Soziologe über Soziale Bubbles: Muss jede Grüne AfDler kennen?
Wir umgeben uns mit Leuten, die uns in Status und Ansichten ähnlich sind. Aber ist das ein Problem? Der Soziologe Olaf Groh-Samberg erforscht Blasen.
wochentaz: Herr Groh-Samberg, wie homogen ist eigentlich Ihr eigener Bekanntenkreis?
Groh-Samberg ist Professor für Soziologie am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen und Sprecher des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ). Er ist einer der Autor:innen des ersten Zusammenhaltsberichts des FGZ, der unter dem Titel „Entkoppelte Lebenswelten?“ erschienen ist.
Olaf Groh-Samberg: Ziemlich homogen.
Als Hochgebildeter gehören Sie zu einer der Risikogruppen für das Leben in sozialen Blasen.
Ja, es ist eine Bubble.
In Ihrer Studie beschäftigen Sie sich auch mit den Risiken der Abkopplung sozialer Gruppen – sehen Sie da bei sich nun Handlungsbedarf? Nach dem Motto: Ich fahre jetzt mal häufiger Bus, um andere Milieus zu treffen?
Klar ist das etwas, was mich bewegt. Ich bin Soziologe und zudem Ungleichheitsforscher. Wenn ich eine Stadt besuche, dann fahre ich auch in Stadtteile, die normale Tourist:innen vielleicht nicht besuchen, weil ich ein bestimmtes soziologisches Interesse habe. Trotzdem ist es nicht einfach, darüber persönliche Freundschaften und Bekanntschaften zu anderen sozialen Milieus herzustellen.
Warum sind Hochgebildete und Grünen-Wähler:innen besonders häufig in ihren sozialen Netzwerken abgeschottet?
Soziale Bekanntschaftskreise und Netzwerke werden sehr stark über Arbeitsplätze und Bildungsinstitutionen vermittelt. Das deutsche Bildungssystem ist sehr stark segregiert. Das heißt, es stellt bestimmte Gelegenheitsstrukturen, die sozial vorgefiltert sind. Dazu kommt die Tendenz, dass Menschen die grundsätzliche Neigung haben, sich mit ähnlichen Menschen zu vernetzen. Man nennt das Homophilie. Es gibt auch die Tendenz einer gewissen Abgrenzung zwischen sozialen Gruppen, wir sprechen dann von einer Distinktionsstrategie. Das kann bis zu einer offenen Feindseligkeit reichen und spielt in Deutschland entlang politischer Linien eine große Rolle.
Wenn Homophilie und Distinktion zeitlose Strategien sind, was ist dann das Neue an sozialen Blasen?
Wir haben die Daten über persönliche soziale Netzwerke in Deutschland zum ersten Mal in dieser Form erhoben, deshalb haben wir keine Vergleichserhebung aus früheren Zeitpunkten. Aber wenn man sich die Entwicklung über die letzten Jahrzehnte anguckt, dann weiß man aus der Ungleichheitsforschung, dass sich Stadtteile zunehmend sozial auseinanderdividieren. Es gibt hohe Segregationstendenzen im Schul-, Ausbildungs- und Hochschulsystem …
… und zugleich immer mehr Akademiker:innen – mischen sich da nicht Gruppen, die früher getrennt blieben?
Es hat alles zwei Seiten. Akademiker:innen blieben schon immer sehr stark unter sich, aber das waren damals kleine elitäre bildungsbürgerliche Zirkel. Heute stellen die Akademiker:innen eine nennenswert große Bevölkerungsgruppe. Früher gab es eine stärkere Mitte, in der sich die Menschen ähnlicher waren im Hinblick auf ihren Bildungsstand und ihre berufliche Stellung.
Wo ist die Entkopplung am deutlichsten?
Wir sehen sie besonders stark im politischen Raum. Sicherlich nicht so krass wie in den USA, aber es gibt auch in Deutschland eine starke Polarisierung, und zwar zwischen Personen, die den Grünen und solchen, die der AfD nahestehen.
Wie viele Grüne muss eine AFD-Wählerin kennen und umgekehrt, um nicht entkoppelt zu sein?
Wenn „die meisten“ Bekannten Grüne sind, aber trotzdem „viele“ der AfD nahestehen oder wenn „viele“ im eigenen Netzwerk Grüne sind, aber „einige“ auch AfDler:innen, gilt das Netzwerk nicht mehr als homogen. Es kommt also auf das Verhältnis beider Gruppen an.
Und wie ist es bei den anderen Parteien?
Wir mussten uns in der Befragung beschränken, deshalb haben wir die beiden Parteien gewählt, von denen wir aus anderen Studien wissen, dass sie die größte ideologische Distanz zueinander aufweisen. Das sind in Deutschland im Moment die AfD und die Grünen.
Jenseits der Grünen-/AfD-Wähler:innen und Hochgebildeten: Welche Gruppen sind innerhalb der Studie als sozial abgekoppelt aufgefallen?
Ländliche Gruppen sind sehr stark unter sich sowie Gruppen mit muslimischem Glauben. Bei Menschen mit Migrationshintergrund ist die Tendenz, unter sich zu bleiben, sehr gering.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Nur eine Vermutung, da wir die Ursachen nicht direkt erfragt haben: Der muslimische Glaube ist etwas, das stärker über religiöse Einrichtungen vermittelt zu einer Netzwerkbildung beiträgt, während ein Migrationshintergrund so verbreitet ist, dass er nicht zu einer Netzwerkbildung führt.
Es gibt eine Studie der Technischen Universität Dresden, wonach die gefühlte Polarisierung stärker ist als die reale. Deshalb warnen manche Soziolog:innen davor, dass der Diskurs über eine mutmaßliche Polarisierung ein Problem verschärft, das so drastisch gar nicht existiert.
Der öffentliche Diskurs ist immer polarisierter als die tatsächliche Meinung in der Bevölkerung. Es gibt aber mindestens an den Rändern eine Polarisierung, die in den letzten Jahren größer geworden ist.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Wenn Sie in Ihrer Studie als parteipolitische Gruppen AfD- und Grünen-Wähler:innen nehmen, anstatt beispielsweise CDU und SPD, tragen Sie dann zu diesem Bild bei?
Wahrscheinlich schon. Es macht aber auch einen Unterschied, ob Sie die Studie lesen oder die Berichterstattung darüber. Natürlich wird dann genau der Befund mit den Grünen und der AfD besonders stark hervorgehoben.
Welches Ergebnis würden Sie in der Berichterstattung gerne wiederfinden?
Ich würde hervorheben, dass die deutsche Gesellschaft nicht in totalen Parallelgesellschaften lebt. Wir haben viele Netzwerkmerkmale erhoben und die Tendenz zur Segregation ist jeweils sehr unterschiedlich ausgeprägt. Wir sehen zum Beispiel, dass diejenigen Armen, die sich in homogenen Netzwerken bewegen, sich in ihren Einstellungen und vor allem in ihren Erfahrungen deutlich unterscheiden von armen Personen, die sich nicht in homogenen Netzwerken bewegen. Sie machen deutlich mehr Abwertungs- und deutlich weniger Zusammenhaltserfahrungen.
Woran liegt das? Man könnte doch vermuten, dass man in einem homogenen Bekanntenkreis weniger Abwertung erfährt.
Über die Ursachen kann ich wieder nur spekulieren beziehungsweise auf den Forschungsstand zurückgreifen: Wir wissen, dass Armut sehr stark sozialräumlich segregiert ist und dass gerade Bewohner:innen sozial abgehängter Viertel sehr stark unter sich bleiben und sich zugleich sehr stark stigmatisiert und abgewertet fühlen – allein aufgrund ihrer Wohnadresse.
Und bei welchen Bevölkerungsgruppen macht es umgekehrt keinen Unterschied, ob man in einer sozialen Blase lebt oder nicht?
Zum Beispiel bei gering Gebildeten. Diese Gruppe hat zwar eine starke Tendenz zur Segregation. Aber wenn wir uns gering Gebildete anschauen, die sich in homogenen Netzwerken bewegen und gering Gebildete, die sich nicht in solchen Blasen bewegen, dann unterscheiden sie sich nicht stark in ihren Einstellungen und in ihren Werten.
Heißt es für Sie unterm Strich: Entwarnung in Sachen Parallelgesellschaften?
Das Problem mit Warnungen und Entwarnungen ist, dass sie Trendaussagen erfordern. Die können wir nicht machen. Aber ein wichtiger Befund ist, dass AfD- und Grünen-Wähler:innen sehr stark voneinander segregiert sind und sich auch wechselseitig maximal ablehnen.
Ist das ein Problem?
Es kann dann ein Problem werden, wenn sich bestimmte soziale Gruppen aus dem Auge verlieren. In bestimmten Milieus ist kein Verständnis mehr dafür da, wie die Lebenswirklichkeit in anderen Milieus aussieht und was für Zumutungen zum Beispiel bestimmte gesellschaftliche Transformationen für andere bedeuten, die für das eigene Milieu kein Problem sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuwahlen
Beunruhigende Aussichten
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Verzicht auf Pädagogen in Bremer Kitas
Der Gärtner und die Yogalehrerin sollen einspringen