kann.

    • @HRMe:

      Und wo liegen die Grenzen dieser Akzeptanz?

  • Das Bedrückende an der ganzen Chose ist für mich der Umstand, dass die Ansagen von der Bühne offensichtlich den Nerv des geneigten Publikums traf.

    Genozid, Apartheid, das ist eben der gruselige Konsens.

    • @Jim Hawkins:

      Naja, Genozid ist nach den üblichen Bedeutungen überzogen - wieder eine Vertreibung aus der Heimat wäre wohl angebrachter wie arg genug. Einige Minister versuchen dabei die palästinensische Identität zu leugnen oder auszuradieren, dann fängt es leider nach anchen Definitionen tatsächlich an. Auch bei Apartheid muss man näher hinsehen. Noch ist es nicht Südafrika, aber die Gefahr ist da, wenn eine Bevölkerungsgruppe die andere große niederhält und dafür Rechtfertigung sucht. Apartheid wäre eine Seelenberuhigung.

      Man kann das konstatieren und dennoch nicht alle schwarz-weiß sehen oder die schrillen Wörter wählen. Man muss gar nicht ausschließlich eine Seite wählen hier.



      Prüfen wir universalistisch unsere Maßstäbe - sie sollten weder schärfer noch softer sein, dann sind wir wohl gut unterwegs.

    • @Jim Hawkins:

      Offenbar findet man es schick, gegen Israel zu klatschen, bevor man sich den Häppchen zuwendet.

    • @Jim Hawkins:

      Zumindest schwiegen unter denen denen, die dort saßen, fast alle, die es anders sahen.

      In der aktuellen Stunde des WDR hat Michael Friedmann das aufgegriffen: zwei, die aufgestanden sind und Frieden für Palästina und für Israel gefordert haben, wurden ausgebuht.

      Sollte am 21:00 in der Mediathek verfügbar sein: www1.wdr.de/fernse...le-stunde-120.html

      • @Arne Babenhauserheide:

        Das passt ins Bild. Diese Leute haben kein großes Bedürfnis nach Debatten, sie bevorzugen das nieder brüllen.

  • Wenn sich die Lage beruhigt hat müssen wir in Deutschland dringend mal ein Gespräch drüber führen was Antisemitismus ist und was nicht. Einer israelisch-palästinensischen Koproduktion einen Preis zu geben ist es auf jeden Fall nicht.



    Aber das Deutsche sich ständig hinstellen um israelkritischen Juden zu erklären wie Sie sich nicht "antisemitisch" zu verhalten haben scheint ja leider die neue Norm zu sein.

    • @judas3000:

      Natürlich, ich finde generell unsere Prioritäten ziemlich Chaotisch.

      Teilweise werden israelkritische Organisationen verteufelt die von Holocaust Überlebenden mitgegründet wurden.

  • Der Artikel lässt nichts aus - danke dafür. Die Frage, die im Raum steht, lautet: "Was erlauben Claudia Roth?" (frei nach G.T.) .Kann sein, dass der Account gehackt wurde, aber im Gesamtkontext erscheint eine andere Variante leider glaubhafter.

  • Muss man wohl differenzieren ...

    "Ceasefire now!" mag realistisch sein oder auch nicht, ist aber keinesfalls antisemitisch.

    Der Genozid-Vorwurf ist ahistorisch und dumm, für sich genommen aber auch noch nicht antisemitisch. Er findet ohnehin inflationäre Verwendung in alle Richtungen hin.

    Auschwitz-Vergleiche dagegen sind schon mehr als nur eine Dummheit ...

    • @Kohlrabi:

      Der israelische Historiker Omer Bartov und Experte für Genozid hat davor gewarnt, dass es auf einen Genozid hinauslaufen könnte. Wieso ist der Vorwurf als solcher ahistorisch und dumm? Ich sage nicht, dass es einer ist, aber wundere mich immer, dass andere so genau wissen, dass das auf gar keinen Fall einer ist und schon die Frage sich nicht stellt. Danke aber, dass Sie den Vorwurf des Antisemitismus etwas differenzieren.

  • einen Waffenstillstand zu fordern ist eben noch kein Antisemitismus, auch nicht wenn man ein Palästinensertuch trägt.



    Israel muß sich wehren und muß die Hamas auslöschen, das ist nach dem massaker gar nicht anders vorstellbar. Aber dennoch gehört das Thema Zivilbevölkerung auf den Tisch.



    Dass das einige der Sympatisanten evtl. antisemitisch gemeint haben könnten, das kann sein, diskreditiert aber nicht den Ruf nach einem Ende des Leids der Zivilbevölkerung.



    Eine 110% Schwarz/Weiß Sicht ist absolut verkehrt.

    • @nutzer:

      Zivilbevölkerung?



      80 % der Palästinenser unterstütz(t)en Hamas. Dies schwindet natürlich jetzt und schlägt teilweise um in Hass auf die Hamas, da der pal. Bevölkerung die Augen aufgehen. Vor 2 Monaten schrieb der Redakteur Aviel Schneider von Israel Heute noch vom platten Spruch eines arabischen Israeliten "Wir sind Hamas"...Aber das ist bald Geschichte

    • @nutzer:

      Das Thema Zivilbevölkerung gehört auf den Tisch, das Thema Hamas aber auch.

      Natürlich ist alles für sich erstmal nicht problematisch - nur ein böswilliger Geist kann da eine böse Absicht in die Aussagen lesen. Früher lief das unter "das wird man ja noch sagen dürfen".

  • Nun ja -- zunächst sehen ist Intellektuelle und Künstler als ihre wichtigste Aufgabe, sich mit den Schwachen zu solidarisieren -- und das sind in diesem Krieg augenscheinlich die Palestinänser, was schon die asymmetrischen Opferzahlen belegen. Und mit staatlich und medial verordneter Zurückhaltung bei der Israelkritik -- so wird dies empfunden -- bewirkt man da gar nichts, weil eben auch die Kritik von solchen Machtdiskursen zu den wichtigen Aufgaben von Intelektuellen gehört.



    Allerdings gehört es auch zu den Aufgaben, die sich Künstler/Intellektuelle häufig stellen, Diskurse zu entlarven. Und das tun sie hier gar nicht, vielmehr reproduzieren sie den von den militanten Palästinenser-Organisationen gepflegten Mythos, dass alles Leid der Palästinenser an Israel liegt. So lässt sich der Beitrag der PLO und der Hamas an der aktuellen Situation gut kaschieren -- und das gilt ja selbst für den 7. Oktober. Und den als Auslöser des aktuellen Kriegs zu übersehen, ist ebenso eine Meisterleistung wie die Tatsache, dass die Hamas (wie zuvor die PLO im Libanon) ihre militärische Infrastruktur gezielt in dicht besiedelte Gebiete und zivile Infrastruktur hineinbaut. Dazu hört man aber gerade in der Kunstszene nichts. Und das ist beschähmend!

    • @Libuzzi:

      In diesem Krieg sind augenscheinlich die Allerschwächsten die israelischen Geiseln.

  • Gut wäre, den Begriff A. nicht fast wahllos auf alles zu schleudern, was den Staat Israel oder die Regierung Netanyahu kritisiert. Auch hierbei.



    Kritisieren wir denn hierzulande nicht mehr Verstöße gegen das Kriegs- und Völkerrecht? Das kann die taz doch gut, und das ist gut so.

    Was dabei wichtig ist, diese Handlungen nicht deshalb zu kritisieren, weil man Juden nicht mag, sondern mit denselben universalistischen Kriterien, nach denen man auch z.B. Russland, Marokko oder China kritisiert. Nicht mehr, nicht weniger.

  • Der Post mit dem "Interessengebiet" ist natürlich unsäglich. Wieso sie aber die Forderung nach einem Waffenstillstand in einem Satz mit Antisemitismus unterbringen, müssen Sie bitte genauer erklären. Die ausschließliche Forderung nach Waffenstillstand ist eine humanistische und humanitäre Frage, und ich sehe keinerlei Verbindung zu Antisemitismus. Damit wird weder ein Terrorangriff vom 07. Oktober gerechtfertigt, verharmlost oder sonst was. Ein Waffenstillstand wird auch von israelisch-palästinensischen Organisationen gefordert, die sich für eine nachhaltige Friedenspolitik und wahre Sicherheit vor Ort einsetzen. Warum ist das bloß so schwer zu verstehen für eine leider nicht kleine Anzahl von Deutschen?

  • ich verstehe nicht warum das mit dem Genozid nicht erwähnt werden darf, wenn gerade vor dem höchsten Gerichtshof in Den Haag eben solcher als „ plausibel“ eingestuft wurde?

    • @elma:

      Nix "plausibel". Das Gericht befand, dass der Vorwurf nicht VÖLLIG UNBEGRÜNDET war.

    • @elma:

      Lesen Sie doch oben den Beitrag von Libuzzi, da wird es auch noch mal ganz gut erklärt. Genozid ist ein Schlagwort, das gerne in den Diskurs eingebracht wird, z. B. auch um von den tatsächlich genozidalen Absichten der Hamas abzulenken. Israel wird für so ziemlich alles verantwortlich gemacht, während von der Hamas in all diesen Bubbles nie die Freigabe der Geiseln gefordert wird. Außerdem wäre doch das mindeste, die Hamas aufzufordern, einfach aufzugeben.

  • Es ist natürlich traurig, dass die Opfer des 7. Oktober und die Rolle der Hamas zunehmend ausgeblendet werden. Andererseits sollten sowohl Kultur und vor allem Politik berechtigte Solidaritätsbekundungen mit der palästinensischen Bevölkerung und auch Israelkritik zulassen. Zuhören statt Antisemitismusvorwurf. Letzterer dröhnt so laut, dass zB vergessen wird an wen der Dokumentarfilmpreis ging, ein arabisch/palästinensisch & jüdisch/israelisches Team. Yuval Abraham (jüdisch) sieht sich in seinem Heimatland jetzt massiver Kritik ausgesetzt - gerade Menschen wie er sollten doch auf Unterstützung in Deutschland hoffen können!