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Protestforscher über ausbleibende Demos„Risiko, im Abwarten zu versacken“

Wo bleibt angesichts des Rechtsrucks der Aufstand der Anständigen? Der Protestforscher Dieter Rucht rät zu breiter und strategischer Bündnisarbeit.

Andere Zeiten: Mehr als 200.000 Menschen liefen bei der Unteilbar-Demo in Berlin im Herbst 2018 mit Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz
Gareth Joswig
Interview von Gareth Joswig

taz: Herr Rucht, Sie sind schon sehr lange Protestforscher. Wo bleibt angesichts des AfD-Aufschwungs und von rechts dominierten Debatten über Migration eigentlich der zivilgesellschaftliche Aufschrei – wo bleibt Unteilbar 2.0?

Dieter Rucht: Ich habe auch keine umfassende Patenterklärung. Die Lage ist derzeit diffus – und es gibt kein Geheim­rezept, was zu tun ist. Die Empirie sagt, dass das Protestgeschehen erfahrungsgemäß in Wellen verläuft. Und auch wenn es mal ein Tal gibt, heißt das nicht, dass alle progressiven Kräfte tot sind. Auch wenn soziale Bewegungen eine Ruhe- und Reflexionsphase haben, muss das nicht bedeuten, dass alles nur noch bergab geht.

Aber wann geht es wieder bergauf?

Nach Phasen des Rückzugs kommen wieder stürmischere Zeiten, gewinnen Utopien wieder an Zugkraft. Viele Leute holen gerade Luft. Es besteht natürlich auch immer das Risiko, dass man im Abwarten versackt. Aber ich bin nicht so skeptisch: Meine Hoffnung, aber auch meine empirisch gestützte Erwartung ist, dass sich was an Gegenwehr und Offensive aufbaut.

Kurz vor der bayerischen Landtagswahl gab es noch ein Aufbäumen, als 35.000 Menschen gegen rechts demonstrierten, doch die Wahlergebnisse kennen wir. Und in Berlin konnten sich am 3. Oktober 5.000 Verschwörungsideologen ohne viel Gegenprotest breitmachen.

Dass es gelegentliche Ausnahmen gibt, darf man nicht vergessen. In Bayern war Wahlkampf, was sicherlich zur Mobilisierung beigetragen hat. Aber am Berliner Beispiel zeigt sich, dass die Rechten an vielen Fronten auf dem Vormarsch sind. Angesichts dessen ist es bemerkenswert, dass das Bündnis Unteilbar sich in einem überaus seltenen Akt letzten Herbst aufgelöst hat

… Unteilbar hatte während des bis dahin größten Umfragehochs der AfD und nach rechten Ausschreitungen 2018 in einem breiten Bündnis Zehntausende auf die Straße gebracht…

… Da zeigt sich, dass es im progressiven Lager derzeit keine zündende Idee, keinen gemeinsamen Nenner oder gar eine Utopie gibt. Aber auch andere kraftvolle progressive Protestbewegungen fehlen. Weder Fridays for Future noch die Letzte Generation oder Extinction Rebellion schlagen durch. Die Fridays haben ein bisschen was verändert, aber nicht genug: Was man sich erhofft hat, findet nicht statt.

Anders als andere Protestformen setzt die Letzte Generation auf gesellschaftliche Konfrontation auch mit der arbeitenden Klasse – kann es sein, dass dieser schwelende gesellschaftliche Konflikt demobilisiert?

Ich sehe da keine Konfrontation speziell mit der arbeitenden Klasse, sondern eine Beeinträchtigung von Auto­fahrer*innen, Flugreisenden und anderen Gruppen. Wer von ihnen arbeitet oder nicht arbeitet, spielt keine Rolle. Aber es gibt Hinweise darauf, dass jene Leute die Letzte Generation besonders scharf verurteilen, die sich selbst als „Normalbürger“ verstehen und an ihren Routinen festhalten wollen.

Wo hingegen derzeit viel Bewegung ist, ist bei den Rechten: AfD-Politiker können vor Kraft derzeit kaum laufen, im Osten sorgen rechtsextreme Gruppen wie die Freien Sachsen für permanentes Protestgeschehen, beides geht einher mit viel Hass und Hetze, einem Klima wie gemacht für rechte Gewalt.

Ja, die spüren im Moment Oberwasser, fühlen sich auf dem Vormarsch und nehmen zu Recht wahr, dass sie stärker werden. Sie berauschen sich an den eigenen Teilerfolgen. Das Momentum ist günstig für die Rechte. Aber ich glaube: Dieses rechte Potenzial ist bald ausgeschöpft – auch die werden an Grenzen stoßen. Ich glaube: Das Gros der demokratischen Kräfte wird sich aufrappeln.

Aber wann?

privat
Im Interview: Dieter Rucht

77, ist emeritierter Professor. Der Bewegungsforscher arbeitete am Wissenschaftszentrum Berlin und an der Freien Universität Berlin.

Das lässt sich schwer vorhersagen. Ich sehe in meinem Umfeld jedenfalls, dass die Sorge wächst und immer mehr Leute die Bereitschaft erkennen lassen, etwas dagegen zu unternehmen.

In Nordhausen verlor die AfD trotz großen Vorsprungs und eines blassen Gegenkandidaten eine sicher geglaubte Stichwahl – dort hatte ein breites Bürgerbündnis „Nordhausen zusammen“ gegen Spaltung mobilisiert. Braucht es breitere Bündnisse?

Nordhausen lässt sich schwer verallgemeinern. Vor Ort spielen viele lokale Faktoren eine Rolle, die nicht flächendeckend wirksam sind. Aber generell gilt schon: Wenn Einzelne die Initiative ergreifen, zündende Ideen haben, Stimmungen auf den Punkt bringen, dann kann man in Wartestellung befindliche Gruppen ansprechen und als Antreiber oder auch Vermittler von Gruppen agieren, die ansonsten nicht kooperieren.

Es gab im Gegensatz zu Sonneberg, wo der erste AfD-Landrat gewählt wurde, kein Allparteienbündnis. Hilft das?

Es ist klug, sich aus dem Hickhack der Parteien herauszuhalten. Protest sollte sich ohne parteipolitische Etikettierung formieren, ob nun links, grün, schwarz oder wie auch immer. Es müssten gruppenübergreifende Initiativen im zivilgesellschaftlichen Raum gestartet werden. Da ist es hilfreich, wenn eine solche Mobilisierung Akteure vorantreiben, die lokal vernetzt und anerkannt sind und die örtlichen Verhältnisse kennen.

Wie würden Sie denn eigentlich diese Zivilgesellschaft definieren, auf die es immer ankommt?

Mein Verständnis von Zivilgesellschaft bezieht sich, anders als sonst üblich, nicht auf den Sektor jenseits von Staat, Wirtschaft und Familie, sondern auf mehr oder weniger zivile Praktiken in all diesen Bereichen, also auch in Gefängnissen, in Betrieben und im privaten Rahmen. Je mehr dort ziviles Handeln, also Respekt, Toleranz, Empathie, Rücksicht auf andere, und Ähnliches verwirklicht sind, umso entwickelter ist die Zivilgesellschaft. Ich teile nicht die verbreite Gleichsetzung von Zivilgesellschaft mit dem Wirken von Nichtregierungsorganisationen. Schließlich ist auch die Mafia oder eine Schlepperbande eine Nichtregierungs­organisation.

Jahrzehntelang standen in Städten wie Berlin vor allem Antifa-Bündnisse an vorderster Front gegen rechte Aufmärsche. Derzeit schwächelt die linke Bewegung, wie es scheint. Wären die Antwort darauf breitere Bündnisse unter Einbeziehung von Gewerkschaften, Kirchen, Prominenten?

Ja, schon, aber derzeit ist nicht erkennbar, dass gerade starke Initiativen entstehen. Die politische Großwetterlage gibt das nicht her, die politischen Verhältnisse sind derzeit kompliziert. Man darf nicht vergessen, dass Grüne und SPD an der Regierung beteiligt sind. Auch deswegen agieren viele mit angezogener Handbremse – man will nicht in die rechte Kritik und Totalablehnung der Regierung mit einstimmen, um diese nicht zu bestätigen. Das führt dazu, dass derzeit viele in Warteposition sind.

Aber ist das nicht eine Kapitulation vor rechter Politik? Die findet doch schon diskursiv statt: Wenn jemand wie Bundespräsident Steinmeier in der Tagesschau stolz erzählt, dass er am Aushöhlen des Asylrechts in den neunziger Jahren beteiligt war, und das als Positivbeispiel heranzieht und dabei einfach die damals begangenen Morde, die rechte Gewalt und die Baseballschlägerjahre ausblendet?

Ja. Aber das heißt noch nicht, dass alle resigniert haben. Wir befinden uns in einer Situation des Zögerns, der Unschlüssigkeit. Es gärt etwas, was noch keine konkrete Form gefunden hat. Prodemokratische progressive Kräfte sehen durchaus, dass es bergab geht und etwas getan werden muss.

Was müssten die progressiven Kräfte gegen den Aufschwung der Rechten tun – auch angesichts von drei Landtagswahlen im Osten 2024?

Es bräuchte jetzt eine strategisch angelegte Bündnis­arbeit. Organisationen, Gruppierungen und Netzwerke müssen sich zusammentun, einen großen Ratschlag veranstalten. Aber man sollte das zunächst intern machen und überlegen, ob und unter welchen Vorzeichen man eine breitere Kampagne in Gang bringen kann. Es muss nicht gleich alles konkret durchdacht werden; es braucht zunächst einen Raum der Reflexion. Aber derzeit sehe ich noch keine Initiatoren dafür; es gibt keine kraftvollen Bemühungen. Aber es könnte hilfreich sein, ein Zeichen zu setzen – vielleicht wie damals bei den Lichterketten. Da waren am Ende auch Hunderttausende auf den Straßen bei sehr geringer Vorarbeit.

Welche Vorbilder gibt es noch für diese Situation?

Die Herbstkonferenzen der Anti-Atomkraft-Bewegung waren auch immer ein Raum für Reflexion und für strategische Überlegungen. Bündnisse schmieden erfordert viel Organisationsarbeit. Aber es ist besser, als am Küchentisch oder im Café zu sitzen und zu jammern.

Spielt Corona eine Rolle bei der derzeitigen Demobilisierung?

Ich würde Corona als Erklärung nicht so stark machen, auch wenn Fridays for Future das sogar selbst als Erklärung für einen Rückgang der Mobilisierung herangezogen haben. Die Mobilisierung war schon vorher, im Spätherbst 2019, rückläufig. Da gab es noch kein Corona. Natürlich hatte die Pandemie einen lähmenden Effekt, aber damit ist nicht alles zusammengebrochen. Die Leute sind ja nach wie vor da.

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20 Kommentare

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  • 1. Viele Leute haben keine Lust zum Demonstrieren. Familie, Job, Hobby, Sport sind wichtiger.



    2. Vielen Leuten ist durchaus bewusst, dass Verbesserungen technisch nicht machbar sind, weil es an qualifiziertem Personal, Rohstoffen, usw fehlt oder der Schutz wichtiger Rechtsgüter eine komplexe Bürokratie erfordert, die alle Vorgänge langsam macht. Geldmangel kommt erst danach.



    3. Wenn auch die normalen Spiessbürger für sie praktikable Protestformen finden, z.B. glaubwürdige Online- Demonstrationen, kommt ganz was anderes raus als der Interview- Partner sich erhofft.

  • Schon mal darüber nachgedacht, dass manche evtl. AFD wählen würden, da sie in den anderen Parteien keine Alternative sehen, es aber nicht kommunizieren, da sie sich sonst dem gesellschaftlichen Spot aussetzen würden? Eher so stille Hoffnung, dass sich evtl. was ändert? Schauen sie sich doch unser Kabinett an, wer da drin sitzt. Ein Kanzler welche sich an bestimmte Geschäfte nicht mehr errinnern kann und von dem man auch sonst nicht viel hört. Gesundheitsminister, Innenministerin, Außenministerin ,Verteidigungsministerin a.D. , die Vetternwirtschaft in bestimmten Ministerien. Die Beraterkosten freier Lobbyisten,. Haben wir keine Ministerien die diese arbeit erledigen können? Das sehen die Leute und weiter? Die Beamten leben in ihrer Blase sehr entspannt. Die Klassengesellschaft ist da schon sehr ausgeprägt. Wieso bekommen Beamte mehr Kindergeld als zb. Steuerzahler. Sind die Kinder was besseres? Manche Kommunen haben schon Probleme die Pensionsansprüche zu bezahlen. Dann geht es weiter zur EU. Tut mir leid, die Idee der EU war schön gedacht, nur wie sie aktuell Arbeitet und was diese uns kostet, kann ich nicht akzeptieren. In der freien Wirtschaft wäre da schon längst aufgeräumt worde. Aber sie halten sich an ihren Stühlen fest bis wir alle zusammen untergehen. Wir hätten nie die Atomforschung runterschrauben dürfen. Da hätten wir evtl gute alternativen für eine wettbewerbsfähige Energieversorgung. Ich warte nur drauf, bis die Millarden Subventionen eingestellt werden, welche aktuell den Strompreis drosseln. Wie kann es sein, das Zugfahren teuerer ist als Autofahren. Natürlich kann man den Spritpreis weiter hochschrauben, dass damit alle Lebenserhaltungskosten hochgehen dürfte jedem klar sein. Das die Gehälter aber nicht ins unermessliche steigen können auch. Der Sozialstatt ist zu aufgebläht. Das Gesundheiswesen wird als Flatrate benutzt. Kreiskrankenhäuser sind in den roten Zahlen. Da die Gelder meiner Meinung nach falsch verteilt werden usw. die Liste ist zu lang

  • Nun denn,



    dass FFF eine besondere Nähe zu antisemetischen Gruppierungen zuließ ist ja nun wirklich schon länger bekannt. Und dass sich dann die Bürger, die zwar ähnliche Ziele haben, da lieber fernbleiben ist nachvollziehbar.

  • unsere regierung versagt mit der eingrenzung und dem schutz der zivilbevölkerung völlig. man sieht doch was den leuten auf der strasse passiert in sachsen? da gibt es scho ganze dörfer, die komplett in rechter hand sind. die bürger werden eingeschüchtert und bedroht wenn sie interviews geben, geschweige sich gegen rechts stellen? die polizei kann nichts mehr machen, ist bereits von diesen gruppen unterwandert! und im westen geht es weiter. wir haben andere zeiten! heute gibt es sofort eine lebensgefährliche hatz im netz, gegen normalpersonen, bis zu todesdrohungen aus dieser ecke. so lange das nicht eingefangen wird von unserer executive und die nur shculterzuckend die masse an vergehen im netz mit überforderung quittiert, braucht man sich nciht wundern, warum es an gegenwehr immer stiller wird! so gefährlich wie im augenblick wasr es für die demokratie noch nie..die demos die hier ausarten, von staatsfeinden und religiösen gruppen , muss uns ein weckruf sein, wie wenig hier noch die mehrheitsgesellschaft den ton angibt. es setzen sich immer mehr gewaltfreunde und verfassungsfeinde einfach mit dem recht des stärkern durch. in diese zeit dann auch noch dies klatsche vom bundesverfassungsgericht. das ein mörder nicht 2 x wegen derselben tat angeklagt werden kann, auch wenn es stichfeste beweise im nachgang gibt..geklagt hatte der mörder..

  • Wie will man sich noch gegen Rechts stellen, wenn im demokratischen Spektrum von Wagenknecht über SPD, FDP und Union längst das Lied der AfD gespielt wird? Die fallen alle auf die Rechten herein, weil ihnen eigene Konzepte fehlen. Man hat sich über Jahrzehnte mit der eigenen "alternativlosen" Politik selber in eine Sackgasse manövriert, die sich in anderen EU Ländern, vor allem im Osten, schon sehr früh ankündigte.

    Die Grünen, als einzige noch relativ progressive Partei, zum Sündenbock für alle Schieflagen des Landes zu verklären, ist auch nur ein altes AfD- Narrativ. Hier steckt aber die Gefahr für unsere Demokratie. Im Rechtspopulismus dieser neoliberalen Partei sind längst knallharte wirtschaftliche Interessen fest verankert, das ist über Lobbygruppen die direkte Verbindung zu Christdemokraten und Liberalen.

    Wo sind eigentlich unsere Künstler, die sich noch in den 90er Jahren geschlossen gegen Rechts positionierten? Wo die klaren Worten unserer Denker, Schriftsteller und noch ernstzunehmenden Spitzenpolitiker?



    Die Zeit der großen Demos und langen Lichterketten ist individualisierungsbedingt offensichtlich vorbei, auch eine Folge der Politik der letzten drei Jahrzehnte. Nicht die Gesellschaft ist am Schicksal des Einzelnen schuld, sondern nur er selber, das ist Neoliberalismus in Reinkultur.

    • @Seeker:

      ohne das anbidern dieser parteien, wäre die afd bereits bei 60 % die grünen haben völig den blick verloren, wer ihr tollen ideen bezahlt. diese politik der elite ist in der praxis untragbar..



      und warum keiner gegen rechts protestiert? weil derzeit 70-80% der bevölkerung mit existenzkämpfen -nach corona, energiekrise und inflation und massiven zukunftsängsten beschäftigt sind!genau die ignoranz gegenüber dieser inlandskrise bringt rechts an den start und treibt betroffene on die ohnmacht, oder aber deren hände!

      • @pilzkonfekt:

        Wie recht Sie doch haben, Herr Pilzkonfekt.

        Und Bestätigung finden Sie sogar in obigem Text: "Ich sehe da keine Konfrontation speziell mit der arbeitenden Klasse, sondern eine Beeinträchtigung von Auto­fahrer*innen, Flugreisenden und anderen Gruppen. Wer von ihnen arbeitet oder nicht arbeitet, spielt keine Rolle." Da ist sie, die Arroganz, die alles darauf abschiebt, dass hier nur einige bequem sind und sich in ihren Annehmlichkeiten gestört fühlen. TATSACHE ist, dass es die meisten meiner Kollegen angekotzt hat, wenn sie zum Arbeitsende zum wohlverdienten Feierabend nach einem Knochenjob auf dem Bau - oder auf der Fahrt zur Baustelle - behindert wurden und allein dadurch unnötigen Ärger hatten (Und da reicht schon ein Stau der NICHT absichtsvoll verursacht wird, um wie viel wütender macht es, wo er absichtlich herbeigeführt wird.). Schlimm genug, dass schon der Job selbst ankotzt, aber dafür dann auch noch gearscht zu werden, macht es nicht besser. Und erst recht, wenn man sich als Arbeiter dann das soziale Milieu anschaut, dass sich hier "kämpferisch" gibt.

        Ich kenne keinen einzigen Kollegen, bei dem das Sympathiepunkte gefunden hat (oder findet). Aber viele, wo das Gegenteil der Fall ist ...

  • Herr Rucht, verlassen Sie einfach die "progressive Blase" und sprechen Sie z.B.in Einkaufszentren oder auf Wochenmärkten mit Leuten, dann werden Sie Antworten finden.

    • @Hans Hermann Kindervater:

      Welche Antworten? Ein großer Teil der Deutschen (wahrscheinlich sogar aller Menschen, weltweit) ist nunmal "schon immer" rechtsextrem. Aus Burschenschaftlern werden im Normalfall keine echten Demokraten und der dumme Pöbel will einfache Lösungen für komplizierte Probleme, die es nicht gibt, von Nazis aber gern herbeigelogen werden. Der Jude hat Schuld, der Ausländer hat Schuld, die Linksgrünversifften haben Schuld...

      • @Matt Olie:

        "Ein großer Teil der Deutschen (wahrscheinlich sogar aller Menschen, weltweit) ist nunmal "schon immer" rechtsextrem"

        Das ist, mit Verlaub, totaler Blödsinn. Man(n)/Frau ist nicht gleich rechtsextrem, wenn man mit linken Idealen hadert. Bin ich pro Asyl? Ja, ganz klar. Aber nicht bedingungslos. Bin ich für Klima- und Umweltschutz? Eindeutig ja! Aber bitte sozialverträglich, und mit Maß. Verspüre ich Verachtung gegenüber der AgD? Aber sowas von. Ihrer These folgend wäre ich rechtsextrem, wogegen ich mich entschlossen verwehre. Ich sehe lediglich massive gesellschaftliche Verwerfungen, auf die die Befürworter von offener Migrationspolitik und massiven Klimaschutzmaßnahmen, keine mich befriedigende Antwort geben können.

  • Wenn in Bayern 2/3 rechte Parteien wählen, bleiben nicht viele, die da noch dagegen demonstrieren könnten. Die Mehrheit scheint zumindest in einigen Bundesländern ihre Position gefunden zu haben.

  • Es ist in unserer diversen Gesellschaft sowieso nicht mehr möglich wie anno 89 eine kritische Masse auf die Straße zu bekommen. Dafür gibt es einfach zu viele Partikularinteressen die unter einen Hut zu bringen wären. Die Reichen und Mächtigen unterstützen diese aktuelle Entwicklung schließlich nicht ohne Grund.



    Ich hoffe inständig Herbsttagungen der Antiatomkraftbewegung sind nicht unsere einzige Strategie für die bei uns anstehenden Wahlen in 2024. In unserem Wahlkreis steht die AfD aktuell nördlich der 40%. Da wird kein Bündnis der Zivilgesellschaft mehr geschmiedet. Es geht jetzt um konkrete Politik und nicht mehr um aktivistische Begleitmusik des Wahlkampfdonners aus Berlin.

  • Liegt es vielleicht daran, dass die Linke mit Frau Wagenknecht selber nach rechts wandert? Die Einordnung vom Gut und Schlecht wird dabei zunehmend unklarer.

    • @henrik sander:

      Ich glaube, es ist ein Fehler, die "linke" politische Haltung mit einer Partei gleichzusetzen, die aus historischen Gründen das Wort "Linke" im Namen trägt, aber mit der "werktätigen Klasse" nichts mehr gemeinsam hat.

  • "Ich teile nicht die verbreite Gleichsetzung von Zivilgesellschaft mit dem Wirken von Nichtregierungsorganisationen. "

    Diese Gleichsetzung könnte womöglich Ursache dafür sein, dass der Citoyen, der sich einmischt, keine Beachtung mehr findet und deshalb die eigentliche Zivilgesellschaft ziemlich tot ist. Viele NGOs werden staatlich alimentiert oder haben interessengeleitete Sponsoren mit mehr oder weniger klarer Befürwortung der herrschenden Verhältnisse. Das ist für den Erhalt und erst recht für die Weiterentwicklung der Demokratie kontraproduktiv.

    • @Rolf B.:

      Der Citoyen mischt sich nicht ein, weil:

      a) man dazu tatsächlich irgendeiner NGO oder Partei beitreten _muss_, sonst wird man nicht beachtet, wie Sie treffend bemerkten. Eine einzelne Stimme hat wenig Gewicht. Niedrigschwellige Angebote wie Lichterketten könnten viele Einzelstimmen jedoch zu einem Chor machen.

      b) man in NGOs, Parteien etc. in eine bestehende Hackordnung einsteigt, und NULL Chancen auf Zurkenntnisnahme der eigenen Ideen hat, wenn man sich auf die Sachfragen statt auf Cliquenbildung und Pöstchenintrigen konzentriert. Und wer das jeweils aktuelle Glaubensbekenntnis nicht bis zum letzten Jota verinnerlicht hat und ständig laut vorbetet, gilt als verdächtig.



      Eine unorganiserte Bewegung, wie FFF, zerfällt irgendwann in ihre Unter-Interessengruppen, die dann um so feindseliger zueinander sind. Siehe das Interview mit Frau Neubauer vom 30.10. bei der "Zeit".

      c) ein passives Anspruchsdenken weit verbreitet ist. Sollen die XYZ sich darum kümmern, ich bleib lieber zu Hause (dann kann ich bequem nörgeln, ich war ja nicht beteiligt). Politisches Engagement wird als Dienstleistung von Anderen verstanden. Dass man selber Teil der Gesellschaft ist, wird ignoriert. Gewerkschaften, Kommunalpolitik, selbst Freiwillige Feuerwehren zehren noch aus dem Bestand der Boomer, Nachwuchs gibt es kaum, und das hat nichts mit der Demographie zu tun. Keine Zeit, keine Lust, zu anstrengend, zu viel Arbeit. Aber es müssen oft dicke Bretter gebohrt werden.

      Ich bin noch in den 1960/70ern sozialisiert worden. Ziel war der "mündige, kritisch hinterfragende Bürger". Das Ziel heute ist der manipulierbare unkritische Konsument.



      Mit 15/16 haben wir auf dem Schulhof über Politik diskutiert, nicht über Barbies neue Kleider!

  • Das Problem der "progressiven" Seite ist, das sie nicht mehr progressiv ist, weil sie nicht weiß, wohin es überhaupt gehen soll. Die progressive Seite ist eher konservativ geworden, sie will bewahren oder sogar zurückgehen.

    Wo ist die Zukunftsvision, die das nimmt, was nunmal da ist und was von allen Seiten zustandekommt, um es für die Zukunft zu benutzen?

    Da sieht man stattdessen überall nur Verweigerung und Ablehnung. Das ist nicht mehr "links" oder progressiv. Die linke Seite ist ultrakonservativ geworden.

    Links ist, wenn man Gegensätze produktiv benutzt, um sie im dialektischen Sinn aufzuheben, indem man das, was sie ausmacht bewahrt, dabei ihren Gegensatz aufhebt und den Gegensatz auf eine neue Ebene hebt. Die Linke tut NICHTS davon. Sie ist versteinert und sehnt sich nach dem, was gestern war. Sie hat vor nichts mehr Angst als vor der Zukunft und vor Gegensätzen.

    Macht die Gegensätze produktiv und hört auf, Angst vor ihnen zu haben!

    • @Mustardman:

      Du tust ja gerade so, als ob "links" eine homogene Masse wäre. Wäre das wirklich so, hätte man ja gar kein Problem mit "rechts"...

      • @Matt Olie:

        "Links" muss aber insoweit homogen sein, dass das politikfähig ist. "Links" heißt heute aber alles mögliche, darunter völlig Unvereinbares. Eigentlich heißt es gar nichts mehr, außer eine gewisse Nostalgie.

        Ich treffe ständig auf Leute, die sich selber nur deshalb als links verstehen, weil sie sich schämen, rechts zu sein, was sie aber letztlich sehr wohl sind. Da reicht dann eine winzige Überwindung eines gewissen Ekels und schon sind sie tatsächlich auf der rechten Seite und dort herrscht viel mehr Einigkeit und politischer Erfolg liegt dort auch viel näher heutzutage.

        Es ist fast unmöglich, heute noch wirklich links zu sein, ohne ein einsamer Spinner zu sein, der sich sogar mit allen anderen Linken über nichts einig ist.

    • @Mustardman:

      Das habe ich mir auch lange eingeredet, Adornos Studien zum autoritären Charakter hallen in den Köpfen vieler Menschen noch immer nach und man redet sich ein wer linke Gedanken auf autoritäre und intolerante Art und Weise vertritt, der werde automatisch zum Konservativen / Rechten, doch so einfach ist das leider nicht.

      Man muss endlich anerkennen, dass es auch linke und progressive Autoritäre gibt (was historisch gesehen eine Offensichtlichkeit ist) und das man einen Umgang mit diesen finden muss.

      Man sieht ja aktuell auch bei der Hamas wie schwer es Aktivisten fällt sich abzugrenzen und Intolerante auszugrenzen.