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BundesverfassungsgerichtRechtsfrieden vor Gerechtigkeit

Karlsruhe verbietet die Wiederaufnahme von Verfahren gegen freigesprochene Mörder:innen. Ein mutmaßlicher Täter bleibt unbehelligt.

Karlsruhe hat entschieden: Eine erneute Anklage für dieselbe Tat ist verfassungswidrig Foto: Uli Deck/dpa

Karlsruhe taz | Auch wenn es neue Beweise gibt, darf ein freigesprochener Mordverdächtiger nicht erneut angeklagt werden. Dies entschied an diesem Dienstag der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Die Rich­te­r:in­nen erklärten eine entsprechende Gesetzesänderung der Großen Koalition von Ende 2021 für nichtig.

Anlass des Gesetzes war der Mord an der 17-jährigen Schülerin Frederike von Möhlmann im Jahr 1981. Verdächtig war der damals 22-jährige Ismet H. Doch das Landgericht Stade sprach ihn 1983 rechtskräftig frei. Allerdings deuteten 2012 neue DNA-Analysen einer alten Sektretspur doch auf H. als Täter hin. Wegen des Freispruchs war jedoch kein neues Verfahren möglich.

Daraufhin startete Hans von Möhlmann, der Vater des Opfers, eine Petition, die von rund 180.000 Menschen unterzeichnet wurde. Die große Koalition griff das populäre Anliegen auf und änderte Ende 2021 die Strafprozessordnung. Auch nach einem rechtskräftigen Freispruch ist seither eine neue Anklage möglich, wenn dank neuer Beweismittel eine hohe Wahrscheinlichkeit der Verurteilung besteht. Diese Wiederaufnahme nach einem Freispruch sollte allerdings nur bei vier besonders schweren Delikten möglich sein: bei Mord, Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Ismet H. wurde kurz darauf verhaftet, die Staatsanwaltschaft beantragte eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen ihn. Doch nun erhob Ismet H. Verfassungsbeschwerde – gegen das neue Verfahren und gegen das neue Gesetz. Schon im Sommer 2022 hatte sein Verteidiger Johann Schwenn mit einem Eilantrag Erfolg und Ismet H. konnte das Gefängnis verlassen. Nun hat der gebürtige Kurde auch in der Hauptsache obsiegt. Er muss keine neue Anklage mehr fürchten und wird stattdessen entschädigt.

Karlsruhe betont das Verbot der Mehrfachverfolgung

Das Bundesverfassungsgericht berief sich auf Artikel 103 Absatz 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf wegen derselben Tat (…) mehrmals bestraft werden“, heißt es dort. Dies gelte auch nach einem Freispruch, so die Senatsvorsitzende Doris König. Es handele sich nicht nur um ein Verbot der Mehrfachbestrafung, sondern auch um ein Verbot der Mehrfachverfolgung.

Entscheidende Frage war, ob Eingriffe in das Mehrfachverfolgungsverbot zu Gunsten anderer Rechtsgüter möglich sind, etwa zugunsten einer effizienten Strafverfolgung und um Gerechtigkeit zu erreichen. Die Mehrheit des Senats – sechs von acht Richterinnen – haben das jedoch verneint. Das Grundgesetz habe hier ausnahmsweise eine abschließende und abwägungsfeste Regelung getroffen. Der Rechtsfrieden habe hier Vorrang vor dem Streben nach Gerechtigkeit. Dies sei eine Lehre aus der NS-Zeit, als die Rechtskraft von Urteilen wenig galt, erklärte die federführende Richterin Astrid Wallrabenstein.

Zwei eher konservative Rich­te­r:in­nen – Christine Langenfeld und Peter Müller – wollten jedoch eine Abwägung und damit gesetzliche Einschränkungen zulassen. Doch auch sie votierten am Ende zugunsten der Verfassungsbeschwerde von Ismet H., weil die Gesetzesänderung nicht nur für zukünftige Fälle gelten sollte, sondern auch rückwirkend. Dies verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip.

Ampel strebt kein neues Gesetz an

Die Gesetzesänderung von 2021 ist damit vom Tisch und kann nicht repariert werden. Politisch ist dies ein Erfolg für FDP und Grüne, die die Verfassungsklage unterstützten, und eine Niederlage für SPD und CDU/CSU, die die Gesetzesänderung durchgesetzt haben. SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner sagte, man werde das Urteil akzeptieren und nicht versuchen, es über eine Grundgesetzänderung auszuhebeln.

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65 Kommentare

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  • Vielen Dank für eure Beiträge. Wir haben die Kommentarfunktion geschlossen. Die Moderation

  • Gerichte sind ja nicht gezwungen Menschen frei zu sprechen, wenn die Beweise unzureichend sind. Sie haben die Möglichkeit ein Verfahren einzustellen.

    Ich bin froh das dieses Gesetz nicht durch gekommen ist. Gesetze werden oft genug für etwas geändert und bieten anschließend die Möglichkeit ganz andere Personengruppen anzugehen.



    In einer Zeit, in der die afd immer stärker wird, erleichtert es mich das die Rechtssicherheit weiter bestehen bleibt.

    In dem vorliegenden Fall, kann ich gut nachvollziehen wieso viele Menschen das anders sehen. Allerdings bezieht sich die Entscheidung nicht auf diesen Fall sondern sie regelt das Thema allgemein.

  • Im auslösenden Fall gab es neue Beweise, die aber auch nicht eindeutig waren. Der Vater des Opfers hat die Trommel geschlagen und die Politik hat populistisch agiert.

    Und die Staatsanwaltschaft hat die Möglichkeit, das Verfahrne ruhen zu lassen. Wenn sie jedoch meint, alles notwendige in der Hand zu haben, gilt's.



    Da kann sie nicht häppchenweise nachlegen, wenn sie nicht erfolgreich ist.

    Im Recht geht es nie um Gerechtigkeit. Wer anderes meint, hat die Rolle des Rechts als Regel- und Normsystem in der Gesellschaft nicht verstanden.

    Das Urteil des BVerfG ist folgerichtig und gut.

  • Mord ist so ein widerliches Verbrechen, dass es unverständlich erscheint, einen lebenden Mörder strafrechtlich nicht zur Verantwortung zu ziehen.

  • Nach Abschaffung der Mord-Verjährung



    können selbst über 90-Jährige nicht in Rechtsfrieden sterben und werden der gerichtlichen Gerechtigkeit unterstellt für Mord-Vorwürfe aus der NS-Zeit.

    Nach dem Fortschritt der DNA-Wissenschaft - von der die GG-Väter noch nicht einmal träumen konnten -



    können in Cold Cases Mörder*innen bis zum Lebensende nicht mehr in Rechtsfrieden leben und müssen voller Angst davor leben, dass die Gerechtigkeit sie mit dem Fortschritt der Beweismittel-Wissenschaft noch lebenslänglich einholt.



    Nur die durch Freispruch gerichtlich privilegierten Mörder*innen können unmittelbar nach einem Fehlurteil



    sich ins Mord-Fäustchen lachen, während sich die Justiz im Rechtsfrieden ausruhen kann.



    Während durch Fehlurteile verurteilte



    - Wörz, Arnold etc. - einen unmenschlichen ewigen Hindernislauf



    in Wiederaufnahme-Versuchen absolvieren müssen wegen der "menschlichen" Beharrlichkeit der Justiz auf Rechtsfrieden für ihre Fehlurteile.

    Mit dem Postulat Rechtsfrieden geht vor Gerechtigkeit wird eine Unfehlbarkeit "per se" der Justiz suggeriert.

  • Rechtsfrieden vor gesellschaftlichem Frieden.



    Widerlich.



    Juristisch mag es korrekt sein, moralisch ist es zum 🤮.



    Zum Glück ist der Vater des Opfers, der zeitlebens für seine ermordete Tochter gekämpft hat, mittlerweile verstorben und muss diese Ungerechtigkeit nicht mehr miterleben.



    Eine Rechtssprechung die Täterschutz vor Opferschutz stellt ist falsch - sie zu verteidigen, statt zu ändern, ein Versagen des Bundesverfassungsgericht.

    • @Farang:

      "Rechtsfrieden vor gesellschaftlichem Frieden."



      Das ist ja nun kein Gegensatz, oder? Rechtsfrieden trägt erheblich zum gesellschaftlichen Frieden bei.

    • @Farang:

      Das Gesetz kam von der großen Koalition unter Frau Merkel, Justizministerin war 2021 Frau Lambrecht. Hat dann die damalige Opposition aus FDP und Grünen ihrer Meinung auch versagt, denn die haben die Verfassungsklage unterstützt?

    • @Farang:

      "Täterschutz vor Opferschutz"



      Dieses Argument hört man im Zusammenhang mit diesem Urteil oft. Aber verraten Sie mir bitte, wer ist der Täter, der hier angeblich geschützt wird? Es gibt in diesem Fall schlicht keine Verurteilung und somit keinen (bekannten) Täter.



      Insoweit hat hier nicht das Gericht versagt, sondern Sie machen sich das gesunde Volksempfinden zu eigen und nehmen schlicht eine Vorverurteilung vor.

      • @Bommel:

        "Täterschutz vor Opferschutz" meine ich hier so - es gibt ein Opfer, aber der Täter ist weiter unbekannt.



        Ob der Verdächtige tatsächlich der Täter war müsste und könnte nun neu ermittelt werden - es gibt ja anscheinend neue belastende Indizien. Es ist ja Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden be- und entlastend zu ermitteln. Ein faires Verfahren muss natürlich immer oberstes Gebot sein.



        Mir ist schon klar - ne bis in idem - nicht zweimal in derselben Sache - aber in der Sache gab es bisher keine Verurteilung. Der Verdächtige wurde noch nicht für die Tat belangt.



        Mord verjährt nie heißt es so schön - einen eventuellen Mörder ungestraft durch die Welt spazieren zu lassen, nur weil die Technik damals keine ausreichenden Beweise liefern konnte - jetzt aber vielleicht könnte - ist für mich nicht nachvollziehbar.



        Wer gemordet hat darf sich niemals im Leben sicher fühlen ungestraft davonzukommen, sollte er für seine Tat noch nicht gesühnt haben. Ungestrafte KZ Helfer beispielsweise können davon ein Liedchen singen - zurecht. Mord und Völkermord, für die diese Gesetzesänderung ja gedacht war, sind die schlimmsten Verbrechen die es gibt - ihrer Aufklärung sollte immer absoluter Vorrang bei hinreichenden Verdachtsmomenten gewährt werden.

    • @Farang:

      Rechtsprechung spricht keine moralische Gerechtigkeit, Gott sei Dank. Es mag hier so sein, dass der mutmaßliche Täter auch der tatsächliche ist - doch wer will das in jedem möglichen kommenden Fall sicherstellen? Welche tatsächlich Unschuldigen werden durch solche Wiederaufnahmen irgendwann verurteilt, weil ein Hauch von DNA an einem Klingelschild oder einem Bierglas haftete?



      Und wer will guten und redlichen Gewissens mit seinem Freispruch leben, wenn weiterhin Strafverfolgung droht.

      Nein nein, die totale Gerechtigkeit würde jeden von uns selbst ins Verderben stürzen.

    • @Farang:

      Die Argumentation Wallrabensteins mit den Nazis scheint mir bedenkenswert. Was Sie schreiben, klingt arg nach "gesundem Volksempfinden", und das ist eben ein Kriterium der NS-Justiz, die damals jede Rechtssicherheit aushebeln konnte.

  • Wer denkt dass vor Gericht Gerechtigkeit gesprochen wird, träume weiter.

    Rechtsfrieden vor Gerechtigkeit !

    Ein Eingeständnis nicht fehlerfrei arbeiten zu dürfen?

    Gerechtigkeit bei Mord, Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, lebenslänglich (!) einfordern - wo kämen wir da hin.

    • @Sonnenhaus:

      "Gerechtigkeit bei Mord, Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, lebenslänglich (!) einfordern - wo kämen wir da hin."

      1. "Lebenslänglich" gibt es nicht, es gibt nur lebenslang, denn das Leben mag lang sein, aber länglich ist es nicht.

      2. Selbstverständlich gilt § 78 StGB, wonach sämtliche Delikte gem. § 211 StGB (Mord) nicht verjähren, d. h. solange angeklagt werden dürfen, wie der mutmaßliche Täter lebt.

      3. Es gilt in Deutschland das Grundgesetz, und das schließt auch den Art. 103, Abs. 3 ein, der eine mehrfache Strafverfolgung in derselben Sache verbietet.

      Daraus folgt, dass der Staatanwalt schlicht und einfach die Pflicht hat, seine Arbeit so gut wie möglich zu erledigen, weil er eben nur einen Versuch hat, den Angeklagten einer Straftat zu überführen. Als ganz normaler Bürger kann ich mir kaum einen schlimmeren Albtraum vorstellen, als eine Situation, in der ein (im Vergleich zu mir erheblich mächtigerer) Staatsapparat jederzeit die Möglichkeit hat, mich trotz eines Freispruchs vor 40 Jahren in dieser selben Sache immer wieder und wieder vor Gericht zu zerren und immer wieder anzuklagen.

      Insofern bin ich froh, dass das BVerfG hier eine klare Entscheidung getroffen und diesen Versuch staatlicher Übergriffigkeit entschieden zurückgewiesen hat.

    • @Sonnenhaus:

      Wenn Gerechtigkeit bedeuten sollte, jemanden immer wieder anzuklagen, ist es keine.

      Deshalb war das in der Nazizeit erlaubt. Interessanterweise sind die späteren Urteile gegen Kriegsverbrecher des NS-Regimes auch nur ergangen, weil deren Verbrechen zuvor nie angeklagt wurden.

      Von den Regelungen die explizit getroffen wurden, um die Fehler, die die Naziherrschaft ermöglicht haben zu verhindern, und dazu gehört das Verbot der Mehrfachanklage darf kein Jota abgewichen werden, wenn wirkliche Gerechtigkeit herrschen soll.

  • Das Urteil ist 'leider' völlig richtig. Vor allem der Punkt dass das Gesetz quasi rückwirkend geändert werden sollte widerspricht aller Rechtsstaatlichkeit.

  • Als Nicht-Juristin finde ich das bedauerlich. Die Vorstellung, dass der Täter (?) straffrei vergewaltigen und morden durfte, ist meiner Meinung nach traurig. Hoffentlich wird er wenigstens soziale Folgen spüren, sofern sein Umfeld über ein Minimum an Anstand verfügt.

    • @*Sabine*:

      Sie tun dem erneut Beschuldigten unrecht. Den die neuen Hinweise ergaben noch nicht seine Verurteilung als Straftäter. Es ging nur um die Frage ob die neuen Hinweise zum erneuten Strafverfahren nach 30 Jahren gegen die Beschuldigten führen dürfen oder nicht.

      • @Nico Frank:

        Juristisch betrachtet haben Sie recht. Vielleicht hätte man ihm "nur" die Vergewaltigung nachweisen können und den Mord beging jemand anders.

  • Der Angeklagte wurde durch das Landgericht Stade 1983 rechtskräftig frei gesprochen. 30 Jahre später und entsprechender Entwicklung der Kriminalistik, bessere DNA-Analysen



    durch Sekretdefinition über eine DNA-Sequenzierung wurde es in diesem Fall möglich, den Freigesprochen erneut zu verdächtigen. Was noch nicht seine Schuld belegt, sondern nur einen hinreichenden Tatverdacht neu begründet.

    Jetzt stellen wir uns doch mal vor die Kriminalistik der Zukunft in 30 Jahren könnte von jedem Bürger für jede Sekunde millimetergenau seinen Aufenthalt bestimmen und für jede Sekunde an allen Orten alle akustischen und biochemischen Veränderungen festlegen.

    Mit Rechtsfrieden vor Gerechtigkeit haben die Verfassungsrichter eine zukunftsorientierte Entscheidung getroffen. Sehr gut!

    • @Nico Frank:

      Zu recht weisen Sie auf (lediglich) hinreichender Tatverdacht hin.



      & nochens =>



      Btw - im übrigen: so ganz schlicht um schlicht ist es in der Realität bezüglich Entwicklung DNA etc naturellement nicht. Newahr.



      Für die nicht rechtskräftig abgeschlossenen - warum auch immer in den Ermittlungsverfahren “steckengebliebenen“ Sachverhalten - gilt die Entscheidung Karlsruhe natürlich nicht und deren sind scheint’s nicht wenige.



      Denn - “Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht! Strafgesetzbuch (StGB)



      § 78 Verjährungsfrist.



      Ein Freund und Weggefährte - hatte gerade gleichzeitig zwei Verfahren rechtlich als RA zu vertreten.

  • 6G
    681667 (Profil gelöscht)

    Natürlich löst dieses Urteil zunächst einmal Befremden aus. Es ist aber richtig.

    Zu bedenken ist folgendes:



    Der Rechtsgrundsatz "niemals zweimal..." soll in erster Linie Menschen, die zu Recht freigesprochen werden, davor schützen, bei irgendwo aufgetauchten und mit zunehmender Distanz zum Tatgeschehen immer fragwürdiger werdenden "neuen" Beweisen wieder und wieder vor Gericht gestellt zu werden.

    Dass infolge dieser Regelung auch Menschen weiter frei herumlaufen, die die vorgeworfene Tat wohl begangen haben wie in diesem Fall, muss dann allerdings hingenommen werden.

    Bin gespannt auf Repliken von Juristen.

    • @681667 (Profil gelöscht):

      Ich stimme zu!



      Natürlich bedauere ich aus Sicht der Opferseite, wenn ein schwere Straftat nicht nochmal aktueller juristisch beurteilt werden können.



      Allerdings stelle man sich vor , nach einem meist Jahre langem Strafverfahren wird ein Angeklagter freigesprochen. Allein die Belastung durch diese Zeitspanne lassen sich an schuldlos Verurteilten , später doch freigesprochenen nachvollziehen.



      Sollte es möglich sein , den Fall durch schwerwiegenden Verdacht einmal ..oder -sehr extrem- mehrmals neu zu verhandeln , bedeutet das eine dermaßen hohe Belastung über weitere Jahre hinweg , ggf in Haft.



      Das GG regelt es so, auch als Brandmauer für nicht rechtsstaatlich denkende Regierungen.



      Sollte es der Bundestag anders wollen, müsste eine Grubdgesetzänderung her...wenn sie in diesem Punkt möglich ist . Ich finde es schmerzhaft , aber dennoch besser so, wie es ist .

  • Schwer verständlich. Besonders für die Opfer und ihre Angehörigen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Für das Opfer ist das Urteil irrelevant, denn es ist seit 40 Jahren tot. Für die Angehörigen ist das emotional aufwühlend, sicherlich, aber es gibt ja auch gute Gründe, warum man die Angehörigen von Opfern nicht als Organe der Rechtspflege an Prozessen mitwirken lässt, in denen eine persönliche Betroffenheit vorliegt.

      • @Olli P.:

        Das Urteil gilt nicht nur für diesen Fall. Es kann also durchaus überlebende geben.

        Das Urteil verstärkt aber den Eindruck, dass unserer Justiz das Opfer gleichgültig ist, aber der Täter unbedingt geschützt werden soll.

        Das Gesetz, dass jetzt praktisch gekippt wurde, war ja eng gefasst, um Bürger vor willkürlichen Prozessen zu schützen.

        Das BVG sagt jetzt, dass man Mörder unbehelligt lassen muss, wenn sie einfach Glück hatten.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Man verzeihe den Ausflug ins Spekulative, aber mir drängt sich doch ein wenig die Frage auf, ob die moralische Entrüstung über die BVerfG-Entscheidung ebenso stark ausfiele, wenn die Täter-Opfer-Konstellation im zugrundeliegenden Fall eine andere wäre.. wenn beispielsweise jemand von der Anklage wegen Mordes am gewalttätigen, sexuell übergriffigen Vater vor Jahrzehnten freigesprochen wurde, nun aber neue Beweise für die Schuld des/der seinerzeit Angeklagten auftauchen würden - es erscheint kaum vorstellbar, dass Volkes Stimme dann aufschriee: "Ja klar, Freispruch kassieren, Verfahren neu ansetzen, verknacken zackzack!" Im Gegentum.. hier würde wohl eher genau jene Gleichgültigkeit dem Mordopfer gegenüber zum Tragen kommen, denn "es wäre ja kein Unschuldiger gewesen"...

  • In meinen Augen ein klares Fehlurteil, dass dem „Rechtsfrieden“ eine höhere Bedeutung zumisst als der Strafverfolgung schwerster Verbrechen. Die Würde der Verbrechensopfer und ihrer Angehörigen bleibt hier nämlich auf der Strecke - mutmaßliche Täter wie in diesem krassen Fall werden vor der gerechten Urteilsfindung höchstrichterlich geschützt. Absurd.

    • @Tancrede:

      Ich finde die Entscheidung sehr richtig und wichtig: Eine Strafverfolgung muss sich im Tatverdacht schon hinreichend sicher sein, um den Prozess zu eröffnen. Sonst wäre einer Anklage ‚auf tönernen Füßen‘ Tür und Tor geöffnet: Vielleicht „reicht“ es dem Gericht ja für eine Verurteilung, dann ist man den Fall los, wenn nicht, kann man ja immer noch in die Wiederaufnahme gehen – und die „ernsthafte“ Ermittlung (die womöglich einen ganz anderen Tathergang herausfinden würde) sich immer noch für diesen zweiten Versuch aufsparen.

    • @Tancrede:

      Nein, es ist absolut richtig, denn hier wird die Rechtsstaatlichkeit selbst geschützt. In einem Strafprozess ist der Angeklagte ohnehin gegenüber dem Staat in einem immanenten Nachteil. Da muss wenigstens Rechtssicherheit gegeben sein, wenn erst einmal ein Urteil gefällt wurde und Rechtskraft erlangt hat. Oder wie oft soll jemand in derselben Sache vor Gericht gezerrt und den Strapazen eines Strafverfahrens ausgesetzt werden? Bis endlich ein Urteil gefällt wurde, das dem "gesunden Volksempfinden" entspricht? Das hatten wir alles schon einmal.

    • @Tancrede:

      Die Rechtsstaatlichkeit ist eines der höchsten Güter die wir haben. Sie schützt vor Willkür und gewährt Rechtssicherheit. Dazu gehört auch, dass die Gesetze angewandt werden die zum Zeitpunkt der Tat galten. Vielleicht werden Sie darüber auch nochmal froh sein, wenn es in 30 Jahren Gesetze gibt die z.b. den Verzehr von Fleisch oder übermäßigen Ausstoß von CO2 bestrafen.

      • @MartinSemm:

        Zum Anfang: Ja definitiv. Zum Ende: Wie kommen sie denn darauf? Hauptsache gegen die Grünen?

      • @MartinSemm:

        Der war gut!

  • Das war zu erwarten, man muss im zugrundeliegenden Fall zwar schlucken aber alles andere hätte die Axt sowohl an der Mehrfachbestrafungsverbot



    ( ne bis in idem ) als auch an das Rückwirkungsverbot ( Nulla poena sine lege praevia ) gelegt.

    Den Schaden für den Rechtsstaat möchte ich mir nicht vorstellen.

  • Das Gesetz sah nur in ganz wenigen



    Verbrechenstatbeständen (Mord) und unter engen Voraussetzungen eine



    Wiederaufnahme vor. Im Netz ist



    die Expertenanhörung zum Gesetzentwurf abrufbar, die statements der Experten mit jeweils nur 4 Min. erleichtern das Zuhören in der Debatte um Rechtssicherheit durch Rechtskraft



    gegenüber materieller Gerechtigkeit.

    • @Hubertus Behr:

      Genau das haben die Parlamentarier 1968 bei der Telekommunikationsüberwachung auch versprochen. 3 (!) Straftatbestände sollten unter das Gesetz fallen, heute sind es mehr als 100. Ein Gesetz, erst einmal geschaffen, kann jederzeit verändert werden. Auch aus populistischen Gründen. Deshalb wehren sich Juristen so vehemennt gegen "Türöffner"-Gesetze.

    • @Hubertus Behr:

      "Das Gesetz sah nur in ganz wenigen



      Verbrechenstatbeständen (Mord) und unter engen Voraussetzungen eine



      Wiederaufnahme vor."



      Und wie wir alle wissen: ist ein derartiges Gesetz erst einmal etabliert, werden im Laufe der Zeit die engen Voraussetzungen sukzessive aufgeweicht.



      Erinnert sich noch wer, dass z. B. die Daten zur Autobahnmaut niemals und überhaupt nicht zur Strafverfolgung genutzt werden durften?



      Nein, das Argument der engen Voraussetzungen ist nicht gut dafür, den Rechtsstaat in Teilen abzuschaffen.

    • @Hubertus Behr:

      und der Link lautet: ?

  • Jedem halbwegs Kundigem (einschließlich dem Justizministerium) war klar, dass der die Durchbrechung der Rechtskraft nicht rechtmäßig ist - ganz unabhängig von der Schwere der Straftat.

    Hier versteckt sich die Politik hinter dem Verfassungsgericht frei nach dem Motte, wir würden ja gerne, nur wir dürfen halt nicht.

    Im Ergebnis ist dies auch gut so. Die Staatsanwaltschaften müssen sich dann vor jeder Anklage darüber bewusst sein, dass sie nur einen Versuch haben.

    Gut, dass sich das BVerfG so klar zum Strafklageverbrauch bekannt hat. Rechtskraft bleibt Rechtskraft.

    • @DiMa:

      "Hier versteckt sich die Politik hinter dem Verfassungsgericht..."



      Ist das so? Wenn man die Kritik seitens der Verantwortlichen Partamentarier der CDU und SPD liest, hört sich das anders an. Die sind stinksauer und man wird den Verdacht nicht so ganz los, dass selbst für ur-demokratische Parteien das Grundgesetz teilweise nur ein lästiges Stück Papier darstellt.

      • @Cerberus:

        Am Ende ist doch die Frage, für wen die einzelnen Abgeordneten da jetzt aufschreien. Das ist doch alles nur für den Blätterwald.

        Eine Justizministerin Lambrecht hätte jedoch wissen müssen, dass sie mit dem Gesetzesvorhaben gleich gegen zwei wesentliche Grundsätze ded Rechtsstaates verstößt (ne bis in idem und Rückwirkungsverbot).

    • @DiMa:

      "Die Staatsanwaltschaften müssen sich dann vor jeder Anklage darüber bewusst sein, dass sie nur einen Versuch haben."



      Selbst das ist ja so nicht richtig, wenn man die diversen Berufungsinstanzen bedenkt.

      • @Encantado:

        Die Berufungsinstanzen sind in diesem Punkt unwichtig.

        Erhebt der Staatsanwalt erst einmal die Anklage und lässt das Gericht die Anklage zu ist der eine Versuch am Ende verbraucht, egal wie das Gericht am Ende entscheidet, da eine Einstellung ohne Zustimmung des Angeklagten in diesem Stadium dann nicht mehr möglich ist.

  • "Karlsruhe verbietet die Wiederaufnahme von Verfahren gegen freigesprochene Mörder:innen."

    Dachte es werden nur Menschen nur freigesprochen, denen man eine Tat nicht nachweisen kann, oder ist jemand neuerdings auch Mörder der freigesprochen wurde, aber es noch nicht nachweisen kann?

    Abgesehen davon:



    Ich finde das schon richtig, sonst macht man mal ein Prozess auch wenn er wacklig ist "Wird schon, passen und wenn nicht ermitteln wir einfach weiter und klagen ihn das zweite mal an, irgendwann bekommen wir den..."

    Wenn die Beweise damals nicht gut/ausreichend waren, dann hätte man weiter ermitteln sollen.

    Was nicht im Artikel steht: Er wurde Verurteilt och das Bundesgerichtshof hob das Urteil später aus Mangeln an Beweisen auf. Das wird gerne unterschlagen.

  • Sprachlich und faktisch ist die Herleitung eines Verbots einer Wiederaufnahme nach einem Freispruch aus GG Art. 103 Abs. 3 meiner Meinung nach falsch. In GG Art. 103 (3) steht eindeutig, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals BESTRAFT werden darf ("ne bis in idem"). Ein Urteil mit einem Freispruch aus Mangel an Beweisen ist jedoch keine Bestrafung. Wen genau will das BVerfG mit solchen Beschlüssen schützen?

    Die Alternative wäre, Prozesse ohne Urteil zu beenden, falls die Schuld des Angeklagten zwar wahrscheinlich und plausibel erscheint, gerichtsfeste Beweise jedoch fehlen. Allerdings widerspricht das ebenfalls alten Rechtsgrundsätzen ("in dubio pro reo").

    • @Aurego:

      Also erstens bezeichnet "ne bis in idem" zumindest nach meinem Verständnis nicht das was im entsprechenden Artikel steht, also das Verbot der Mehrfachbestrafung, sondern tatsächlich was das BVerfG entschieden hat, also das Verbot der Mehrfachverfolgung.



      Zweitens, was soll den die Alternative sein? Wenn Sie mal freigesprochen werden würden, kann jemand das so lange durchorgeln bis mal was hängen bleibt und Sie dann doch verknackt werden? Selbst wenn das nie was wird, ein schönes Leben haben Sie dann nicht mehr.



      Außerdem, wer sagt, dass sowas dann nicht Stück für Stück auf andere Bereiche ausgeweitet wird, also Vergewaltigung, schwerer Raub, etc. Irgendwann kommt man dann bei Späßen wie Beleidigung und Verstößen gegen das Urheberrecht raus, je nachdem wie gerade das Unrechtsempfinden der Gesellschaft ist.



      Das wären Zustände, über die sich so Leute wie die AFD sicher freuen würden, weil es denen ein Werkzeug in die Hand gibt, missliebige Personen zu drangsalieren.



      Ich kann verstehen, dass es gerade bei so Fällen wie oben beschrieben, es schwerfällt zu akzeptieren, dass Recht nicht dem entspricht, was als gerecht empfunden wird. Aber wenn man versucht, die Löcher zu schließen macht man woanders neue und wesentlich größere auf. Eben dafür arbeitet die Justiz nach diesen Rechtsgrundsätzen. Um da die Frage von Ihnen nochmal aufzugreifen, wen das BVerfG eigentlich schützen möchte: Sie.

    • @Aurego:

      Ein Freispruch ist aber ein rechtskräftiges Urteil. Es mag darauf keine Strafe folgen, die Entscheidung über Schuld oder Unschuld wurde aber gefällt. Damit ist über die Strafe ( bzw. Nicht-Strafe) abschließend entschieden.

      • @Strolch:

        Im Grundgesetz steht nichts von einem Urteil, sondern von einer Strafe, ich zitiere (GG Art. 103 Abs. 3): "Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden."



        Ein Freispruch ist keine Strafe.

        • @Aurego:

          Sehen Sie: Wenn es nur so einfach wäre. Ein Gesetz ist nach dem Wortlaut, dem Sinn und dem Zweck auszulegen. Dazu kommt die historische Auslegung (was war Ziel des Gesetzgebers). Sie haben nur den Wortlaut herangezogen und beharren auf diesen, ohne danach zu fragen, was der Hintergrund der Norm ist, etc. Es gibt (in Deutschland) kein Gesetz, das abstrakter formuliert ist als das Grundgesetz. Daher kann man recht schnell ins Grundgesetz reinlesen, was man reinlesen will. Daher wird es bei Argumentationen auch gerne bemüht, es unterstützt einfach viele Positionen. Ich habe in kurzen Worten versucht darzulegen, warum das Urteil des BVerfG nachvollziehbar ist (Sinn und Zweck in Kurzform) Lawandorder hat es mit etwas mehr Worten (u.a. historisch) versucht. Ihre patzigen Kommentare stehen Ihnen selbstverständlich zu. Ob sie sinnvoll sind, müssen Sie selber wissen.

    • @Aurego:

      Einfach mal bei Wikipedia nachlesen.



      Ne bis in idem meinte schon immer mehr als Sie vermuten. Bereits dem Wortlaut nach! Woll



      & Däh



      “Ne bis in idem ‚nicht zweimal in derselben Sache‘, oder bis de eadem re ne sit actio ‚zweimal sei zur selben Sache keine Verhandlung‘, ist ein lateinischer Rechtsgrundsatz[1], dessen Kerngedanke schon beim athenischen Redner Demosthenes (* 384 v. Chr.; † 322 v. Chr.) in seiner Einrede gegen Nausimachos und Xenopeithes (Παραγραφή προς Ναυσίμαχον και Ξενοπείθην) nachzuweisen ist (D. 38,4 [985]): Ὅτι δ᾽ οὐκ ἐῶσιν οἱ νόμοι περὶ τῶν οὕτω πραχθέντων αὖθις δικάζεσθαι, νομίζω μὲν ἅπαντας ὑμᾶς εἰδέναι (Dass die Gesetze es nicht zulassen, über das, was so ausgehandelt worden ist, erneut gerichtlich zu urteilen, wisst ihr glaube ich alle.)[2].

      Der Rechtsgrundsatz beschreibt einen Teilaspekt der materiellen Rechtskraft: Ein mit Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbares Urteil klärt einen bestimmten Sachverhalt im Umfang des Tenors abschließend. Der Sachverhalt darf dann grundsätzlich nicht mehr zum Gegenstand einer neuen richterlichen Entscheidung gegen den Betroffenen gemacht werden. Mit dieser Bedeutung als Wiederholungsverbot gilt er in allen Rechtsbereichen. Viele Staaten haben unter Vorrangstellung der materiellen Gerechtigkeit gegenüber der formellen unter bestimmten Voraussetzungen – zum Beispiel bei nachträglichem Geständnis des Täters – Einschränkungen dieses Grundsatzes vorgenommen. In Indien und Mexiko ist der Grundsatz bislang uneingeschränkt gültig, da er verfassungsrechtlich abgesichert ist.…



      &



      Für den Bereich des Strafrechts gilt demnach, dass eine angeklagte prozessuale Tat durch ein rechtskräftiges Urteil grundsätzlich endgültig rechtlich bewertet ist. Der Tatvorwurf (das heißt der der Anklage zugrundeliegende Sachverhalt) ist damit für weitere Prozesse nicht mehr verwertbar – es liegt insofern ein Strafklageverbrauch vor.…



      de.wikipedia.org/wiki/Ne_bis_in_idem

      kurz - sine ira et studio - besser is das! Gell

      • @Lowandorder:

        Ja, danke für die kurze Einführung ins Strafrecht for Dummies!



        Nichts für ungut, aber das altathenische Rechtsverständnis eines Demosthenes muss nicht mit dem unsrigen deckungsgleich bleiben, zumal der Wortlaut des Grundgesetzes Handlungsspielraum lässt.

        • @Aurego:

          Ach Gottchen leev Lottchen!

          Machen’s auf ehra beleidigtleber🌭noch ordentlich was von ehra Senf drauf! Is doch schön - wennse allet von mir als Handreichung und Einstieg eh voll drauf haben - Chapeau - erstarre in Ehrfurcht - und niemand hat doch gesagt. - daß die ollen Griechen schon das “Justizgrundrecht“ schon auf dem Schirm hatten! Woll - wie auch!

          kurz - diese Schaum-vorm-Mund Attitüde nervt nur! Gelle



          Ein Zitat ist ein Zitat ist ein … - eben •

          • @Lowandorder:

            Noch irgendwelche Probleme?

            Wir können es auch ganz einfach mathematisch formulieren:



            Wenn positive offensichtliche Fehlurteile revidierbar sind, müssten doch auch negative offensichtliche Fehlurteile revidierbar sein, auch wenn die Offensichtlichkeit erst später zu Tage tritt.

      • @Lowandorder:

        Und verfassungsrechtlich abgesichert - Karlsruhe:



        Pressemitteilung Ausriß



        “…1. a) Art. 103 Abs. 3 GG gewährt einem Verurteilten oder Freigesprochenen ein subjektives grundrechtsgleiches Recht, das zunächst unmittelbar an die Strafgerichte und Strafverfolgungsorgane gerichtet ist.

        Der Grundsatz, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden darf (ne bis in idem), beschreibt das Prinzip des Strafklageverbrauchs, das Strafgerichte und Strafverfolgungsorgane als Verfahrenshindernis von Amts wegen in jedem Stadium des Strafverfahrens zu beachten haben. Soweit dieser Grundsatz eine erneute Strafverfolgung aufgrund der allgemeinen Strafgesetze betrifft, ist er durch Art. 103 Abs. 3 GG zum verfassungsrechtlichen Verbot erhoben worden. Dabei gestaltet Art. 103 Abs. 3 GG das zunächst abstrakte Prinzip des Strafklageverbrauchs als grundrechtsgleiches Recht aus. Er gewährt dem Einzelnen Schutz, den dieser als individuelle Rechtsposition geltend machen kann. Dieser Schutz kommt Verurteilten wie Freigesprochenen gleichermaßen zu und steht bereits der erneuten Strafverfolgung entgegen.…



        &



        b) Art. 103 Abs. 3 GG gewährt dem Prinzip der Rechtssicherheit Vorrang vor dem Prinzip der materialen Gerechtigkeit. Indem Art. 103 Abs. 3 GG bestimmt, dass wegen derselben Tat keine erneute Bestrafung erfolgen darf, hat das Grundgesetz selbst für den Anwendungsbereich dieser Bestimmung, mithin für strafgerichtliche Urteile, bereits entschieden, dass dem Prinzip der Rechtssicherheit Vorrang vor dem Prinzip der materialen Gerechtigkeit zukommt.

        Diese Vorrangentscheidung ist absolut. Sie steht einer Relativierung des Verbots durch Abwägung mit anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang nicht offen. Zwar folgt dies noch nicht zwingend aus dem Wortlaut oder der Entstehungsgeschichte. Bei systematischer Betrachtung erscheint Art. 103 Abs. 3 GG jedoch abwägungsfest.…“ wird ausgeführt



        www.bundesverfassu...023/bvg23-094.html

        • @Lowandorder:

          Alles schön und gut, nur stand auf keiner von Moses Tafeln "ne bis in idem" ist also kein göttliches Gebot. Kann ja sein, dass das ein in vielen Fällen bewährter Grundsatz ist, aber nochmal, das ist kein unverrückbarer Grundsatz, dem immer zu folgen ist.



          Wenn im Grundgesetz steht, dass niemand mehrfach bestraft werden soll, bin ich damit voll ok.



          Damit kann aber nicht, ja sollte aber nicht gemeint sein mehrfach _nicht_ bestraft werden.



          Mag sein, dass ich damit nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, aber: zur Hölle mit "ne bis in idem"!

          Und mal ehrlich, wieso sollte man Angst vor willkürlicher Verfolgung haben, wenn diesem Grundsatz nicht entsprochen wird?



          Eine Exekutive, die es drauf anlegt jemanden zu bestrafen, die wird Mittel und Wege finden und wenn es zu einem außergerichtlichen "Vergleich" kommt.



          Dann stürzt ein Flugzeug ab oder jemand fällt aus dem Fenster.

          • @swordeli:

            Es beugt Willkür vor. Nehmen wir an, Sie sind derjenige, der unschuldig vor Gericht steht. Vorwurf Steineeurf auf Polizisten bei G7 Protesten. Nehmen wir an, Sie sind freigesprochen. Nehmen wir weiter ab, es kommt ein neues yhandyvideo auf dem eine verschwommene Gestalt erkennbar ist, die Ihnen ähnelt. Sie haben also kein Problem nochmal vor Gericht zu erscheinen und Rede und Antwort zu stehen und alles nochmal zu durchleben? Vor allem nachdem Sie sehen, dass der Staatsanwalt einen kurzen Haarschnitt und aus Ihrer Sicht fragwürdige Tatoos hat? Und Ihnen kommt der Verdacht, dass Sie nur wegen Ihrer politischen Einstellung nochmal vor Gericht stehen? Man muss nicht immer gleich ein totalitäres System heranziehen. Der Vergleich ist bereits von daher sinnlos, da sich bei einem Diktator eh kein Grundgesetz hält. Das Grundgesetz schützt Sie jetzt vor Willkür.

            PS Mir ist klar, dass die Reform nur Mord & Co im Sinn hatte. Aber Sie wollen den Grundsatz ne bis in idem ja gleich ganz in die Tonne kloppen.

    • @Aurego:

      Mir leuchtet nicht so ganz ein, warum es erst zu einem Freispruch kommen muss, um im Sinne dieses Urteils als Bestrafung zu gelten, ein Haftbefehl mit Untersuchungshaft ohne anschließende Verhandlung jedoch nicht.

      Und was ist mit meiner Rechtssicherheit für dieses Verbrechen nicht angeklagt ... äh ich meine bestraft zu werden? Ich war damals zwar nicht geboren, aber das muss ja nix heißen, ich will Rechtssicherheit!

      Unfassbare Argumentation.

  • Ein sehr diffiziles Thema, gerade wenn man es auch Sicht der Angehörigen oder aus der Sicht von Freigesprochenen betrachtet. Und gut, dass dieser Artikel angenehm neutral bleibt, ohne polemische Anmerkungen.

    "Der Rechtsfrieden habe hier Vorrang vor dem Streben nach Gerechtigkeit. Dies sei eine Lehre aus der NS-Zeit, als die Rechtskraft von Urteilen wenig galt, erklärte die federführende Richterin Astrid Wallrabenstein." Ein solcher Vergleich erscheint mir fragwürdig. Die damalige Zeit war eine Zeit ohne jedes bißchen Gesetz und Menschenrechte, sondern eine Zeit totalitärer Willkür und Verbrechen. Kann man da wirklich solche Vergleiche ziehen? Und könnte man einer solchen Entwicklung nicht vorbeugen, indem man die Hürden einer Verfahrenswiederaufnahme wirklich sehr hoch setzt? (also zB eine wirklich hohe Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung aufgrund neuer Aspekte?)

    • @Werner2:

      "Ein solcher Vergleich erscheint mir fragwürdig. Die damalige Zeit war eine Zeit ohne jedes bißchen Gesetz und Menschenrechte, sondern eine Zeit totalitärer Willkür und Verbrechen."



      So ein bißchen Nationalsozialismus in der Rechtsprechung (und anderswo) wäre also nach dieser Logik in Ordnung?



      Es war ja nicht alles schlecht... ja, diese Sprüche kenn ich irgendwoher...

    • @Werner2:

      "Ein solcher Vergleich erscheint mir fragwürdig. Die damalige Zeit war eine Zeit ohne jedes bißchen Gesetz und Menschenrechte, sondern eine Zeit totalitärer Willkür und Verbrechen."

      Das ist so falsch, dass es falscher gar nicht geht. Praktisch alles, was die Nazis an Unrecht verübten, wurde in Gesetzes- oder Vorschriftenform gegossen und damit "rechtssicher" gemacht, und zwar von denselben Juristen, die in den allermeisten Fällen nach 1945 ihre Karrieren fast ungebrochen fortsetzen konnten. Von daher sind solche Vergleiche nicht nur zulässig, sie sind im Hinblick auf die deutsche Rechtsgeschichte sogar geboten.

      Gerade deshalb ist es auch so wichtig, auf die unbedingte (= ohne Ausnahmen!) Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze zu bestehen. Dazu gehören das Verbot der Mehrfachverfolgung in derselben Sache (ne bis in idem), das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen (nulla poena sine lege praevia) und der Freispruch im Fall berechtigter Zweifel (in dubio pro reo).

      Gnade uns Gott, wenn wir diese Grundsätze einer populistischen Stimmung opfern, um diesem oder jenem vielleicht zu Unrecht freigesprochenen Täter 30 oder 40 Jahre später doch noch sagen zu können: "Ätschi-bätschi, jetzt kriegen wir dich doch noch dran. Und wenn nicht dieses Mal, dann haben wir ja noch unbegrenzt viele Versuche, dich immer wieder und wieder vor Gericht zu stellen, bis wir endlich den gewünschten Schuldspruch erreicht haben."

      Auch wenn viele juristische Laien es vielleicht nicht verstehen, aber die von mir oben genannten Prinzipien schützen jeden einzelnen Bürger (= uns!) vor der Übergriffigkeit staatlicher Organe. Es ist daher richtig und wichtig, dass sie Verfassungsrang genießen und vor ihrer wesensmäßigen Aushöhlung geschützt sind.

    • @Werner2:

      Das mit dem dritten Reich ist kein Vergleich sondern eine Begründung warum das Prinzip (und auch andere) so verankert wurden. Das ist halt genau der Punkt, wenn solche Prinzipien nicht mehr gelten, dann schützt das Grundgesetz eben nicht mehr vor Willkür und wir wären auf dem Stand vor dem Grundgesetz.



      Und auch wenn die Hürden in dem betreffenden Gesetz recht hoch sind, wer hindert andere Menschen daran andere Gesetze zu schreiben, die Dinge (nichtigere) strafbar machen und die Hürden niedriger anzusetzen? Dagegen würde ich halt schon gerne vor Verfassungsgericht ziehen. Das Problem ist halt nur, wenn's für das eine Gesetzt erlaubt ist, kann's für das andere nicht verboten sein.

  • Das Urteil mag im Hinblick auf den konkreten Fall schmerzen, aber es ist in der Sache absolut richtig und wichtig, dass eine Mehrfachverfolgung nicht möglich ist.

    Man stelle sich einfach vor, dass Menschen die zu Recht freigesprochen wurden mit fadenscheinigen Vorwürfen erneut angeklagt werden können, weil der Staatsanwaltschaft der Freispruch nicht in den Kram passt. Wer das für unmöglich hält, der sollte sich dringend mal als Klimaaktivist oder für eine linke Partei betätigen, abgesehen davon dass die Polizei bekannt dafür ist, wo nichts ist nur eine gute Tarnung zu unterstellen und sich festzubeißen.

    Rechtsfrieden ist ein hohes Gut, und man muss in einem Rechtsstaat damit leben, dass es in wenigen Fällen auch falsche Freisprüche geben kann. Das haben die zu Recht Freigesprochenen verdient.