Antisemitismus in der Klimabewegung: Fridays im Kreuzfeuer
Deutsche Aktivist*innen distanzieren sich von israelfeindlichen Statements der internationalen Bewegung.
Am Mittwoch hatte der internationale Account von Fridays for Future einen mehrteiligen Post auf Instagram abgesetzt, der mittlerweile gelöscht ist. Darin behauptete die Organisation, dass „westliche Medien Gehirnwäsche betreiben“ würden, um Solidarität mit Israel zu erzeugen. Die Medien würden von imperialistischen Regierungen finanziert, die hinter Israel stünden und Fake News verbreiteten.
Die israelische Regierung verübe einen Genozid an den Palästinenser*innen und sei nicht daran interessiert, den Konflikt zu beenden. Schon in der Vergangenheit war der internationale Account mehrfach durch eine Israel ablehnende Haltung aufgefallen.
Deutsche Aktivist*innen widersprechen
Fridays for Future Deutschland distanzierte sich umgehend: „Der Post war nicht mit uns abgestimmt, und wir stimmen nicht mit dem Inhalt überein“, schrieb die deutsche Ländergruppe auf Instagram. Sie verurteile den Terror der Hamas und erkläre sich uneingeschränkt solidarisch mit Jüdinnen und Juden weltweit. Gleichzeitig sehe man das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza.
Laut Recherchen des Tagesspiegelsgehen die antisemitischen Tweets des internationalen Accounts auf eine Einzelperson zurück: Hasan Ö. Der ehemalige Sprecher der Mainzer Fridays-Ortsgruppe habe sich nicht großartig für Klimathemen interessiert, sondern versucht, die Organisation als Plattform für die Verbreitung israelfeindlicher Positionen zu nutzen. Anderen Aktivist*innen gegenüber sei er respektlos und aggressiv aufgetreten.
Die Bundesebene und die Mainzer Ortsgruppe hätten ihn vor einiger Zeit ausgeschlossen, was ihn laut Tagesspiegel jedoch nicht davon abhalte, die Social-Media-Kanäle zu unterwandern.
Gegenüber der taz wies Hasan Ö. die Vorwürfe zurück. „Ich hatte nie Zugriff auf den internationalen Account“, schrieb er auf Anfrage. „Die Inhalte, die dort veröffentlicht werden, werden im Konsens entschieden, legitimiert und veröffentlicht.“ Die Positionen entsprächen dem internationalen Konsens unter den Ländergruppen.
Auch Fridays-Initiatorin Greta Thunberg positionierte sich klar an der Seite der Palästinenser*innen und ließ die grausamen Taten der Hamas dabei zunächst unerwähnt. Kritisiert worden war auch ein Kuscheltier auf ihrem ursprünglichen Instagram-Foto, das sie später austauschte.
Im ersten Bild war ein Kuschel-Oktopus zu sehen gewesen. Kraken sind ein in antisemitischen Kreisen oft bemühtes Bild für eine angebliche jüdische Weltverschwörung. Das Kuscheltier sei ein von Autist*innen benutztes Tool, um Gefühle zu kommunizieren, erklärte Thunberg. Sie sei sich der Bedeutung der Krake in antisemitischen Erzählungen nicht bewusst gewesen.
Experte: „Viel Unsicherheit und Unwissen“
Es ist nicht das erste Mal, dass die Klimabewegung durch Antisemitismus auffällt. Einen Skandal verursachte 2019 Roger Hallam, Mitgründer der Bewegung Extinction Rebellion. Im Interview mit der Zeit sprach er von der Shoah als „nur einem weiteren Scheiß in der Menschheitsgeschichte“. Die deutsche Sparte der Gruppe distanzierte sich daraufhin.
Der Journalist und Wissenschaftler Nicholas Potter untersucht unter anderem für die Amadeu-Antonio-Stiftung Antisemitismus in Bewegungen. „Es gibt in Bezug auf Antisemitismus in der Klimabewegung zwei Phänomene“, sagte er der taz. „Auf der einen Seite gibt es diejenigen, denen es um Aufmerksamkeit geht, auch mit geschmacklosen Provokationen. Dazu würde ich Roger Hallam oder auch die Gruppe Revolution zählen.“
Diese hatte im vergangenen Jahr mit dem Slogan “Von Hamburg bis nach Gaza – Klimaintifada“ für ein Protestcamp geworben und sich so mit gewalttätigen Aufständen von Palästinenser*innen gegen Israelis gemein gemacht.
„Auf der anderen Seite, und da verorte ich viele Aktivist:innen von Fridays for Future, gibt es eine reflexartige Solidarität mit Palästina als Underdog und als Stellvertreter des Globalen Südens“, meinte Potter. Die Industrieländer haben die Klimakrise hauptsächlich verursacht, so ihren Reichtum aufgebaut – während viele Länder im Globalen Süden besonders unter den Folgen leiden. „Diesen Klimaaktivist:innen ist bewusst, dass sie selbst aus einer privilegierten Position aus dem Globalen Norden sprechen, dem sie auch Israel zurechnen – das wollen sie reflektieren.“
Eine Rolle spielt für Potter auch, dass Fridays for Future vor allem eine Bewegung junger Menschen ist. „Viele Aktivist:innen kommen gerade zum ersten Mal in Kontakt mit dem Nahostkonflikt, da gibt es sehr viel Unsicherheit und auch Unwissen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“