Wikileaks und Informationsfreiheit: Assanges letzter Rechtsweg?
Ein Gericht soll entscheiden, ob Julian Assange ein Recht auf Berufung hat. Seine Frau erhebt erneut schwere Vorwürfe gegen die CIA.
Seit 13 Jahren kämpft Julian Assange um seine Freiheit. Der Gründer der Plattform Wikileaks ist in den Vereinigten Staaten wegen Spionage angeklagt, weil Wikileaks 2010 700.000 geheime Dokumente zu US-Aktivitäten im Irak und in Afghanistan veröffentlichte. Sollte ihm in den USA der Prozess gemacht werden können, droht dem Australier dort ein Strafmaß von bis zu 175 Jahren Gefängnis. Von 2012 bis 2019 hielt sich der heute zweiundfünzigjährige Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London auf, um einer Auslieferung zu entgehen.
Am kommenden Dienstag und Mittwoch schlägt Assange seinen womöglich letzten in Großbritannien möglichen Rechtsweg ein. Zwei Richter werden dabei prüfen, ob Assange im letzten richterlichen Urteil zu Recht kein weiteres Berufungsverfahren gewährt wurde.
Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in London äußerte die Anwältin Stella Assange, Assanges Ehefrau und Mutter seiner beiden Kinder, die Befürchtung, dass ihr Mann sterben könnte, sollte er in die USA ausgeliefert werden.
Nach der 2010 erfolgten Veröffentlichung der als geheim klassifizierten US-Akten, darunter eine Videoaufnahme des Beschusses von Zivilist:innen in Bagdad, wurden in Schweden Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange laut. Es gab jedoch weder eine Anklageerhebung noch eine Einvernehmung Assanges, ein Haftbefehl bestand aber bis 2019.
Manche sagen, eine Untersuchung des damaligen UN-Sonderbeauftragten für Folter, des Schweizers Nils Melzer, der den schwedischen Behörden vorwarf, Beweise manipuliert und eine sonst übliche Zusicherung, den Angeklagten nicht an die USA zu überstellen, nicht gewährt zu haben, habe zur Einstellung der schwedischen Anklage beigetragen.
Hat die CIA geplant, Assange zu ermorden?
Das waren nicht die einzigen Probleme Assanges. Während er sich in der ecuadorianischen Botschaft aufhielt, wurde er, wie später bekannt wurde, mit Sicherheitskameras und versteckten Mikrofonen überwacht, nachdem eine spanische Sicherheitsfirma ein neues Überwachungssystem installiert hatte.
Dahinter steckte die CIA, so Whistleblower der Firma, die sich an die spanische Zeitung El País und die spanische Polizei wandten. Nun hat das Team um Assange gegen die CIA zwei Klagen in Spanien und den USA erhoben: In den USA läuft eine Zivilklage, so Stella Assange. In Spanien jedoch soll es um die Weitergabe privater Informationen Assanges gehen.
Zudem erhebt sie erneut die bisher schwerste Anschuldigung gegen die amerikanischen Sicherheitsbehörden: Stella Assange wirft der CIA vor, geplant zu haben, Julian Assange zu ermorden. Auch über diesen Vorwurf wird in Spanien vor Gericht verhandelt werden.
Dass Assanges Ausweisung in die USA überhaupt wieder droht, liegt an einem politischen Umbruch in Ecuador. Nach einem Regierungswechsel zeigte Ecuadors neuer Präsident Lenín Moreno wenig Sympathie für Assanges weiteren Aufenthalt in seiner Londoner Botschaft. Moreno erlaubte der Polizei, die Botschaft zu betreten und den lästig gewordenen Gast in Gewahrsam zu nehmen.
Im April 2019 wurde Assange schließlich von der Londoner Metropolitan Police in der Botschaft verhaftet und zu einem 50-wöchigen Arrest verurteilt, weil er seine Bewährungsauflagen durch die Flucht in die Botschaft verletzt habe.
Diese Strafe musste Assange im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh absitzen, wo er bis heute, fast fünf Jahre später, weiterhin festgehalten wird. Währenddessen haben die USA ihr Gesuch für Assanges Ausweisung gerichtlich kräftig angekurbelt.
Stella Assange und Wikileaks Chefredakteur Kristinn Hrafnsson betonten am Donnerstag, nicht zum ersten Mal, dass Assanges Fall das Recht auf freie Information aller Menschen weltweit und die Arbeit aller Journalist:innen betreffe.
Nur eine kurze Atempause
Assanges Leidensweg durch Gerichte und Gefängnis sei im Vergleich zu dem, was Chelsea Manning widerfahren ist, unverhältnismäßig. Manning hatte sich Zugang zu den geheimen Informationen verschafft und diese an Wikileaks weitergegeben. Manning wurde dafür zwar zu 35 Jahren Haft verurteilt, jedoch schon nach sieben Jahren von Präsident Obama auf freien Fuß gesetzt.
Im Januar 2021 urteilte die britische Richterin Vanessa Baraitser in einem Berufungsverfahren, dass Assanges Ausweisungsantrag zu stoppen sei, da nach Ansicht psychiatrischer Gutachten zu Assanges mentaler Verfassung die Gefahr bestehe, dass er in US-amerikanischen Strafanstalten in den Suizid gedrängt werde.
Das Urteil brachte nur eine kurze Atempause. Noch am Ende desselben Jahres waren die US-Anwälte durch diplomatische Zusicherungen, dass Assange gut behandelt werde, bei weiteren Berufungsverfahren erfolgreich. Assanges Verteidigung versuchte wiederum, beim britischen Obersten Gerichtshof Einwände einzulegen, stieß jedoch auf Ablehnung.
2022 stimmte dann die damalige britische Innenministerin Priti Patel der Ausweisung zu. Weitere Versuche der Verteidigung Assanges blieben ohne Erfolg. Das Verfahren am kommenden Dienstag und Mittwoch entscheidet ein letztes Mal, ob Assange ein weiterer Berufungsweg offensteht. Über die genauen Inhalte des Berufungsverfahrens wollte man bisher keine Einzelheiten mitteilen.
Selbst wenn Assanges Rechtsteam nächste Woche gewinnt, bedeutet das keineswegs, dass Assange freikommt, sondern lediglich, dass sein Fall in einem weiteren Verfahren angehört werden kann. Sollte Assange den Einspruch der nächsten Woche verlieren, bleibt ihm lediglich die Möglichkeit, zu versuchen, über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg seine Ausweisung in die USA zu verhindern.
Zusicherungen der USA wohl wenig wert
In einer Erklärung von Anfang Februar betonte die derzeitige UN-Sonderbeauftragte für Folter, Alice Jill Edwards, dass Assanges Leben in den Vereinigten Staaten gefährdet sei. Die diplomatischen Zusicherungen der USA, Assange eine menschliche Behandlung in US-Strafanstalten zu gewährleisten, stelle keine ausreichende Garantie dar. Bedenken gebe es, weil Chelsea Manning den Vorwurf erhebt, sie sei in Haft gefoltert worden.
Die Zusicherungen der USA kämen, so sagt Stella Assange, vom gleichen Sicherheitsapparat, der beabsichtigte, Assange zu ermorden. Auf der Pressekonferenz sagte sie weiter: „Sie werden ihn zweifellos in ein Loch werfen, so tief im Boden, dass ich glaube, dass ich ihn nie mehr wiedersehen werde. Und das, nachdem er 13 Jahre Missbrauch und Folter über sich ergehen lassen musste. Glauben Sie wirklich, ein Mensch kann das überleben?“
Assanges Gesundheit habe in der Isolationshaft im Belmarsh-Gefängnis gelitten, so Stella Assange. Er habe nicht nur einen kleinen Herzinfarkt erlitten, sondern sei auch frühzeitig gealtert und müsse nun verschiedene Medikamente nehmen.
Laut Stella Assange fordern die USA die Ausweisung ihres Ehemanns für ein politisches Vergehen. Das Abschiebeabkommen zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich würde Ausweisungen in solchen Fällen jedoch strikt verbieten. Neben dem Rechtsweg versuche die australische Regierung, sich für Assange in den USA einzusetzen.
Auch das britische Innenministerium unter James Cleverly könnte, so Stella Assange, die Entscheidung seiner Vorgängerin Priti Patel, der Ausweisung Assanges zuzustimmen, durchaus überprüfen lassen. Wie wahrscheinlich eine Kehrtwende im Fall Julian Assange in einem Jahr ist, in dem sowohl in den USA als auch im Vereinigten Königreich gewählt wird, ist jedoch fraglich.
Für Dienstag und Mittwoch sind in London und weltweit Proteste in Solidarität mit Assange geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch